Der Kunstklub ist diesmal keine Diskussion mit eingeladenen Künstler_innen, sondern handelt vom Versuch einer thesenhaften Bestandsaufnahme, die sich mit der Frage Was und seit wann ist Gegenwartskunst? auseinandersetzt, der auch eine gemeinsame Veranstaltung der beiden AutorInnen im Hamburger Golem gewidmet war.Die Veranstaltung fand am 13. Mai 2012 statt; dokumentiert ist sie hier: http://golem.kr/?p=1800. Aus ihr entwickelte sich ein weiteres Interesse an hieran anschließenden Fragen, wie etwa der nach dem Übergang der Moderne in die Gegenwart und beider Verhältnis zueinander, in der Kunst wie auch in der Massenkultur. Aus dieser Gegenüberstellung ergaben sich einige Thesen, die sich in dem Befund zuspitzen lassen, dass die Gegenwartskunst heute, ähnlich wie schon die Massenkultur vor ihr, als Industrie zu fassen ist: Die Gegenwartskunst ist – im Gegensatz zur Moderne – keine Epoche, kein Stil, keine künstlerische Positionierung, sondern ein Marktsegment industrieller Massenkultur. Sie kann nicht enden.
KS: Die Autonomie der Kunst als Gegenwartskunst ist zunächst nicht mehr als eine Wareneigenschaft. Autonomie als soziale Eigenschaft der Kunst, wie Theodor W. Adorno sie beschreibt, ist ein spezifisches Charakteristikum der Moderne, in der sie, vom direkten Herrschaftsdienst befreit, zwischen Mäzenentum, Individualverkauf, Amateurdasein, Eskapismus und hochkultureller Kulturpolitik aus einer gesellschaftlichen Position der Funktionslosigkeit agierte. Autonomie bezeichnet eine Sprechposition, die von kritischer Allmacht ebenso handelt wie von faktischer politischer Handlungsunfähigkeit. Nachhaltig wurde künstlerische Politik immer nur dort, wo sie keine Kunst war, also ihre Autonomie versuchte aufzugeben. In der Gegenwartskunst verkehrt sich diese Situation. Sie ist wesentlich heteronom, eine Industrie unter anderen. In ihr werden Märkte erschlossen, produktive Arbeit verrichtet, die Arbeitsteilung ausgebaut, in der innerhalb gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit produziert wird. Die formelle Subsumption der Kunst unters Kapital, die ihre Autonomie kennzeichnete, wandelte sich zur reellen Subsumption der Kunst unters Kapital in der Etablierung der Gegenwartskunst nach dem Zweiten Weltkrieg.Marina Vishmidt argumentiert in diesem Zusammenhang, dass die Autonomie der Kunst analog zu derjenigen des Kapitals angeordnet sei, in gewisser Weise als »automatisches Subjekt«. Siehe z.B. http://www.thisisthebarbershop-agencia.com/vishmidt.html. Gegenwartskunst ist ein Kapitaleffekt.
RB: Mit der »Autonomie« sprichst Du ein Konzept an, das ja gerade deshalb im 19. Jahrhundert zum Zentralbegriff der ÄsthetikWir können hier Ästhetik gleichsam als Ideologie der Kunst verstehen. Terry Eagleton hat gezeigt, dass die philosophische Ästhetik von Anbeginn an (Shaftesburry, Burke und Baumgarten) als bürgerliche Ideologie fungierte. Für das 19. Jahrhundert wird signifikant, dass die Ästhetik nunmehr in der Kunst ihre Domäne findet, gleichwohl auch die Kunst durch die Ästhetik gesellschaftlich abgeriegelt wird.
wurde, weil die Kunst in ihrer faktischen Unabhängigkeit innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft schutzlos dem Markt ausgeliefert gewesen wäre, wenn sie es nicht eben als Kunst vermocht hätte, sich vor der Kommerzialisierung zu schützen.Vgl. Lutz Winckler, Kulturwarenproduktion, Frankfurt a.M. 1973. Eine interessante Paradoxie, die in die Hybris der Kunst, auch in ihre Allmachtsphantasie, die Du erwähnst, eingegangen ist: Gerade auf dem Markt kann sie kraft ihrer Autonomie beweisen, dass die Vermarktung ihr nichts anhaben kann; und je erfolgreicher sie auf dem Markt gehandelt wird, umso stärker scheint zugleich ihre Autonomie zu sein. Hier tritt wohl das erste Mal hervor, was in besonderer Weise den Doppelcharakter der Ware Kunst ausmacht: dass nämlich Gebrauchswert und Tauschwert merkwürdig changieren.
