1. Die jüngsten Loblieder linker Bellizisten auf die bürgerliche Gesellschaft unterbieten alle Erkenntnisse der kritischen Theorie. Bürgerliche Gesellschaft gründet in der Trennung von Staat und Ökonomie und verschwindet daher mit deren Fusion. Kritische Theorie begriff den Übergang vom Liberalismus in den Etatismus als notwendigen und, in Gestalt von Nazi-Faschismus, Stalinismus und New Deal, universellen. Horkheimer zeichnete die Linie vom Staatsfetisch der Arbeiterbewegung zum autoritären Staat nach, aber er wusste, daß sich die „Marktwirtschaft als immer reaktionärer erwiesen“ hatte. Im Weltbild der linken Bellizisten dagegen sind die plebejischen Kämpfe 1789 ff. für Getreidehöchstpreise oder die englischen Klassenkämpfe für den 8-Stunden-Tag nur als etatistische Verhunzung einer zuvor aus glückssuchenden Individuen bestehenden Gesellschaft zu denken. Unter Ausblendung des Klassenverhältnisses wird Markt mit Individualismus & Glücksversprechen identifiziert, Staat mit Zwangsgemeinschaft & Lustverzicht. Der linke Bellizismus feiert den Kapitalismus als „überlegen ... weil er den Menschen zwingt, sich als einzelner zu vergleichen“, nämlich in der „Marktkonkurrenz“(J. Wertmüller).
2. Nie war daher die „amerikanische Form [des Kapitalverhältnisses], die alles dem Markt überlässt“(ISF) so wertvoll wie heute, wo nicht nur Islam und Deutschland, sondern auch Zapatisten und argentinische Sozialrevolte zur weltweiten Intifada verschmelzen. Amerika, home of the Glücksversprechen, steht in diesem Weltbild – nicht anders als im globalisierungskritischen - für ungezügelten Kapitalismus. Warenkonsum ist nun der halbe Kommunismus, Bedürfniskritik unweigerlich faschistisch, Produktion um der Produktion willen nicht mehr „blinde Wut des Machens“(Adorno), sondern Garant des Fortschritts. Mit Slogans wie „Fanta statt Fatwa“ wird das hedonistische Subjekt zur Bastion gegen den Faschismus aufgebaut, während Marcuse 1942 notierte, daß „die Kluft zwischen der deutschen und der amerikanischen ‚Kultur’ im letzten Jahrzehnt zunehmend geringer geworden ist.“ Das Engagement der kritischen Theoretiker an der Seite Amerikas im Zweiten Weltkrieg war keines für die bürgerliche Gesellschaft – deren Ableben sie in Amerika studiert hatten - , sondern gegen die deutsche Barbarei. Eine vergleichbare Situation besteht heute nicht.
3. Im Widerspruch zu ihrer eigenen Darstellung des Islamismus als Wiedergänger des Nazi-Faschismus zeichnen die linken Bellizisten die Verhältnisse in Afghanistan als vormoderne. Diese Vorstellung ist dermaßen idiotisch, daß ihre Verfechter Hintertürchen als Fluchtweg vor dem eigenen Irrsinn offenlassen: Man erwähnt die Kumpanei Amerikas mit islamistischen Rackets, bezeichnet den Islamismus als Kehrseite der „westlichen Zivilisation“ und erwartet vom Krieg keine Linderung des Elends – einerseits. Andererseits nämlich soll der Krieg die „Bevölkerungen dieser Länder dem moslemischen Götzendienst entreißen, um sie, mit allen brutalen Konsequenzen, dem kapitalistischen Warenfetisch direkt zu unterwerfen“(Bahamas 36). Geschichtsphilosophie ereignet sich zweimal, einmal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce: Die Vorstellung, alle Regionen der Welt hätten als Vorbedingung der sozialen Revolution ein bürgerlich-kapitalistisches Stadium zu durchlaufen, war die linke Legitimation von Entwicklungsdiktaturen und hat sich heute erübrigt, da repressive Zwangsgemeinschaften etwa islamischer Art Archaismus aus zweiter Hand, regressive Antworten auf das Kapitalverhältnis sind.
