Warum muß überhaupt etwas sein?

Ich hatte in der Phase 2.03 versucht, mit Hilfe des Films The Man Who Wasn´t There die konstitutive Anwesenheit des Nichts darzustellen. Dies sollte das grundsätzliche Dilemma von Politik und Gesellschaftskritik anschaulich machen: Einerseits muß immer schon von etwas Bestimmtem im Sinne je konstituierter Daseinswelt ausgegangen werden, und um überhaupt Subjekt, also willens-, handlungs- und politikfähig zu werden, muß eine bestimmte Bindung an dieses Dasein, in dem man sich je befindet, an seine Bedeutung und seinen Sinn hergestellt werden, mit all den Implikationen, die das hat, zumal wenn man radikale Kritik leisten und das vorausgesetzte gesellschaftliche Dasein in seine Konsequenzen hinein aufheben will. Das bürgerliche Willens- und Handlungssubjekt gibt daher dem gesellschaftlichen Dasein Bedeutung als ein Noch-nicht-Sein, so daß das Dasein im Sollen reformuliert wird und das Subjekt sich selbst dadurch schon aktiv in die gesellschaftliche Vermittlung und dem, was noch sein könnte, eingesetzt hat und so die Vermittlung erst in Gang bringt, zugleich aber schon fortschreibt.
Andererseits ist aber jede Bestimmung und Veränderung der Gesellschaft nur als Moment ihrer selbstzweckhaften Vermittlung und letztlich einer Selbstbewegung von Nichts zu Nichts zu erhalten. Das Subjekt ist in der gesellschaftlichen Vermittlung wie der überflüssige Mehrwert im Spiel ist, d.h. es muß sich im Dasein zur Darstellung bringen, Bedeutung erzeugen und Sinn stiften, aber es kann keinen letzten und keinen gesicherten Standpunkt der Kritik einnehmen außer eben den dieser vermittelnden, Sinn und Bedeutung produzierenden Bewegung selbst, und der Standpunkt ist, sich zum Moment der Vermittlung zu machen. Jeder standpunktfixierte Ansatz (Arbeit, Unterdrückung, Bedürfnis, Freiheit, Multitude usf.), ja jeder Versuch einer bestimmten Kritik der kapitalistischen Vermittlung offenbart die Ironie des Schicksals oder die List der Vernunft, daß sich der kritische Standpunkt und seine Entwürfe stets noch als Darstellung und als Durchsetzungsmoment derjenigen bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung vergegenwärtigen müssen, die durch die Kritik hintergangen werden sollten, nun aber sich fortgeschrieben finden. Nicht nur die Geltungsformen der Gesellschaft scheinen daher, weil sie den Standpunkt der Kritik je schon vermittelt haben, unhintergehbar; der kritische Standpunkt und seine praktischen Folgen sind immanente Momente, durch die sich die kapitalistische Vermittlung auf sich selbst abbildet und fortschreibt, so daß sie dadurch überhaupt erst als eine und als eine gesellschaftliche Vermittlung begriffen und kritisiert werden kann. Dieses Dilemma, daß alle bestimmte Kritik am Kapitalismus diesen zugleich affirmiert, indem die Kritik sich noch aus dem Kritisierten selbst einholen muß (denn sonst ist die Kritik unbestimmt, gegenstandslos und haltlos), andererseits der Standpunkt der Kapitalkritik die eigene Bedingtheit durch das Kritisierte nicht radikal in Frage stellen kann (weil sonst auch die Kritik selbst in Frage gestellt ist), dies ist das Dilemma antikapitalistischer Kritik schlechthin. Gerade weil das Subjekt in der Bestimmung der Wirklichkeit erfüllt ist, weil es wie der Mehrwert als das im doppelten Sinne Überflüssige im Spiel ist – das Subjekt ist notwendig, aber nur, um sich selbst zu verwirklichen –, gerade darum erscheint in dieser Sinnlosigkeit einer selbstzweckhaften Selbsterfüllung dem Subjekt als die letzte Erlösung der Wille zu Glauben.

