Die Diskussion ist so alt wie die Bewegung selbst. Seit den Protesten von Seattle (1999) versucht sich die hiesige Linke über ihr Verhältnis zur globalisierungskritischen Bewegung zu verständigen. Am Anfang der Auseinandersetzung wurden die ersten öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen zunächst überwiegend hoffnungsfroh wahrgenommen, schienen sie doch anzuzeigen, dass der Kapitalismus entgegen ideologischer Verlautbarungen nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus doch nicht das Ende der Geschichte markiert. Nach Jahren marginaler politischer Erfolge und interner Positionskämpfe versprach man sich angesichts tausender TeilnehmerInnen an den Gipfelprotesten die Renaissance einer Kapitalismuskritik und die gesellschaftsverändernde Kraft einer linken Praxis.
In der anfänglichen Diskussion über die inhaltliche Substanz und die Stoßrichtung der Bewegung wurde auf ihren provisorischen, noch nicht festgelegten Charakter verwiesen. Heute, vier Jahre nach den Gründungsevents der Bewegung, wird die Analyse ihrer Ziele nicht nur um einiges nüchterner geführt, sie muss sich zudem zwangsläufig auf die Bewertung einer vierjährigen Protestkontinuität stützen.
Kaum eine linksradikale Gruppe, die heute nicht eine Kritik an bestimmten Inhalten und Erscheinungsformen der Globalisierungskritik zu formulieren weiß. Für eine ganze Reihe von linken Gruppen ändert aber diese Kritik nichts an ihrer prinzipiell positiven Bezugnahme auf die globalisierungskritische Bewegung. Paradigmatisch für diese widersprüchliche Positionsfindung war der Münchner SPOG-Kongress im Mai. Über drei Tage wurde auf den Podien der Veranstaltung Material zur Kritik der Protestbewegung zusammengetragen: Antisemitismus, Antiamerikanismus, Verschwörungstheorien, Obskurantismus, Esoterik. Von stattfindenden Radikalisierungen wusste niemand zu berichten. Doch entweder wurde daraus überhaupt keine strategischen Orientierungen abgeleitet oder einzelne ReferentInnen bemühten sich, am Ende ihrer Ausführungen ihren ungebrochenen Optimismus über die Möglichkeit kritischen Einwirkens zum Ausdruck zu bringen. Entgegen einer mittlerweile zu konstatierenden Kontinuität ressentimentgeladener und Kapitalismus-affirmativer Forderungen wurde und wird eine offene Entwicklungsdynamik der Bewegung behauptet, die das weitere Hinein- und Mitwirken begründen soll.
Etwas Schlechteres als Kritik
Auch in Phase 2 werden solche Positionen immer wieder stark gemacht. In Ausgabe Nr. 7 zählt die »Antifa Köln« in einem Beitrag, der ihr Verhältnis zur globalisierungskritischen Bewegung erläutern soll, zunächst einige kritische Entwicklungstendenzen des Protestspektrums auf.(1) So bemängeln die KölnerInnen, dass die inhaltliche Stoßrichtung der Bewegung keine radikale Kritik am bestehenden kapitalistischen System beinhaltet. Vielmehr sei eine Dominanz reformistischer Gruppen wie Attac zu beobachten. Zudem fühlten sich innerhalb der Bewegung »alle möglichen Gruppen [...] bis hin zu den Faschisten« wohl. Der relativ abstrakten und wenig problematisierenden Analyse folgt das Beharren auf einer positiven Grundeinschätzung. Trotz der zumindest angedeuteten Problemsicht, die Bewegung werde durch ein Dominanzverhältnis gekennzeichnet, welches faschistischen Strömungen ein Mitmachen ermöglicht, die für sich selbst in Anspruch genommene Position radikaler Gesellschaftskritik aber marginalisiert, wird als politische Strategie ein ›weiter wie bisher abgeleitet‹: »Nicht nur die Tatsache, dass der Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung in Europa weitergeht, sondern auch die Heterogenität der Bewegung lässt immer noch eine Menge Spielraum für eine fundamentale Staats- und Kapitalismuskritik.«
Ähnlich optimistisch äußern sich Stimmen aus der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO).(2) Zwar spiele die radikale Linke im Protestspektrum »eine eher marginale Rolle«, jedoch hätte sie durch »gezielte Regelverstöße« den »globalisierungskritischen Mainstream zumindest dazu veranlasst, sich mit den Interventionen von links auseinander zu setzen. Mainstream hin, Marginalität der Linken her. Letztendlich könne die globalisierungskritische Bewegung, ja selbst das Netzwerk Attac, nicht als »homogener Akteur« betrachtet werden. Vielmehr sei von einer Pluralität der Bewegung auszugehen, die »gemeinsame Suchprozesse«, »gegenseitiges zur Kenntnis [...] nehmen«, »voneinander [...] lernen«, »gemeinsamen Austausch«, und »argumentative Auseinandersetzung« – alles mit dem Ziel einer sich entwickelnden Radikalisierung der Bewegung – erfolgreich erscheinen lasse.
