2 10

When Worst Comes to Worst

Von Rassismus und Antisemitismus

Dezember 2003

Editorial

Für wen steht Hohmann? O-Töne aus der hessischen Provinz sagen, er ist einer von »uns« — und machen nebenbei ostzonalen Mundarten die hinteren Plätze im Dialektikranking streitig. Die Politik der Zivilgesellschaft mag Antisemiten am liebsten am rechten Rand. Weiter

Inhalt

Top Story

Phase 2 Leipzig

Juden, Sklaven und lachende Deutsche

Zum Schwerpunkt dieser Ausgabe

Die radikale Linke in Deutschland hat in den letzten Jahren Antisemitismus und Rassismus zunehmend getrennt voneinander kritisiert. Nun ist eine Tendenz der Auseinanderentwicklung von Positionen zu verfolgen, die zwischen Nichtwahrnehmung, Indifferenz und Polarisierung changiert. Auf einer anderen Ebene zeigen sich Kontroversen zwischen VertreterInnen der postcolonial studies und ihren KritikerInnen. Wegmarken dieser Auseinanderentwicklungen und Differenzen sind die Frage der Bedeutung der Shoah, der 11. September 2001 und der »Nahost-Konflikt«. Die antirassistische Bewegung hat dabei wie auch die Antifa-Bewegung das Problem, sich im Einzugsbereich der Zivilgesellschaft zu bewegen. Teile der Antideutschen wiederum haben sich, um den Antisemitismus-kritischen Fokus Alleinstellungsmerkmal werden zu lassen, vom Antirassismus verabschiedet. Explizit wurde das Ende der Rassismen etwa auf dem anti-deutschen Kongress in Berlin verkündet. Die postkoloniale Analyse ist in den letzten Provinz-Universitäten angekommen und beweist dort ihre Anschlussfähigkeit an den (multikulturell-)rassistischen, antiamerikanischen und antisemitischen Konsens. Um Deutschland den Gewinner sein zu lassen, reicht es in diesem Kontext, wenn kleine Gruppen sich gegenseitig die Kritik an Herrschaftsverhältnissen, Ideologien und gesellschaftlichen Praxen diskursiv nivellieren. Weiter…

Café Morgenland

Die Auschwitz-Option

Der vorliegende Text hat weder die Absicht, die deutsche Linke von ihren »Makeln« zu befreien, noch will er einen konstruktiven Beitrag zur Herausbildung einer linken politik- und interventionsfähigen Formation leisten. Auch soll antizipatorisch darauf hingewiesen werden, dass es nicht unsere Absicht ist, antideutschen Gruppen einen Sonderstatus in der gegenwärtigen Konstellation der deutschen Dinge zu attribuieren. Es ist allein wertfrei zu konstatieren, dass ihnen nachgesagt werden kann, dass sie zu dem deutschen Volkssport (Jagd auf Andere) ein zwiespältiges Verhältnis erkennen lassen; sie erscheinen zögerlich und lassen das sonst übliche leidenschaftliche Engagement dafür vermissen. Es ist ihnen darüber hinaus – und weiterhin wertungebunden – anzumerken, dass sie die Ersten unter den Linksdeutschen sind, die ihre angestaute »Fremdenzuneigung« und ihren zugespitzten Wunsch danach, die nationalsozialistischen Errungenschaften zu relativieren und abzuschütteln, auf entzückend ehrlicher Weise artikulieren. Es ist nicht allzu lange her, als wir mit großer Mühe und Anstrengung die damals auftauchenden »Leerstellen« im – nicht nur – links- und antideutschen Diskurs aufspürten und anprangerten. Weiter…

Henriette Glaas und Max Sander

Les deux niveaux de la haine*

Die antisemitische Gewalt in der Banlieue bekommt diskursiven Feuerschutz

Handfeste, aktuelle Ereignisse in Frankreich und der Türkei überholen zur Zeit die intellektuelle Debatte um den Antisemitismus in Frankreich. Der Brand in einer jüdischen Schule in Gagny am 15. November 2003 und der Anschlag auf zwei Synagogen in Istanbul mit insgesamt 25 Toten und mehr als 300 Verletzten am selben Tag sind die jüngsten Anlässe für die Ausweitung einer bereits seit zwei Jahren sich zuspitzenden Auseinandersetzung um den Antisemitismus mit muslimisch-migrantischem Hintergrund in Frankreich. Zwar geht die Zahl antisemitischer Gewalttaten gemäß neuester französischer Polizeistatistiken seit Anfang 2003 zurück;(1) was daraus allerdings nicht hervorgeht ist, dass gerade in der Zeit von 2000 bis 2003 die gewalttätigen Übergriffe – von tätlichen Angriffen auf jüdische Menschen und jüdische Einrichtungen bis zu antisemitischen Schmierereien – ein überdurchschnittliches Ausmaß angenommen haben. Weiter…

