Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.

Zur Kritik der sogenannten Krypto-Ökonomie

Bitcoin, so tönt es von Konferenzen und aus den sozialen Netzwerken, ist in der Lage ganze Länder zu revolutionieren und Regierungen zu stürzen. Doch auch wenn die Technologie durchaus Potentiale für progressive Ansätze bereithält,Dieser Beitrag versucht eine erste Bestandsaufnahme und Kritik in der Krypto-Szene verbreiteter Ideologeme, daher kann die Auseinandersetzung mit möglicherweise progressiven Ansätzen hier nur mit folgenden Hinweisen angeregt werden: Interessant sind insbesondere Projekte, die versuchen, den Ansatz der Dezentralisierung auf die Willensbildung in großen Organisationen anzuwenden. Dabei werden je nach Zielsetzung neue Formen der BürgerInnenbeteiligung oder sogenannte dezentrale autonome Organisationen (DAO), eine Art digitaler Genossenschaften, angestrebt.

Zu nennen sind hier neben vielen weiteren democracy.earth, DAOStack, FluxOS und die argentinische Partido de la Red. Interessant, wenn auch bisher offenbar mit weniger Aufwand betrieben, ist das Projekt des Stachanov Developer Collective. sind die von ihren lautesten ProtagonistInnen vertretenen ökonomischen Theorien von fundamentalen Widersprüchen geprägt, die sich ebenso im Design der Algorithmen wie in den ideologischen Fragmenten der daraus resultierenden Projekte zeigen. Angesichts tausender Blockchainprojekte und Kryptowährungen ist die bisherige Fixierung der Kritik auf Funktionsweise und Design der wohl bekanntesten Digitalwährung, das Bitcoin-Protokolls, sicher nicht mehr zeitgemäß. Und auch eine Kritik, die sich ausschließlich an Ressourcenverbrauch und Sicherheitsbedenken abarbeitet, verfehlt den Kern dessen, was unter dem Label »Krypto-Ökonomie« firmiert. Vielmehr existieren mittlerweile zahlreiche Projekte, die auf ganz unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Annahmen basieren und ebenso divergierende Zwecke verfolgen. Während viele lediglich eine bessere digitale Währung sein wollen, versuchen andere sich an der effizienteren Verwertung in transnationalen Unternehmungen (Aragon Project), wollen dezentrale Märkte (OpenBazaar) oder Freelancer-Kollektive (talao.io) schaffen. Bei aller Diversität hinischtlich ihrer Zielsetzungen, scheinen die verschiedenen der Projekte der Krypto-Ökonomie jedoch spezifische ideologische Momente unhinterfragt zu teilen. Hier kann und sollte eine progressive linke Kritik ansetzen, die nicht in eine maschinenstürmerische Verteufelung dieser neuen Technologie abdriften will. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, einige zentrale Motive der Krypto-SzeneDer Begriff »Krypto-Szene« knüpft an eine häufig anzutreffende Selbstbezeichnung an und meint hier eine kenesfalls homogene Gemeinschaft von AnhängerInnen verschiedener Kryptowährungen und Blockchainprojekten. Diese »Szene« setzt sich unter anderem aus AkademikerInnen, EntwicklerInnen, GründerInnen und InvestorInnen zusammen. Die Angehörigen dieser Szene sind online vernetzt (eine Vielzahl an Projekten unterhält eigene Foren oder Subchannels auf Reddit und ähnlichen Seiten), unterhalten Dachverbände (wie etwa ConsenSys) und treffen sich auf internationalen Events. Trotz ihrer Heterogenität können nach hier vertretener Auffassung einige zentrale ideologische Momente aus dem Rauschen der Wortmeldungen aus der Szene abstrahiert werden. zu skizzieren und zu kritisieren.