Dieser Versuch einer Subjektkritik sollte nicht, wie von M. Büchsenbier (M.B.) in Phase 2.04 unterstellt, eine andere Subjektivität vorschlagen. Es ging ja gerade darum zu zeigen, daß das Subjekt als solches Bedeutung erlangt, indem es annimmt, die Leerstelle (das Nichts) so besetzt zu haben, daß es dadurch sich zum Dasein als dem Anderen-seiner-Selbst ins Verhältnis setzen kann. Wenn das Subjekt sich im Dasein als dem Andern-seiner-Selbst einholen und zugleich entwickeln muß und so ein Entsprechungsverhältnis zwischen Bewußtsein und Dasein begründet, wenn also das Subjekt ohnehin das Andere schlechthin, also die gesamte Daseinswelt in ihre Bedeutung setzen und sich selbst vollständig darin einsetzen und entwerfen kann, dann kann es nicht darum gehen, demgegenüber noch eine andere, kritische oder gar revolutionäre Subjektivität zu suchen.
Nun wird in der Antwort von M.B. aber gefordert, zwar keine Bindung an einen bestimmten Gegenstand, aber eine an sich selbst vorzunehmen. Damit wird ausgerechnet das „reine Prinzip“ der Konstitution des bürgerlichen Subjekts zum Standpunkt und Ausgangspunkt gemacht, durch den (politische) Praxis möglich oder gar notwendig werden soll. Dies kommt nun dem Willen zum Glauben – denn das heißt: nicht an sich selbst glauben wollen – nahe, der als letzter Ausweg in post-religiösen und post-politischen und sogar post-postmodernen Zeiten noch offen scheint.

Nicht- oder Nichts

Der Einwand von M.B., es gebe immer nur das nicht von Etwas, man sei immer im bestimmten Dasein positioniert, folglich existiere das Nichts nicht und man sei in der Wahl gehalten, sich zu entscheiden, dieser Einwand spricht nur noch einmal das Dilemma aus, auf das ich zielte, nur daß bei M.B die erkenntnis- und methodenkritische Pointe des Nichts nicht in den Blick kommen kann. Denn wenn man von je konstituierter Daseinswelt immer schon ausgeht und das Subjekt darin immer schon eine Position ist, dann kann in der Tat das Nichts nur räumlich als das Nichtsein von irgendetwas und als Lücke im Dasein betrachtet werden. Ist das Subjekt aber je als Position in Raum und Zeit situiert, dann kann gar nicht mehr das Problem auftauchen, daß das Nichts auf ein Vermittlungsverhältnis und auf das Problem der kritischen Methode und der Darstellung zielt. Denn das Nichts ist weder einfach der Gegenbegriff zum Sein schlechthin, noch verweist es als Nichtsein von Etwas auf eine Lücke im Dasein; das Nichts ist Ausdruck des Problems, daß das bürgerliche Subjekt seine eigenen Konstitutions- und Vermittlungsbedingungen nicht betrachten kann, ohne diese durch die Darstellung zu affirmieren. Der Versuch, die Vermitteltheit durch die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft zu hintergehen, fällt ins Nichts, weil es das Subjekt selbst ist, das noch in der radikalen Kritik die kritisierte Vermittlung durch ihre Bestimmung und Darstellung anwendet und fortsetzt. Wie ist das zu verstehen?

