Das Ende des Ersten Weltkriegs markierte zugleich den Zusammenbruch des russischen Imperiums und der beiden Kaiserreiche Deutschland und Österreich-Ungarn. In allen drei Reichen kam es – ebenfalls am Ende des Krieges – zu revolutionären Erhebungen gegen die bestehende Ordnung. Während diese in Russland tiefgreifende Veränderungen nach sich zogen, war selbst dem in einer parlamentarischen Demokratie endende Revolutionsversuch in Deutschland kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Daran hatte auch die zur damaligen Zeit stärkste, sozialistische respektive sozialdemokratische Partei (SPD) nicht unerheblichen Anteil. Uneins in der Frage über die Bewilligung der Kriegskredite zerfiel die Partei bereits im Jahre 1914 in einen gemäßigten und einen radikalen Flügel. Setzten erstere in Gestalt der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) auf Reformen innerhalb der bestehenden bürgerlich-marktwirtschaftlichen Verhältnisse im Kaiserreich und bis 1917 auf die Unterstützung des Krieges, lehnte der linke Flügel und damit die späteren Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) nicht nur die Kriegsführung entschieden ab, sie suchten zudem eine grundlegende gesellschaftliche und ökonomische Umwälzung der deutschen Gesellschaft zu erkämpfen.
Im Folgenden sollen die wesentlichen Positionen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie und die Ereignisse des Jahreswechsels 1918/19 in Deutschland skizziert werden. Die Entwicklung in Russland seit dem Februar 1917 ist dabei ein wichtiger Bezugspunkt. Dort wurde erstmalig versucht, einen sozialistischen Gesellschaftsentwurf in einem Staat umzusetzen. Der diesen Versuch begleitende Bürgerkrieg schürte die Angst der MSPD vor einer sozialen Revolution in Deutschland nachdrücklich, was eine noch unversöhnlichere Gegenüberstellung der beiden Flügel zur Folge hatte. Dem rechten Teil der Partei gelang es in diesem Konflikt schließlich die ehemalige SPD-Linke und vor allem der Spartakusbund in den Revolutionsmonaten 1918 und 1919 niederzukämpfen. Der Weg dahin und die verschiedenen politischen Ansätze werden im Folgenden dargestellt.
Ausschluss der Linken aus der SPD
Das deutsche Kaiserreich war zweifelsohne von autoritären Strukturen geprägt. Im Vergleich zum zaristischen Russland mochte es jedoch als liberale Gesellschaft anmuten, in der es möglich schien, sich in proto-demokratischen Verhältnissen einzurichten. Die Facharbeiter befanden sich – ihrer sozialistischen Parteiorganisation gleich – auf dem Weg der »Verbürgerlichung«. Die deutsche Sozialdemokratie war 1914 die einzige parteipolitische Vertreterin der Arbeiterbewegung. Bei der letzten Reichstagswahl vor dem Weltkrieg stieg sie mit knapp 35 Prozent 1912 zur stärksten Fraktion im Reichstag auf. In der Frage ob »Sozialreform oder Revolution« Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution? Mit einem Anhang: Miliz und Militarismus, in: Dies., Gesammelte Werke. Band 1, 1893 bis 1905. Erster Halbband. Berlin 1974 (a), 367–466. der zu beschreitende Weg zum Sozialismus sei, hatten sich die Mehrheit der SPD und der Gewerkschaften insgeheim für den Weg der Reformen entschieden. Politisch stand dabei eine Reform des Wahlrechts im Vordergrund, das bis dahin gerade die Hochburgen der Arbeiterbewegung mit dem Dreiklassenwahlrecht in Preußen systematisch benachteiligte und Frauen generell ausschloss.
Dem Reichstag selbst kam im Grunde nur symbolische Funktion zu. Zwar konnten die Parteien Gesetzen zustimmen oder sie ablehnen, doch bis auf das Budgetrecht und damit die Bewilligung von Krediten für die Rüstung verfügten sie kaum über institutionelle Macht. Die Regierung ernannte oder entließ der Kaiser, wie auch die Frage von Frieden und Krieg von einem kleinen Kreis meist aristokratischer Herren entschieden wurde.
