Die neue Rubrik »Echo«, die hier zum ersten Mal eingeführt wird, soll in Zukunft im wesentlichen zweierlei erfüllen: Einerseits soll sie Stimmen über Phase 2 aus diversen Diskussionsforen, aus Zusammenhängen, Zeitschriften etc. abbilden und so die Außenwahrnehmung von Phase 2 vermitteln und gegebenenfalls richtig stellen. Andererseits soll sie Post an uns wie etwa Anfragen und LeserInnenbriefe vorstellen und so auf lange Sicht zu einem Diskussionsforum im Heft werden. In der ersten Ausgabe beschränken wir uns auf Stimmen über Phase 2, fordern Euch aber zugleich auf, uns mit Euren Meinungen nicht zu verschonen.
Für Reaktionen sorgte der Artikel »Gegen Macht Europa« von Phase 2 Leipzig in Phase 2.08, der unter anderem die anhand der Antikriegsbewegung sichtbar gewordenen fließenden Grenzen zwischen linken AktivistInnen und regierungsnahen StrategInnen als falsche »Wahl der Waffen« mit folgenden Worten kritisierte: »Tobias Pflüger, der linke Antimilitarist aus Tübingen schwärmte über den Friedensparteitag der PDS, auf dem er als Gastredner teilnahm, mit den Worten: ›Bei diesen guten Reden heute, könnte man sich fast wohl fühlen in der PDS.‹ Glaubt man Presseberichten, die über das Ereignis berichten, überfällt einen das große Gruseln.«
Pflügers Wunsch nach »Wohlfühlen in der PDS« sorgte wohl auch in anderen Publikationen für einigen Wirbel, so dass er den (von ihm übrigens für gut befundenen) Phase 2-Text flugs auf die Homepage der Informationsstelle Militarisierung (IMI) stellte und mit folgenden Anmerkungen versah: Er habe sich ausdrücklich auf die »guten Reden«, die gehalten wurden, bezogen; von den »guten« auf die, »die sich mit dem Krieg« und nicht etwa mit dem Irak-Krieg beschäftigten und zuletzt ja auch nur »fast«. Und: »Die Rede selbst wurde auf dem Parteitag sehr positiv aufgenommen, zugleich wurde sie als eine sehr kritische (gegenüber der Bundesregierung sehr kritische) Rede bezeichnet. Damit habe ich die für mich wichtigsten beiden Punkte erreicht.«(1) »Fast« könnte man meinen, Pflüger war bestürzt, welch weite Kreise seine Bemerkung zog und versuchte nun, zu retten, was noch zu retten ist.
Auch Pflügers Lob, wir seien für ihn »wichtige Bündnispartner/innen« müssen wir nicht zuletzt nach Lektüre seiner abschließenden Bemerkung zurückweisen. Dort heißt es, »abschließend freue ich mich natürlich, wenn sich ›antideutsche‹ Gruppen tatsächlich mal wirklich mit Deutschland beschäftigen, ihr Lieblingsthema ist ja sonst immer ein anderes Land.« Dreimal darf geraten werden, welches »andere Land« hier gemeint ist. Kuba ist es nicht. China auch nicht.
Von ganz anderer Seite hingegen (von der nämlich, deren »Lieblingsthema [...] ja sonst immer ein anderes Land« ist) wehte die Kritik in einem Beitrag von Uli Krug in der Bahamas Nr. 42 mit dem Titel »Willkür und Wahrheit. Eine Verteidigung des historischen Materialismus«, der uns unter Verwendung zweier Beiträge von Phase 2 Berlin und der Freiburger Initiative Kritik im Handgemenge gleich so einiges vorwirft: fehlender Wahrheitsbegriff, Verkürzung der Kritischen Theorie, Totalitarismustheorie etc. Letztlich kommt Krug zu der überraschenden Erkenntnis, Stalin sei der erste Postmoderne gewesen. Vorab ist festzuhalten, dass Krug in seinem Text ein nicht unerheblicher Lapsus unterläuft, in dem er nur einen Text (den von Phase 2 Berlin(2)) wenigstens ansatzweise nennt, den anderen von Kritik im Handgemenge(3) verschweigt, ihn jedoch inhaltlich einer Phase 2-Redaktionsmeinung zuordnet, wie er überhaupt beide Texte bunt vermengt. Es mag einerseits von außen schwerfallen, das eigentümliche Redaktionsprinzip von Phase 2 – drei gleichermaßen gleichberechtigte Redaktionen – immer differenziert mit einzubeziehen; andererseits sei an dieser Stelle nochmals an das Grundprinzip von Phase 2 erinnert, »pluralistisch, doch mit harter Hand«(4) verschiedene Meinungen gegenüberzustellen und in ihrer Verhandlung, nicht in der Festlegung auf eine den Gewinn für die Diskussion zu sehen.