Radikalisierung der Bewegung, das ist auch das Ziel, das in einem Text der Göttinger Phase 2-Redaktion formuliert wird. Allerdings teilt man in Göttingen die Einschätzung einer bündnisfähigen Offenheit des Protestspektrums nicht.(3) Vielmehr sieht man eine an der Gewaltfrage gespaltene Bewegung. Auf der einen Seite stünden euro-nationalistisch gesinnte Friedensbewegte sowie »verkürzt antikapitalistisch« argumentierende GipfelstürmerInnen, auf der anderen Seite stünde der »alte Bekannte Black Bloc«. Dieser militante Teil symbolisiere durch das Auseinandernehmen von Innenstädten die radikale Kritik an den Verhältnissen. Für die Göt-tinger Antifas wird diese rein an den Aktionsformen vorgenommene und deshalb nur sehr bedingt aussagekräftige Unterscheidung zum Ausgangspunkt ihres Bezuges zur Globalisierungsbewegung. Da im Gegensatz zur Einschätzung der Antifa Köln und des BUKO nach Meinung der GöttingerInnen der Zustand von Pluralität und Vielfalt der Bewegung beendet sei und sich mittlerweile eine Spaltung zwischen radikalen und reformistisch-nationalistischen Kräften größtenteils vollzogen hätte, könne man nun gemeinsam mit »anderen radikalen linken Kräften in Europa« einen neuen Anfang globalisierungskritischer Proteste wagen.
Kopf im Sand, fleißig strampeln
Sicherlich, ein rein affirmativer, völlig unkritischer Umgang mit der Bewegung lässt sich allen benannten linken Gruppen nicht bescheinigen. Trotzdem fällt auf, dass in dem Moment, wo sie ihren Bezug zum Protestspektrum deutlich machen, die inhaltliche Problematisierung kaum über eine oberflächliche Benennung von Allgemeinplätzen hinausreicht. Diagnosen, die der Bewegung am häufigsten einen »verkürzten Antikapitalismus« oder Reformismus attestieren, offenbaren dabei, dass hier – komme, was wolle – von einem richtigen Protest-Ansatz ausgegangen wird, der mit Hilfe linksradikaler Argumentationen oder des notwendigen Quantums Militanz zu verlängern sei. Die Er-eignisgeschichte von Friedens- und Globalisierungsbewegung spricht aber nicht für solch freundliche Interpretationen. Im Gegenteil, sie lässt den beschönigenden und feigenblattartigen Charakter der schnell hingesagten Kritik zu Tage treten und legt darüber hinaus einen grundsätzlich anderen Umgang mit den gegenwärtigen sozialen Bewegungen nahe.