Trotz der von SozialdemokratInnen organisierten Friedenskundgebungen stimmten ihre Vertreter im Reichstag der Bewilligung der Kriegskredite zu. Teile der Partei waren nicht bereit den nationalpatriotischen Weg der Führung von Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann mitzugehen und stimmten im Dezember gegen die Freigabe weiterer Kredite. Mit der demonstrativen Verweigerung der Zustimmung weiterer Kredite im Dezember 1914 besaß dieser Teil der Linken mit Karl Liebknecht auch eine Stimme im Reichstag. Diese Gruppe vergrößerte sich rasch auf 18 Abgeordnete, die die Unterstützung des Krieges verweigerten. Gleichzeitig nahm die mit Sondervollmachten ausgestattete Oberste Heeresleitung (OHL) unter Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg immer stärkere Züge einer Militärdiktatur an. Streiks und das öffentliche Eintreten gegen den Krieg wurden illegalisiert und mit Gefängnis geahndet. Rosa Luxemburg, eine der wenigen prominenten SPD-Frauen, hatte schon zuvor vehement gegen den Krieg Stellung bezogen, wofür sie bei dessen Ausbruch zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Karl Liebknecht folgte ihr 1916 aufgrund seines pazifistischen Engagements nach. Parallel dazu beendete die SPD-Parteiführung die innerparteiliche Auseinandersetzung dergestalt, als sie die Gruppe um Liebknecht aber auch Hugo Haase und Georg Lebedour im März 1916 aus der Reichstagsfraktion und der Partei ausschloss. Jene gründeten ein Jahr später in Gotha die USPD. Liebknecht und Luxemburg avancierten zu den wichtigsten VertreterInnen der radikalen Linken, die innerhalb der USPD als Spartakusgruppe agierten. Beide sollten jedoch erst im Herbst 1918 aus der Haft frei kommen.
Während die Gewerkschaften den kaiser- und kriegstreuen Kurs der SPD mittrugen, formierte sich in Berlin eine von den Gewerkschaften unabhängige, von in Betrieben gewählten Revolutionären Obleuten gebildete Organisation. Diese führte schon 1917 erste Massenstreiks an und besaß in den Belegschaften der Großbetriebe ihre Machtbasis. Ihr Widerstand wurde aber von anderen Marineeinheiten gebrochen und die Mehrzahl der Männer zwangsweise in die Kriegsmarine eingezogen. Sie bildeten ein Jahr später das Rückgrat des Matrosenaufstands. Währenddessen erlebte der Kriegsgegner Russland im Jahre 1917 gleich zwei politische Machtwechsel, die die gesellschaftliche Struktur grundlegend verändern und zum Friedensschluss mit Deutschland führen sollten.
Revolution, Umsturz und Bürgerkrieg in Russland
Politische Unterdrückung gegen all jene, die sich gegen das feudale, zaristische Regime stellten, prägten in Russland die Jahrzehnte vor dem Weltkrieg. Die sozialen Gegensätze gerade zwischen Land- und FabrikarbeiterInnen auf der einen und dem Adel und der Schicht des wohlhabenden Unternehmertums auf der anderen Seite waren immens. Folglich wurden die politischen Auseinandersetzungen zwischen dem Regime des Zaren und der linken Opposition so konfrontativ, wie in kaum einem anderen europäischen Land geführt.
Während die Sozialdemokratie in Deutschland Reformen den Vorzug gab, setzte in ihrer russischen Schwesterpartei eine merkliche Radikalisierung ein. Diesem Schritt ging im Jahre 1903 in London – wohin die gesamte Führungsriege emigriert war – die Spaltung der Partei voraus. Die Mehrheit der dort Versammelten entschied sich für eine orthodox-revolutionäre Ausrichtung. Die so entstandene Partei, die »Bolschewiki«, entwickelte sich unter der Führung Wladimir Lenins zu einer konformen und hierarchischen Kaderpartei, die die Revolution als Avantgarde führen sollte.
Die erste Revolution begann im Januar 1905 nachdem das zaristische Regime am Petersburger Blutsonntag die demonstrierende Bevölkerung vom Militär niederschießen ließ. Der danach einsetzende revolutionäre Prozess ging einher mit einer allmählichen Demokratisierung und der Einrichtung der Duma als Parlament. Doch 1907 endete diese Entwicklung abrupt, als sich das bürgerliche Lager mit der Autokratie in einem vermeintlichen Kompromiss arrangierte. Dieser und die damit verbundenen demokratischen Rechte wurden jedoch vom Zaren wieder aufgekündigt. Die soziale Lage blieb daher auch danach bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 gespannt. Die nationalistische Propagandamaschine versuchte von den eigentlichen gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Der Verlauf des Krieges brachte aber entgegen aller Propaganda an der russischen Westfront aber keinen Sieg, sondern nur Leid und Verbitterung auch an der »Heimatfront«.
Das Ende des 1. Weltkrieges wurde 1917 in Russland durch die »Februarrevolution« eingeläutet und durch die »Oktoberrevolution« durchgesetzt. Die zweite Revolution war erst durch den von der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) organisierten Transfer Lenins aus seinem schweizerischen Exil über diverse Grenzen in das politische Herz Russlands im Frühjahr 1917 möglich geworden.
