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Almost Magic

Das Geld und sein Schein

Herbst 2018

Editorial

Bestimmt habt ihr euch schon häufiger gefragt, wer eigentlich für die Zeichnungen auf der Rückseite der Phase zuständig ist. Seit etwa 15 Jahren drucken wir als kleine Punkreminiszenz einen Comic ab, der mehr oder weniger zum Thema des Schwerpunktes passt. Von Anfang an stammt dieser Comic von Ray Schneider, der nur für Freundinnen und Bekannte zeichnet und für die Phase. An dieser Stelle wollen wir uns dafür mal ausdrücklich bedanken. Ray wohnt schon länger nicht mehr in unserer Nähe, kennt nur noch eine Person aus der Redaktion und bleibt uns dennoch treu. Nicht mal als ein Redakteur – nach dem Druck – Probleme mit dem Comic hatte und wir (hoch leben Kompromiss und Konsens!) ihn überklebten, hat Ray uns die Freundschaft gekündigt. Weiter

Inhalt

Top Story

Phase 2 Leipzig

Almost Magic

Einleitung zum Schwerpunkt

Zu seinem 200. Geburtstag gibt die Stadt Trier einen Null-Euro-Schein mit Marx’ Konterfei heraus. Das kann als provinzielles Stadtmarketing abgetan werden, aber es eignet sich auch als Beispiel über falsche Vorstellungen von der Funktion des Geldes und noch falschere Vorstellungen von Marx’ Gesellschaftstheorie. Der Schwerpunkt dieser Phase klärt über beides auf; im Zentrum steht die Frage, nach der Bedeutung von Geld – gesellschaftlich und auch individuell. Denn Geld kann zur Analyse des kapitalistischen Systems herangezogen werden, an ihm formieren sich Widersprüche der Gesellschaft. So sind im Geld einerseits alle gleich, da es Unterschiede wie Hautfarbe oder Geschlecht zumindest theoretisch einebnet. Andererseits zementiert Geld soziale Ungleichheiten. Weiter…

Doreen Mölders / Susanne Hahn

Vom Stein zum Schein

Über die Entstehung des Geldes als Tauschmittel

Als das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz 2016/17 die Ausstellung Geld. Archäologie einer Idee zeigte, wurden die BesucherInnen mit einer Installation empfangen, die einen hunderte Kilogramm schweren Rai zeigte, der sich scheinbar schwerelos im Raum drehte. In ihrem kulturellen Kontext auf der Südseeinsel Yap lehnten die bis zu vier Meter im Durchmesser großen und mehrere Tonnen schweren Rai an Häusern und Bäumen. Bis in das 19. Jahrhundert hinein waren sie in eine Praxis eingebunden, die die soziale Organisation der Bevölkerung über Prestige regelte. Heute dienen sie vor allem als kulturanthropologisches Beispiel zur Bestimmung vormodernen Geldes – so auch in der Ausstellung –, in denen ihnen die objektiven Funktionen von Geld als Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Wertmesser zugeschrieben werden. Weiter…

Frank Engster

Das Geldrätsel

Zum Zusammenhang von Geld, Maß, Quantifizierung und Zeit oder: Wie Das Kapital lesen?

Wer sich für die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft und die Idee des Kommunismus interessiert, muss sich für die Technik der kapitalistischen Vergesellschaftung interessieren. Diese Technik hat einen eigentümlichen Status, denn sie ist uns durch das Geld – genauer, durch seine Geltung, seine Funktionen und Kreisläufe – ebenso gegeben wie unverfügbar gehalten. Gleichwohl wurden die Kritik des Kapitalismus wie die Idee des Kommunismus nicht an der Technik des Geldes und ihrem eigentümlichen Status festgemacht. Überall wurden der Universalismus und die produktive Kraft der Gesellschaft gesucht, um sie vom Kapitalismus zu befreien und für eine andere, kommunistische Gesellschaft zu nutzen: in der Arbeit und der Arbeiterklasse, in der Naturwissenschaft und der Entwicklung des Wissens, in Sprache, Kommunikation und Commons, in einer radikalen Demokratie und in allen möglichen Formen des Politischen – nur nicht im Geld. Und wo das Geld in den Blick genommen wurde, gab es Rätsel auf. Weiter…