Phase 2 Leipzig

»Und er ist es heute wieder ...«

Moishe Postone über den Zusammenhang von Weltmarkt, Kapitalismus und Antisemitismus

Der 1979 erschienene Aufsatz »Antisemitismus und Nationalsozialismus« von Moishe Postone wird in der Linken der BRD seit Beginn der neunziger Jahre wieder verstärkt gelesen. Im Zentrum der neuen Aufmerksamkeit stand dabei zunächst seine Erklärung von Nationalsozialismus und Antisemitismus, die beide ernst nimmt, statt sie im Gefüge einer allgemeinen Kapitalismuskritik unter ferner liefen zu behandeln. Mit seinem spezifischen Erklärungsansatz, der eine Analyse des Antisemitismus mit der Marxschen Theorie zu verbinden sucht, ist »Antisemitismus und Nationalsozialismus« in der wertkritischen Linken bis heute prägend. Das Interview mit Moishe Postone soll helfen, die historischen Entwicklungen innerhalb der spezifischen sozialen Formation des Kapitalismus zu verstehen, die für die Entstehung von Antisemitismus ausschlaggebend sind. Moishe Postone promovierte 1983 an der Goethe-Universität in Frankfurt/M. und lehrt heute an der University of Chicago Geistesgeschichte und Gesellschaftstheorie. Sein Buch »Zeit, Arbeit und soziale Herrschaft«(1) ist soeben auf deutsch bei ça ira erschienen.   Weiter…

Phase 2 Leipzig

Auszüge aus »Antisemitismus und Nationalsozialismus«

In dem Aufsatz »Antisemitismus und Nationalsozialismus«(1) von 1979 plädiert Moishe Postone für eine Erklärung des Antisemitismus in Form »einer materialistischen Erkenntnistheorie«. Wir dokumentieren Auszüge zur Bedeutung des ökonomischen Fetisch für den Antisemitismus: »Ausgang einer solchen Erklärung wird Marx’ Begriff des Fetischs sein, den er nur in Bezug auf die Ware entwickelt hat. Diesem Begriff liegt Marx’ Analyse der Ware, des Geldes und des Kapitals als gesellschaftlichen Formen und nicht bloß ökonomischen Begriffen zugrunde. In seiner Analyse erscheinen die kapitalistischen Formen gesellschaftlicher Beziehungen nicht als solche, sondern sie drücken sich in vergegenständlichter Form aus. Diese vergegenständlichten Formen gesellschaftlicher Beziehungen führen, als Ausdruck von Entfremdung, ein verselbständigtes Dasein und bestimmen rückwirkend sowohl gesellschaftliches Handeln als auch gesellschaftliches Denken. [...] Weiter…

Phase 2 Berlin

»After Dark«

Die Rezeption postkolonialer Diskurse reicht von wohlwollender Impulsaufnahme bis zur Warnung vor dem Einbruch der antizivilisatorischen Nacht

Nach dem Vorbild der US-amerikanischen akademischen Diskurslandschaft hat sich – wenn es um Rassismus geht – mittlerweile auch in Deutschland im Umfeld der Gender Studies, aber auch in linksradikalen Zusammenhängen das Thema Identitäts- und Subjektkritik etabliert. Die aktuelle Diskussion, die hier unter dem Schlagwort »Postkolonialismus« vorgestellt werden soll, speist sich aus verschiedenen Theorie- und Praxisansätzen, die größtenteils in den siebziger Jahren geprägt wurden. Die theoretischen Stichworte sind Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus, Cultural Studies und zuweilen auch Lacan’sche Psychoanalyse. In der praktischen Politik war insbesondere der Black Feminism in den USA richtungsweisend. Weiter…

Antirassistische Gruppe Leipzig

Identitäten auf dem Weg zum Hybriden

Das Verhältnis zwischen Weiß-Deutschen und Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund ist ein Dauerbrenner der antirassistischen Bewegung

Die im Text »After Dark(1)« der Berliner Phase 2-Redaktion dargestellten Überlegungen zum Thema der strategischen Identitäten werden im folgenden am konkreten Beispiel ausgeführt und die verschiedenen Umgangsweisen mit dieser Frage innerhalb der Grenzcampvorbereitungszusammenhänge vorgestellt. Der Ansatz der trans-identitären Organisierung ist der Versuch, von einem postkolonial-dekonstruktivistisch beeinflussten Verständnis des Herrschaftsverhältnisses Rassismus ausgehend, eine politische Praxis zu entwerfen, die einige der Fallgruben der Vergangenheit elegant zu umwandern versucht. Weiter…