Reformen und Demokratisierung bestimmten nach der Februarrevolution für einen kurzen Moment den gesellschaftlichen Alltag, wenn auch die verschiedenen politischen Lager erbittert um die Macht rangen. Durchsetzen konnten sich zunächst die linksliberal-bürgerlichen Kräfte unter Georgi Lwow, der später von dem Sozialdemokraten Alexander Kerenski an der Regierungsspitze abgelöst wurde. Parallel dazu sicherten die von den Sozialrevolutionären und Bolschewiki als eine Art Gegenmacht dominierten Räte den Wandel ab. Diese Konstellation bedeutete zugleich ein Patt zwischen den auf die Revolution hinarbeitenden Bolschewiki in den Räten und den bürgerlichen Kräften in Petersburg und Moskau, die sich auf die parlamentarisch legitimierte Duma beriefe.
Die bürgerliche Regierung setzte den Krieg gegen die Mittelmächte fort, womit sie die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung ignorierte. Außerdem übersah sie in der auch gegen die Bolschewiki gerichteten Zusammenarbeit mit der zaristischen Generalität, dass diese, darunter der Oberbefehlshaber, eine Militärdiktatur installieren wollten. Der Putsch der zaristischen Militärs konnte zwar niedergeschlagen werden, doch zeigte er, dass den bürgerlichen Kräften unter Kerenski eine Machtbasis fehlte, über die die Bolschewiki mittlerweile verfügte. So konnten Erstere im Oktober 1917 problemlos von den Bolschewiki niedergeworfen werden. Deren erste Amtshandlung bestand in der Verabschiedung des »Dekret über den Frieden« und Waffenstillstandsverhandlungen mit Deutschland aufzunehmen.
Die noch von Kerenski im November anberaumte Wahl zur Allrussischen Konstituierenden Versammlung bescherte den Bolschewiki zwar eine empfindliche Niederlage, da sie im Gegensatz zu den 17 Millionen Stimmen der sozialrevolutionären Menschewiki nur 9 Millionen Stimmen auf sich vereinigen konnten. Frank Alfred Golder u.a. (Hg.), The Bolshevik Revolution, 1917–1918. Documents and Materials. Stanford University Press & Oxford University Press 1934, 350. Dessen ungeachtet lösten sie das Parlament bei seinem Zusammentreten am 18. Januar 1918 auf. Ähnlich verfuhren sie mit den Räten, bei denen sie nicht über die entsprechenden Mehrheiten verfügten. Lenins rigorose Ablehnung des Parlamentarismus war kein Geheimnis. Sein Gesellschaftsbild stütze sich ganz Wesentlich auf die Interpretation von Marx und Engels, weshalb er Parlamente als Schwatzbuden betrachtete. Wladimir I. Lenin, Staat und Revolution, Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution, Berlin 1951(b), 50. Unter Berufung auf deren Analyse der Pariser Kommune sollten freiheitliche Verhältnisse auf die Zeit nach der Niederlage der GegnerInnen verlegt werden. Lenin, Staat und Revolution, 94. Vom alten System sollte dagegen die funktionierende Bürokratie und damit die Beamtenschaft übernommen werden. Das ökonomische Vorbild war interessanterweise das staatskapitalistische Unternehmen der Post. Vgl. ebd., 54. Das Ziel formulierte Lenin so: »Die gesamte Gesellschaft wird ein Büro und eine Fabrik mit gleicher Arbeit und gleichem Lohn sein«. Vgl. ebd.,107.
Lenin betonte, dass »die Diktatur des Proletariats ohne Verletzung der Demokratie gegenüber der Klasse der Ausbeuter« nicht möglich sei und daher »das Proletariat nicht siegen kann, ohne den Widerstand der Bourgeoisie gebrochen« Wladimir I. Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, Berlin 1951(a), 39 f. zu haben. Der Gegner, der der militärische Organisator Lev Trotzki mit der Roten Armee bekämpfte, war nicht mehr nur das zaristische Militär, sondern auch die bürgerlichen Kräfte und die linke Opposition. Folgerichtig gründeten die Bolschewiki im Dezember 1917 die Tscheka – seit 1954 auch als KGB bekannt – als Kampforgan gegen vermeintliche KonterrevolutionärInnen. Ein knappes Jahr später wurde im September mit dem Dekret »Über den Roten Terror« auch die Einrichtung von Lagern für RegierungsgegnerInnen beschlossen. Ilja S. Rat‘kovskij, Krasnyj Terror i dejatel'nost' V?K v 1918 godu, St. Petersburg 2006. Drohte dieses Szenario auch für das Deutschen Kaiserreich und welche Ideen konnten in Deutschland greifen?
