Ende Juli stellte der bayrische Innenminister Joachim Herrmann die »Bayrische Informationsstelle gegen Extremismus« vor. Kernstück ist ein Bürgertelefon, das als zentrale Informationsstelle für alle BürgerInnen, insbesondere LehrerInnen, Eltern, SchülerInnen und MitarbeiterInnen der Jugend- und Bildungsarbeit dienen soll. Ergänzt wird es demnächst durch einen weiteren »Baustein«: das Internetportal »Bayern gegen Rechtsextremismus« sowie durch neun Regionalbeauftragte, die Kommunen und Schulen bei Fragen zum Immobilienerwerb durch Nazis, zu Naziaufmärschen oder zum Verteilen von Nazipropaganda auf Schulhöfen beraten sollen. Auch Bildungsarbeit wird die neue Stelle leisten. »Bausteine«, »Prävention«, »Zusammenarbeit von staatlichen Behörden, Kommunen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen stärken«, ganze Absätze aus der Selbstdarstellung erinnern an einen Förderantrag für eines der Programme für Demokratie, Toleranz, etc. Und tatsächlich entsprechen die Aufgaben der neuen Stelle ganz den klassischen Tätigkeitsbereichen von zivilgesellschaftlichen Initiativen oder deren professionalisierten Varianten – den Mobilen Beratungsteams und staatlich finanzierten Bildungsträgern. In Bayern werden diese Rolle in Zukunft ganz offiziell die staatlichen Sicherheitsbehörden übernehmen. Die neue Stelle ist nämlich direkt im Landesamt für Verfassungsschutz angesiedelt und auch das Bürgertelefon ist ausschließlich mit fünf Verfassungsschützern und zwei Polizisten besetzt.
Damit ist Bayern Vorreiter beim Versuch des VS, das »Etikett des Geheimdienstes gegen das des zivilgesellschaftlichen Akteurs zu tauschen«. Michael Weiss/Britta Kremers, Mit Seziermesser und Holzhammer. Wie Sicherheitsbehörden die Deutungshoheit über »Rechtsextremismus« erlangen wollen. In: Monitor Nr. 40, April 2009, 2. Doch die Tendenz ist eine bundesweite. Die Sicherheitsbehörden versuchen zunehmend, ihr Aufgabenfeld und ihren Expertenanspruch über die Sammlung und Auswertung von Informationen hinaus auch auf die politische Bildungsarbeit auszudehnen. In enger Zusammenarbeit mit Bundes- und Landeszentralen der politischen Bildung werden Jugendkongresse organisiert, Bildungsveranstaltungen an Schulen und für MultiplikatorInnen durchgeführt und Bücher zu »Rechtsextremismus« herausgegeben.
Bürgerinitiativen in Bayern, die seit Jahren auf sich zunehmend etablierende Nazistrukturen verweisen und die Vogel-Strauß-Politik von Kommunal- und Landespolitik beklagen, könnten sich also freuen, dass der VS ihnen künftig die Arbeit abnehmen will. Doch das tun maximal jene, die sich ihrer Position als staatliche BündnispartnerInnen und ZuwendungsempfängerInnen sicher sein können. In Bayern sind das insbesondere die »Projektstelle gegen Rechtsextremismus – Bündnis für Toleranz und Demokratie« und die »Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus (LKS)«. Beide Projekte sind zum größten Teil aus staatlichen Förderprogrammen hervorgegangen, zum Beispiel dem Bundesprogramm »kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus«, das zur Erhaltung der Mobilen Beratungsteams und der Beratungsangebote für Opfer von rassistisch oder anderweitig nazistisch motivierter Gewalt eingeführt wurde und zur Schaffung professioneller Beratungs- und Weiterbildungsangebote auch in den alten Bundesländern geführt hat. Wobei diese in ihrer Praxis vorwiegend auf die Kommunalverwaltungen und MultiplikatorInnen der Jugendarbeit ausgerichtet sind, Opferberatungen wurden in Bayern z.B. gar nicht eingerichtet.