Was aber war geschehen? Phase 2 Berlin fragte in ihrem Beitrag anhand der unterschiedlichen Rezeption von Michael Moores Film »Bowling for Columbine« in den Vereinigten Staaten und in Deutschland nach der Ausrichtung »richtiger« und »emanzipatorischer« Kritik und machte für eine solche geltend, »die [vieldiskutierte] Wahrheit der Ereignisse als einen Fluchtpunkt zu begreifen, dem man verpflichtet ist, gerade, weil er nicht endgültig zu erschließen ist; gerade weil die Kritik sich selbst in dem Kontinuum bewegt, dass von dieser Wahrheit geprägt wird und an ihrer Prägung mitarbeitet. Solche Kritik ist diskurskritisch, in dem Sinne, dass sie anerkennt, dass Wahrheit maßgeblich durch die Praxen des Erzählens zustande kommt.« Übertragen auf Moores Film hieße das: »Wie schon erwähnt, baut die Kritik sich selbst in die Wahrheit ein, mit der sie sich auseinander setzt. So ist es möglich, dass ›Bowling‹ in den USA in erster Linie ein antirassistischer und staatsfeindlicher Film ist – in Deutschland hingegen bekräftigt er den Nationalmythos einer friedliebenden, traditionsbewußten kulturellen Gemeinschaft, die sich erfolgreich vom hektischen, neoliberalen und global gewalttätigen amerikanischen Imperialismus abgrenzt.« Fazit: »Ein objektives Urteil über den Film anhand seines Wahrheitsgehalts ist also nicht möglich.«
Krugs Kritik, die bisweilen in Übertreibungen(5) und einem durchweg diffamierenden Tonfall daherkommt, entzündete sich nun an der Übertragung eines solchen kritischen Verständnisses von Wahrheit auf Positionen u.a. der Bahamas-Redaktion zum Irak-Krieg. Phase 2 schrieb: »Nun unterhalten aber gerade weite Teile der antinationalen Linken ein inniges Verhältnis zur Wahrheit – dabei geht es weniger um ›wirkliche‹ Ereignisse, sondern um eine Wahrheit der (westlichen und vermeintlich zivilisatorischen) Werte. Diese Werte können Wahrheit nur durch ihre universelle Gültigkeiterlangen, und diese Gültigkeit verlangt nach Durchsetzung. Die bürgerliche Gesellschaft muss etabliert werden, erklärt der Bahamas-Histomat, damit der Kommunismus seine historische Chance überhaupt erhalten kann.«
Krug, der als einzige Wahrheiten »amerikanische Verhältnisse« einerseits und »das [irakische] totale Staatsbettlertum« und den »ebenso totalen Terror des Baath-Regimes« andererseits zu benennen vermag, konterte daraufhin mit einem generellen Exkurs über den seines Erachtens postmodernen und totalitären Wahrheitsbegriff der heutigen Linken, der er auch Phase 2 zurechnet. Ausgehend von dem seinerseits zur Wahrheit erhobenen »Gemeinplatz«, »daß der Kommunismus nicht hinter den in der bürgerlichen Gesellschaft erreichten Vergesellschaftungsmodus [...] zurückfallen darf, wenn er denn einen ›Fortschritt‹ aus dem im Kapitalismus herrschenden gesellschaftlichen Naturzustand darstellen solle«, geißelte er alle Stalinschen Versuche, den Kommunismus auszurufen bzw. zum Zustand zu erklären, als einen diesem Gemeinplatz Hohn sprechenden »Subjektivismus« und erklärte eine solche »Elimination des Faktischen« durch Stalin als postmodern, da sie Wahrheit durch »Erzählung« und »Diskurs« ersetzte. Von Stalin sei es dann auch nicht mehr weit bis zur Phase 2 Redaktion: »Die Parole aus dem Jahr 1935 ›Die Kader entscheiden alles‹ ist nicht bloß ein Freibrief aus vergangener Epoche zur Verfolgung von ›Saboteuren‹ [...], dieselbe Drohung eines auftrumpfenden Subjektivismus steckt ebenso in dem Spruch, daß es doch auf den einzelnen ankäme, der seinen zeitgemäßen Ausdruck in der durch keinen Einspruch der Sache getrübten Haltung findet, daß letztlich doch alles nur eine Frage der subjektiven Erzählung sei [...].« Und weiter: »Feuilletonistisch aufgemotzt ist es doch bloß genau dieses verstockte geistige Kleingärtnertum, das vorgibt, den ›Stalinismus‹ und darüber hinaus den ›Wahrheitsdiskurs‹ oder ›Metasysteme‹ überhaupt zu kritisieren, und doch selber essentiell zu den, wenn man so will, Grundlagen des Stalinismus rechnet.«
