School's out
Den Kapitalismus abschaffen wollen zwar nur die Wenigsten, aber dumm bleiben und sich nur für die Marktkonkurrenz herrichten lassen, wollen sie nicht, die jungen Leute von heute. Am Bildungsstreik vom 15. bis zum 19. Juni beteiligten sich erstaunlich viele SchülerInnen und nicht ganz so viele Studierende. Zu den bundesweiten Demonstrationen am 17. Juni kamen insgesamt rund 265.000 Personen. Auch in anderen europäischen Ländern gab es über Wochen und Monate Proteste. Kritisiert wurde die neoliberale Reorganisation der institutionellen Bildungsprozesse vom Kindergarten bis zu den Hochschulen und selbst einige ProfessorInnen zeigten sich angesichts der mit dem Bologna-Prozess einhergehenden Änderungen und Zumutungen im Hochschulwesen solidarisch mit den Protestierenden. Die Medien berichteten meist wohlwollend über das jugendliche Engagement, solange es nicht zu radikale Formen annahm, die meisten PolitikerInnen hielten jedoch an ihren Entscheidungen für einen »europäischen Bildungsraum« fest. Auch wenn die meisten Streikenden wohl noch keinen genauen Begriff vom Kapitalismus haben und erstmal nur »mehr Geld für Bildung« oder ähnliches fordern, statt die Abschaffung des ganzen Systems und des geldgebenden Staats, zeigt die hohe Beteiligung, dass doch ein nicht zu unterschätzendes Maß an Unmut existiert. Damit dieser nicht in Regression umschlägt, wären schlaue linksradikale Interventionen nötig, die zudem das gesamte Gesellschaftssystem und nicht nur den Bildungsbereich im Blick haben. Dies fand hier und da bereits statt, stieß manchmal aber auch auf Ablehnung. Vielleicht wirkt Antikapitalismus nicht immer spaßig genug oder es wird zu sehr ein Avantgarde-Konzept dahinter vermutet. Trotzdem wäre es dumm, die Proteste zu ignorieren oder bereits aufzugeben, denn die Kids und Studis befinden sich ja noch im Lernprozess und so eine linksradikale Ideenkarriere braucht eben auch seine Zeit und Umwege und vor allem Impulse.
Es war einmal
Weißt du noch, damals, im Kapitalismus?« »Ja, das war schlimm mit der Entfremdung und dem ganzen Verwertungsscheiß. Zum Glück ist der inzwischen Geschichte.« So sieht die Kommunikation der Zukunft aus, falls sich das Motto des diesjährigen Kongresses von Die Linke.SDS bewahrheitet. Vom 2. bis 4. Oktober 2009 diskutieren beim Kongress »Make Capitalism History« allerlei Prominenz – wie Elmar Altvater, Mike Davis, Alex Demirovic, Katja Kipping, Michael Heinrich – und sonstige Interessierte in über 100 Workshops zu Kapitalismus, Bildung, Kultur und Marx. Auch hier wird es u.a. um den Bildungsstreik gehen. Mal sehen, wie viel Platz die »Alternativen für demokratisches Wirtschaften« einnehmen werden und wann endlich ein Datum für die Revolution festgelegt wird. Programm unter:
www1.linke-sds.org/linke-fu/spip.php
Burn Out
Die Grillsaison ist vorbei. Anfang Juli berichtete die Zeitschrift radikal von der Auflösung der »militanten gruppe« (mg). Das letzte Mal hatte sich die Gruppe im Sommer 2007 gemeldet. In einem Statement übernahm sie die Verantwortung für ca. vierzig Brandanschläge gegen öffentliche Einrichtungen und private Firmen. Als Grund für ihre Auflösung nannte die mg, dass das Projekt in »eine erweiterte strukturelle Form« überführt werde, um es so »perspektivisch auf eine höhere Stufe zu stellen«, auch werde die Öffnung zu anderen linksradikalen Gruppen angestrebt.
Was auch immer das heißen mag. Für die drei im mg-Verfahren Beschuldigten ist leider noch nichts gelöst und die Strafverfolgung geht munter weiter, mit all ihren Ermittlungslücken, Verfahrensfehlern und Peinlichkeiten. Das mg-Schreiben bekräftigt, dass die Beschuldigten wohl nichts mit der Sache zu tun haben, zumal einige Brandanschläge während ihrer Inhaftierung geschahen. Ob das die BAW beeindruckt ist fraglich. Die Nützlichkeit von Brandanschlägen für revolutionäre Forderungen mag bezweifelt werden, dass der deutsche Überwachungsstaat und seine Strafverfolgungsbehörden mehr als einen Knall haben, steht aber fest.