KS: In gewisser Weise war die moderne Kunst sozusagen der glückliche Moment des Warenfetischismus. Wie Adorno es schon beschrieben hat, erschien Kunst als die Ware schlechthin (nicht eine Ware unter vielen, wie in der Gegenwartskunst). Sie war das, was die anderen Waren nur vortäuschten: individuell produziert, einzigartig, Erscheinung. Und darin ist die Gebrauchswert/Tauschwert-Situation, die Du ansprichst, ja zentral: denn die Autonomie entwickelte sich eben aus der Abgrenzung der künstlerischen Produktion von ihrem möglichen Gebrauchswert – Hochkultur ist sozusagen reiner Tauschwert. Daher hatte die Herstellung von Gebrauchswerten in der Kunst ja auch immer so eine zentrale politische Bedeutung in der Moderne. Heute hat sich dieses Verhältnis verkehrt: auf Messen wie z.B. der Design Miami/Basel präsentiert sich Design bevorzugt als Kunst, während gerade die markttauglichesten Gegenwartskünstler die sind, die Designiges präsentieren.
RB: Und das ist ein zentrales Motiv für die moderne Kunst, zu dem – sehr entscheidend – hinzukommt, dass in die autonome Kunst unmittelbar auch die Idee ihrer autonomen Produktion eingeht. Das heißt Künstler_innen produzieren im Gegensatz zum Proletariat im Modus unentfremdeter Arbeit, »formieren« also noch, wie Marx es notiert, »nach den Gesetzen der Schönheit«.Vgl. Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, in: MEW Erg.-Bd. 1, 517. Aus diesem Modell der modernen Kunst, das sich in der Malerei ebenso wie in der Musik oder Literatur durchsetzt, entsteht die künstlerische Moderne als Stil. Schon die moderne Kunst entfaltete sich nicht nur in der Massenkultur, die ja auch zur Moderne gehört, sondern als Massenkultur (Gustave Courbet, Jacques Offenbach, Alexandre Dumas etc.). Um 1900 setzt sich das fort: Die Kunst der Moderne hat in der sich etablierenden Kulturindustrie nicht nur ihre Parallele, sondern ihre Entsprechung. Damit verändert sich aber die gesellschaftliche Funktion der Kunst, ebenso wie der Status künstlerischer Produktion. Weltkrieg und eine allgemeine Krise der modernen bürgerlichen Gesellschaft drängen schließlich die Kunst in eine politische Position, verlangen zumindest eine politische Stellungnahme.
KS: Und das Politische konnte die Kunst eben nur herstellen, indem sie sich in die »entfremdete Arbeit« begab, wie sich sowohl für die Avantgarde im Kapitalismus am Bauhaus als auch für die revolutionäre Avantgarde des Russischen Produktivismus oder die daraus resultierenden Proletkultbewegungen zeigen lässt.
RB: Dass die Kunst nur politisch werden konnte, indem sie ihren exklusiven, wenn man so will: unpolitischen Status aufgab und sich in ihrer Praxisform der kapitalistischen Produktion unterwarf, lässt sich einmal mehr auch an der Kulturindustrie, insbesondere ihrem Prototyp, dem Hollywood-Studiosystem zeigen: Der Film ist ja die erste echte bürgerliche Kunstform, wie Béla Balázs bemerkte. Die hier angestellten Künstler_innen, zu denen ja dann auch Strawinsky oder Schönberg gehörten, fanden sich in einem Lohnverhältnis wieder. Dadurch wird ihre Politizität von einer »Formsache« eben auch zu einer Frage praktischen Verhaltens. Ähnliches lässt sich überhaupt für die – nicht zuletzt auch vor allem technische – Entwicklung der damals neuen Massenmedien sagen (1924 nahm Oskar Fried erstmals eine gesamte Mahler-Sinfonie – die 2. Sinfonie mit über achtzig Minuten Länge – für Schallplatte auf;Vgl. http://www.fugato.com/pickett/mahler2-fried.shtml. erinnert sei auch an Sasha Stones Einbandgestaltung für Benjamins Einbahnstraße von 1928 sowie Moholy-Nagys Typofotografien und seine Theorie der »mechanischen Fantasie«Vgl. www.dbnl.org/tekst/_int001inte01_01/_int001inte01_01_0034.php.). Hier wird vielleicht auch noch einmal die Brisanz deutlich, mit der Benjamin im Kunstwerkaufsatz die »Ästhetisierung der Politik« mit der »Politisierung der Kunst« konfrontierte: Sein Beispiel ist ja der Faschismus des italienischen Futurismus, der sich an der Mordmaschinerie des Ersten Weltkriegs berauscht. Mit dem Zweiten Weltkrieg kulminiert dann allerdings vollends das Debakel der Moderne. Der Surrealismus ist gescheitert, die sowjetische Avantgarde durch Stalin vernichtet, die Kunst ohnehin integriert.