Solcherart Unwillen bzw. die Unfähigkeit, so Krug weiter, die Wahrheit anzuerkennen oder endlich einmal zu wagen »zu unterscheiden statt bloß zu ›differenzieren‹«, entspräche letztlich auch einer »tatsächlichen, politischen Frontlinie«: »Kurz gesagt, jener [Frontlinie] zwischen den spätliberalen Gesellschaften und der postnazistischen und ihrer globalen Nacheiferergemeinde.« Denn auf das »eingangs postulierte, leider Gottes gar nicht gemeinplätzliche ›bürgerliche‹ Mindestkriterium« folge nämlich die Verpflichtung, »das einmal bzw. einstmals erreichte Niveau bürgerlicher Gesellschaft, oder besser noch: das durch dieses Niveau verbürgte konkret-utopische Potential der Gesellschaft zu verteidigen gegen deren eigene [...] Regression in den autoritären Staat und seine bandenförmigen Derivate«. Wiederholt Krug somit die Bahamas-Position, die Ausgangspunkt der Kritik in dem Phase 2-Artikel war, ist er nun zugleich darum bemüht, die Rede von der Einführung bürgerlicher Vergesellschaftungsformen im Irak einmal zu erden: »Wer wollte ernsthaft bestreiten, daß da die Einführung von Versammlungs-, Rede-, Presse- und Koalitionsfreiheit, Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit kommunistischer Agitation dienlicher ist?« Niemand. Sollte dies schlußendlicher Sinn seines Beitrages gewesen sein, läßt sich darauf nur antworten, was schon Phase 2 Berlin ins Feld führte: »Eine Demokratisierung im Irak ist zwar eine andere, entfernt denkbare Option, jedoch keinesfalls eine, die sich im vorhinein als kommende historische Wahrheit feststellen ließe.« Also einmal entfernte Übereinstimmung zwischen einer Phase 2- und einer Bahamas-Position? Das hätte man einfacher haben können.
Am Rande des Beitrages von Krug irritiert im übrigen noch ein Horkheimer-Zitat, dessen Geltung bislang eher auf die »Kritik der Politik«-Fraktion abonniert schien, das nun aber angesichts des Irak-Krieges durch Krug auf einmal auf die angewandt wird, die sich gegen einen Krieg mit der Begründung positionierten, er stelle einen einzelnen, zur Intervention verpflichtenden Fall linker Kritik dar. Krug schreibt, »›Unmenschlich‹ hatte Max Horkheimer solche ›Alles-oder-Nichts‹-Vorstellungen zu Recht genannt: ›Sei mißtrauisch gegen den, der behauptet, daß man entweder nur dem großen Ganzen oder überhaupt nicht helfen könne. Es ist die Lebenslüge derer, die in Wirklichkeit nicht helfen wollen und die sich vor der Verpflichtung im einzelnen bestimmten Fall auf die große Theorie hinausreden. Sie rationalisieren ihre Unmenschlichkeit.‹«
Lob für die Ausgabe 9 und ihren Gedächtnis-Schwerpunkt gab es indes von prominenter Stelle, nämlich von Günther Jacob, der u.a. auf der Weimarer Veranstaltung »Memory« zum 65. Jahrestag des 9. November 1938, die er zusammen mit Beate Klarsfeld und Micha Brumlik bestritt, den von uns gesetzten Titel der Phase 2.09 »German Gedächtnis« zur Beschreibung der Kontinuitäten deutscher Schuldabwehr vom Kriegsende bis heute verwandte. Näheres dazu hoffentlich in der nächsten Ausgabe.