Tempelhof für alle Bourgeoises
Seit der Flughafen Berlin-Tempelhof zum Jahreswechsel geschlossen wurde, steht in einem der am dichtest besiedelten Gebiete Deutschlands, im Grenzgebiet der Bezirke Neukölln, Kreuzberg und Tempelhof, endlich eine große Freifläche für humane Nutzungen zur Verfügung. Es gäbe neue Grillplätze, die Belastung der Bezirke mit Hundescheiße könnte reduziert werden, Platz zum Spielen und Atmen für Kinder und Erwachsene, etc. Auch wenn sich in der Krise keine kapitalkräftigen Investoren finden, wird das Gebiet aufgrund des Interesses der herrschenden Klassen im nächsten Jahrzehnt jedoch eher leer stehen, als dem Pöbel zugänglich gemacht zu werden. So patrouillieren seit der Flughafenschließung Tag und Nacht Einsatzkommandos der Polizei auf dem Gelände.
Am 20. Juni protestierten Tausende als krönenden Abschluss der Berliner »Actiondays« unter dem Motto »Squat Tempelhof« gegen diese Zustände und die Gentrifizierung Neuköllns. Gerade in Neukölln haben sich relevante Teile der Bevölkerung an den Protesten beteiligt. Ein Großaufgebot der Polizei verteidigte den Flughafenzaun dagegen mit Pfefferspray, Verhaftungen und begrenzten Knüppeleinsätzen. Ein Zivilbulle zog sogar seine Knarre.
Tempelhof für die Nutzung durch die Bevölkerung zu öffnen, ist nicht gelungen, aber die mediale Aufmerksamkeit war so groß, dass Bürgermeister Wowereit sich eine neue Lüge einfallen lassen musste, warum er Tempelhof den Anwohnenden vorenthält. Das Gelände sei noch nicht zu hundert Prozent im Besitz Berlins, also könne Berlin es nicht gegen den Willen des Bundes, der bis Herbst Miteigentümer ist, einer neuen Nutzung zuführen. Dafür konnte er das Gelände für die Modemesse »Bread & Butter« schon vor Monaten klar machen, für die nächsten zehn Jahre, mit Option auf weitere zehn Jahre. Über die Pachthöhe ist Stillschweigen vereinbart, Gerüchte sprechen von 1,6 Mio. € im Jahr, also ein Bruchteil der Instandhaltungs- und Bewachungskosten des Geländes, die jährlich dutzende Millionen verschlingt.
Wowereits Klientelismus für die Modebourgeoisie erboste selbst Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reiher. Ihr schwebten eher Öko-Häuschen für die obere Mittelschicht, die fünfhundertste Real- und Teppich Kibeck-Filiale und eine Bundesgartenschau auf dem Gelände vor. Damit der dafür anzulegende Park bloß nicht von der Bevölkerung genutzt wird, soll er mit einem hohen Zaun umgeben und mindestens nachts zugeschlossen werden. Jung-Reiher könnte auch für die »Pyromusikale« verantwortlich sein, ein Feuerwerksspektakel Anfang Juli, dass die AnwohnerInnen dazu zwang, bei sommerlichen Temperaturen mit geschlossenen Fenstern zu schlafen, um nicht am Feuerwerksrauch zu ersticken.
Es bleibt abzuwarten, ob es im SPD-internen Machtkampf zwischen dem Mode-Racket um Wowereit und dem Immobilienkapital-Racket um Junge-Reiher gelingen kann, Verbesserungen der Lebensqualität in Neukölln, Kreuzberg und Tempelhof zu erkämpfen und ein bisschen vom Flughafengelände für die Nutzung durch die Bevölkerung abzuzweigen. Trotz aller hohlen Phrasen werden sich die herrschenden Klassen dieses Filetstück für Immobilienfonds im Herzen Berlins nicht kampflos vom Silberteller nehmen lassen.
Hoch die Solidarität?
