2 06

Gefangen im Kapitalismus

Bürgerlichkeit, Staat, Glückseeligkeit

Januar 2003

Editorial

Vollständige Auflage der sechsten Ausgabe der Zeitschrift "Phase 2" beschlagnahmt! Am 6. Dezember 2002 beschlagnahmte der Zoll die gesamte Auflage der in der Tschechischen Republik gedruckten sechsten Ausgabe der Zeitschrift “Phase 2”. In einem Beschluss vom 11. Dezember 2002 entschied das Amtsgericht Wunsiedel die gesamte Auflage wegen des Verdachts auf “verfassungswidrige Inhalte” und Steuervergehen einzubehalten. Die Zeitschrift wurde zur Überprüfung des Verdachts “verfassungswidriger Inhalte” an das Zollfahndungsamt Nürnberg zur Begutachtung übergeben. Weiter

Inhalt

Top Story

Phase 2 Leipzig

Gefangen im Kapitalismus - Bürgerlichkeit, Staat, Glückseeligkeit

Zum Schwerpunkt dieser Ausgabe

Der Zustand der ehemaligen Antifabewegung schwankt weiterhin zwischen Auflösung und Stagnation. Die Praxis der Gruppen bewegt sich innerhalb einer Spannbreite, die von einer umfassenden Infragestellung der bisherigen Politik bis zum Beharren auf den alten Konzepten reicht. Dort, wo ehemals hoffnungsvolle Strategien wie der „Revolutionäre Antifaschismus“ zum Gegenstand kritischer Abgrenzung geworden sind, ergeben sich statt einer neuen politischen Perspektive oft nur unklare Fragen. Entsprechende Gruppen werden Teil einer Streitkultur, die sich fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Die Kritik an der Gesellschaft wird weniger nach außen getragen, sondern in weitaus größerem Maße zum innerlinken Diskussionsfeld, auf dem nicht selten in Rugby-Manier um die richtigen theoretischen Prämissen und geschichtsphilosophischen Ableitungen gerungen wird. Der bewahrende Flügel versucht derweil vom Optimismus der neuen außerparlamentarischen Sozialdemokratie zu profitieren. Vielleicht nicht gänzlich unkritisch, jedoch mit einer großen Portion Ignoranz gegenüber den Kräfte- und Wahrnehmungsverhältnissen, wird versucht, die globalisierungskritische Bewegung zu radikalisieren. Gegen die Hauptströmung staatsfetischistischer, antiamerikanischer und nationalistischer Argumente konnte jedoch bisher kaum Boden gut gemacht werden. Nach dem Scheitern linksradikaler Organisationsansätze werden die vereinzelten Gruppeninitiativen zum quantitativ sowie inhaltlich vernachlässigbaren Beiwerk, von dem kaum jemand Kenntnis nimmt. Nicht einmal die symbolisch aufwertbare Randale scheint nach Florenz noch sicher. Weiter…

Leon Briem

Die Bürgerinitiative in Permanenz

oder Menschenrecht - geglaubtes falsches

Linksradikale haben es heutzutage oftmals leicht mit nahezu jeder Form von Recht und Gesetz. Dass es mit Gerechtigkeit nichts zu tun hat, nur die ideologische Untermauerung des Herrschenden ist oder vergleichbare kritische Herabwürdigungen gehen schnell von den Lippen und sehen sich auch selten der Notwendigkeit ausgesetzt, weiter zu differenzieren. Im einfachen Sinne falsch sind solche Aussagen nicht, aber mindestens wenig ausdifferenziert, und vor allem wird dem ideologischen Charakter eben des Rechtes und des Menschenrechtes durch solche bloße Abgrenzung gerade keine Rechnung getragen. Zum Provozieren mag so etwas taugen, im politisch marginalen oder persönlichen Rahmen sogar hin und wieder jemanden überzeugen. Den politisierten Massen, die sich, etwa bei den GlobalisierungskritikerInnen, immer noch mit voller Emphase auf das Menschenrecht stürzen, kann da nur noch hilflos ihre Dummheit vorgeworfen werden und jeder unfreiwillige Bezug, in dem selbst zum Recht gestanden wird, kann nur pragmatisch erklärt oder gar nicht reflektiert werden. Weiter…

BgR Leipzig

Die Möglichkeit der Revolution

Über die Befangenheit der Linken in den Verhältnissen und den ultimativen Weg aus diesen heraus.

Als Moses die Israeliten aus Ägypten führte, so geschah dies unter einem doppelten Versprechen. Zum einen war es das Verlangen nach der Aufhebung der realen Not der täglichen Zwangsarbeit, welche die 600 000 Männer, Frauen und Kinder antrieb, die Mühen des langen Weges durch die Wüste auf sich zu nehmen. Es war die Flucht vor den unmenschlichen Bedingungen eines Lebens, die ihnen von der dämonischen Gestalt des Pharao auferlegt wurden und die ein Ende haben sollten. Der Auszug aus Ägypten war aber mehr als die Vorstellung einer Aufhebung des Mangels. Er stand ebenso unter dem Vorzeichen eines materiellen Glücksversprechens, einer Hoffnung auf ein Land in dem „Milch und Honig fließen“ und in dem auf ideeller Ebene Freiheit und Gleichheit herrschen. Weiter…

Phase 2 Leipzig

Naziaufmärsche - Ein pragmatischer Umgang oder strategische Überlegungen

Streitgespräch zwischen dem Bündnis gegen Rechts Leipzig (BGR) und der Antifaschistischen Aktion Göttingen (AAM)