Die Gefahren, die im Zusammenhang mit der Verstaatlichung klassischer zivilgesellschaftlicher Aufgaben im Kampf gegen Nazis drohen, liegen beim Verfassungsschutz auf der Hand: Dessen Interessen sind Informationsbeschaffung und Strafverfolgung. Aus der Verfassungsschutzperspektive gilt es Gruppen auszumachen, die etwa unter dem Deckmantel kommunal-, sozial- oder jugendpolitischen Engagements das Ziel verfolgen, die bundesrepublikanische Ordnung zu untergraben. Die Behörde wird deshalb von Ratsuchenden insbesondere von Betroffenen von Nazigewalt oder Diskriminierung nicht als unabhängige Beratungsinstanz und Interessenvertretung wahrgenommen werden. Darüber hinaus folgt ihre Problemanalyse der Extremismusformel, die das Thema »Rechtsextremismus« als Problem extremer gesellschaftlicher Ränder, von Jugendlichen und von Gewalt thematisiert und repressive, ordnungsrechtliche Lösungen präferiert. »Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen immun machen gegen die Gefahren jeglicher Art von Extremismus, insbesondere gegen rechtsextreme ›Rattenfänger‹. Unsere Devise lautet: Keine Chance den Extremisten.«, erläutert Innenminister Herrmann das Credo der Stelle. Die Formulierung des Ministers ist ein schönes Beispiel für die verkürzte Problemwahrnehmung, die mit der Extremismusformel einhergeht. »Unsere Kinder und Jugendlichen« verweist auf die sogenannte »Mitte der Gesellschaft«, die von den »Rattenfängern« von rechts und links bedroht respektive verführt wird. Über Einstellungen und politische Ziele wird nicht gesprochen, eine genauere Definition des politischen Normalitätsbereiches und der davon abweichenden Ränder bleibt die Extremismusformel schuldig – sonst ließe sich die Rede von »uns« und »den Extremisten« auch gar nicht mehr aufrecht erhalten. Rassismus, Antisemitismus, völkischer Nationalismus, autoritäre Ordnungsvorstellungen, heterosexistische Rollenzuweisungen, Sozialdarwinismus und andere Versatzstücke nationalsozialistischer Ideologie sind schließlich in weiten Teilen der Bevölkerung konsensfähig, unabhängig von z.B. Bildungsgrad, Parteipräferenz und auch Lebensalter.
Wenn Naziideologien zum Randgruppenphänomen erklärt werden, wird immer auch deren Verbindung zur deutschen Normalität geleugnet, die »demokratische Mitte« kann sich so ihrer moralischen Legitimität sicher sein. Wer diese Legitimation in Frage stellt und Kritik übt an z. B. institutionellem Rassismus in Gesetzen, Behörden oder Arbeitsmarktstrukturen oder an alltäglichem Chauvinismus oder Antisemitismus, läuft Gefahr, als »Linksextremist« konstruiert und damit selbst aus dem Bereich des politisch Normalen ausgeschlossen zu werden. Seit der neusten Erfindung des »diskursiven Linksextremismus« durch den Verfassungsschutz in NRW kann dieser Ausschluss nun wirklich so ziemlich jeden und jede treffen, der/die linke Gesellschaftskritik formuliert. Aus der formalen Gleichsetzung von linkem und rechtem Extremismus ergibt sich die politische Relevanz der Extremismusformel: Die Zuweisung des Labels »Extremist« dient staatlichen Institutionen und PolitikerInnen als Handlungsgrundlage, um die politischen und soziokulturellen Aktivitäten derer zu delegitimieren, die genauso das Leitbild einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft wie das einer deutschen Leitkultur, den Ruf nach hierarchischen Gesellschaftsstrukturen und nach dem autoritären Staat ablehnen. Vgl. Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (INEX): Gegen jeden Extremismusbegriff, http://inex.blogsport.de
Die fortschreitende Bündelung und Koordination des Kampfes gegen nazistische Einstellungsmuster in Innenministerien, Präventionsräten und Rathäusern führt auch jenseits solch offensichtlicher Schieflagen wie der Institutionalisierung beim VS dazu, dass staatliche Behörden die Deutungshoheit darüber erlangen, wer oder was das Problem ist. Sie definieren, mit welchen Mitteln dem am besten zu begegnen ist und wer in den Auseinandersetzungen mit dem Thema eine angemessene Problemanalyse hat und welche Strategie gegen die Naziszene akzeptiert wird. Und welche eben auch nicht.