Meuterei und Revolution im Norden
Bereits seit November 1917 wurden Verhandlungen zwischen Russland und den Mittelmächten über einen Friedensschluss geführt. Die mit der Revolution vorübergehend unabhängig gewordene Ukraine schloss Anfang Februar 1918 ein Separatfrieden mit den Mittelmächten. Sowjetrussland musste am 3. März 1918 den Frieden von Brest-Litowsk schließen. Während damit formal Frieden im Osten herrschte, ging der Krieg an der Westfront unvermindert weiter. Doch die deutschen Offensiven waren nicht erfolgreich. Am 29. September 1918 gestand die OHL gegenüber dem Kaiser ihre Niederlage ein und verlangte von ihm die Einrichtung einer Regierung, die von den im Reichstag vertretenen Parteien getragen werden sollte: »Eine ›Revolution von oben‹ […] Je vollständiger der Bruch mit der bisherigen Regierung und Verfassung war, umso glaubwürdiger würde es sein, daß das Waffenstillstandsgesuch dem eigenen Wollen der neuen Männer entsprungen sei – und daß die Armee nichts damit zu tun habe«. Sebastian Haffner, Der Verrat, 1918/19 – als Deutschland wurde, wie es ist, Berlin 1993, 27.
Fünf Tage später ernannte Hindenburg den liberal gesinnten Max von Baden zum Reichskanzler, der sofort die Gespräche mit der MSPD unter Friedrich Ebert suchte. Am 5. Oktober 1918 wurde Deutschland zu einer konstitutionellen Monarchie mit dem Reichstag als dem entscheidenden Gremium. Da die SPD und das katholische Zentrum zusammen die Mehrheit hielten, mussten sie das Waffenstillstandsgesuch an die Entente richten. Gleichzeitig gab Ludendorff sein Amt in der OHL an General Wilhelm Groener ab. Doch während die OHL und die Reichsregierung mit einem Waffenstillstand einer militärischen Niederlage zuvorkommen wollten, bestand die deutsche Admiralität auf einer letzten die »Ehre rettenden Schlacht«. Den Befehl zum Auslaufen der Flotte in Wilhelmshaven am 28. Oktober verweigerten die Besatzungen der Schlachtschiffe jedoch. Zwar konnten sie noch mit Waffengewalt kaisertreuer Soldaten festgesetzt werden, allerdings löste ihre beabsichtigte Verurteilung in Kiel am 3. November Massenproteste aus, die schließlich zu offener Meuterei und zum Aufstand der Matrosen führten. Mit den Arbeitern und dem neu gegründeten Arbeiter- und Soldatenrat im Rücken übernahmen die Matrosen die Macht in der Stadt. Der von Kiel ausgehende revolutionäre Funke übertrug sich rasch auf andere norddeutsche Großstädte.
Konzeptionen für den Wechsel
Der Ruf nach Frieden war nach vier Kriegsjahren ein bestimmendes Element der Revolution gewesen. Gleichzeitig versuchten die verschiedenen Strömungen der deutschen Sozialdemokratie mit ihren Ideen die gesellschaftliche Entwicklung zu beeinflussen.
Die Mehrheitssozialdemokratie empfand die Niederlage der deutschen Kriegspolitik als Zusammenbruch. Detlef Lehnert, Sozialdemokratie und Novemberrevolution. Die Neuordnungsdebatte 1918/19 in der politischen Publizistik von SPD und USPD, Frankfurt a.M./New York 1983, 55. Der sollte zwar für den lang beabsichtigten Wandel genutzt werden, doch der per Verfassungsänderung vom 26. Oktober 1918 im Reichstag beschlossene Wandel zu einer konstitutionellen Monarchie war für die MSPD ausreichend. Vor allem wollten zentrale Akteure wie Ebert und Scheidemann eine Entwicklung analog zu der in Russland verhindern. Eine wirkliche Umwälzung der Eigentumsverhältnisse, eine Vergesellschaftung der Großunternehmen lehnten sie ab. Die Demokratisierung und die sozialen Rechte der Arbeiterschaft sollten im Rahmen der bestehenden Ordnung erreicht werden. In erster Linie galt es diese zu wahren und einen radikalen Umsturz zu verhindern.
