Robert Zwarg
Trommelkreis im globalen Dorf
Über die Aufhebung der Öffentlichkeit in der Occupy-Bewegung
»Nach Tunis, Kairo, Madrid, Tottenham und Athen hat die globale Welle der Empörung nun auch das Auge des Sturms erreicht, die Wall Street.« Carla Blumenkranz/Keith Gessen u.a. (Hrsg.), Occupy! Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation, edition suhrkamp digital, Berlin 2012. [Da die Ebook-Version dieses Buches keine verbindliche Seitenzahl liefert, wird auf Seitenangaben verzichtet. Hier hängt der technische Fortschritt der intellektuellen Redlichkeit und dem Schutz geistigen Eigentums bis in die letzte Zeile noch hinterher. Ein baldiges Aufholen ist erwünscht.] Mit diesen Worten eröffnete der Suhrkamp-Verlag kürzlich eine Dokumentation von Texten der Occupy-Bewegung. Die an brachiale, unkontrollierbare Naturgewalt erinnernde Metapher der Welle sowie ihre Verbindung mit einem jenseits der Reflexion liegenden Moment, nämlich dem Affekt der Empörung, kaschiert dabei die enormen Unterschiede zwischen den einzelnen Unruhen. Im ungebremsten Gefühlsausbruch scheinen alle gleich zu sein, auf dass sich die WutbürgerInnen aller Länder endlich zum global agierenden Kollektivsubjekt zusammenschlössen. Das Sparrow Project aus den Reihen der Occupy-Bewegung selbst geht sogar noch weiter: »Von den Diggers der turbulenten 1640er Jahre in England, über die Pariser Kommune 1871 und die Arbeitermilizen in Barcelona 1936, bis zu den heutigen Besetzer-Bewegungen, die in Nordafrika, Europa und Asien die politische Landschaft umwälzen, immer wieder haben einfache Menschen gezeigt, dass die trügerischen Machtstrukturen bekämpft und besiegt werden können.« The Sparrow Project, Preface, in: The Declaration of the Occupation of New York City. Online einzusehen unter . Dass jede hier genannte Bewegung schlussendlich besiegt wurde oder zerfallen ist, bleibt unerwähnt. Selten war die von Euphorie und Optimismus getriebene Suggestion globaler Gleichzeitigkeit über geographische und historische Grenzen hinweg derart en vogue wie heute und das auch noch nachdem die jeweiligen Unruhen entweder erstickt, wie in England, abgeflaut, wie in New York, oder, wie in Ägypten, in eine unklare nachrevolutionäre Phase eingetreten sind. Wer so unterschiedliche Prozesse wie die ägyptische Revolte gegen das dortige ancien régime, die griechischen Proteste gegen eine rigide Sparpolitik und die amerikanischen Demonstrationen gegen das »parasitäre« eine Prozent unter eine »Welle der Empörung« subsumiert, der suggeriert Ähnlichkeit, Wahlverwandtschaft oder gar Identität. Der Wunsch nach einer anschlussfähigen welthistorischen Kraft, verkörpert in einer globalen Bewegung, scheint dieser Tage besonders weit verbreitet zu sein. Wohlgemerkt handelt es sich dabei nicht bloß um Projektion. Die Occupy-Bewegung selbst bezog sich mit der Besetzung öffentlicher Orte nicht nur explizit auf die Demonstrationen auf dem Tahir Square in Kairo, sondern druckte in ihrer Deklaration auch eine Solidaritätserklärung ägyptischer AktivistInnen ab. Dass weit voneinander entfernte Orte und Akteure immer näher zusammenrücken, dass sich lokal aber auch über große Distanzen hinweg organisiert, koordiniert und – wie das Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet – »vernetzt« werden kann, wird vor allem durch die Rolle des Internets, in jüngster Zeit insbesondere von Netzwerken wie Facebook oder Twitter, erklärt. Wertvolle Anregungen verdankt dieser Text einem Vortrag von Magnus Klaue über Occupy Wall Street, online abrufbar unter . Ob im Neologismus der Glokalisierung oder in Thomas L. Friedmans wirtschaftsliberaler Freude über das endlich vollkommen frei flottierende Kapital in The World is Flat: So gut wie alle können der allseitig vernetzten Welt etwas Positives abgewinnen. Das Internet birgt »utopisches Potenzial, weil es neue Formen des sozialen Miteinanders ermöglicht«, Evelyn Finger/Karsten Polke-Majewski u.a., Wir sind schon Science Fiction, ZEIT ONLINE, 24. November 2011, . so ein Redakteur der ZEIT im entsprechenden Medium, dem Chat. Kaum ein gesellschaftliches Phänomen hat die Hoffnungen und Projektionen auf das Internet gleichermaßen verinnerlicht und auf sich gezogen wie die im Herbst letzten Jahres in New York entstandene Occupy-Bewegung. »Sprechchöre ersetzen Mikrofone, abgestimmt wird per Handzeichen. Die Occupy-Bewegung probt, wie sich alle in Entscheidungen einbinden lassen. Vorbild ist das Internet«, so die ZEIT. Ähnlich Mark Greif, der in Deutschland gern gesehene Herausgeber der linken Kulturzeitschrift N+1: »Die Bewegung hat die neuen Techniken der Selbstinszenierung – sich zu fotografieren, sich zu filmen, sein Leben live zu übertragen und zu ästhetisieren – besonders geschickt im Sinne von Demokratie und Gerechtigkeit genutzt.« Bubby, diese »Occupy«-Leute sind wie ich! Interview mit Mark Greif, Jungle World, 23. Februar 2012. .
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