Die Studie »Grenzen lokaler Demokratie« untersuchte 2007 am Beispiel zweier Kommunen in Bayern und Sachsen, wie sich die Professionalisierung antifaschistischen Engagements und die Interaktion von Behörden mit nicht-behördlichen Initiativen auf die Problemsicht und die Handlungsspielräume der Akteure beim Zurückdrängen der Naziszene auswirken. Doris Liebscher/Christian Schmidt, Grenzen lokaler Demokratie. Zivilgesellschaftliche Strukturen gegen Nazis im ländlichen Raum, hrsgg. durch BT-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Berlin 2007. Ausgangspunkt war damals die Feststellung, dass es trotz der seit 2001 im Zuge des »Aufstands der Anständigen« aufgelegten Bundesprogramme nicht gelungen sei, die Nazibewegung langfristig zu schwächen.
In beiden Fallstudien war die Extremismusformel als Erklärungsmuster dominant. In beiden Fällen wurden trotz teilweiser Übereinstimmung in inhaltlichen Fragen antifaschistische, selbstorganisierte Jugendliche und Erwachsene, aber auch MigrantInnen oder potenzielle und tatsächliche Betroffene von nazistischer Gewalt oder alltäglichen Diskriminierungen nicht in die Arbeit der Netzwerke einbezogen. Wer den Finger in die Wunde der Mehrheitsgesellschaft legt und Alltagsrassismen, Nationalismus oder staatliche Migrationspolitik kritisiert oder nach Selbstverwaltung ruft, ist schnell raus. Die Anerkennung wird solchen Initiativen sowohl in ideeller als auch in finanzieller Hinsicht verwehrt. Im Gegenteil, es droht die Stigmatisierung als »extremistisch«, was mindestens auf den Ausschluss vom öffentlichen Diskurs abzielt. Weder wird Alltagsdiskriminierung als Problem auf die politische Agenda gesetzt, noch wird das unabhängige antifaschistische Kulturzentrum finanziell unterstützt.
Das geht auch an der politischen Ausrichtung der durch »CIVITAS«, »Vielfalt tut gut« und wie sie alle heißen finanzierten zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen gegen Rechts nicht vorbei. Explizit kritische Opferberatungsstellen haben es schwerer als solche, die sich auf opferspezifische Einzelfallberatung konzentrieren und die Finger von heißen Themen wie staatlicher Flüchtlingspolitik lassen. Zu Anfang der CIVITAS-Förderperiode war es für kritische antifaschistische und antirassistische Projekte noch leichter, Mittel-Zusagen zu erhalten und sich zu professionalisieren. Doch spätestens mit der nächsten Förderrunde droht der politische Check. Im Jahr 2004 traf es z.B. die Anlaufstelle für Betroffene von rechtsextremen und rassistischen Angriffen (ABAD) in Thüringen. Die ABAD thematisierte zwar nicht ständig rechte Übergriffe in der Öffentlichkeit, veröffentlichte aber u.a. ein Plakat, auf dem die Asylpolitik des Landes Thüringen angeprangert wurde. Dafür wurde die Initiative sowohl von der thüringischen Landesregierung als auch von CIVITAS kritisiert. Weil sich das Projekt »nicht am Gemeinwohl orientiere«, verweigerte die Landesregierung die Zustimmung zur Weiterförderung, seit 2004 eine Voraussetzung der Förderrichtlinien.
