In den beiden Deutschlands nach 1945 war Popkultur eine politische Angelegenheit, weil sie der Nachkriegsjugend zu einem Identitätsverlust verhalf. Ihr Versprechen lautete: Etwas Besseres als eure Herkunft findet ihr überall! Love (anstelle von »Liebe«) und happiness (anstelle von »Glück«) waren in diesem Sinne politische Konzepte.
Selbstgewählte Popidentitäten befreien von der »eigenen« Identität, die stets fremdverordnet ist und nur wenig Handlungsspielraum lässt. Popkultur war daher lange Zeit eine alltagstaugliche Form der Entnazifizierung und verkörperte alles, was deutsche Ideologie hasste: nicht heiligen Ernst, Tiefsinn, Innerlichkeit, Scholle und Schicksalsgemeinschaft, sondern verantwortungslosen Spaß, Mode, »Kulturindustrie«, Äußerlichkeit und wurzellosen Kommerz. Pop half, die Wurzeln zu kappen, und entlarvte deutsche Kultur, die er im Laufe weniger Jahre weitgehend aus den Köpfen verdrängt hatte, als Ideologie. Die Abwahl von Helmut Kohl, der das plumpe popferne Deutschsein repräsentierte, besiegelte diesen Vorgang symbolisch. Sie schuf aber auch Platz für eine neue, staatstragende »deutsche Popkultur«. Erst sie kam auf die Idee, das Fremde wieder mit dem Eigenen zu einem Identitätsupdate verschmelzen zu wollen: der berüchtigten »deutschen Popidentität«.
Deutscher Identitätspop
Als kleinster gemeinsamer Nenner von 80 Millionen Deutschen half Pop, eine in Klassen und Partikularinteressen zerfallene Bevölkerung wieder in ein Wir zu verwandeln. Die rot-grüne Regierung setzte daher die von sich selbst geläuterte »Popvolksgemeinschaft« (der in ihrem Präfix bereits das nötige diversity management eingeschrieben war) ganz oben auf die Agenda. Das lockere, harmlose, mit sich selbst zufriedene Volk, das um die Jahrtausendwende die deutsche Selbstdarstellungsbühne betrat und in den Europa- und Weltmeisterschaften des neuen Jahrzehnts erste manische Schübe durchlebte, brauchte nur noch eine Musik, die seinem neuen Wesen entsprach. Also wurde der lockere, harmlose, mit sich selbst zufriedene Deutschpop aus dem Boden gestampft, dessen immergleiche Botschaft lautet: »Wenn ihr zufrieden seid mit dem, was ihr habt – die Hände hoch / Wenn ihr glücklich seid mit dem, was ihr macht – die Hände hoch / Wenn ihr nicht neidisch seid auf jede kleine Kleinigkeit, / Wenn ihr zufrieden mit euch seid, dann macht die Hände hoch!« (so der Refrain des Stücks »Die Hände hoch« vom aktuellen Album der Deutschrock-Gruppe BRDigung).
Der deutsche Identitätspop, der in den letzten zehn Jahren hegemonial wurde, ist im Grunde genommen eine Dauerwerbesendung für das Angekommensein: bei sich selbst und im endlich bezugsfertigen Eigenheim der Identität. Dort kommen Subjekt und Wirklichkeit prächtig miteinander aus. Jeder neue deutsche Popact – egal ob Indie oder Mainstream, Rechtsrock oder linksalternativ – scheint dabei dieselben Themen noch einmal klären und durchsetzen zu müssen: das kleine und das große Wirgefühl, das Vertrauen in sich und die eigene Bezugsgruppe, und natürlich all das, was wirklich zählt, vor allem Freundschaft, Familie, (heteronormative) Liebe und Heimat in jeder nur denkbaren Erscheinungsform. In einer grundverkehrten Welt fühlt sich all das zumindest ein klein wenig richtig an.