Hannes Giessler Furlan

Sterntaler

Wie das Geld sozialistisch wurde

Solange es noch existiert, hat der Kommunismus nicht gewonnen. Das war anfangs die bolschewistische Auffassung vom Geld. Es galt als Zeichen unvollendeter Nationalisierung der Produktionsmittel. Es »wird wahrscheinlich endgültig erst mit der Kleinwirtschaft selbst absterben.«Nikolai Bucharin/Ewgenij Preobraschenski, Das ABC des Kommunismus [1919], Hamburg 1921, 342. Dann aber blieb es im Realsozialismus existent, obwohl es kaum noch Privateigentum an Produktionsmitteln gab, und verlangte nach Rechtfertigung, etwa solcherart: »Die Dialektik der Entwicklung des Geldes in der Epoche des entfalteten Aufbaus des Kommunismus besteht darin, daß durch die allseitige Festigung der Geldzirkulation in der sozialistischen Gesellschaft und durch die Erhöhung der Bedeutung des Geldes in der Volkswirtschaft sein Verschwinden in dem Stadium vorbereitet wird, in dem die sozialistische Gesellschaft ihre Produktivkraft und gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse auf einen Stand gebracht haben wird, der den Eintritt in die zweite, die höchste Phase des Kommunismus sicherstellt.«Jakov Kronrod, Das Geld in der sozialistischen Gesellschaft [1960], Berlin 1963, 391, Schreibung im Original. Kurz gesagt: Bevor es abstirbt, blüht das Geld noch mal auf. Während Jakov Kronrod als Marxist alter Schule Mühe hatte, eine plausible Rechtfertigung des Geldes zu formulieren, nahmen pragmatische Positionen die Existenz des Geldes weniger schwer. Ihnen zufolge hat sich das Geld »grundlegend gewandelt«Zakharii Atlas, Zur Theorie des Sowjetgeldes, in: Sowjetwissenschaft. Gesellschaftswissenschaftliche Abteilung, Jahrgang 1953 (Heft 5/6), 664-683, 665. – und zwar vom Bock zum Gärtner. Sozialistisches Geld sei gutartiges Geld. Während kapitalistisches Geld die Produktion hinter den Rücken der ProduzentInnen und KonsumentInnen vermittle, werde das Sowjetgeld »bewußt und planmäßig« angewandt. Weiter…

Ilse Bindseil

Wenn ich einmal reich wär

Über die so ganz andere Unmöglichkeit eines harmlosen Traums

Es geht im Folgenden um Reichtum. Aber um Reichtum nicht als ökonomische oder soziologische Größe, wie sie von der Statistik gestützt, ja mit produziert wird. Es geht nicht um eine Kritik der Tatsachen, sondern um eine Kritik der Vorstellung. Deren Inhalte sind im Wesentlichen unbewusst, so dass sie durch das Raster des Objektbezugs hindurchfallen. Prompt scheinen sie einer Überprüfung nicht bedürftig, nicht zugänglich; denn »irgendwas muss man sich doch vorstellen«. Den Anstoß zu dieser Kritik gibt die Vermutung, dass die gängige Vorstellung vom Reichtum, gerade indem sie mehr als eine Auskunft über Zahlen enthält, höchst vage, womöglich in sich kontradiktorisch ist. Deren Klärung zielt dabei weniger auf einen richtigen Begriff vom Reichtum als auf eine Art Achtsamkeitstraining für den Verstand, damit er nicht in Milchmädchenrechnungen verfällt. Der Verstand ist für Abstraktes nicht nur zuständig, sondern auch dafür verantwortlich, dass man es als solches erkennt und nicht im fatalen, aber die Phantasie anregenden Quidproquo Konkretes für abstrakt und Abstraktes für konkret hält. Immerhin gehört nicht nur das Gefühl, sondern auch das Abstraktionsvermögen zu unserer Ausstattung, und etwas Abstraktes abstrakt auffassen heißt nicht zwangsläufig: sich entfremden. Weiter…