Der Ausschluss vom Fördertopf und vom runden Tisch erfolgt aber nicht nur aufgrund inhaltlichen Dissens, er trifft immer auch im eigentlichen Sinne zivilgesellschaftlich formierte Initiativen, also Gruppierungen wie lokale Antifagruppen, den VVN-BdA oder eine Initiative rassistisch diskriminierter Menschen und ihrer Angehöriger, die allesamt nicht über staatlich finanzierte Stellen und Aufgabenzuweisungen verfügen.
Hier offenbart sich ein weiteres Problem. Die Bundesprogramme haben ein professionelles Angebot an Beratung und Hilfen geschaffen. Das ist in Bezug auf bestimmte Tätigkeitsprofile wie psychologisch und juristisch qualifizierte Opferberatung sicherlich sinnvoll. Das Verhältnis von professionellen Angeboten und bürgerschaftlichem Engagement ist jedoch problematisch. Die oft geäußerte Befürchtung, eine stärkere Professionalisierung könne den Rückgang der ehrenamtlichen Aktivität zur Folge haben, bestätigte sich in den Fallstudien nicht. Es fällt aber auf, dass sich ehrenamtliche Tätigkeiten im klassisch zivilgesellschaftlichen Sinne stark an den professionellen Zielsetzungen und Methoden orientieren.
Wer heute erfolgreich Mittel aus den Bundes-, Landesprogrammen oder lokalen Aktionsplänen akquirieren will, muss sich an professionalisierten Strukturen messen lassen und das Antragsbusiness beherrschen. Anträge schreiben und Projekte verwalten kostet Ressourcen, und die Antragssprache und vorgegebenen Zielsetzungen schleichen sich in die Alltagssprache und Prioritätensetzungen von Initiativen ein. Die allgegenwärtige Rede von »Rechtsextremismus« ist das beste Beispiel, wie mittels der Bundesprogramme die Extremismusformel in die Zivilgesellschaft gesickert ist. Und auch wenn die meisten zivilgesellschaftlichen Träger die Extremismusformel ablehnen, so arbeiten sie doch in den gesellschaftlichen Bündnissen gegen Extremismus, ohne diese Bezeichnung und die damit verbundenen politischen Folgen zu skandalisieren.
Außerdem werden die professionellen Angebote, die – wenn auch vermittelt über freie Träger – staatlich finanziert und zumindest teilweise an ministerielle Richtlinien gebunden sind, zunehmend als echte zivilgesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen wahrgenommen. Das Bild der Zivilgesellschaft bestimmen nicht länger die Initiativen, sondern die professionellen Angebote als Quasi-NGOs. Diese werden zur Stimme der Initiativen in den Gremien der Kommunalverwaltung oder bei der Verhandlung mit Behörden – und zu deren Filter. Die professionelle Perspektive erweist sich dabei als Prokrustesbett für die zivilgesellschaftlichen Initiativen im eigentlichen Sinne, die im kommunalen Gefüge auf die Unterstützung der professionellen Angebote verwiesen werden und nicht als eigenständige Akteure gehört werden.