An der seit Jahren besonders in Attac-Kreisen gängigen Weltsicht, dass die Politik eine Geisel der Finanzmärkte sei, dass nicht das im Kapitalismus angelegte Streben nach Profit, sondern seine ungerechte Verteilung das Problem darstelle und dass nicht Staat und Kapital, Wertvergesellschaftung und Arbeit abgeschafft, sondern nur irgendwie menschlicher eingesetzt gehören, daran hat sich in all den Jahren Gipfelsturm und linksradikaler Aufklärungsarbeit bisher nichts geändert. Man muss schon mit zwanghaftem und realitätsblindem Optimismus ausgestattet sein, um in der von Attac repräsentierten Bewegungspolitik eine sich radikalisierende Dynamik zu erkennen. Ruft der Verein zur Aktion gegen die Agenda 2010, dann mit dem Ziel, den vermeintlich guten alten Sozialstaat zu erhalten. Der Wettbewerb müsse wieder eingedämmt, das solidarische Gesundheitssystem erhalten werden. Und zu verhindern sei, dass sich »die Arbeitgeber aus ihrer sozialen Verantwortung stehlen.«(4) Antikapitalismus lässt sich hier nicht erkennen. Stattdessen aber ein Appell an den vermeintlich besseren Kapitalismus, in dem Vater Staat die »fortgesetzte Umverteilung von unten nach oben« stoppen müsse und die KapitalbesitzerInnen an die Maßgaben einer nationalen Verantwortungsgemeinschaft erinnert. Man mag dies auch weiterhin folgenlos als ganz nettes Engagement einer neuen außerparlamentarischen Sozialdemokratie abtun, jedoch zeigt das unablässige Klagen über die Lügen der Regierung und das Treiben der Reichen und Spekulanten, dass diese Politisierung nicht nur anfänglich, sondern grundsätzlich auf Moralisierungen und vagen Gefühlen beruht. Nicht selten verdichtet sich diese Melange in einem manifesten verschwörungstheoretischen Weltbild.
Bis heute gibt es keine Anzeichen dafür, dass die vor allem von Attac popularisierte These, das Übel sozialer Ungerechtigkeit rühre daher, dass die schrankenlose Vermehrung des Geldkapitals durch Spekulationsgeschäfte eine vernünftige Wirtschaftsentwicklung verhindert in der globalisierungskritischen Bewegung bis hin zu breiten gesellschaftlichen Kreisen an Attraktivität einbüßt. Folgerichtig bleibt die Forderung nach einer Steuer auf Finanztransaktionen für die Bewegung zentral. Und dies trotz der von Linken immer wieder geäußerten Kritik, dass mit solcher Art Problemanalyse zumindest implizit die Gegenüberstellung von spekulativem und produktivem Kapital reproduziert wird. Der konstruierte Gegensatz zwischen Staat und Finanzmarkt, zwischen Politik und Einfluss der multinationalen Konzerne gibt den Boden für die stereotype Personifizierung des Übels. Vom analytischen Fehlgriff einer schuldursächlichen »Macht der Finanzmärkte« über die Illustration des »Börsenspekulanten«, der mit Zigarre im Mund und Geld in den Taschen, die Welt zu seinen Füßen drangsaliert(5) bis zum Schuldvorwurf an die Juden ist es nicht weit. »Wo es kein Verständnis des Weltmarktes gibt, beginnen sofort die Verschwörungstheorien.« Auf diesen Zusammenhang wies unlängst der marxistische Sozialwissenschaftler Moishe Postone hin.(6) Die Identifizierung der »Schuldigen« als Juden liegt nicht nur darin begründet, dass der Antisemitismus auch weiterhin die prominenteste Verschwörungstheorie darstellt. Dass die Zuschreibung des Weltübels an Juden und Amerikaner in Deutschland fortdauert, müsse nach Postone auch mit einer unaufgearbeiteten Vergangenheit sowie als Folge der politischen Strategie, eine europäische Großmacht gegen die USA zu etablieren, erklärt werden.