Auch die Gewerkschaften waren auf der Funktionärsebene im November 1918 bemüht, ihre Ziele, wie eine betriebliche Mitbestimmung und den Acht-Stunden-Tag, kooperativ mit den Unternehmern durchzusetzen, womit sie zugleich der revolutionären Bewegung den Wind aus den Segeln nahmen, worüber sich ein den revolutionären Obleuten nahestehender führender USPD-Politiker beklagte: »Als die Revolution siegreich durch Deutschland brauste, die Throne stürzten und die Herrschaft der Bourgeoisie gebrochen schien, da saßen die Vertreter der Generalkommission der Gewerkschaften […] mit den Führern der der Großindustrie...«. Richard Müller, Die November-Revolution, Vom Kaiserreich zur Republik, II. Band, Wien 1925, 112.
Die USPD hingegen bestand sowohl aus Vertretern, die mit der SPD vor allem wegen ihres kaisertreuen Kriegskurs gebrochen hatten als auch aus einer Fraktion, die klar für einen radikalen sozialen Wandel inklusive Sozialisierung der Großunternehmen eintrat. Der Spartakusbund um Rosa Luxemburg strebte dabei eine sozialistische und damit auch eine demokratische Revolution an. Nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung sollte sie nach ihrer Freilassung am 9. November 1918 nicht mehr nehmen. Allerdings war Luxemburg die Chefredakteurin der Roten Fahne gewesen und hatte das Programm der aus den Spartakisten entstehenden KPD entworfen. Doch während Lenin nach seiner Ankunft im revolutionären Petersburg die Machtübernahme durch die Bolschewiki organisierte, setzten Luxemburg und Liebknecht in Berlin auf Agitation und Aufklärung. Sebastian Haffner, Der Verrat, 1918/19 – als Deutschland wurde, wie es ist, Berlin 1993, 144. Dies entsprach Luxemburgs Überzeugung, die sie schon angesichts der Russischen Revolution von 1905 dargelegte hatte: »In Volksrevolutionen ist dieser geniale Feldherr kein ›Parteikomitee‹ und kein ›Zirkelchen‹, das sich hochtrabend ›Kampforganisation‹ nennt, sondern allein die breite Masse, die ihr Blut vergießt.« Sebastian Haffner, Der Verrat, 1918/19 – als Deutschland wurde, wie es ist, Berlin 1993, 144. Sie widersprach einem elitären Avantgarde-Konzept von Partei und Revolution, wie es von Lenin vertreten wurde: Revolution ja, aber nicht gegen die Masse des Volkes. Luxemburg hatte in der sogenannten Revisionismus-Debatte mit Eduard Bernstein ausgeführt, dass »in der Form des bürgerlichen Parlamentarismus, (…) die Klassengegensätze nicht aufgehoben sind, sondern vielmehr entfaltet und bloßgelegt werden«, Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution? Mit einem Anhang: Miliz und Militarismus, in: Dies.: Gesammelte Werke. Band 1, 1893 bis 1905, Erster Halbband, Berlin 1974 (a), 367–466, 431. und eine sozialistische Umwälzung »einen bestimmten Reifegrad der ökonomisch-politischen Verhältnisse« Luxemburg, Sozialreform oder Revolution, 434. verlangen würde. Doch der genaue Zeitpunkt müsse immer zu früh kommen, da das Proletariat »gar nicht imstande ist, die Staatsgewalt anders als ›zu früh‹ zu erobern, oder, mit anderen Worten, da es sie unbedingt einmal ›zu früh‹ erobern muß, um sie schließlich dauernd zu erobern«. Vgl. ebd., 435. Auch Liebknecht äußerte sich zur Möglichkeit der Revolution: »Wir wollen, daß sich der Umbau der Gesellschaft und der Wirtschaft ohne Unordnung und in aller Friedlichkeit vollziehe. Und wenn Unordnung und Bürgerkrieg entstehen sollten, so werden einzig und allein diejenigen die Schuld tragen, die ihre Herrschaft und ihren Profit stets mit Waffengewalt befestigt [...].« Zudem reflektierte seine Vorstellung des gesellschaftlichen Wandels die Unterschiede zu den Entwicklungen in Russland, wie sich an folgender Passage zeigen lässt: »Wir besitzen ferner ein bereits hochentwickeltes Genossenschaftswesen, an dem vor allem auch der Mittelstand interessiert ist. Auch dies ist ein geeignetes Mittel zu einer wirksamen Durchführung des Sozialismus.« Karl Liebknecht, Was will der Spartakusbund?, Rede in einer Versammlung in der Hasenheide in Berlin, 23. Dezember 1918, zit. n. http://0cn.de/xf1k. Den diktatorisch-gewaltsamen Weg der Bolschewiki wollten Liebknecht und Luxemburg nicht gehen, denn »ohne freie, ungehemmte Presse, ohne ungehindertes Vereins- und Versammlungsleben [ist] gerade die Herrschaft breiter Volksmassen völlig undenkbar«. Luxemburg, Rosa: Zur russischen Revolution, zit. n. http://0cn.de/2uoe.