Zentralismus ist schlecht fürs Geschäft

Das Bitcoin-ProtokollHier wird der Unterscheidung zwischen Bitcoin und bitcoin, in Groß- und Kleinschreibung Rechnung getragen. wurde in erster Linie zur Lösung eines Zentralisierungs-Problems geschaffen: des Problems sogenannter Trust-Based-Systems. Gemeint sind Systeme, die zwischenmenschliche Beziehungen, insbesondere im Finanzbereich, über eine vertrauenswürdige dritte Partei abwickeln. Klassischerweise sind das Banken oder Staaten. Wenn etwa Person A an Person B am anderen Ende der Welt Geld schicken will, dann wird eine dritte Partei benötigt, die ein Netzwerk unterhält und dafür sorgt, dass der Betrag auf dem Konto von A gelöscht und auf dem Konto von B gutgeschrieben wird. Es muss sich dabei um eine Partei handeln, der beide Beteiligten vertrauen. Normalerweise übernimmt eine Bank diese Aufgabe. Diese dritte Partei kann aber im schlechtesten Fall das ihr entgegengebrachte Vertrauen missbrauchen. Sie kann das Geld bei B löschen, es A jedoch nicht gutschreiben, um es selbst einzubehalten; oder aber während der Transaktion selbst Pleite gehen. In all diesen Fällen wird das Vertrauen in die dritte Partei zumindest partiell enttäuscht. Um dem vorzubeugen gibt es doch Gesetze, Polizei und Justiz, werden JuristInnen jetzt einwenden. Sicher, wenn eine Bank widerrechtlich Geld einbehält oder es für andere Zwecke ausgibt, als die vertraglich festgehaltenen, dann ist das womöglich Veruntreuung und wird als solche strafrechtlich sanktioniert. Betroffene können ihr Geld dann möglicherweise auf dem Zivilrechtsweg zurückerhalten. Bei genauerer Betrachtung dieses Verhältnisses wird jedoch schnell klar, dass das Problem hier nur verschoben wird und sich auf der nächsten Stufe in gleicher Form erneut zeigt. Die Hierarchie der Rechtsdurchsetzung besitzt eine oberste Ebene, oder besser: eine letzte Instanz. Auf jeder Ebene bleibt letztlich das Problem bestehen, dass auf die Redlichkeit und das Funktionieren der Institutionen vertraut werden muss.

Ausgehend von dieser Problemstellung wurde unter dem Pseudonym »Satoshi Nakamoto« bereits 2008 ein Protokoll für den dezentralen elektronischen Geldtransfer vorgeschlagen, das ohne Vertrauen auskommen soll. Basierend auf dem sogenannten proof-of-work-Algorithmus wird dabei, vereinfacht gesagt, ein auf allen beteiligten Geräten gespeichertes Kassenbuch geführt, das genau festhält, welcher Betrag auf welcher Adresse liegt und wann er von wo dorthin transferiert worden ist. Die beteiligten Geräte bestätigen in einem Rechen-Wettlauf alle neue Transaktionen. Das dezentralisierte Kassenbuch bleibt damit so lange vor Manipulationen sicher, wie nicht mehr als 51 Prozent der beteiligten Netzwerkgeräte zusammenarbeiten, um eine manipulierte Transaktionskette in Umlauf zu bringen.

Geld aus dem Off

Geld ist keine Sache, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis. Es ist Produkt des Warenaustauschs und hat verschiedene Erscheinungsformen: Geld ist Maß der Werte, es ist Zirkulationsmittel, es ermöglicht die Schatzbildung, es fungiert als Zahlungsmittel und wird als Weltgeld schließlich im Warentausch zwischen Staaten akzeptiert. Welche konkrete Erscheinungsform Geld annimmt, hängt von der Entwicklung und den materiellen Grundlagen einer Gesellschaft ab. Ob nun König­Innen Münzen prägten oder HändlerInnen den Wert ihrer Waren in Tonscherben zu messen versuchten, das Problem, dass alle in die Redlichkeit aller vertrauen mussten, blieb stets dasselbe.

Dass bitcoins zumindest aus Marx’scher Perspektive kein Geld sind, sondern ein Zahlungsversprechen, also ein Versprechen auf »richtiges Geld«, hat Ingo Stützle zutreffend herausgearbeitet.Ingo Stützle, Sind Bitcoins Geld?, Analyse & Kritik 586, 17.9.2013, http://0cn.de/m0xe Aber auch von VertreterInnen der bürgerlichen Ökonomie dürfte bezweifelt werden, dass bitcoin eine Währung ist. Im Umfeld diverser Krypto-Projekte haben die Theorien libertär-kapitalistischer Ökonomen Hochkonjunktur, weshalb hier in der gebotenen Kürze auf einige Grund-

annahmen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie eingegangen werden soll.