KS: Der Zweite Weltkrieg führte zu einer Erweiterung der gesellschaftlichen Produktivkräfte durch die Kriegsmaschinerie und der kulturellen durch die Nationalpropanganda mit der Etablierung der Massenmedien. Nach 1945 war in Europa daher die Fortsetzung der autonomen Avantgarden zum einen verunmöglicht durch deren objektive Antiquiertheit im Angesicht der Industrie, zum anderen durch den gesellschaftlichen Vorrang der Massen- über die Hochkultur. In den Vereinigten Staaten stellte sich die Situation anders dar: hier hatte bereits in den dreissiger Jahren die Organisierung der Künstler_innen als Arbeiter_innen in der WPA (Works Progress Administration)Roger G. Kennedy/David Larkin, When Art Worked, New York 2009. dazu geführt, dass die Kunstproduktion gegenwärtig wurde. Gegenüber dem modernen ästhetischen Vorrang des Werks und der Erscheinung trat nun die Produktion in den Vordergrund. Künstler wie Philipp Guston, Willem de Kooning oder Lee Krasner, deren oftmals ungegenständliche Malereien sich keine fünfzehn Jahre später ungewollt in der Frontstellung des Kalten Krieges wiederfanden, produzierten hier Gebrauchswerte (für Messen, Postämter, Behörden) ebenso wie Tauschwerte. Die Kunst wurde gegenwärtig, indem sie Arbeit wurde, indem die Künstler als Künstler vom Staat mit Subsistenzmitteln versorgt wurden. Der gerade in den fünfziger Jahren aggressiv vertretene Modernismus – z.B. von Clement Greenberg –,Francis Frascina, Pollock and after: The Critical Debate, New York 1985. war ebenso wie Adornos verzweifelter Versuch der Rettung der Moderne in den sechziger Jahren jedoch ganz im Gegenteil davon geprägt, diese Werke gegen ihre Produktion auszuspielen und eben jene Bereiche der künstlerischen Produktion abzuschneiden, die diese Verbindung sichtbar machten: das Design in all seinen Facetten. Hatten die Anwendungsgebiete der bildenden Kunst in den künstlerischen Avantgarden des frühen zwanzigsten Jahrhunderts im Bauhaus, Dada, Neuer Sachlichkeit, dem Produktivismus usf., einen wesentlichen politischen Einsatz bedeutet, wurden sie nun zur drohenden Aussicht einer (hier zunächst staatlichen) Industrialisierung der Kultur. Nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gegenwärtig zu werden, wurde zum Fatum der Moderne: sie war objektiv zum Handwerk degradiert, da ihre Produktionsmittel nicht länger denen der allgemeinen gesellschaftlichen Produktion entsprachen – und doch musste sie sich gleichzeitig von ihrer handwerklichen Anwendbarkeit emanzipieren, um als Kunst denkbar und erkennbar zu bleiben.
RB: Hier setzt ja sukzessive die Gegenwartskunst ein, endet die Moderne als Stil. Und die Kulturindustrie wird Pop, das heißt das Prinzip, nach dem tendenziell alle Kultur zur Ware wird, schlägt um: alle Ware wird offensiv als Kultur inszeniert (das umfasst wesentlich der Begriff des Spektakels, mit dem Guy Debord den der Ware ersetzt). Insbesondere sind es die Kulturwaren, die als Warenkultur vorgeführt werden. Paradigmatisch ist hierbei die Londoner Ausstellung This is Tomorrow von 1956, die nicht zuvorderst Kunst zeigte, sondern neben Malerei und Skulptur ebenso Objekte US-amerikanischer Massenkultur, eine Monroe-Pappstatue, Forbidden Planet-Filmplakate, eine Musicbox etc. Nach dieser und durch diese Ausstellung wurde Pop-Art als Stil definiert, aber auch als Epoche, als Gegenwartskunst (das antizipiert schon der Titel: die vorgeführte Gegenwart gibt den Einblick in die Zukunft!).