Das Subjekt ist immer die Besetzung einer Leerstelle, die erst entsteht, indem sie das Subjekt zu besetzen meint. Daher ist das Subjekt jeweils ein bestimmtes Subjekt, ebenso wie die Bedeutung, die das Subjekt im Anderen, also seiner Daseinswelt, stiftet, immer als je bestimmtes Dasein erscheinen muß. Insofern ist das Subjekt nicht nichts, und das Nichts stellt sich je als Nichtsein und Lücke oder gar als eine bestimmte Möglichkeit dar. Genau das ist aber das Problem radikaler Kritik. Denn gerade weil das Subjekt ein Subjekt ist, indem es das Ansichsein der Welt als in sein Fürsichsein gebracht betrachten kann und dadurch die Bestimmung und Bedeutung des Ansichseins schon gestiftet hat, kann es zwar die eigene Vermitteltheit im Dasein einholen und zugleich (weiter) entwickeln, aber nur dadurch, daß es eben diese Vermittlung durch ihre Darstellung als je vollzogen setzt und so nur Kritik durch Darstellung und Darstellung durch Kritik leisten kann. Das Problem ist also zunächst, daß die gesellschaftliche Vermittlung nicht als solche, sondern nur gegenständlich reflektiert werden kann. Die Vermittlung ist daher immer schon durch ihre Darstellungsweise gelöst, sie verweist schon auf die Position, die das Subjekt angenommen hat, auf die Bestimmungen des Daseins und die freien Lücken und Möglichkeiten darin, aber die Vermittlung selbst muß schon angenommen werden, aber genau insoweit, als sie in der Darstellung als der blinde Fleck der Darstellung verschwunden ist. Daß die gesellschaftliche Vermittlung je durch ihre Darstellung gelöst und verschwunden ist, sich also je schon als in Subjekt und Dasein auseinandergesetzt reflektiert und fortsetzt, das ist genau die Unmöglichkeit einer Kritik dieser Vermittlungs- und Darstellungsweise selbst, die ins Nichts fällt, weil jede Darstellung der Gesellschaft, ihrer Geschichte und ihrer Möglichkeiten die Vermittlung schon anwendet und insofern affirmiert, d.h. nachvollzieht, entwirft und entwickelt, aber genau darum nicht hintergehen kann. Das Nichts entsteht also erst, indem das Dasein je durch ein Subjekt Bedeutung erlangt hat, weil das Subjekt nun annehmen muß, daß einerseits eine Vermittlung je vollzogen wurde und Bedeutung erlangt hat, daß aber andererseits diese Vermittlung in eben dieser Darstellung und Bedeutung untergegangen und aufgelöst ist. Der Ursprung des Subjekts entspringt einerseits als Moment der gesellschaftlichen Vermittlung und ihrer Produktion von Bedeutung, die in die Zeit versenkt und in den Raum ausgebreitet ist als Geschichte und je bestimmte und konstituierte Daseinswelt; andererseits kann sich das Subjekt nicht außerhalb dieser Vermittlung stellen und die eigene Vermitteltheit nicht hintergehen, weil es schon außerhalb steht, indem es auf die Vermittlung reflektiert. Das Subjekt ist daher immer doppelt anwesend insofern, als das Subjekt der bürgerlichen Gesellschaft eben nicht sein Dasein reflektiert, sondern reflektiert, daß es dasselbe reflektiert (darum ist es auch nicht mehr gläubig, sondern es will glauben), d.h. es kann die Daseinswelt nur bestimmen und sich darin einsetzen und entwerfen, indem es zugleich neben ihr steht und sich selbst in seiner Vermittlung durchsichtig wird. Es ist Moment der Vermittlung und steht neben ihr, d.h. es kann sich selbst als ein immanentes Moment eines Ganzen betrachtet, indem es sich zugleich als herausgesetzt betrachtet, als ob es neben der Vermittlung stünde. Das Subjekt ist daher nicht einfach gezwungen, sich irgendwie zu positionieren (das nimmt M.B. an), sondern es ist gezwungen anzuerkennen, daß es sich nur beliebig positionieren kann, weil es sich immer an dieselbe Stelle setzt: Es hat ein Selbstbewußtsein, das als Maß der Vermittlung zwischen dem Bewußtsein und dessen Daseinswelt die leere Stelle dazwischen besetzt und beides in ein Entsprechungsverhältnis setzt.

Jeder Versuch, der die Bedingung der Möglichkeit, das Subjekt zu begreifen, nicht als aus der Vermittlung herausgesetzt bestimmt, und jeder Versuch, der das Subjekt nicht wiederum als Moment einer gesellschaftlichen Selbstvermittlung begreift, die ein Subjekt so aus sich heraussetzt, daß dieses sich selbst als in der Vermittlung stehend betrachten kann und gezwungen ist, sich in dieser Vermittlung zu sich selbst entscheiden zu können, jeder Versuch also, diesem Problem zu entgehen, muß zu ontologischen und anthropologischen Setzungen greifen, um „den Menschen“ unkritisch an irgendetwas der Vermittlung vermeintlich Vorgängiges und Äußerliches zu erden. Wenn das Subjekt nicht ontologisch geerdet werden soll, aber auch nicht als Effekt einer zirkulären Selbstvermittlung der Gesellschaft wiederholt werden soll (so daß einfach die Vermittlung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft selbst ontologisiert wird), dann muß zum Gegenstand der Kritik werden, warum für das Subjekt die gesellschaftliche Vermittlungsweise und die eigene Vermitteltheit nicht hintergehbar sind und solche Versuche ins Nichts fallen: Warum gibt es keine revolutionäre Theorie und keinen revolutionären Standpunkt?