Murray N. Rothbard, einer der Vordenker des radikal-libertären Kapitalismus, erklärte schon 1963, dass Geld nicht entsteht »indem sich alle entscheiden, Geld aus nutzlosem Material zu schaffen, oder indem die Regierung Papierstücke ›Geld‹ nennt.« Er erklärt weiter, dass der einzige Weg, Geld zu schaffen, darin bestehe, »mit einer nützlichen Ware einen Tauschhandel zu beginnen«.Murray N. Rothbard, What Has Government Done to Our Money?, Auburn, AL, 1963, 8-9. Erst durch die im Folgenden zwangsläufig entstehende Nachfrage nach einem Medium für den Austausch könne Geld entstehen. Da der bitcoin jedoch auf den ersten Blick »nutzloses Material« zu sein scheint, liegt dem Bitcoin-Protokoll möglicherweise eine fehlerhafte Anwendung dieser Theorie vom »gesunden Geld« zugrunde.

Der Kern des Bitcoin-Protokolls, der Mining-Algorithmus, wurde maßgeblich von der Idee des Goldstandards beeinflusst. Nach der Logik des Goldstandards bestimmt sich der Wert von Papiergeld in Relation zu einem nützlichen Gut wie Gold. Papiergeld hingegen ist kein nützliches Gut und hat daher keinen intrinsischen Wert. Dementsprechend soll die Menge des Papiergeldes, das von einer Regierung ausgegeben wird, stets an den Gegenwert der Goldreserven gekoppelt sein. Nicht die Menge des Papiergelds wird im Goldstandard festgelegt, sondern lediglich das Verhältnis von Papiergeld zu Gold. Wenn also mehr Gold erworben wird, muss die Regierung demnach auch mehr Papiergeld schaffen, um den Tauschwert des Geldes stabil zu halten.

Das Bitcoin-Protokoll nun sieht eine unveränderliche maximale Gesamtmenge an bitcoins vor, nämlich 21 Millionen. Und auch die Rate, mit der bitcoins erzeugt werden, ist von Beginn an festgelegt, sie wird alle vier Jahre um die Hälfte reduziert. Der Logik des Goldstandards folgend, wird bitcoin also als Papiergeld verstanden und seine Menge festgesetzt. Doch diese Festlegung erfolgt willkürlich. Wenngleich ein komplizierter Algorithmus die Menge der pro Zeiteinheit erzeugbaren Einheiten reguliert, so krankt die Umsetzung – zumindest im Verständnis der Österreichischen Schule – nämlich an einem fundamentalen Fehler: Es gibt keinen realen Gegenwert, da nicht ersichtlich ist, welchem »nützlichen Material« ein bitcoin als Äquivalent entsprechen soll.

Dem ließe sich entgegnen, dass der Algorithmus, der die Anzahl der erzeugbaren Einheiten pro Zeiteinheit reguliert, die gegenwärtige maximale Rechenkapazität des gesamten Netzwerks und damit die Leistungsfähigkeit der involvierten Maschinen repräsentiert. Er misst also gewissermaßen die von Maschinen aufgewendete Arbeit und bringt damit mittelbar auch den Wert der bei deren Erzeugung verausgabten menschlichen Arbeitskraft in die Berechnung mit ein. Demzufolge könnte ein solcher Algorithmus zumindest derart verstanden oder (um-)programmiert werden, dass ein realer Gegenwert in Form menschlicher Arbeitskraft existiert. Das führt direkt in die Tiefen der Arbeitswerttheorie und sollte aus linker Perspektive dringend weiter untersucht werden. Einen ersten Beitrag zu einem derartigen Verständnis hat Dmitry Kleiner in seinem Beitrag »The Face Value of Bitcoin« für das P2P-Blog geleistet, in dem er einerseits Inkonsistenzen im Verständnis der ökonomischen Theorien nachweist, auf die sich viele Krypto-Projekte direkt oder implizit beziehen, und andererseits die Anwendung der Arbeitswertlehre für das Bitcoin-Protokoll vorschlägt.Dmitry Kleiner, The Face Value of Bitcoin: Proof of Work and the Labour Theory of Value, P2P Foundation, 01.Februar 2018, http://0cn.de/4cw8

Bank. Staat. Scheiße.

– Oder: Das regelt der Markt.