Für den 12.August hatten Antifa-Gruppen aus Frankfurt a.M., Köln, Hannover und Göttingen zu einem bundesweiten Antifa-Aktionstag aufgerufen, mit dem Ziel, die Opposition im Iran zu unterstützen und gegen Siemens-Nokia, Mercedes-Benz und Dräger, also die »Kollaborateure des iranischen Regimes« in Deutschland zu protestieren. Vor allem die Frankfurter Autonome Antifa [f] versucht damit, das Nichtverhalten der überwiegenden Zahl linker Gruppen in der BRD aufzubrechen, das die Gruppe in ihrem Positionspapier »Antifa ohne Worte« als ein Überbleibsel des Kalten Krieges und »antiimperialistische Blockade« analysiert. In der Tat hatte es während der Proteste im Iran kaum Reaktionen linker Gruppen gegeben. In Dresden demonstrierten am 4. Juli 90 Menschen, mobilisiert von der örtlichen Antifa und der Socialist Party of Iran. Bei der Großdemonstration am 21. Juni in Berlin, an der ca. 3.000 Menschen teilnahmen, beteiligten sich linke Gruppen jedoch überhaupt nicht. Erst für den 9. Juli konnte sich die Antifaschistische Linke Berlin zu einem allerdings weitgehend folgenlosen Unterstützungsaufruf für eine Kundgebung säkularer IranerInnen durchringen. Zuvor hatte sie jedoch in einer gemeinsam mit der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin organisierten Veranstaltung Rüdiger Göbel (stellvertretender Chefredakteur von junge Welt) die Möglichkeit gegeben, seine anti-imperialistischen Thesen von der westlichen Verschwörung gegen den Iran vorzutragen.
Nicht erst die Kundgebung »Nein zur Islamischen Republik, Ja zur Freiheit!« am 9. Juli zeigte dann die Grenzen der Iransolidarität in der BRD. Waren bei den Kundgebungen und Demonstrationen zuvor Slogans und Forderungen unerwünscht, die das Protestspektrum spalten könnten, weil sie über den Wahlbetrug hinaus die Islamische Republik insgesamt oder gar Mussawi angriffen, war auf der Kundgebung ein Transparent mit der Aufschrift »Stoppt die iranische Bombe – Solidarität mit Israel!« jenseits des Erlaubten. Die Polizei schritt ein. Die Kampagne »Stop the bomb« verurteilte diesen Akt der Zensur und erklärte: »Auch der Kampf gegen eine Atombombe in den Händen des iranischen Regimes muss Teil der Oppositionsbewegung sein. Denn die Bombe bedroht sowohl Israel als auch die Menschen im Iran, weil sie das Regime festigen und den Terror nach innen verschärfen würde.« Das ist aber offensichtlich alles andere als Konsens.
Still not lovin' Germany
2009 ist ein Jahr deutscher Jubiläen. Im Zentrum der Feierlichkeiten stehen der sechzigste Jahrestag der BRD-Gründung sowie die sich nun zum zwanzigsten Mal jährende »Friedliche Revolution«. Für den Leipziger Arbeitskreis 2009 gibt es dabei nichts zu feiern. Durch die Beschwörung eines demokratischen und antidiktatorischen Aufstands im Jahr 1989 wird ein Mythos geschaffen, der dem nationalen Kollektiv einen positiven Bezug auf Deutschland ermöglichen soll. Das Zelebrieren einer quasi zweiten – aber diesmal durchweg positiv besetzten – Geburt der BRD geht mit der rhetorischen Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus einher. Die Deutschen werden dadurch nicht nur zu bloßen Opfern »zweier Diktaturen« stilisiert, vielmehr gelingt es ihnen, sich von der Verantwortung für die Verbrechen des NS weiter zu lösen. So wird im Jubiläumsjahr 2009 die Erzählung von einem geläuterten Deutschland, das die Lehren aus der Geschichte gezogen habe und nun als eine bessere Nation mit unbeschwertem Selbstbewusstsein auftreten kann, aufs Neue bekräftigt. In der vollzogenen Geschichtsklitterung gibt es keinen Platz für widersprüchliche oder gar negative Aspekte, die dem konstruierten Selbstbild entgegenstehen. Im Rahmen der Wendefeierlichkeiten bleiben steigende Zahlen von Naziübergriffen und -aktivitäten sowie Alltagsrassismus und andere Diskriminierungen nur eine Randnotiz. Ebenfalls kein Wort wird aus Sicht des Leipziger Bündnisses über den kapitalistischen Alltag und seine inhumane Verwertungslogik verloren. Unter dem Motto »Still Not Lovin' Germany« wird für eine bundesweite Demonstration am 10. Oktober in Leipzig mobilisiert. Mehr Informationen unter:
~Von Phase 2 Berlin.