Mit derartigen Botschaften befriedigt die deutschsprachige Popmusik der Gegenwart das steigende Bedürfnis nach regressiver Alltagsideologie und gefühlsechten Identitätsschablonen – und entsprechend schnell konnte sie sich flächendeckend durchsetzen: im Schlager (Helene Fischer, Santiano und wie sie alle heißen), im Stadionrock (Unantastbar, Broilers und wie sie alle heißen), im Castingshow-Pop (Mike Singer, Ben Zucker und wie sie alle heißen), in der »Deutschrock«-Grauzone (Goitzsche Front, Haudegen und wie sie alle heißen), im Indiepop (AnnenMayKantereit, Wanda und wie sie alle heißen) und im Deutschrap (RAF Camora, Casper und wie sie alle heißen). Sie alle singen im Prinzip dasselbe und hören sich auch noch mehr oder weniger gleich an: Frei.Wild wie Andrea Berg, Andrea Berg wie Hämatom, Hämatom wie Andreas Gabalier, Andreas Gabalier wie die Toten Hosen – irgendwie jedenfalls. Platz eins der deutschen Albumcharts klingt wie Platz zwei, und Platz zwei wie Platz drei. Genau dort, auf Platz drei, befand sich Anfang 2018 mit Feine Sahne Fischfilet nun eine Band, deren Musik zwar ebenfalls eine ungefähre Mischung aus Frei.Wild und den knapp hinter ihnen platzierten Poppunkern Donots darstellt, die aber im laufenden Onkelz-Hosen-Ähnlichkeitswettbewerb immerhin ein Alleinstellungsmerkmal geltend machen kann, das nicht einfach nur mehr desselben ist: Als explizite Antifa-Band repräsentieren sie etwas, was in dieser Form in den deutschen Charts noch nicht vorgekommen ist, weil es über die branchenüblichen Bekenntnisse gegen Rechts hinausgeht.
Vorzeigeantifastadionrock
Seit ihren Anfängen als unterdurchschnittliche Deutschpunkband in der Nähe von Rostock, deren unspektakulärer Mix aus Daily Terror und Wizo (mit ein paar angeklebten Ska-Bläser-Floskeln) eigentlich nur die eigene kleine Zielgruppe etwas angehen dürfte, gehört der bedingungslose Antifaschismus zum Lieferumfang von Feine Sahne Fischfilet. Mit seiner Hilfe wurde die Band schnell zu einer wichtigen Bezugsgröße in der blühenden Grauzonenlandschaft des ländlichen Mecklenburg-Vorpommern, wo Musik wie die, die sie spielen, eigentlich längst zum Rekrutierungs(vor)feld der Rechten geworden war.
Zwischen 2011 und 2014 führte sie der Landesverfassungsschutzbericht daher als »festen Bestandteil der Autonomenszene in Mecklenburg-Vorpommern« und räumte ihnen mehr Platz ein als dem NSU und Blood and Honour zusammen. Das war selbst nach Maßgabe behördengemäßer Extremismustheorien eine Schieflage, die zum Skandalisieren einlud und auch bürgerlichen Medien aufstieß. Diese haben Feine Sahne Fischfilet für sich entdeckt, seit sie sich auf dem 2015 veröffentlichten Album Bleiben oder Gehen einem größeren Publikum geöffnet haben, ohne dafür ihren militant antifaschistischen Habitus abzulegen. Von den strategischen Abgrenzungen des post-rechten Stadionrocks, der Angst um sein mühsam erspieltes Publikum hat, unterscheidet sich ihr Antifaschismus schon dadurch, dass die Bandmitglieder sehr genau wissen, wovon sie reden. Rechte Hegemonie und faschistische Gewalt sind dort, wo sie leben, Alltagsphänomene. Während Stephan Weidner, Bassist der Böhsen Onkelz, sich für seine willkommenskulturellen Äußerungen von enttäuschten Fans bloß per Facebook-Kommentar abstrafen lassen musste, befinden sich Feine Sahne Fischfilet sehr real im Visier der kleinen und großen Nazis von nebenan.