Diese verschwörungstheoretische »Entwicklungsdynamik« darf eine Kritik an der Bewegung nicht auslassen oder nur folgenlos benennen. Der leichtfertige Umgang mit einer strukturell antisemitischen Kapitalismuskritik scheint jedoch mittlerweile zum programmatischen Bestandteil derjenigen Gruppen zu werden, die auf ein positives Verhältnis zur globalisierungskritischen Bewegung setzen.
Charakteristisch für diese Position ist der BUKO. Zwar seien »konkrete Interventionen« in »bestimmten Debatten«, so die nichts sagende Formulierung des AutorInnenkollektivs, notwendig.(7) Jedoch dürfte die Kritik am Antisemitismus nicht zur »strategischen Orientierung« werden. Man dürfe die »sozialen Bewegungen nicht mit dem Vorwurf verkürzter Kapitalismuskritik [...] konfrontieren«, sondern es ginge darum, »das Radikalisierungspotential bzw. den utopischen Überschuss ›reformistischer‹ Forderungen auszuloten und in diesem Sinne an einer Weiterentwicklung von Bewegungspolitik mitzuwirken«.
Noch deutlicher gelingt es dem BUKO-Mitglied Thomas Seibert zu sagen, dass sich die eigene Politik nicht an der gesellschaftlichen Realität orientiert. So erkenne man den emanzipatorischen Gehalt einer sozialen Bewegung nicht »in den subjektiven Äußerungen und Einstellungen ihrer Teilnehmer, sondern in der objektiven Dynamik ihres Aufbruchs und deren Wirkung auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.«(8) Als hätte sich nicht die alte linke Mär von den objektiv vorbestimmten Emanzipationsbewegungen unterdrückter Massen angesichts des nationalistischen Scheiterns des deutschen Proletariats im 1. Weltkrieg und angesichts des nationalsozialistischen Vernichtungswerks gründlich blamiert, wird sie hier wieder aufgewärmt. Sicher sind in den Äußerungsformen von Befreiungsbewegungen nicht alle Entwicklungspotentiale vorgezeichnet. Nur was sollte als Anzeichen dafür, wohin die Reise geht, bewertet werden, wenn nicht die subjektiven Aussagen der TeilnehmerInnen? Nehme man diese ernst, verschlösse also nicht wie Seibert vor den regressiven Tendenzen der real existierenden Protestbewegung die Augen, gelangte man auch zu der Erkenntnis, dass die soziale Bewegung keinen »objektiven Aufbruch« repräsentiert, sondern zutiefst in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen gefangen bleibt.
Elemente des Grauens
Denn mitnichten ist der Kritik an den Gipfelprotesten durch die Aufzählung reformistischer Haltungen Genüge getan. Gerade im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Irak-Krieg brach sich eine Welle von Antizionismus und Antiamerikanismus Bahn. Die Demonstration während des Europäischen Sozialforum in Florenz im November letzten Jahres wurde zu einer erschreckenden Manifestationen der Solidarität mit dem palästinensischen Terrorismus. Tausende trugen palästinensische Fahnen und skandierten Sprechchöre wie »I-I-Intifada« und »Weg mit Scharon, Mann des Krieges, Intifada, Inschallah.« Bekannt auch, dass am Vorbereitungskreis der Proteste gegen den EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember des selben Jahres, eine Gruppe mit dem Namen »Globale Rodder« beteilig war, die für eine ganze Reihe antizionistischer Aktionen, u.a. die Aufrufe zum Boykott israelischer Waren verantwortlich zeichnet.(9)
Als dann während des Irak-Krieges die Aktivitäten der Friedenbewegung zunahmen, gehörte die mit Spruchband, Palituch und Fahne ausgedrückte Parteinahme für die Sache des palästinensischen »Volkes« zum gängigen Bestandteil der Demonstrationen.