Abschließend sei noch auf einige Gehässigkeiten verwiesen, den der in Phase 2.09 abgedruckte Beitrag der Pop-Ag im Conne Island zu »Popkultur nach dem 11. September«(6) auf dem Internetforum www.angefangen.de auslöste. Ein gewisser DJ Deutschland schreibt dort stellvertretend für die Nachwende-Generation, die inzwischen jeglichen Anflug eines kritischen Popverständnisses über Bord geworfen hat und die gleichzeitig amerikanischen HipHop hören und sich positiv auf Deutschland beziehen kann: »Der Artikel ist ganz schön lang. Meistens geht es darum, dass wir alle antiamerikanisch sind. Ungefähr so wie früher, als es immer beim Pioniernachmittag hieß: Der böse Peter hat gesagt, die Sowjetsoldaten riechen alle nach Zwiebeln. Sowas darf man aber nicht, denn sie haben uns befreit.« Ähnlich auch seine Empfehlung an die »schwarze Kapuzenpullies« tragenden Popper: »Zum Schluß noch eine Nachricht an die Pop Ag in Leipzig [mit ihren] lustigen Parolen: Schwarz/ Weiß/ Links/ Rechts ist so 80er Jahre und die sind auch ganz schön out, weil wir hören hier nur amerikanischen Mainstreamrap wie Nelly, Outkast oder Neptunes.« Unbewusst liefert er zugleich eine humorige Interpretation der ihm höchstwahrscheinlich unbekannten »Leipziger« bzw. »Berliner Verhältnisse«. Auf das im Pop-Text beklagte Kuscheln des Deutsch-Rappers Thomas D. mit der Anti-Kriegs-Haltung der Bundesregierung hält er verwundert fest: »Also schon der Einklang selbst mit der Bundesregierung ist in Leipzig nicht tragbar, wenn also jetzt der Kanzler Weihnachten feiert, ist in Leipzig immer Ostern.« So isses. Bleibt zu hoffen, dass der in dieser Ausgabe an das gleiche Klientel gerichtete Beitrag zu den nationalistischen Ausfällen der Berliner Band Mia wenngleich nicht ähnliche, so doch zahlreiche Reaktionen hervorruft.
In diesem Sinne, Frohe Ostern!
Fußnoten:
(1) Zit. n. www.imi-online.de/2003.php3
(2) Phase 2 Berlin, Stupid White GerMen. Nach der Kritik ist vor der Kritik, in: Jungle World Dossier vom 15. Januar 2003.
(3) Initiative: Kritik im Handgemenge, Basisbanalitäten über bürgerliche Gesellschaft und ihren Export, in: Phase 2.06, Januar 2003.
(4) Vgl. die Vorstellung der Phase 2 Redaktionsmaxime »Pluralistisch, doch mit harter Hand« in jenem Jungle World Dossier vom 15. Januar 2003.
(5) So etwa die folgende, indirekt auch an Phase 2 adressierte Übertreibung, die letztlich darauf hinausläuft, wir würden den Nationalsozialismus relativieren: »Aber selbst äußerste Prägnanz schützt in Deutschland nicht davor, in den Dienst der Abwehr ihres Gehaltes gestellt zu werden. Horkheimers Diktum, daß vom Faschismus nicht reden solle, wer vom Kapitalismus schweigt, verwandelt sich im deutsch-linken Kontext flugs so:
Wenn der Nationalsozialismus die Potenz des Kapitalismus in seiner etatistischen Phase ist, dann ist doch auch der Nationalsozialismus überall präsent, wo es den liberalen Staat klassischer Prägung nicht mehr gibt; da das wiederum überall der Fall ist, erledigt sich elegant das ›Problem‹, daß der Nationalsozialismus sich in Deutschland ereignete und nirgendwo sonst – und zugleich das ›Problem‹, daß die USA antifaschistische Kriege führen könnten.
Wenn alle irgendwie potentielle Nazis sind, dann ist es eben auch zugleich keiner: Schon gar nicht die Deutschen; wo zuvor der Opa die Indianer mit den Juden verrechnete, da wirft der Enkel Vietnam, Chile oder El Salvador gegen Buchenwald in die Waagschale.« Es mag solche VertreterInnen leider geben, Phase 2 dazu zu rechnen, ist eine Frechheit.
(6) Pop Ag im Conne Island, Nothing new on the German front. Deutsche Popkultur nach dem 11. September, in: Phase 2.09, September 2003.
Phase 2 Leipzig