Als linke Erweiterung des Identitätsangebotes für Jugendliche in den Käffern rund um die Mecklenburgische Seenplatte sind sie daher ebenso wichtig wie jene zivilgesellschaftlichen Strukturen, an deren Aufbau und Erhalt sie mitwirken. Als Aushängeschild des Antifaschismus mediatisieren sie aber wiederum ein reichlich verengtes Bild von dem, was unter antifaschistischer Politik verstanden werden könnte, nicht nur gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch gegenüber dem interessierten Nachwuchs. Sowohl in ihrer früheren Dorfpunk- als auch in der aktuellen Stadionrockform repräsentieren Feine Sahne Fischfilet nämlich vor allem die rauschhaft-identitäre Seite des Antifaschismus: jene, die ohne langwierige Begriffsklärungen und komplizierte Theoriediskussionen auszukommen meint und sich lieber darin gefällt, »gegen Rechts« zu sein. Dieser Antifaschismus überspielt alle Widersprüche (im Subjekt und in der Gruppe), damit ein kollektives Wir entsteht, das sich selbst bestätigt, indem es lautstark seinen gemeinsamen Feind (hier: die Nazis) zum Teufel wünscht. Im Abwehrkampf gegen Rechts mag all das legitim sein, aber das »Wir gegen die« dürfte sich von links bis kameradschaftsrechts ziemlich ähnlich anfühlen. Die ästhetischen Ausdrucksformen der feindlichen Lager nähern sich einander ja schon seit Längerem an: Ob Punk, Deutschrap oder Blasmusik – die Hauptsache ist, dass die Gemeinschaft zusammengeschweißt und gegen den gemeinsamen Gegner aufgeputscht wird. Der Sound aus dem Lauti, der Vuvuzela der aufrechten AntifaschistIn, unterscheidet sich oft nur in Nuancen von seinen AntipodInnen: dem Rechtsrock und dem Geräusch, das deutsche Fußballfans machen, wenn sie ihrerseits öffentlichen Raum für sich und ihre Themen beanspruchen.
Keine Frage: RassistInnen müssen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zurückgedrängt werden – wenn nötig auch mit schlechter Musik und fragwürdigen Bündnissen. Der Kampf gegen sie bedeutet aber mehr, als nur das eigene Nest zur von Nazis befreiten Zone zu erklären. Antifaschismus erkämpft oder verteidigt einen historischen Fortschritt gegenüber jenem Denken, das auf Nester, Horden, Schollen und starre Identitäten verpflichtet. Seine Kritik an den Diskriminierungsformen und Ausgrenzungsmechanismen der Mehrheitsgesellschaft muss ihn in die Lage versetzen, auch diejenigen zu erkennen und zu kritisieren, die in der eigenen Bezugsgruppe vorherrschen. Die eigene Praxis einer fortlaufenden Kritik zu unterziehen, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Antifaschismus, weil nur diese Kritik jenen Unterschied macht, auf den es ankommt – gegenüber den Rechten und gegenüber all jenen vermeintlichen Verbündeten, aus deren vor Empörung zitternden Demo-Chören eigentlich nur der Gründungsmythos des bundesrepublikanischen Staatswesens nachhallt: »Nazis raus!« Erst im Exorzismus der unanständigen Deutschen können die Anständigen zu sich selbst finden. Die Existenz und Präsenz der Nazis ärgert das postnazistische Kollektiv wohl vor allem deshalb, weil sie die Normalisierung der deutschen Identität unterminiert.