An der politischen Bezugnahme der Globalisierungskritik auf den Konflikt im Nahen Osten zeigt sich auch, dass eine ehrenrettende Trennung zwischen Anti-Globalisierungs- und Friedensbewegung, wie sie die Antifa aus Göttingen vorschlägt, nicht möglich ist. Denn in Bezug auf die antizionistischen Statements bei den Gipfelprotesten lässt sich alles andere als ein positiver Entwicklungsprozess feststellen. Wenn in den Reihen der Protestierenden während des EU-Treffens in Thessaloniki in diesem Sommer über den Nahen Osten gesprochen wurde, dann galten die Wut und der Schuldvorwurf dem üblichen Verdächtigen Israel. Auf dem vom anarchistisch-militanten Spektrum besetzten Universitätsgelände ließ man mit gesprühten Parolen die Intifada hochleben und erklärte Israel zur Speerspitze des Imperialismus.
Für den nächsten Event der globalisierungskritischen Bewegung, dem im November in Paris stattfindenden II. Europäischen Sozialforum war der Programmpunkt »Für das Recht des palästinensischen Volkes auf nationale Selbstbestimmung« bereits festgelegt.(10) Dabei handelte es sich nur um einen Punkt, der linken Beteiligungsversuchen eigentlich zuwider laufen sollte. Ausgangspunkt der Programmatik ist der Versuch, sich von links an der Konstruktion eines »anderen Europa« zu beteiligen. Es soll ein Europa gegen Amerika sein, weshalb die imperiale Politik der USA ganz oben auf der Agenda steht, von einer Thematisierung eines europäischen Imperialismus aber nichts zu entdecken ist. Dem Projekt der europäischen Alternative werden alle sonstigen Forderungen, die der Globalisierungskritik im Allgemeinen wichtig sind, zugeordnet: Für ein Europa der Bürgerrechte, der sozialen Gerechtigkeit, der kulturellen und sprachlichen Vielfalt usw., usf.
Problematisch daran ist nicht nur die fast vollständige Abwesenheit radikaler Kapitalismuskritik. Vielmehr ist das Sozialforum abzulehnen, weil in seinem Zuge kollektive Identität über einen geographisch erweiterten Staats- und Heimatbezug und über Mystifikationen – Europa als historischer Ort von Gerechtigkeit und Frieden – zugeschrieben wird.
Die politische Stoßrichtung des II. Europäischen Sozialforums wird so neben dem schon fast angenehmen Reformismus von antiamerikanischen Nationalismus, Staatsfetischismus und Israelfeindschaft geprägt. Völlig hausgemacht demzufolge, dass sich die Aktionen in Paris wie schon die Proteste der Friedensbewegung nicht gegen eine Funktionalisierung durch kern-europäische Großmachtambitionen sperren kann. Im Gegenteil. Das Sozialforum bietet von halb links die Identitätsangebote für einen euro-nationalen Kapitalismus.
Bewegung gegen Bewegung
Unabdingbare Voraussetzung, um das Verhältnis der Linken zur globalisierungskritischen Bewegung zu klären, ist eine Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Realitäten. Wer wie wir zu der Einschätzung gelangt, dass derzeit ein alternativer Eurokapitalismus um Legitimität ringt, dass es für dieses Projekt bereits jetzt eine gesellschaftliche Mehrheit gibt, die auch dann zustimmt, wenn Europa auf allen Ebenen als globaler Konkurrent gegen die verbliebene Supermacht USA in Stellung gebracht wird, der/die kann in der real existierenden globalisierungskritischen