Sebastian Tränkle
Alle Lust will Ewigkeit
Über »Hedonismus« als linke Ideologie der Selbstbefreiung
In seinem 1891 erschienen Essay Der Sozialismus und die Seele des Menschen schreibt Oscar Wilde: »Einen kotigen Straßenübergang bei scharfem Ostwind acht Stunden im Tag zu fegen ist eine widerwärtige Beschäftigung. Ihn mit geistiger, moralischer oder körperlicher Würde zu fegen scheint mir unmöglich. Ihn freudig zu fegen wäre schauderhaft«. Oscar Wilde: Die Seele des Menschen im Sozialismus, Übers. Gustav Landauer u. Hedwig Lachmann, Zürich 1970, 33. Wildes Arbeitskritik, die zu einer Zeit formuliert wurde, in der sich Marxisten, Sozialisten und Kommunisten aller Couleur in ihrer Verherrlichung von (körperlicher) Arbeit einig waren, scheint heute zumindest in Teilen der Linken angekommen zu sein. Man findet, wie Wilde, an körperlicher Arbeit »ganz und gar nichts Würdevolles«. Ebd., 32f. Nun hat sich seit dem ausgehenden (19). Jahrhundert und der Hochphase des industriellen Kapitalismus einiges verändert. Die Gegenwartsgesellschaft ist zwar ökonomisch nach wie vor über Wert und Arbeit vermittelt, aber die Formen, in der die doppelten freien LohnarbeiterInnen an der Wertschöpfung werkeln, haben sich gewandelt. Körperliche Arbeit, wie sie zu Wildes Zeiten noch große ArbeiterInnenmassen quälte, ist zwar nicht verschwunden, jedoch auf einem scheinbar unaufhaltsamen Rückzug – zumindest im hoch technisierten »Westen«. Nichts destotrotz hat sich am universellen und internalisierten Arbeitszwang kaum etwas geändert, auch wenn dieser im Lichte der technologischen Entwicklung und der tatsächlich immer prekärer werdenden Möglichkeiten, sich durch Lohnarbeit zu reproduzieren, immer absurder erscheint. Diese Einsicht ist inzwischen auch in Kreisen diesseits radikaler Gesellschaftskritik angekommen wie z.B. die Forderungen mancher Vertreter der Unternehmerseite nach einem leistungsunabhängigen Grundeinkommen belegen.
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