Antifaschismus als Gefühl
Der Antifaschismus, den Feine Sahne Fischfilet praktizieren, ist im Wesentlichen ein Gefühlszustand; ganz sicher aber keine Aufforderung zu permanenter Ideologiekritik, die nämlich immer auch die eigene Ideologie miteinschließen müsste (womit die Band vermutlich nicht einmal bis auf die Bühne des nächstgelegenen autonomen Jugendzentrums gelangt wäre). Das macht diesen Antifaschismus attraktiv für diejenigen, die »bunt statt braun« empfinden, obwohl oder gerade weil er bedeutet, »Bock auf Stress und ’ne Menge Hass« zu haben, »mit zwei Promille durch die Nachbarschaft« zu ziehen und »vor eure Burschenschaft« zu scheißen. Klammheimlich bewundern bürgerliche NazigegnerInnen solche Aktionsformen durchaus (Stichwort: »Die tun wenigstens was!«), solange sie durch entsprechende Emotionen gedeckt sind. Dass Feine Sahne Fischfilet immer wieder die Grenze zu verbalem und anderem Mackertum überschreiten, stört keineswegs – im Gegenteil: Hin und wieder über die Stränge zu schlagen, macht den Antifaschismus zu einer im Prinzip unbedrohlichen Angelegenheit der Empörung, solange sie nur schön echt, authentisch und vor allem männlich daherkommt. Wichtig ist dabei nur, dass sie nicht mit lästiger Kritik an den eigenen Leuten verbunden wird, die ja schließlich die Guten sein sollen. Zu denen zählt wohl auch die Band Moscow Death Brigade, die im Februar 2018 bei zwei Konzerten der Deutschlandtournee von Feine Sahne Fischfilet als Support auftrat. Gegen Kritik an homophoben, sexistischen und rassistischen Äußerungen der Band verteidigten Feine Sahne Fischfilet sie mit der inhaltsleeren Beteuerung, es handle sich um »völlig korrekte Leute«. Antifaschismus ist in dieser Perspektive kein politisches Programm mehr, sondern nur noch eine diffuse, streng subjektive Werthaltung, die nicht hinterfragt werden muss. Deswegen kann Monchi, Sänger und Sprecher von Feine Sahne Fischfilet auch in der seit April 2018 in den Kinos laufenden Band-Doku Wildes Herz von einer Welt träumen, in der »alle Leute chillen […] und sich die Eier von links nach rechts schieben«, ohne dass diese Formulierung irgendjemandem aufzustoßen scheint. Der Regisseur Charly Hübner fand den Satz sogar so beeindruckend – oder vielleicht auch so bezeichnend –, dass er ihn prominent im Trailer platziert hat.
Wohlgemerkt: Dass Feine Sahne Fischfilet heute keinen AJZ-Punk mehr spielen, ist kein Verlust. Das vermeintliche Verdienst, »sich selbst treu geblieben zu sein«, kann getrost den Onkelz und ihren EpigonInnen überlassen werden. Für eine Band, die eine explizit politische Botschaft hat, ist es nur konsequent, sich an eine breitere Öffentlichkeit zu richten. Zu diesem Zweck darf sie sich vielleicht sogar derselben Mittel bedienen wie der Südtiroler Patriotismusrock, nur müsste sie sie dann auch sinnvoll mit antifaschistischer Kritik verbinden. Und die wiederum hätte vor allem darauf zu insistieren, dass der Kampf für eine von menschenverachtender Ideologie befreite Gesellschaft nicht bloß darin bestehen kann, rechte Aufmärsche zu blockieren, durchgestrichene Hakenkreuze spazieren zu führen und sich für markige Bühnenansagen zujubeln zu lassen. Eine brauchbare Antifa-Band für den Mainstream müsste sich nämlich zuallererst darüber klar werden, wie sie sich zu diesem Mainstream sinnvoll verhalten kann und was sie ihm gegenüber eigentlich darstellen oder überhaupt erst sichtbar machen möchte.
Querfront der Herzen
Das Mackertum von Feine Sahne Fischfilet speist sich aber nicht nur aus dem offensichtlich mangelnden Reflexionsvermögen der Beteiligten, sondern entspringt jener strukturell heteronormativen Identitätsideologie, die der deutsche Pop der Gegenwart (unabhängig von seiner politischen Selbstverortung) beinahe zwanghaft wiederkäuen muss. Die wichtigsten Schlagworte aus deren Programm tauchen – in deutschpoptypischer Penetranz – fast vollzählig bei Feine Sahne Fischfilet auf, allen voran »das Herz«. Ihm hat fast jede zeitgenössische Deutschpopband mindestens einen Song gewidmet, ob sie nun unverdächtig Zimt oder doch gleich programmatisch Megaherz heißen mag. Diese Songs handeln mit schöner Zuverlässigkeit davon, dass das Herz allein wisse, wo es langgeht, weil es die letzte zuverlässige Wahrheitsinstanz sei. Alle müssten daher lernen, auf des Herzens Stimme zu hören, egal ob sie durch Kuschelrock, »Schlachtrufe BRD« oder die Schulhof-CDs der NPD sozialisiert wurden.