JustIn Monday

Zirkulation und Zentralbank

Plädoyer für eine wertformkritische Bestimmung der Geldpolitik

Seit den fünfziger Jahren muss, wer bestimmen will was Geld ist und was seine Existenz mit dem Wesen des Kapitalismus zu tun hat, etwas zu derjenigen Praxis sagen, die Zentralbanken unter dem Namen »Geldpolitik« betreiben. Geldpolitik ist zunächst der Versuch, gezielt Einfluss auf die Geldmenge zu nehmen, die in einem Währungsraum im Umlauf ist. Die Bezeichnung drückt also aus, dass nicht nur mit einfach vorhandenem Geld hantiert wird, sondern die Bedingungen, unter denen Geld entsteht, bewusster Kontrolle unterliegen sollen. Zu Marx’ Zeiten hat es das schlicht noch nicht gegeben, weshalb dazu auch nichts in seinen Schriften steht. Gleichzeitig verändert die Geldpolitik den Zusammenhang von Ware und Geld so tiefgreifend, dass dessen Darstellung zumindest ergänzt werden muss. Weiter…

Oliver Leistert

Das Internet der Werte

Bitcoin und Blockchains als Boten einer verwalteten Welt 2.0

Als Satoshi Nakamoto im Januar 2009 die erste Version der Bitcoin-Software in Betrieb nahm und den ersten Block der ersten Blockchain, den »Genesis-Block«, in die Welt setzte, gab er einen kleinen Hinweis mit auf die Reise, denn in diesem Block steht ein Kommentar: »The Times 03/Jan/2009 Chancellor on brink of second bailout for banks.« Somit schrieb sich die erste staatenlose, digitale Währung nicht nur verrechenbar in die Welt ein, sondern zugleich semantisch. Nakamoto stellte die Erfindung »Bitcoin« eindeutig politisch und historisch in den Kontext der sogenannten Finanzkrise. Mit Bitcoin gesellte sich der libertären Rechten, die den Staat als systematischen Feind der Freiheit des Einzelnen ansieht, eine Währungstechnik hinzu, in die diese ideologische Vorannahme bereits eingebaut ist. Sie schickte sich an, den Hass auf den Staat und insbesondere auf Zentralbanken endlich produktiv in eine Entkopplung von Geld und Staat münden zu lassen. Denn in der Frühzeit von Bitcoin, bevor südkoreanische RentnerInnen und spätpubertäre Nerds massenhaft ihre kleinen Vermögen in der Spekulation mit Bitcoins verloren, also bevor Bitcoin überhaupt gesellschaftliche Relevanz hatte, bot diese Software in weiten Teilen tatsächlich Aspekte einer gegen den Staat gerichteten und von Zentralbanken unabhängigen Tauschwährung. Weiter…

Heinrich Klose

Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.

Zur Kritik der sogenannten Krypto-Ökonomie

Bitcoin, so tönt es von Konferenzen und aus den sozialen Netzwerken, ist in der Lage ganze Länder zu revolutionieren und Regierungen zu stürzen. Doch auch wenn die Technologie durchaus Potentiale für progressive Ansätze bereithält,Dieser Beitrag versucht eine erste Bestandsaufnahme und Kritik in der Krypto-Szene verbreiteter Ideologeme, daher kann die Auseinandersetzung mit möglicherweise progressiven Ansätzen hier nur mit folgenden Hinweisen angeregt werden: Interessant sind insbesondere Projekte, die versuchen, den Ansatz der Dezentralisierung auf die Willensbildung in großen Organisationen anzuwenden. Dabei werden je nach Zielsetzung neue Formen der BürgerInnenbeteiligung oder sogenannte dezentrale autonome Organisationen (DAO), eine Art digitaler Genossenschaften, angestrebt. Weiter…