M. B. geht dagegen immer schon vom je konstituierten und bestimmten Dasein aus, und auch das Subjekt ist je konstituiert als Position darin. Das Nichts ist nicht das Problem, daß sich die Methode der Vermittlung von Dasein und Subjekt nicht anders reflektiert als eben in diesen selbst, das Nichts ist vielmehr nur ein Nichtsein von irgendetwas innerhalb der je bestimmen Daseinswelt und stellt eine Lücke im Dasein dar, die die Möglichkeit und die Freiheit des Subjekts eröffnet, sich ins Spiel zu bringen, den Spielraum der Lücke zu füllen und die Daseinswelt zu verschieben, und das Subjekt wird von M.B. noch angehalten, diese Möglichkeit zu ergreifen und zu verwirklichen – als ob man das bürgerliche Subjekt noch auffordern müßte zu tun, was es ohnehin tut. Doch das sieht auch M.B. Um sich davon abzusetzen, wird das Dasein im bürgerlichen Alltag als eine Art Verfallenheit, als ein unbewußtes und ohnmächtiges Dasein hingestellt („Routine“, „Alltäglichkeit“) und existenzialistisch überboten: Obwohl man immer schon im Dasein eingeschrieben ist, kommt es noch darauf an, zu begreifen, daß man immer schon eingeschrieben ist, daß grundsätzlich alles auf dem Spiel steht und man gehalten ist, eine existenzielle Wahl zu treffen und sich gewissermaßen zu sich selbst zu entscheiden, sich zu ergreifen und zu entwerfen. Ja, es muß gerade wegen dieser Verfallenheit an die „toten Verwicklungen“ und die gesellschaftliche Ohnmacht erst durch ein „tatsächliches Engagement“ eine Situation geschaffen werden, ein Ereignis, daß man sich überhaupt aufs Spiel setzen und eine „Gegenverwirklichung“ realisieren kann. Damit scheint sowohl der bürgerliche Alltag als auch die gediegene Geschichtsmetaphysik des ML durchbrochen, und vom Tat-Ich Fichtes über die anarchistische Propaganda der Tat bis zur Selbstermächtigung zum deutschen Sonderweg scheint alles offen - aber nur, weil man sich, wenn man meint, sich entscheiden zu können, immer schon für etwas Revolutionär-Alltägliches entscheiden mußte: Warum soll denn überhaupt etwas sein? Weil man, indem man überhaupt etwas wollen will, sich als selbstbewußtes bürgerliches Subjekt konstituiert.
 

Warum soll überhaupt etwas sein?

Das Nichts verweist auf ein Darstellungsproblem: Die Methode der bürgerlich-kapitalistischen Vermittlung läßt sich nicht als solche reflektieren, sondern reflektiert sich nur durch ihre gegenständliche Darstellung. Das Nichts ist gleichsam der blinde Fleck der Vermittlung, die je schon in Subjekt und Objekt verschoben und untergegangen ist. Die Möglichkeit der Bestimmung wird in der bürgerlichen Gesellschaft im Subjekt verortet, das sein Dasein nachvollziehen, sich darin einsetzen und entwerfen kann: als Arbeitskraft, Warenbesitzer, Geld-, Rechts- und Politsubjekt, Motor der Geschichte usw. Dies gelingt im Subjekt, weil es im Selbstbewußtsein ein Maß der Bestimmung hat, durch das Bewußtsein und Dasein überhaupt erst ins Verhältnis und in Bestimmung gesetzt und reflektiert werden im Sinne eines Entsprechungsverhältnisses. Das Subjekt, indem es sich als Moment einer Vermittlung reflektieren kann, der es selbst immanent ist und der gegenüber es sich zugleich als außerhalb verortet, so daß es neben sich steht und sich selbst zusieht, meint also genau genommen nicht, eine leere Stelle im Dasein besetzt zu haben, die durch das Subjekt selbst eröffnet wird, sondern es setzt sich an die leere Stelle der je verschwundenen Vermittlung zwischen Bewußtsein und Dasein. Es stellt im Maß seines Selbstbewußtseins jeweils ein Entsprechungsverhältnis von Dasein und Bewußtsein her, durch das die Vermittlung begriffen, beurteilt und durch Beschlüsse geschlossen werden soll, und so vermittelt sich die Vermittlung weiter. Wie dieses Maß dem Subjekt ermöglicht, sich aus seinem Dasein auszuschließen, um sich überall darin einzusetzen, kann hier nur angedeutet werden. Eine Veranschaulichung bietet ein Film, der kurz nach The Man... erschien: Mullholland Drive von D. Lynch. Er überbietet oder unterläuft die zentrale Frage von The Man..: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ indem er die Frage aufwirft: „Warum soll überhaupt etwas sein?“

Wenn M.B. in Phase 2.04 auf Eds Stimme im Off verweist („The Speaker who wasn´t there“), die keineswegs ein Nichts sei, sondern die Erzählung vollzieht, die durch das sich darin konstituierende Ich zusammengehalten wird, so zielt Mullholland Drive genau auf so eine Subjektkonstitution im Off, die das sich selbst bewußte Subjekt ständig vollzieht, indem es als Maß der Entsprechung von Begriff und Sache das eigene Reflektieren reflektiert.

