Der Zustand der ehemaligen Antifabewegung schwankt weiterhin zwischen Auflösung und Stagnation. Die Praxis der Gruppen bewegt sich innerhalb einer Spannbreite, die von einer umfassenden Infragestellung der bisherigen Politik bis zum Beharren auf den alten Konzepten reicht. Dort, wo ehemals hoffnungsvolle Strategien wie der „Revolutionäre Antifaschismus“ zum Gegenstand kritischer Abgrenzung geworden sind, ergeben sich statt einer neuen politischen Perspektive oft nur unklare Fragen. Entsprechende Gruppen werden Teil einer Streitkultur, die sich fast ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Die Kritik an der Gesellschaft wird weniger nach außen getragen, sondern in weitaus größerem Maße zum innerlinken Diskussionsfeld, auf dem nicht selten in Rugby-Manier um die richtigen theoretischen Prämissen und geschichtsphilosophischen Ableitungen gerungen wird. Der bewahrende Flügel versucht derweil vom Optimismus der neuen außerparlamentarischen Sozialdemokratie zu profitieren. Vielleicht nicht gänzlich unkritisch, jedoch mit einer großen Portion Ignoranz gegenüber den Kräfte- und Wahrnehmungsverhältnissen, wird versucht, die globalisierungskritische Bewegung zu radikalisieren. Gegen die Hauptströmung staatsfetischistischer, antiamerikanischer und nationalistischer Argumente konnte jedoch bisher kaum Boden gut gemacht werden. Nach dem Scheitern linksradikaler Organisationsansätze werden die vereinzelten Gruppeninitiativen zum quantitativ sowie inhaltlich vernachlässigbaren Beiwerk, von dem kaum jemand Kenntnis nimmt. Nicht einmal die symbolisch aufwertbare Randale scheint nach Florenz noch sicher.
Phase 2 war anfangs mit dem Anspruch angetreten, ein Medium für die Diskussionen und Positionen der aus der Antifabewegung hervorgehenden Organisierungsbemühungen zu sein. Dieser Anspruch konnte nicht eingelöst werden, da aus der Post-Antifa keine diesbezüglichen Signale hervorgehen. Aus der Einschätzung, dass links von der PDS, attac und einem großen Teil der Friedensbewegung die Positionen zur Zeit vor allem von Theorien besetzt sind, folgte für uns eine Neuorientierung. Der gestiegenen Bedeutung von eher theoretischen Ansätzen für die Entwicklung einer politischen Praxis gilt es, nicht nur im Sinne ihrer Vermittlung Rechnung zu tragen. Vor allem muss für eine wirkliche Auseinandersetzung mit ihnen ein gegenseitiger Bezug hergestellt werden. Unser Zugang ist dabei keineswegs der neutraler SchiedsrichterInnen, die sich aus der pluralen Vielfalt eine ideale Gesamttheorie zimmern möchten. Interessant ist für uns die Qualität einer praktischen Gesellschaftskritik, die sich aus der Frage nach den strategischen Folgen und den Konsequenzen der theoretischen Ansätze ergibt.
Mit den Selbstmordattentaten gegen die USA und dem Krieg gegen Afghanistan entwickelte sich innerhalb der Linken in Deutschland eine Diskussion über den Sinn und die Folgen der Bezugnahme auf Konzepte von Bürgerlichkeit und Zivilisation.