Und auch Feine Sahne Fischfilet lassen keinen Zweifel daran, dass ihr Kampf gegen Rechts von genau dorther kommt. In ihrer Inszenierung weisen sie dem Herz einen zentralen Platz zu: das Bandlogo zeigt einen herzförmigen Anker. Der Anker, in dem die innige Verbundenheit mit der eigenen Küstenregion zum Ausdruck kommt, bringt das zweite große Dauerthema des deutschen Identitätspop ins Spiel: Heimat. Auch sie verspricht Halt in einer aus den Fugen geratenen Welt. Bei Feine Sahne Fischfilet ist sie das, was den Nazis, die sich in ihr unangenehm breitmachen, nicht kampflos überlassen werden dürfe. Ihr Engagement gegen Rechts versteht sich somit als praktizierter Heimatschutz. Er kämpft um die Definitionshoheit darüber, was lebenswerte Heimat sein soll und richtet sich gegen jene, die sich darunter nur die national befreite Zone vorstellen können.
Heimatverbundenheit, zumal »linke«, kommt bei deutschen Medien traditionell gut an. »Heimat und Identität, Begrifflichkeiten, die traditionell vom rechten Spektrum besetzt sind, wenden Feine Sahne Fischfilet in einen libertären Patriotismus«, attestiert Spiegel Online der Band, und zum Dank dafür gibt Monchi unvorteilhafte Interviewaussagen wie die folgende zum Abdruck frei: »Meck-Pomm ist ein hammergeiles Bundesland. Zeig mir ein geileres!« Was mit »libertärem Patriotismus« gemeint ist und wozu er gut sein soll, muss in diesem Zusammenhang offenbar gar nicht mehr erklärt werden. Im Einzugsbereich des Google-Suchfelds wird der Begriff allerdings nur vom Verschwörungstheoretiker und selbsternannten Investigativjournalisten Oliver Janich verwendet, der das Netz mit der These bespammt, im 20.?Jahrhundert seien zwei Weltkriege gegen Deutschland provoziert worden.
Ausgangspunkt jeder antifaschistischen Praxis muss zwingend die Erkenntnis sein, dass der Begriff Heimat – in egal welcher Verwendungsform – immer ideologisch konturiert ist, weil er darauf abstellt, dass Menschen und ihre (Herkunfts-)Orte eine unauflösliche Einheit bilden. Erst von der Konstruktion »Heimat« aus lässt sich bestimmen, wer fremd ist und nicht dazugehört. Wer »Heimat« sagt, spricht einen ideellen Eigentumsvorbehalt aus, der sich gegen Umverteilung sperrt, – auch da, wo sich die EigentümerInnenhauptversammlung vorübergehend auf eine Willkommenskultur verständigt hat.
Der Begriff Heimat bezieht seine Überzeugungskraft daraus, dass er mit Gefühlen korrespondiert, die den meisten Menschen vertraut sind. Das macht ihn irgendwie selbsterklärend, obwohl er doch nur beliebige subjektive und sentimentale Eindrücke rationalisiert – ein uralter Trick, um rechte Ideen unter die Leute zu bringen. Die Lieder, Bücher und Filme zum Thema, die seit der Jahrtausendwende in Deutschland immer obsessiver geschrieben werden, arbeiten nach genau diesem Prinzip. Manchmal tun sie das zwar lediglich, weil es sich zurzeit gut verkaufen lässt, aber auch das arbeitet der nationalen Identitätskampagne in die Hände, die gerade von allen relevanten politischen AkteurInnen (von rechts bis Sarah Wagenknecht) geführt wird. Seine kulturelle Omnipräsenz verstärkt dabei nur die monumentale Bedeutung des Wortes Heimat. Das ändert sich auch dann nicht, wenn es ein wenig differenzierter gebraucht oder vor falschen Vereinnahmungen gerettet werden soll. Heimat meint stets ein Zwangsverhältnis – und auch von vermeintlich linken Heimatvorstellungen geht eine mehr oder weniger subtile Form der Gewalt aus. Auch hier ist Heimat das, was alle brauchen, um komplett sein zu können, und worüber alle wie unter Zwang (und vermeintlich gedeckt durch ein paar abgegriffene Adorno-, Bloch- und Améry-Zitate) ohne Unterlass reden müssen. Wo Menschen keine Heimat (mehr) haben, so heißt es beinahe unisono und wider besseren Wissens, sind sie schutzlos und traurig, verlassen und gebrochen. Davon erzählt auch ein Stück auf dem aktuellen Album von Feine Sahne Fischfilet, »Zuhause«, das als dritte Single ausgekoppelt wurde. Falls es irgendjemand noch nicht mitbekommen hat, wird dort noch einmal erklärt, wie wichtig es ist, sich irgendwo zuhause zu fühlen: »Zuhause heißt / Wenn Dein Herz nicht mehr so schreit / Zuhause heißt / Wenn die Angst der Freundschaft weicht«.