Machtübergabe: Räte, Republik und OHL als Partner
Trotz aller Versuche die Revolution nach Berlin zu exportieren, gab es keinen direkten Einfluss der russischen Bolschewiki auf das Geschehen in Deutschland. Gleichwohl unterstellten die Mehrheitssozialdemokraten der radikalen Linken immer wieder den beabsichtigten Aufbau einer Diktatur über die Einrichtung von Arbeiter- und Soldatenräte. Eduard Bernstein, Die deutsche Revolution von 1918/19, Geschichte der Entstehung und ersten Periode der deutschen Republik. Herausgegeben und eingeleitet von Heinrich August Winkler und annotiert von Teresa Löwe, Bonn 1998, 50. Und in der Tat planten die von der USPD und dem Spartakusbund beeinflussten Revolutionären Obleute eine Erhebung in Berlin für den 11. November 1918, wobei sich ihr Vorhaben jedoch auf Massenstreiks und deren militärischen Schutz beschränkte. Doch das noch halbwegs intakte OHL-Regime konnte mit Verhaftungen jene revolutionären Momente verzögern. Angesichts der Rätebewegung in Norddeutschland wurden am 7.11. »Arbeiter- und Soldatenräte nach russischem Muster« in Berlin verboten. Der Oberbefehlshaber in den Marken, Generaloberst von Linsingen, dokumentiert in: Gerhard A. Ritter/Susanne Miller, Die deutsche Revolution 1918/19, Dokumente. Frankfurt a. M. 1983, 62. Dessen ungeachtet erreichte die Revolution die Hauptstadt nur einen Tag später, allerdings ohne dass sie von den Revolutionären Obleuten gesteuert werden konnte. Die MSPD suchte im letzten Moment auf den revolutionären Zug aufzuspringen und rief mit der USPD zusammen am 9. November 1918 zum Generalstreik auf, um den Kaiser zur Abdankung zu zwingen. Noch am selben Tag erklärte Reichskanzler Max von Baden die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und übergab die Amtsgeschäfte an Friedrich Ebert. Damit war der geordnete Übergang im Sinne des alten Systems gewahrt und die Verantwortung für die Gestaltung des Friedens abgegeben. Die MSPD stellte nun den Reichskanzler. Neben der Ausrufung einer bürgerlich-demokratischen Republik durch Philipp Scheidemann rief am selben Tag Karl Liebknecht ebenfalls in Berlin eine sozialistische aus. Sämtliche in der Hauptstadt stationierten Regimenter schlossen sich Liebknecht an und verweigerten den Schießbefehl. Parallel wurden die wichtigsten Regierungsgebäude besetzt und die Betriebe mit einem Generalstreik stillgelegt.
Die Reste des spätfeudalen Systems implodierten. Die Revolution führte zur Abdankung des Kaisers und der anderen regierenden Königs- und Fürstenhäuser in Deutschland. Neben der Reichsregierung gründeten sich aller Orten Arbeiter- und Soldatenräte. Der Berliner Rat wählte aus Angehörigen der Führungsschicht von MSPD und USPD am 10. November paritätisch den Rat der Volksbeauftragten als Übergangsregierung. Eine der wichtigsten Herausforderungen war die Rückführung des aus mehreren Millionen Mann bestehenden Heeres von der West- aber auch der Ostfront. Ein Großteil der geordnet Heimkehrenden verließ die Armee kurzerhand.
Gleichzeitig versicherte sich Ebert der Unterstützung durch die OHL unter General Groener und den wenigen einsatzfähigen Heeresverbänden im Inland. Als gemeinsamen Gegner betrachteten OHL und Ebert die radikalen Linken. Analog unterzeichneten am 11. November Vertreter der neuen Republik den Waffenstillstand mit den Westmächten, mit dem der Vertrag von Brest-Litowsk annulliert und im Osten der Rückzug auf die Grenzen von 1914 notwendig wurde.