Zur Ergründung eines in der Krypto-Szene sehr populären Ideologiefragments soll hier der Blick zunächst auf eine keinesfalls homogene Gruppe gelenkt werden, deren gemeinsames Moment jedoch die Befürwortung des absolut freien Marktes ist. Sie bezeichnen sich selbst häufig als AnarchokapitalistInnen (ancaps) oder Libertäre (libertarians). Für sie ist der Staat ein Dritter, dem sie beim Abwickeln ihrer Geschäfte vertrauen müssen, und der seine Macht ausnutzt, um beispielsweise Steuern zu erheben. Da dies, kurz gesagt, den freien Austausch von Waren beeinträchtige und verzerre, müsse der Staat möglichst abgeschafft oder zumindest zurückgedrängt werden. Gleiches gelte für die Banken.

Viele VertreterInnen dieser Richtung sehen in Bitcoins und Kryptowährungen die Möglichkeit, sich von staatlicher Kontrolle zu befreien und darüber hinaus Geschäfte ohne sogenannte »intermediaries«, also ganz ohne Vermittlungsinstanz peer-to-peer abzuwickeln. Dem liegt die Idee zugrunde, dass Staaten und große Unternehmen in erster Linie benötigt würden, um Infrastruktur für die MarktteilnehmerInnen zur Verfügung zu stellen. Mithilfe eines peer-to-peer-Marktes, der beispielsweise mithilfe der Blockchaintechnologie realisierbar sei, würde die Rolle des Vermittlers zwischen MarktteilnehmerInnen aber zunehmend überflüssig.Erste Projekte, die den Ansatz eines Marktplatzes ohne Vermittler zu realisieren versuchen sind beispielsweise openbazaar.org, district0x. All diese Projekte stehen am Anfang ihrer Entwicklung und haben zum Teil nicht einmal die Beta-Phase verlassen. Ob sie scheitern oder erfolgreich sein werden, wird sich zeigen. hier soll es zunächst darum gehen, aufzuzeigen, welche blinden Flecken der Glaube an die umfassende Dezentralisierung hat.

Es ist kein Zufall, dass Bitcoin zwar auf Überlegungen basiert, die sich bis Anfang der neunziger Jahre zurückverfolgen lassen, die endgültige Umsetzung aber erst 2009, also im Zuge der letzten sogenannten »Finanzkrise«, erfolgte und sich seitdem wachsender Popularität erfreut. Banken und Regierungen hatten in dieser Zeit viel Vertrauen eingebüßt. Den libertär-kapitalistischen Krypto-ÖkonomInnen galten sie zusammen mit anderen zentralen Institutionen und großen Monopolen als Hauptursache des Übels in der Welt. Wenig verwunderlich also, dass ein Projekt wie Bitcoin, das nicht weniger als die Schaffung einer Währung verspricht, die unabhängig von Regierungen und Banken sei, gerade in dieser Zeit besondere Aufmerksamkeit erlangte.

Die Gewissheit, dass die Konzentration von Kapital in den Händen großer Banken ein zentrales Problem sei, eint die VerfechterInnen eines libertären Kapitalismus auf sonderbare Weise mit einer ganzen Reihe ihrer erbittertsten FeindInnen. Auch GlobalisierungskritikerInnen, Grüne, SozialdemokratInnen und andere Linke sind sich einig, dass Bankenmonopole, »Finanzkapitalismus« und für einige auch die zentralistische Staatsgewalt unmittelbar das Elend der Welt verantworten. Dabei bleibt jedoch fast immer ungeklärt, wie die Rolle, die der Staat für die kapitalistische Verwertung spielt, alternativ ausgefüllt werden sollte. Es gibt zwar Ansätze, beispielsweise Schiedsgerichte mithilfe der Blockchaintechnologie zu realisieren, und auch das Führen öffentlicher Register (z.?B. Grundbücher) ohne zentrale staatliche Kontrolle scheint im Bereich des absolut Realistischen. Fraglich bleibt allerdings, wer die bürgerliche Eigentumsordnung aufrechterhält, wenn weder eine staatliche Polizei noch ein Militär existiert. Selbstverständlich sind private Sicherheitsdienste und SöldnerInnen denkbare Alternativen, doch diese würden das Eigentum Weniger gegen die Bedürfnisse Vieler nur verteidigen können, wenn sie ausreichend militarisiert wären. Vereinzelte MarktteilnehmerInnen, die ihre Interessen und Marktanteile mit Gewalt gegeneinander verteidigen – willkommen in der Zukunftsvision der ancaps.