Weil das im Prinzip genauso von jeder beliebigen Frei.Wild-Kopie gesungen werden könnte, bringt das Label Audiolith im Pressetext den Begriff der Utopie ins Spiel und pinselt ihn wie folgt aus: »Zuhause heißt: Freundschaft, Familie, das Gefühl der Geborgenheit, Schutz und Frieden.« Das wiederum könnte genauso in der Werbebroschüre irgendeiner Bausparkasse stehen. Und so bleibt es dem von Regisseur Aron Krause aus dokumentarischem Material montierten Video vorbehalten, eine allerletzte Differenz zu jenen gentrifizierten Sitzlandschaften herzustellen, die üblicherweise die Kulisse für Deutschpopvideos abgeben. Es zeigt Menschen bei dem trotzigen Versuch, sich in einem prekären unwirtlichen Leben wenigstens irgendwie einzurichten, so gut die Verhältnisse es eben zulassen. Auf diese Weise unterstreichen Feine Sahne Fischfilet immerhin, dass die Heimat, die sie meinen, Klassencharakter hat.
Ein verdienter dritter Platz
Feine Sahne Fischfilet besetzen also tatsächlich rechte Themen von links und modifizieren oder entschärfen sie dabei ein wenig. Die Heimat, von der sie singen, ist zweifelsohne menschenfreundlicher und einladender als jene, die Bands im Sinn haben, die sich Stahlgewitter oder Faustrecht nennen. Rechte Ideologie lässt sich aber keineswegs per Zauberschlag in linke Ideologiekritik verwandeln, bloß weil ihre Begriffe mal eben die Seite wechseln. In der Vergangenheit hat die feindliche Übernahme rechter Ideen der Linken nur Gefühlsduselei und unklares Denken eingebracht – und nichts spricht dafür, dass sich daran in absehbarer Zeit viel ändern wird. Die Heimat, von der Feine Sahne Fischfilet singen, ist dieselbe emotional befreite Zone wie immer, in ihr haben Analyse und Reflexion nichts verloren. Sie ist das angestammte Terrain der Rechten, selbst da, wo die nicht-biodeutschen NachbarInnen zur Abwechslung mal explizit nicht ausgrenzt werden.
Die Identitätsmarkierungen, die Feine Sahne Fischfilet oder Kettcar (deren ausgesprochen grässlicher Song »Sommer ’89« hier nicht weiter kommentiert werden soll) von links, Rabaukenbrüder und die Kneipenterroristen dagegen von rechts vornehmen, meinen zwar keineswegs dasselbe, aber sie folgen dennoch derselben Logik. Sie bestätigen sich wechselseitig und arbeiten sich gegenseitig in die Hände. Obwohl eine nominell antifaschistische Band, verifizieren Feine Sahne Fischfilet so die ideologische Hegemonie ohnehin längst auf breiter Front durchgesetzter Themen. Das hat sie verdientermaßen dahin gebracht, wo sie hingehören: auf den dritten Platz der deutschen Albumcharts. Und dort sollen sie gefälligst auch bleiben.
Frank Apunkt Schneider
Der Autor ist unfreier Künstler, selbsternannter Poptheoretiker, Mitherausgeber der testcard und der deutsche Außenposten der Kulturbewegung monochrom. Bücher: »Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW« (2007), »Deutschpop halt’s Maul! Für eine Ästhetik der Verkrampfung« (2015).