Bewegung derzeit keine Bündnispartnerin erkennen. Heute muss es darum gehen, gegen den europäisch-antiamerikanischen Konsens Position zu beziehen. Mit einer Strategie halbgewalkter Kritik, die auf die politischen Zugeständnisse des dominanten aber leider reformistisch-regressiven Teils des Protestspektrums hofft, wird dies nicht gelingen. Doch scheint es, dass viele linke Gruppen darin die verlockendere Handlungsperspektive sehen. So lässt sich gerade gegenwärtig eine fatale Prioritätenverschiebung im linken Aktionismus feststellen. Während aller Orten Gruppen darüber nachsinnen, wie sie den Anschluss an die globalisierungskritische Bewegung halten können, entwickelt sich gegen die deutsch-europäische Formierung kein halbwegs wahrnehmbarer Widerstand. Beispielhaft die diesjährige Demonstration zum zehnten Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung, die unter anderem dieser Schwerpunktsetzung gewidmet war und aufgrund der wenigen TeilnehmerInnen zu recht als Reinfall gewertet werden muss. Dass ein Teil der Linken in ihrem Ansinnen, wieder mehr gesellschaftliche Relevanz beanspruchen zu wollen, hinter einstmals gesetzte Maßstäbe der Kritik zurück fällt, wird ebenso an den gegenwärtigen Versuchen linker Gruppen deutlich, die »soziale Frage« zu einem neuen Hauptbeschäftigungsfeld zu machen. Auf der Suche nach Ansatzpunkten für antikapitalistische Aufklärung und nach BündnispartnerInnen verlieren antinationale und arbeitskritische Positionen an Relevanz. Oft scheint es, dass heute wieder trotz des Wissens über regressive Krisenlösungsmodelle und deutsche Subjektkonstitution schon das pure Engagement gegen Sozialabbau für eine positive linke Bezugnahme ausreicht.
Dabei wird sich auch hier zeigen, wie linke Agitation, die sich ins Fahrwasser eines Protest-Mainstreams begibt, ihre Marginalität nicht überwinden kann. Sie bleibt unsichtbar, weil die eigenen Forderungen in der Masse regressiver und reformistischer Argumentationen quantitativ untergehen.
Als was wurden die Proteste der Friedensbewegung in diesem Jahr wahrgenommen? Als Kritik der Europäer an den USA und als Solidaritätsadresse an die palästinensische Intifada. Zum antimilitaristischen und antikapitalistischen Fanal wurden sie nur von den wenigen Linksradikalen stilisiert, die ihr Dabeisein begründen mussten.
Zudem entwerten die kritischen HineinwirkerInnen ihre Ambitionen, wenn sie ihre Standpunkte freiwillig dem Pluralisierungsgebot unterordnen. Ihren kritischen Interventionen wird es ergehen wie der Auseinandersetzung über den Antisemitismus bei Attac. Als Deckmäntelchen gegen Vorwürfe von Linken wird immer wieder darauf verwiesen werden, selbst wenn betreffende Zeugnisse unter der Flut anders lautender Bekenntnisse kaum zu entdecken sind. Kritische Auseinandersetzungen macht man so vom guten Willen der Kritisierten abhängig. Einen programmatischen Einfluss erlangt die Kritik aber nicht. Letztendlich machen sich die linken HineinwirkerInnen unglaubwürdig, wissen sie doch aus der gängigen Rezeption von Sozialdemokratie und Neuen Sozialen Bewegungen, seit Systemaffirmation von Grün bis PDS, wie sozialreformerische Bewegungen ihre subversiven Potentiale neutralisieren.