Die wahre Leistungsgesellschaft

Nach Ansicht einiger Krypto-EnthusiastInnen stellt sich das Problem der Gewalt in dieser Form jedoch gar nicht, da ihm mit der scheinbaren Rationalität der Verhältnisse begegnet werden könne. Die geforderte Dezentralisierung solle nämlich auch nicht vor den Eigentumsverhältnissen halt machen. Diese Annahme führt zum zweiten häufig wiederkehrenden Motiv innerhalb der Krypto-Szene: true meritocracy oder »die wahre Leistungsgesellschaft«.

Besonders häufig wird dieser Begriff im Zusammenhang mit der Bezahlung von ProgrammiererInnen und DienstleisterInnen im IT-Bereich verwendet. Gerade, wenn es um Open-Source-Projekte geht, stellt sich dort häufig die Frage, ob und wie die geleistete Arbeit bezahlt wird, wer darüber entscheidet und nach welchem Schlüssel eventuelle Einnahmen verteilt werden. Der Begriff der true meritocracy wird hier häufig verwendet, um deutlich zu machen, dass diejenigen, die eine Software schreiben oder sie weiterentwickeln, auch entsprechend ihres jeweiligen Beitrags bezahlt werden sollten. Manche VertreterInnen der true meritocracy gehen sogar so weit, zu sagen, dass ausschließlich die SoftwarearbeiterInnen über die Verwendung von Mitteln bestimmen sollten, die durch diese Software erwirtschaftet wurden, also eine Form von EntwicklerInnen-Genossenschaft. Wer das Buch Computer-Sozialismus von Arno Peters kennt, das hier ausdrücklich nicht empfohlen sei, wird sich an einige Passagen über die »wahre Äquivalenzwirtschaft« erinnert sehen. Peters präsentiert in diesem angeblich auf Gesprächen mit Konrad Zuse basierenden Buch die Idee, dass eine zentral verwaltete Planwirtschaft mithilfe von Computern möglich sei, bei der die ProduzentInnen in erster Linie entsprechend ihres Beitrags zum gesamtgesellschaftlichen Produkt beteiligt würden. Der augenfälligste Unterschied zwischen Peters’ Idee und der true meritocracy ist selbstverständlich, dass sämtliche Blockchainprojekte die Dezentralisierung großschreiben und ihnen der Bezug zu einem wie auch immer konzipierten Sozialismus in aller Regel völlig fremd ist. Ein Projekt, das sich die Verwirklichung dieser Form der »Leistungsgesellschaft« beziehungsweise »leistungsabhängigen Beteiligung« zur Aufgabe gemacht hat, ist die Plattform Aragon. Die EntwicklerInnen wollen auf der Basis der Ethereum-

Blockchain eine Toolbox für dezentrale Organisationen bereitstellen und es so »Menschen auf der ganzen Welt ermöglichen, einfach und sicher ihre Organisationen zu verwalten«. In reinster liberaler Ideologie heißt es in der Selbstdarstellung weiter: »Wir stellen die Werkzeuge zur Verfügung, damit jeder Unternehmer werden und seine eigene Organisation führen kann, um die Kontrolle über sein eigenes Leben zu übernehmen.«

Gelänge es, dies umzusetzen, so die Idee, würden alle Menschen entsprechend ihres Beitrags TeilhaberInnen am gesellschaftlichen Produkt und sähen sich nicht mehr übermächtigen Institutionen gegenüber. Aber ohne weitere Maßnahmen würde dies nur eine weitere Stufe in der Absicherung der bestehenden Verhältnisse gegen ihre Abschaffung bedeuten. Denn so verlockend die Idee globaler, dezentral organisierter Genossenschaften sein mag, das Problem der Konkurrenz in der Mehrwertproduktion wird dadurch nicht einmal angetastet. Die Unternehmen, denen die Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssten, wären zugleich ihr Eigentum und ihre Ausbeuter. Das Kapital wäre nicht abgeschafft, es würde lediglich unter Miteinbeziehung aller verwaltet.

Banken für alle!

Weite Teile der Krypto-Szene sehen sich als treibende Kraft beim Aufbau einer Alternative zum herrschenden Wirtschaftssystem, dessen Scheitern und Ungerechtigkeit – ganz im Sinne Friedrich August von Hayeks – überbordenden staatlichen Eingriffen und politischem Versagen angelastet werden. Auch hier drückt sich somit zwar ein Wunsch nach Veränderung aus, allerdings ganz in den Formen und unter den Annahmen der VerfechterInnen der bestehenden Wirtschafts-

ordnung.