Beide dienten lange Zeit, zumindest als Schlagwörter, der Abgrenzung, weil unter „bürgerlich“ alles bestehende Schlechte subsumiert und Zivilisation vor allem als rassistischer und wohlstandschauvinistischer Kampfbegriff angesehen wurde. In der Diskussion nach dem 11. September sind allerdings die Stimmen lauter geworden, die in der Verteidigung dieser Konzepte die gegenwärtige Hauptaufgabe der Linken sehen. Die Debatte ist keineswegs brandneu. Einigen erscheint sie gar als x-te Auflage des Dauerstreits um die richtige Auslegung der Werke von Marx bis Adorno, ohne die sich niemand in den Ring wagt. Auch wenn es verlockend einfach und humorvoll erscheinen mag, sich im linken Kleinkrieg mit einem ZuschauerInnenbillet zu begnügen, die aus der Diskussion abgeleiteten Konsequenzen für angestrebte gesellschaftliche Interventionen erlauben diesen bequemen Standpunkt nicht. Es geht nicht „nur“ um eine Position für oder gegen den wahrscheinlichen Irakkrieg. Bürgerlichkeit und Menschenrechte gelten vielen in der Diskussion als Vorbedingung aller weitergehenden emanzipatorischen Veränderungen. So steht im Streit um die Bedingungen von Fortschritt die gesamte strategische Ausrichtung der Linken zur Diskussion.
Für unseren Schwerpunkt fragten wir zum einen Tjark Kunstreich und die Freiburger „Initiative: Kritik im Handgemenge“ nach den Möglichkeiten und Stufen gesellschaftlicher Transformation angesichts globaler kapitalistischer Verhältnisse. Zum anderen greifen wir die linke Debatte mit einer Kritik des „Jungle World“-Kongresses auf. Diese Beiträge stehen am Ende unserer Thematisierung. Am Anfang sollte ein etwas grundsätzlicheres Verständnis der allgemeinen Funktionen von Bürgerlichkeit und Menschenrechten für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Selbstreproduktion stehen. Der Text von Leon Briem, Mitglied des „a:ka“ aus Göttingen, zeigt die Ideologie des Rechts als Kitt der Gesellschaft und endet mit der Hoffnung, dass eine tatsächliche Kritik, die nicht die eigene Verstrickung in die Verhältnisse verschleiert, an der Fortführung dieses Zustandes geleistet werden könnte.
Das BgR/Leipzig wagt sich, an diesen Problembereich anschließend, etwas weiter heraus. Trotz der Befangenheit der Linken, die als Teil der Gesellschaft ihre Ideen von Befreiung und Revolution nur aus dem Bestehenden schöpfen kann, bleibt sie mit ihrer Praxis nicht auf das Prinzip Hoffnung zurückgeworfen. Auch wenn man sich nicht im außergesellschaftlichen Raum bewegt, ist eine Politik, die den Staat und Bürgerlichkeit negiert, daran symbolisch Kritik übt und die Negation im eigenen Handeln deutlich werden lässt, möglich und ausbaufähig.
Auch in der jüngsten (Post-)Antifa-Geschichte, sei es in den Überlegungen zu Bündnispolitik, revolutionären Antifaschismus, radikaler Demokratie oder in der Frage ob Kritik oder Politik, spiegelten sich bereits die heute eher theoretisch daherkommenden Diskussionen um linke Gesellschaftskritik als Negation oder positiver Teilbezugnahme auf bürgerliche Werte. Am Beispiel Antifaschismus verweist die „Phase 2-Redaktion“ aus Berlin auf das, was man in der Antifa schon früher wusste, und mit welchem Bewusstsein ihnen auch heute die Verteidigung der bürgerlichen Geschäftsgrundlage linker Politik sinnvoll, ja notwendig erscheint. Am konkreten Punkt des Umgangs linker Gruppen mit Naziaufmärschen wird diese Problematik vertieft. In einem Streitgespräch stehen sich das BgR/Leipzig, eine prononciert zivilgesellschaftskritische Gruppe, die de facto keine Anti-Nazi-Mobilisierungen mehr durchführt, und die Antifa „M“ aus Göttingen, die unter der Bedingung linksradikaler Sichtbarkeit weiterhin auf eine Bündnispolitik gegen Nazis setzt, gegenüber.
Wir hoffen, dass es mit dieser thematischen Spannbreite halbwegs gelungen ist, die Konsequenzen, die aus der linken Bezugnahme auf Bürgerlichkeit erwachsen, anzusprechen. Das ist sehr viel weniger als eine klare politische Perspektive. Insofern sind auch wir keinesfalls zufrieden.
Phase 2 Leipzig