Dass die professionellen Angebote ihrer Unterstützungsfunktion dabei nicht zwangsläufig nachkommen, zeigt der Fall a.i.d.a. Die »Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München« wurde im April offiziell aus dem bayrischen »Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus« (LKS) ausgeschlossen. Der bayerische Jugendring, Träger des LKS, nannte als Grund, er sei gezwungen, eine vom bayerischen Kultusministerium auf Betreiben des Innenministeriums erlassene Weisung zu befolgen. Zuvor war, a.i.d.a. vom Verfassungsschutz begründungslos als »linksextremistische Organisation« gelistet worden. http://www.aida-archiv.de/index.php?option=com_content&view=article&id=102%3Adiffamierungskampagne-des-bayr-innenministeriums-gegen-aida&catid=50%3Aaida-e-v&Itemid=1154. A.i.d.a. war von Beginn an Mitglied des Beratungsnetzwerkes und versorgte die MitarbeiterInnen der »Mobilen Interventionsteams« (MIT) der LKS mit Hintergrundinformationen über rechte Aktivitäten in den Landkreisen und Kommunen. Ein solches Vorgehen wirft die Frage auf, inwieweit ein sinnvolles Engagement gegen Nazis möglich ist, solange die LKS in Abhängigkeit von den bayerischen Ministerien steht. Die bayerische Staatsregierung versucht ganz offensichtlich, zivilgesellschaftliche Netzwerke von unabhängigen, nicht weisungsgebundenen Initiativen zu säubern. Mit Erfolg: Bereits zu Beginn der Arbeit der LKS war die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) als »linksextremistische Vereinigung« ausgeschlossen worden. Die LKS ist ein Beispiel dafür, dass als zivilgesellschaftlich wahrgenommene Strukturen die ihnen zugeschriebene Unabhängigkeit und Kontrollfunktion staatlichen Handelns gerade nicht ausfüllen.
Doch dafür bedarf es gar nicht immer der Weisungsgebundenheit oder finanzieller Abhängigkeit, wie die Studie »Grenzen lokaler Demokratie« zeigt. In der konkreten Zusammenarbeit mit Behörden entstehen vielmehr rasch informelle gegenseitige Verpflichtungen und Bindungen; der Wunsch der Behörden, die Auseinandersetzungen um eine angemessene Strategie gegen die Naziszene aus der Öffentlichkeit zu holen und nur noch in einem als intern markierten Rahmen zu entwickeln, wird von den stark in die Verwaltung integrierten Initiativen übernommen. Wer steht schon gern als Nestbeschmutzer da? Professionalisierung und Integration führen dazu, dass Initiativen nicht mehr über die nötige Distanz verfügen, um gegenüber den Kommunalverwaltungen als Zivilgesellschaft im engeren Sinn zu agieren. Sie sind Teil eines institutionellen Gefüges geworden, innerhalb dessen sie auch nicht die Durchsetzungsmacht besitzen, um ein effektives Vorgehen gegen Nazis und ihre Aktivitäten zu erzwingen.
Ein ganz anderes Konfliktfeld vermutet das »Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin« (apabiz) hinter der Kriminalisierung von Initiativen wie a.i.d.a., die es zur Anerkennung durch Aufnahme in offizielle Beratungsnetzwerke geschafft haben. Die Sicherheitsbehörden insbesondere der VS würden professionelle antifaschistische Recherchearbeit als lästige Konkurrenz empfinden. Über die Diffamierung und Stigmatisierung antifaschistischer Projekte als »extremistisch« solle deren Einfluss auf die Meinungsbildung zurückgedrängt werden.Weiss/Kremers, Mit Seziermesser und Holzhammer, 1. Diese Einschätzung verweist aber auch auf die Chance staatlicher Anerkennung antifaschistischer Projekte durch deren Einflussnahme auf staatliche Akteure. Apabiz ist zum Beispiel Teil des »Berliner Beratungsnetzwerks für Demokratieentwicklung gegen Rechtsextremismus«, dem Pendant zur bayrischen LKS. Dieses Netzwerk ist bei der Beauftragten für Integration und Migration angesiedelt und bezieht AkteurInnen in das Bündnis ein, die Elemente nazistischer Ideologie wie Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie offensiv und als gesellschaftliches Problem sehen. Eine klare inhaltliche Positionierung und Kritik kann die Ausrichtung eines Netzwerkes und behördliches Handeln durchaus auch positiv beeinflussen, solange die Landesregierung aufgeschlossen ist.