Mühselig auch, auf die radikalisierende Wirkung militanter Protestformen zu hoffen. Radikale Gesellschaftskritik hat sich zunächst an den Inhalten zu orientieren. Gewaltsame Ausschreitungen, wie sie in Genf und Thessaloniki aber auch immer wieder bei Protesten unzufriedener Bauern in Paris stattfanden, sind für sich genommen relativ nichts sagend. Mag sein, dass hier und da politische Forderungen mit mehr Nachdruck gestellt werden. Doch immer wieder offenbaren die Ziele des Aktionismus, dass mit ihm nicht einer umfassenden Negation der Verhältnisse symbolisch Ausdruck gegeben werden soll, sondern verschwörungstheoretischen Weltbildern. Der Schwarze Block in Thessaloniki startete seinen Gipfelsturm anlässlich des Zusammentreffens der europäischen Regierungschefs und Außenminister mit einer Demonstration zum amerikanischen Konsulat und beim Tage darauf folgenden Riot galt der Hinweis, hier werde gerade eine »American Company« zerstört als Argument gegen autonome Freunde des mittelständischen Einzelhandels. Beim gegenwärtigen Stand der globalisierungskritischen Bewegung ist die Militanz Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
Bedeutet dies jetzt, dass wir uns eine Art von Kritik gefallen lassen müssen, nach der den Antideutschen vorgeworfen wird, dass sie sich nahezu ausschließlich auf publizistische Tätigkeit »und die oft polemisch zugespitzte Kommentierung sozialer Bewegung« beschränken?(11) Ganz und gar nicht. Die Kritik an Friedens- und globalisierungskritischer Bewegung hat gerade mit Blick auf ihre derzeitigen Funktionen als Legitimitätsbeschaffer für ein europäisches Großmachtprojekt praktisch zu werden. Um diese Kritik wahrnehmbar zu formulieren, muss mehr geschehen als nur mit den Hineinwirken-Konzepten zu brechen. Diesem notwendigen ersten Schritt muss eine polarisierende Positionierung folgen. Die radikale Linke steht vor der Alternative, ob sie sich im Fahrwasser der globalisierungskritischen Bewegung bei Sozialforen und Gipfeltreffen auch weiterhin zum Legitimationsgehilfen deutsch-europäischer Weltmachtpolitik macht oder ob sie genau diese Politik angreift. Das schließt die konkrete Kritik der Bewegung nicht aus, zielt aber in aller erster Linie auf die eigene Mobilisierung gegen das Euro-Projekt. Ein richtiger symbolischer Ort für linke antikapitalistische Politik bliebe aus dieser Perspektive Berlin, ein ungebrochen wichtiges Datum unter vielen bliebe der 3. Oktober. Die Entscheidung für Paris im November war falsch.
Mit einer deutlichen Polarisierung zwischen euro-kapitalistischen Modernisierungsprojekten und radikaler Identitätskritik daran, zwischen Europäerinnen und RegionalistInnen auf der einen Seite und linken Heimatlosen auf der Seite der Gesellschaftskritik wäre erst eine Voraussetzung für die Schaffung einer radikalen linken Bewegung gegeben. Für eine neue Gegen-Bewegung sind wir also durchaus zu haben.
Fußnoten:
(1) In der Gesellschaft kämpfen! Ein Beitrag der Antifa Köln zur Globalisierungsbewegung, Phase 2.07, 59–61.
(2) Markus Wissen, Friederike Habermann, Ulrich Brand: Vom Gebrauchswert radikaler Kritik. Perspektiven für eine gesellschaftsverändernde Praxis, in: BUKO (Hrsg.), radikal global. Bausteine für eine internationalistische Linke, 43–56.
(3) Same procedere as last year? Die Gleichsetzung von Friedens- und Globalisierungsbewegung verschleiert mehr als sie aufdeckt, Phase 2.09, 32–35.
(4) Attac-Presseerklärung »Kampagne soziale Sicherung. Es ist genug für alle da«, 14. März 2003.
(5) Siehe das Figurenensemble anlässlich der Attac-Sommerakademie in Marburg, Juli 2002, in: konkret, 12/2002, 13.
(6) Vgl. das Interview mit M. Postone in diesem Heft.
(7) Markus Wissen, u.a., a.a.O.
(8) Thomas Seibert, The People of Genova. Plädoyer für eine post-avantgardistische Linke, in: Buko (Hrsg.), a.a.O., 57–69.
(9) Quelle: Tina Heinz, Wir als Deutsche – ihr als Dänen. Über den antizionistischen Gipfel von Kopenhagen, Bahamas, 40/2003, 14–16.
(10) Programm des II. Europäischen Sozialforums (ESF) 2003 (Die Entscheidung der Europäischen Versammlung zum ESF, Berlin 27. April 2003).
(11) Seibert, a.a.O., 67.
BgR Leipzig