4. Geschichts- und Begriffslosigkeit spricht auch aus den Propagandisten eines 1789 im Nahen Osten. So verordnet etwa Thomas Uwer der arabischen Welt „eine bürgerliche Revolution“, weil es dort Analphabetismus, schlechte Gesundheitsversorgung und ein mickriges Bruttosozialprodukt gibt. Das Ba’ath-Regime habe den Irak „kolonisiert“ und einer „rücksichtslosen Wertabschöpfung“ unterworfen, lediglich ein Bruchteil der Ölrente sei in „die wirtschaftliche Entwicklung des Landes reinvestiert“ worden. Das „militärische Engagement“ Amerikas könne nun Abhilfe schaffen, und dann heißt’s: „Ca ira, ca ira, le Saddam à la lanterne!“(Uwer). Auch wir sähen Saddam Hussein lieber heute als morgen an der Laterne. Der Robespierre aber, den Uwer nun herbeisehnt, hatte längst seinen Auftritt in Gestalt von Saddam Hussein höchstpersönlich. Wo weder das Proletariat den Sozialismus noch das Bürgertum eine eigenständige Akkumulation initiieren konnten, ergriffen Fraktionen des Kleinbürgertums auf dem Wege des Militärputsches den Staat als Hebel der Modernisierung. Die im 20. Jahrhundert nicht nur im Nahen Osten entstehenden Regime brachen kolonial-feudale Verhältnisse auf und trieben „ursprüngliche Akkumulation“, Proletarisierung und Verstädterung voran. Das ist die bürgerliche Revolution, wenn auch ohne Bürgertum, denn als glanzlose, jeder überschwänglichen Vernunftidee beraubte Ersatz-Bourgeoisie verschmelzen Militär und Bürokratie unmittelbar mit dem Staat, der durch die Aneignung vor allem der Ölrente zentrales Produktionsinstrument wird. Die Modernisierungstheorie erfasste mit ihrer Affirmation der postkolonialen Militärregime als Wiege bürgerlicher Gesellschaft einen Zipfel der Wahrheit - um sie in Gänze zu verfehlen. Denn unter Ausblendung des Wesens der kapitalistischen Produktionsweise als Weltsystem faßte sie Gesellschaften als Individuen, deren Entwicklung schlussendlich glücklich im Hafen von Massenwohlstand, Parlamentarismus, Rechtsstaat etc. mündet – auffällig ähnlich dem stalinistischen Stufenmodell, das die Militärregimes als „national-demokratische“ Vorstufe des Sozialismus verbuchte. Diese erzbürgerliche Geschichtslosigkeit, die in der homogenen und leeren Zeit Gesellschaftsmodelle beliebig sich wiederholen läßt, ignoriert die Bedeutung der bereits kapitalisierten Zentren für die Peripherie, in der sich die frühkapitalistische Gewaltgeschichte Europas wiederholt, nur in Ausnahmefällen aber flächendeckende Industrialisierung nachholen läßt. Wenn daher, wie heute offenbar wird, Zivilgesellschaft & Wohlstand ausbleiben, setzt man wie Uwer einfach auf good governance.
5. Brachialmarxistische Ableitungen des Ba’ath-Regimes aus Weltmarkt & Ölrente liegen uns fern und erst recht seine Apologie als historische Notwendigkeit – die stalinistische Geschichtsphilosophie, die so etwas erlauben würde, überlassen wir den bahamas. Doch nur wer die Welt mit dem Blick des Bürgers mustert, kann das Fehlen eigenständiger Industrie und die Abhängigkeit des Irak vom Öl als Werk einer usurpatorischen Feudalelite deuten. Von der Ölrente werden die irakischen Massen auch dann nichts haben, wenn die derzeit in den USA diskutierten Szenarien einer amerikanischen Militärverwaltung oder eines „Saddam light“ Wirklichkeit werden. Der „Krieg gegen den Terror“ hat nicht die bürgerliche Gesellschaft, sondern die deutsche Bundeswehr nach Kabul gebracht - und die antideutsche Linke so sehr um den Verstand, daß sie nun zufrieden berichtet, „daß die Bedingungen der Möglichkeit für emanzipatorisches Denken ... im Verhältnis zur Taliban-Herrschaft qualitativ bessere geworden sind“(Antideutsche Kommunisten Leipzig) und mehr nie erwartet haben will. Derweil hat unter der von Uwer & Co. angepriesenen irakischen Opposition bereits das Hauen und Stechen um den ethnischen Proporz für die Zeit nach Saddam begonnen. Aber zur Not bleibt immer noch Amerika, das nach jüngsten Erkenntnissen „den Völkern das Recht auf autochthone Barbarei beschneidet“(bahamas). Wenn die Luftschlösser des linken Bellizismus auch im Irak platzen werden, wird sich sicherlich bereits eine andere Region gefunden haben, in die im Namen des Kommunismus „kapitalistischer Warenfetisch“ und „bürgerliche Revolution“ gebombt gehören; der „Krieg gegen den Terror“ jedenfalls hat eine längere Halbwertzeit als die Illusionen der B 52-Linken.
Zitierte Literatur:
T. W. Adorno, Minima Moralia, Frankfurt/M. 1994;
Bahamas Nr. 36;
Max Horkheimer, Autoritärer Staat, in: Dubiel/Söllner (Hg.), Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1981;
ISF, Die Geschichte wiederholt sich doch. Flugblatt, Freiburg 2002;
Herbert Marcuse, Feindanalysen. Über die Deutschen, Lüneburg 1998 ;
Thomas Uwer, Ca ira, ca ira, le Saddam à la laterne!, in: Redaktion Jungle World (hg.), Elfter September Nulleins, Berlin 2002;
ders., Im Sozialismus der edlen Seelen, in: Osten-Sacken/Fatah(Hg.), Saddams letztes Gefecht? Hamburg 2002;
Justus Wertmüller, Unter Bauern, Konkret 1/2002
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