Mullholland Drive erzwingt eine Interaktivität mit dem Zuschauer im Off, indem er die maßgebliche Vermittlungsleistung des Subjekts fordert und zugleich ins Leere laufen läßt. Wenn oben angedeutete wurde, daß die Leistung des bürgerlichen Subjekts darin besteht, die gesellschaftliche Vermittlung als je vollzogen zu setzen, so zerschneidet Lynch genau diesen „rote Faden“, so daß Bedeutung nicht zu Sinn verknüpft wird und sich nicht als Geschichte erzählt: Bestimmungen bleiben in der Zeit nicht identisch, d.h. die Bestimmungen haben keinen Zusammenhang, der sich in der Zeit als lineare Geschichte erzählen oder als Topologisierung der Zeit begreifen läßt; die Relationen der Subjekte und Objekte bleibt in der horizontalen Ebene des Raumes nicht identisch, und ihre räumlichen Verschiebungen passen nicht, d.h. die Verzeitlichung des Raumes bildet keinen folgerichtigen Zusammenhang, und in der Einheit von Begriff und Anschauung, Signifikant und Signifikat, Person und Name wird einseitig nur je ein Pol ausgetauscht. Dadurch wird verhindert, was für die bürgerliche Gesellschaft und ihr Subjekt wesentlich ist: Das Dasein und seine Geschichte kann nicht nachvollzogen werden, die Dinge und Personen können nicht als identische aufrechterhalten und darum nicht beliebig eingesetzt werden, und daher können sie auch nicht im Sinne einer durchgängigen, folgerichtigen Handlung entworfen werden. Dem Film muß zwar, indem er etwas zur Darstellung bringt, eine vollzogene Vermittlung und Methode der Darstellung unterstellt und, diese müssen als je vollzogen angenommen werden, sie ergeben in dieser Darstellung aber keinen Sinn, und so entsteht nur der Sinn, daß Sinnlosigkeit sich einstellt.

Was Lynch damit aber eigentlich „zerschneidet“, ist der Schein der Kontemplation, in der sich der Zuschauer befindet, und darin liegt der subjektkritische Gehalt. Denn wenn eine Geschichte so erzählt wird, daß das Subjekt seine Aktivität bei der Sinnstiftung dadurch erkennt, daß es mit ihr scheitert, wenn es also sich selbst im Film nicht nachvollziehen kann und nicht, indem es zum Maß der Entsprechung von äußerer Anschauung und innerer Einsicht wird, zu sich selbst kommt, dann liegt der Sinn des Subjekt nur noch darin, so sinnlos zu werden wie das, was es als Sinn und Bedeutung aufgenommen hat, um es als sinnlos verwerfen zu können.

Die Pointe ist, daß wir gezwungen sind, so zu tun, als ob schon vorher ein Inhalt und ein verborgener Sinn „an-sich“ im Film wie in der Gesellschaft und ihrer Geschichte enthalten sind, auch wenn die Bedeutung durch den nachträglichen Prozeß der Sinnstiftung erst dazu gemacht wird, und daß ebenso umgekehrt dadurch, daß eine Bedeutung realisiert wird, zugleich dieselbe als vorausgesetzt erst entsteht. Dieses Paradox erscheint gelöst, indem es sich in seiner Darstellung verzeitlicht und im Raum verschiebt, d.h. sich geschichtlich entwickelt und einholt und als Veränderung der Daseinswelt ausrollt, doch das wäre ein weiteres Thema. Hier sollte nur gefragt werden, warum man sich entscheiden und positionieren soll und warum überhaupt etwas sein muß: Weil etwas sein muß, solange das Subjekt konstitutiv ist für die gesellschaftliche Vermittlung insoweit, als es sich dessen selber so bewußt wird.

Frank Engster
Institut für Methodenkritik (IM)