Eskalation vor den Wahlen
Die Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der MSPD und der ehemals kaiserlichen Bürokratie in den Ministerien verlief vergleichsweise reibungslos. Dagegen waren die Vertreter der USPD in der Regierung von der Nichtachtung der bürgerlich-aristokratischen Beamten gestraft. Hinzu kam, dass das Verhältnis von MSPD, USPD und Spartakusgruppe von spürbarem Misstrauen geprägt war. Während die MSPD von Beginn an des Verrats an der Revolution sowie der Mitschuld an der Fortführung des Kriegs bezichtigt wurde, brandmarkte diese wiederum die radikale Linke als Quelle einer bolschewistischen Revolution. Deutschlandweit hatten sich, wie schon in Russland, Arbeiter- und Soldatenräte als Organe der Revolution gegründet. Aus Angst vor der revolutionären Dynamik suchte die Führung der MSPD das Bündnis mit den bürgerlich-nationalen Kräften in Wirtschaft und im Militär. Hinzukommend brachte aber auch die Wahl zum Arbeiter- und Soldatenrat Berlins im November eine deutliche Mehrheit für die Vertreter der MSPD, so dass auch von den Räten kaum umstürzlerische Aktionen zu erwarten waren. Für die komplette Umgestaltung der Macht- und Eigentumsverhältnisse gab es weder in Berlin noch anderswo in Deutschland eine dezidierte Mehrheit. Allerdings existierte eine große Bewegung zur Sozialisierung der Großunternehmen, die besonderes im Ruhrgebiet und in der gesamten Sozialdemokratie stark war.
Im Dezember 1918 eskalierten die Spannungen zwischen der MSPD und der radikalen Linken. Diese wurden nicht mehr nur über die MSPD-Zeitung Vorwärts oder die Rote Fahne der Spartakisten mit aller verbalen Härte ausgetragen. So kam es am 6. Dezember in Berlin zu ersten Todesopfern, nachdem der von der MSPD gestellte Stadtkommandant den Schießbefehl auf spartakistische DemonstrantInnen gegeben hatte.
Sowohl die radikale Linke als auch die MSPD verfügten über bewaffnete Einheiten. Gustav Noske, MSPD Mitglied und Volksbeauftragter des Heeres, konnte sich jedoch auf einige heimkehrende einsatzfähige Gruppen und auf Freiwilligenverbände – unter ihnen viele Studenten – stützen. Diese Freikorps nahmen auch zahlreiche von der Ostfront kommende Soldaten und Offiziere auf. Da eine Bezahlung aus der leeren Staatskasse kaum möglich war, wurden sie durch Spenden aus dem Bürgertum finanziert. In Berlin spielten dabei vor allem die Garde-Kavallerie-Schützen-Division und die Brigade Reinhard eine zentrale Rolle.
Am 23.12.1918 eskalierte der Konflikt endgültig, als die der radikalen Linken zugerechnete Volksmarinedivision aus dem von ihnen besetzten Berliner Schloss vertrieben werden sollte. Die sogenannten Berliner Weihnachtskämpfe kosteten Dutzenden das Leben. Die vergleichsweise unblutige Revolutionszeit war endgültig vorbei und ging in einen Bürgerkrieg über. Die Vertreter der USPD zogen sich aus Protest gegen die von der MSPD betriebene Politik aus der gemeinsamen Regierung zurück, denn diese versuchte nun immer unverhohlener auch die letzten zur radikalen Linken gehörenden Personen aus Schlüsselpositionen entfernen. Die Absetzung des von der USPD gestellten Polizeipräsidenten wurde mit Massenprotesten am 5. Januar 1919 beantwortet. Die Spartakusgruppe bzw. die neugegründete KPD rief zum Aufstand auf, wobei sie in dem Glauben agierte, dass sie über die Unterstützung der revolutionär gestimmten Soldaten in Berlin verfügte. Doch weder sie, noch die USPD, noch die proletarischen Massen folgten ihrem Aufruf, auch wenn das Zeitungsviertel mit dem Gebäude des Vorwärts von der Volksmarinedivision und Spartakisten besetzt wurde. Dagegen gewannen die gegen sie eingesetzten Verbände von Freikorps und Heer schnell die Oberhand. Im Zuge dessen ermordeten Mitglieder der Brigade Reinhard nicht nur Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, sondern es kam in den proletarischen Bezirken Berlins auch zu Massenerschießungen von Spartakisten und KPD-AnhängerInnen während in den gutbürgerlichen Stadtteilen die Sieger gefeiert wurden. Die MSPD hatte diesen gewalttätigen Übergang zu einem parlamentarischen System bewusst in Kauf genommen.