Eine Voraussetzung für eine kritische Einflussnahme bleibt die größtmögliche finanzielle und informelle Unabhängigkeit und die konsequente Thematisierung nazistischer Ideologeme und deren struktureller Verankerung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Letzteres ist ohne die Zurückweisung der Extremismusformel nicht zu haben. Bereits mit der Verwendung des Begriffs »Rechtsextremismus« in den Bundesprogrammen, durch Bürgerbündnisse, aber auch durch antifaschistische Zeitschriften und Initiativen geht deren Reproduktion einher. Dem Verfassungsschutz und den Bundesprogrammen ist es mit zu verdanken, dass der Begriff und das damit verbundene Konzept heute in aller Munde sind. Deshalb bleiben auch die zum Teil erfolgreichen Versuche, auf dem Rechtsweg die Rücknahme der Bezeichnung »linksextremistisch« oder »verfassungsfeindlich« zu erwirken, in ihrer Innen- und Außenwirkung ambivalent. Wenn diese vor allem mit dem Impetus geschehen, selbst nicht in die Ecke mit den ExtremistInnen gestellt werden zu wollen, schreiben sie die Logik der Verfassungsschutzberichte nur selbst fort.
Dass sich unabhängige antifaschistische Initiativen nicht entspannt zurücklehnen und den Staat gemeinsam mit staatlich finanzierten professionellen Trägern die Antinaziarbeit machen lassen können, hat also mehrere Gründe.
Staatliche und Quasistaatliche richten den Blick gar nicht oder zu wenig auf die alltagskulturellen Ausprägungen der Elemente der Naziideologie. Um die Defizite staatlicher Problemanalyse und behördlichen Vorgehens gegen Nazis zu benennen, bedarf es eines unabhängigen externen Standpunktes, der den Dissens und die Skandalisierung nicht scheut und scheuen muss. Und schließlich eröffnen sich nichtstaatlichen unabhängigen Initiativen ganz andere Möglichkeiten gegen gesetzlich nicht sanktioniertes Verhalten von Nazis vorzugehen. Bürgermeister, Stadtverwaltung und Behörden sind als staatliche Behörden auf bestimmte Aktionsformen beschränkt. Was als staatliches Handeln eine inakzeptable Überschreitung der Grenzen wäre, die Behörden gesetzlich auferlegt sind, kann als zivilgesellschaftliches Vorgehen (Demonstrationen, Boykott, Sitzblockaden) sinnvoll und wirkungsvoll sein.
Gegen die Professionalisierung von Opferberatung, Bildungsarbeit und Empowerment-Angeboten, die es einigen radikal links denkenden Menschen erlaubt, ihren Lebensunterhalt heute aus dem zu bestreiten, was früher ausschließlich durch ihr politisches Handeln bestimmt war, ist nichts einzuwenden. Klar sollte dabei allen Beteiligten freilich sein: Unabhängige antifaschistische (und antirassistische, feministische und queere) Kritik und Praktiken ersetzt dies nicht. Das zeigt schließlich auch die schnöde Empirie. Der kleine sächsische Ort Reinhardtsdorf-Schöna, seit 2004 für überdurchschnittliche NPD-Wahlergebnisse bekannt, verdankte seiner traurigen Berühmtheit und den staatlichen Programmen gegen »Rechtsextremismus« von 2005 bis 2007 ein professionell geleitetes Modellprojekt zur Demokratieförderung. Doch auch bei der Kreistagswahl 2008 erzielte die NPD einen massiven Stimmenzuwachs: Mit 25,2 Prozent ging jede vierte Stimme aus der Gemeinde in der Sächsischen Schweiz an die Nazis.
~Von Doris Liebscher. Die Autorin arbeitet im Antidiskriminierungsbüro Sachsen in Leipzig und ist Mitautorin der Studie Grenzen lokaler Demokratie – Zivilgesellschaftliche Strukturen gegen Nazis im ländlichen Raum.