Besonders augenfällig wird das scheinbar karitative Moment der Krypto-Szene in dem häufig auftauchenden Motiv, das bank the unbanked genannt werden kann. Es bezeichnet die Absicht, Menschen, die keinen Zugang zum Finanz- und Bankensystem haben, genau diesen Zugang zu verschaffen. Und tatsächlich sind Menschen ohne Bankkonto oder anderweitigen Zugang zum Finanzsystem von vielen alltäglichen Geschäften ausgeschlossen – Onlinehandel, Mietzahlungen, Stromverträge, Flugtickets oder Hotelbuchungen zum Beispiel. Selbstverständlich kann man einige dieser Geschäfte auch ohne Bankkonto abwickeln, aber das Leben ist deutlich umständlicher. Damit trifft dieses Motiv also einen wahren Kern: Menschen ohne Bankkonto sind auch global betrachtet benachteiligt. Die selbsternannten Krypto-Ökonomen machen dafür vor allem die zentralistische Ausgestaltung des Bankensystems verantwortlich. Die Blockchaintechnologie hingegen könne dazu beitragen, dass alle Menschen Zugang zum Finanzsystem erhalten.

Etwas weniger altruistisch wirkt das Bestreben, alles und jeden mit einem Bankkonto zu versorgen, wenn man sich vor Augen führt, wie die sogenannten WaleAls »Wale« werden in der Krypto-Szene Menschen bezeichnet, welche die Verfügungsgewalt über große Anteile an einer order mehreren Kryptowährungen haben. in der Krypto-Szene zu ihrem Reichtum gekommen sind: durch simple Spekulation auf den Popularitäts- und damit Wertzuwachs der Kryptowährungen. Viele FrühinvestorInnen konnten darauf hoffen, dass sie sich anfangs günstig einkaufen können und dass später genügend Menschen einsteigen, die bereit sind, ein Vielfaches ihres Einkaufspreises zu bezahlen. Ihr Wohlstand wurde also auch dadurch ermöglicht, dass die Masse derjenigen, die an diesem Spiel teilnehmen, enorm groß ist. Somit profitieren gerade diejenigen, die früh eingestiegen sind, davon, dass grundsätzlich jeder mit Kryptowährungen handeln kann. Demgegenüber steht Geld, das nicht auf Konten liegt, auch nicht so einfach für Spekulationsgeschäfte zur Verfügung. Es ist deutlich weniger liquide, weil es von den Besitzer­Innen erst einmal zu einem Händler getragen und dort wieder dem Kreislauf zugeführt werden muss. Der Wanderarbeiter, der seinen Lohn mit sich herumträgt, bis er ihn im Dorf seiner Familie für Lebensmittel ausgibt, ist (noch) kein potentieller Abnehmer für Kryptowährungen. Er hat keinen Zugang zum Finanzmarkt. So kann mit seinem Einsatz auch nur schwerlich spekuliert werden. Genau da setzen einige Krypto-Projekte mit ihrem Heilsversprechen an. Sie wollen den Zugang zum Finanzmarkt für alle ermöglichen. Mehr Konten, so die Annahme, führen zu mehr Handel, und mehr Handel zu mehr Profit. Und mehr Profit, da sind sich die bürgerlichen Ökonomen einig, führt zu mehr Wohlstand – zumindest in der Summe.

Was zu tun ist

Der bitcoin ist keine (klassische) Währung, doch er wird als Geld genutzt. Der Krypto-Szene fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit ökonomischen Grundannahmen. Viele Statements, die über rein technische Analysen hinausgehen sind infolgedessen Ideologie. An entscheidenden Stellen müsste der Versuch unternommen werden, über das Bestehende hinaus zu denken und zu programmieren. Da dies nicht geschieht, hebt die sogenannte Krypto-Öknonomie die kapitalistische Verwertung lediglich auf die nächste technische Stufe, anstatt sie, wie häufig propagiert, zu revolutionieren. Eine Kritik der Krypto-Ökonomie darf sich nicht lediglich an Ressourcenverbrauch und Sicherheitsbedenken abarbeiten, sondern muss die zugrundeliegenden technischen, insbesondere aber auch ökonomischen Implikationen erkennen und verstehen.

Heinrich Klose

Der Autor ist Jurist, besuchte das MOOC zum Thema »Cryptocurrencies« der

Universität von Nicosia und ist Mitglied der Saarbrücker Gesellschaft zur

Förderung des kritischen Denkens und Handelns – CriThink e.?V.