Trotz allem wurde die MSPD bei den erstmals mit dem Frauenwahlrecht am 19. Januar stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung mit 38 Prozent stärkste Fraktion. Die USPD lag bei knapp acht Prozent. Ebert wurde schließlich am 11. Februar 1919 mit den Stimmen der MSPD, des katholischen Zentrums und der linksliberalen DDP zum Reichspräsidenten gewählt. Die zuvor und im Anschluss stattfindenden Gewaltexzesse der Freikorps-Soldaten in den Arbeiterbezirken Berlins, Münchens oder des Ruhrgebiets wurden bereits teilweise in Uniformen und Fahrzeugen durchgeführt, an denen das Hakenkreuz angebracht war. Der anhaltende Rechtsbruch wurde von der SPD-Regierung gedeckt, indem sie Militärs, Beamte und Freikorps auch in den Jahren 1919 und 1920 walten ließ und unterstützte. Werbeanzeigen für Freikorps-Einheiten finden sich auch nach dem Mord an Liebknecht und Luxemburg noch in der SPD-Parteizeitung Vorwärts: »Wer schützt uns vor Bolschewismus und Terror?«, dokumentiert in: Ritter/Miller, Die deutsche Revolution1918/1919, 195. Mord und Totschlag am politischen Gegner war die Selbstjustiz der Sieger auch in der Provinz wie in den thüringischen Kleinstaaten. Besonders engagiert war dabei auch der bürgerlich-aristokratische Nachwuchs. Für das Massaker von Mechterstädt im Jahre 1920 im Freistaat Gotha wird beispielsweise das Studentenkorps Marburg verantwortlich gemacht. Vgl. Bruno W. Reimann, Die Morde bei Mechterstädt. 25. März 1920, Blätter zur Landeskunde, Erfurt 2001.
Der anfängliche Verlauf der revolutionären Ereignisse in München zeigte allerdings, dass ein demokratischer, von der Linken geführter Wandel möglich gewesen wäre. Dort war bereits am 8. November 1918 die Republik ausgerufen worden. Kurt Eisner, dem ersten Ministerpräsidenten der Republik gelang es, eine arbeitsfähige Koalition von SPD und USPD zu bilden und den Wandel zusammen mit den Räten sowie mit der frei gewählten bürgerlichen katholischen Mehrheit im Landtag zu gestalten, ohne zwischen einer vermeintlichen Alternative »Rätediktatur oder bürgerlich-parlamentarische Demokratie« Haffner, Der Verrat, 167. wählen zu müssen. Doch mit der Ermordung Eisners durch einen rechtsnationalen Studenten am 21. Februar 1919 veränderte sich die Lage schlagartig: Die nach seinem Tod hastig eingesetzte Räterepublik, wurde von Freikorpsverbänden blutig niedergeschlagen. Die von diesen verübten Gräuel seien durch den Tagebucheintrag des in großbürgerlichen Verhältnissen aufwachsenden Klaus Mann verdeutlicht: »Vorgestern sind fünf Spartakisten in unserem Schulhof hingerichtet worden. Einer von ihnen war erst siebzehn. Er wollte sich die Augen nicht verbinden lassen. Der Professor sagt, das beweist, wie fanatisch er war. Aber ich finde es bewundernswert.« Klaus Mann, Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht, Berlin/Weimar 1974, 84.
Die Spaltung bleibt
Kurt Tucholsky fasste die Beweggründe der revolutionären Akteure wie folgt zusammen: »Die Mutter dieser Revolution war die Sehnsucht der Soldaten, zu Weihnachten nach Hause zu kommen«. Kurt Tucholsky, Lerne lachen ohne zu weinen. Auswahl 1928 bis 1929, Berlin 1972, 495. Die Novemberrevolution trug sicherlich auch zur Beendigung des Krieges bei. Doch obschon in Deutschland demokratische Strukturen durchgesetzt wurden, blieben tiefgehende Reformen, der Austausch der Eliten in Justiz und in der Beamtenschaft ebenso wie eine Sozialisierung der Großindustrie auf der Strecke. Aus Angst vor einer Revolution sah die MSPD ihren Gegner vor allem in der radikalen Linken. Im Auftrag der sozialdemokratischen Regierung bekämpften rechte Truppen die Träger der sozialen Revolution. Deren Verteidigung zu übernehmen war die USPD weder in der Lage noch willens. Der radikalen Spartakusgruppe und späteren KPD fehlten hingegen die organisatorische Kraft und vor allem die Unterstützung der Bevölkerung. Ihr blieb am Ende nur gewaltsamer Aktionismus. Die eigentliche Gewalt ging jedoch überwiegend vom rechtsbürgerlichen Spektrum aus. Sie bleibt aber auch mit den Namen Ebert und Noske und damit mit der SPD verbunden. Die mit diesem Verlauf einhergehende Radikalisierung der KPD und die dauerhafte Spaltung der deutschen Linken trugen maßgeblich zum Sieg rechtsbürgerlich-nationalsozialistischer Kräfte im Jahr 1933 bei.
~ Von René Lenz. Der Autor lebt und arbeitet als Sozialwissenschaftler in Leipzig und in Weimar.