Public Private Partnership. Sex und Moral in der Liberalisierung
Einleitung zum Schwerpunkt
Fast 50 Jahre sind seit dem Antritt der Zweiten Frauenbewegung und der »sexuellen Revolution« inzwischen vergangen. Sexualität ist heutzutage längst nicht mehr dem Primat der Reproduktion unterstellt und die Vielfalt sexueller Identitäten, Vorlieben und Praxen wird zunehmend anerkannt. Zugleich aber ist Sexualität immer noch Gegenstand unzähliger repressiver Zugriffe und moralisierender Debatten, ruft Moralapostel und Anstandsdamen auf den Plan: Der Staat und die völkische Rechte wollen die Sexualität für eine regressive Familien- und Bevölkerungspolitik in Dienst nehmen. Aber auch in der Linken ist Sexualität mehr als eine Privatsache und es wird heftig darüber gestritten, was »erlaubt« ist und was nicht. Zuweilen wird es dabei einigermaßen grotesk: Im Juni 2016 wollte der Sexualpädagoge Marco Kammholz an der Universität Köln einen Workshop mit dem Titel »Anal verkehren. Ein Workshop für Arschficker_Innen und die, die es vielleicht werden wollen« anbieten, der die TeilnehmerInnen zu einer »lustvollen Verwirklichung sexueller Phantasien und Wünsche« anregen sollte und sich ausdrücklich an Menschen aller Geschlechter und jeglicher sexuellen Orientierung richtete. Nach rechten Protesten und Einwänden des Dekanats wurde das Seminar vom Studierenden-Ausschuss der Vollversammlung (StAVV), der das Seminar unterstützt und beworben hatte, wieder abgesagt. Obwohl ziemlich klar war, dass die Ablehnung des Seminars vornehmlich auf homophoben Ressentiments gründete – schließlich ist die Offenheit für heterosexuellen Analverkehr als Anforderung an die »moderne Frau« längst in populären Magazinen wie Cosmopolitan angekommen –, bemühte der linke StAVV in seiner Stellungnahme das linke Idiom der Schutzräume und Triggerwarnungen. Er entschuldigte sich für die »gewaltvolle und pornographische Sprache« des Ankündigungstextes, die als »verletzend und übergriffig« oder gar als »Belästigung am Arbeitsplatz« wahrgenommen worden sei. Ist dieser Eklat nun symptomatisch für die gegenwärtige Sexualmoral einer sensibilisierten Linken, die mitunter schon das derbe Reden über Sex als Übergriffigkeit versteht? Eine gegenläufige Tendenz verkörpert die Queer-Aktivistin Beatrice Preciado, die es noch vor wenigen Jahren im Kontrasexuellen Manifest unternommen hatte, alle an Emanzipation Interessierten auf Analsex zu verpflichten, schließlich sei dies die egalitärste aller sexuellen Praktiken. Aber trotz des radical chics dieser Forderung mochte die von ihr anempfohlene Verwandlung von Sex in ein politisches Instrument nicht nachhaltig begeistern. Weiter…