Seit der staatlichen antifaschistischen Offensive im Sommer 2000 gab und gibt es innerhalb der linken Gruppen unter anderem eine Diskussion über den Umgang mit Naziaufmärschen. Dabei könnte die Spannbreite der Positionen kaum größer sein. Einerseits ist von einer allgemeinen Sinnkrise und einem Ende der Antifabewegung die Rede, andererseits wird sich wieder auf das Konzept Antifa und seinem Ansatz des revolutionären Antifaschismus bezogen. Weiter…

Tjark Kunstreich

1. Gegen Geschichte

Es ist beinahe amüsant, wie jene, die bis zuletzt am marxistisch-leninistischen Begriff des Fortschritts festhielten, diesen nun denen vor die Füße werfen, die ihn schon lange verworfen und ihn auf das zurückgeführt haben, was sein Zweck schon immer war: dürftige Legitimation des Opportunismus zu sein. Auf „historischer Mission“ befindlich, eherne „Gesetze der Geschichte“ befördernd, war man selbst, aller empfundenen und erfahrenen Ohnmacht zum Trotz, auf der Seite des Forschritts. Jedes noch so blutige Zurückschlagen der Konterrevolution, jede weitere bittere Niederlage, aber auch jeder Sieg, der sich in furchtbarer Regelmäßigkeit als noch größere Niederlage herausstellte, verlangte nach einer Rechtfertigung. Entweder waren die Verhältnisse noch nicht so weit oder die Menschen, die Geschichte ging ihren gesetzmäßigen Gang, nichts konnte diese Gewissheit sprengen, nicht einmal das deutsche Menschheitsverbrechen. Im Gegenteil wurde es subsumiert unter die Verbrechen des Imperialismus und derart rationalisiert und zugleich verleugnet. Je unabweisbarer die geschichtlichen Tatsachen nur noch ein entschiedenes „Schluss damit!“ nahe legten, desto unbeirrbarer wurden die Verbrechen zu Umwegen, die Niederlagen zu Notwendigkeiten stilisiert und die Hegelsche „List der Geschichte“, selbst schon Rationalisierung der für ihn nichtidentischen historischen Momente, wurde herabgewürdigt zum Taschenspielertrick. Und das nannten die Linken dann Fortschritt. Weiter…

Initiative: Kritik im Handgemenge

2. Basisbanalitäten über bürgerliche Gesellschaft und ihren Export

1. Die jüngsten Loblieder linker Bellizisten auf die bürgerliche Gesellschaft unterbieten alle Erkenntnisse der kritischen Theorie. Bürgerliche Gesellschaft gründet in der Trennung von Staat und Ökonomie und verschwindet daher mit deren Fusion. Kritische Theorie begriff den Übergang vom Liberalismus in den Etatismus als notwendigen und, in Gestalt von Nazi-Faschismus, Stalinismus und New Deal, universellen. Horkheimer zeichnete die Linie vom Staatsfetisch der Arbeiterbewegung zum autoritären Staat nach, aber er wusste, daß sich die „Marktwirtschaft als immer reaktionärer erwiesen“ hatte. Im Weltbild der linken Bellizisten dagegen sind die plebejischen Kämpfe 1789 ff. für Getreidehöchstpreise oder die englischen Klassenkämpfe für den 8-Stunden-Tag nur als etatistische Verhunzung einer zuvor aus glückssuchenden Individuen bestehenden Gesellschaft zu denken. Unter Ausblendung des Klassenverhältnisses wird Markt mit Individualismus & Glücksversprechen identifiziert, Staat mit Zwangsgemeinschaft & Lustverzicht. Der linke Bellizismus feiert den Kapitalismus als „überlegen ... weil er den Menschen zwingt, sich als einzelner zu vergleichen“, nämlich in der „Marktkonkurrenz“(J. Wertmüller). Weiter…

Phase 2 Berlin

Die Register der Jungle-Orgel

Bekenntnisse auf dem Jungle-World-Kongress

Steht die Linke so sehr neben sich, dass sie es bei ihren Selbstgesprächen mit völlig Fremden zu tun hat? Gemeinsam mit iz3W, dem AStA der TU und memri (middle east media research institute) richtete die Jungle World vom 7.-9. September einen Kongress zu den Folgen des 11. September aus, der dieser Frage mehr oder weniger unfreiwillig auf den Grund ging: Die einzelnen Panels (Panel = Feld, Tafel, Gremium) sollten sich mit Antisemitismus ebenso befassen wie mit dem konkreten Nahostkonflikts, mit antiarabischem Rassismus ebenso wie mit Islamismus und Orientalismus. Die Jungle World folgte damit ihrer Nicht-Linie des integrationistischen Antinationalismus – und dass sie dieser treu geblieben ist, kann man ihr nur zugute halten. In den Hauptrollen der Inner-Left-Soap: Peter Nowak, seines Zeichens Junge-Welt-Schreiberling, der meint, dass man die Unterdrückten lieben und die Unterdrücker hassen muß (Was kann er schon dafür, wenn ihm dabei ein paar Zionisten vor die Flinte laufen?). Justus Wertmüller von der Bahamas war zwar unter den Besuchern, überließ das Feld jedoch dem Nachwuchs. Podiumsstar Günter Jacob schließlich spielte das restliche Ensemble wie gehabt souverän an die Wand. Dazwischen tummelten sich ein paar Nebencharaktere, die tapfer ihre Rollen spielten und dabei zuweilen weit mehr zu bieten hatten als die Stars. Weiter…