Deutlich wird hier, in Europa und insbesondere in Großbritannien, wo die Gesellschaft als Klassengesellschaft virulent ist, dass nicht nur die Hochkultur von der Massenkultur bedroht ist, sondern ebenso die proletarische Kultur.Das beeinflusst die frühen Cultural Studies, insbesondere Raymond Williams. Vgl. Andrew Hemingway, ›From Cultural Studies to Visual Culture Studies: An Historical and Political Critique‹, in: Andrew Hemingway/NorbertSchneider (Hg.), ›Bildwissenschaft und Visual Culture Studies in der Diskussion‹, Göttingen 2008, 11 ff. Mit der Massenkultur – als zwar nicht antinationale, so doch inter-, wenn nicht gar anationale Kultur – wird in den als Lebensweise erfahrbaren und gestaltungsfähigen Alltag auch Kunst integriert, als Teil des »ordinary life«. Damit verändert sich die gesellschaftliche Funktion von Kunst, insofern jetzt Geschmack und Interesse neu bewertet werden: als kollektive Haltung der Masse und nicht als exklusives Urteilsvermögen der gebildeten Bürger. Das konterkariert freilich die alten ästhetischen Ideale der Hochkultur und High Art.
KS: Für Adorno ging es noch um die Frage nach der ›guten‹ Kunst, nach »Werken von höchster Qualität«. Doch eben diese Frage, die schon Ernst Bloch letztlich als Urteil über den bloß affirmativen Wert im Marx’schen Sinne kritisierte, wurde mit dem Aufkommen der Gegenwartskunst zur Farce. Die bürgerliche Annahme eines Fortschritts in der Hochkultur, die der Gesellschaft als ganzer überlegen sei, nivellierte sich mit der objektiv konservativen gesellschaftlichen Stellung der Moderne nach 1945, und in deren zweifelhafter Überwindung in der Gegenwartskunst als reeller Subsumption des Produktionssegmentes wurde die bloße Aktualität selbst – im Guten wie im Schlechten – zum vorrangigen Qualitätsmerkmal.
RB: Hier scheint sich abermals für die Gegenwartskunst spezifisch zu wiederholen, was auch in der allgemeinen Kultur seinen Ausdruck findet: Geschichte – und mit ihr die Ideologie des Fortschritts – wird in Mode aufgehoben. Indes wird Mode auch zum Prinzip der Gegenwartskunst: Ihre Ästhetik ist eben keine des Fortschritts mehr, sondern eine des bloßen Up-to-date-Seins. Die Geschichte als Mode ist gewissermaßen die internationale Version des Gegenwartsbewusstseins, auch in der Kunst. Die nationale hingegen, insbesondere die deutsche, ist Gegenwart als Mythologie.
KS: Gleichzeitig wurde die »Ästhetik des Fortschritts« ja selbst objektiv reaktionär, und die Mode wiederum ist es nicht, sie ist allerdings an sich affirmativ. Ihr Gegenwärtig-Sein markiert eben auch eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Stoffwechsel, also eine potentielle Eingriffsmöglichkeit, so wie sie in den späten fünfziger Jahren die Gruppe SPUR in München ausprobierte – als Agit Prop und Malerei als Agit Prop in der Malerei.Nina Zimmer, SPUR und andere Künstlergruppen. Gemeinschaftsarbeit in der Kunst um 1960 zwischen Moskau und New York, Berlin 2001. Allerdings war ja gerade im bundesrepublikanischen Post-Nationalsozialismus nicht nur die Diskrepanz der ökonomischen und kulturellen Entwicklung am größten, sondern diese wurde auch noch verschleiert durch den Mythos der Stunde Null.Siehe Walter Grasskamp/Hans Haake, Fotonotizen Documenta 2/1959, Berlin 2011. Wie also sollte die Kunst hier wieder gesellschaftlich gegenwärtig werden, wenn doch die Gegenwart selbst als Mythologie einer geleugneten Vorgeschichte existiert?
RB: Auch die Gegenwartskunst wird unter diesen Bedingungen mythologisch verklärt. Das wird allein daran offensichtlich, mit welcher Beharrlichkeit in der BRD an der Trennung zwischen U und E als Trennung zwischen banaler, unbedeutender Massenkunst (Kitsch) und ästhetisch wertvoller Hochkunst festgehalten wird. Der Pop setzt sich hier nur in großer Verzögerung durch, und selbst die vermeintlich progressive Kunst, die sich ja in der BRD recht schnell mit dem Namen Joseph Beuys verbindet, bleibt im Rahmen der Hochkunst, verdichtet ihre Mythologie sogar noch durch Innerlichkeit, Esoterik und Geniekult. Während etwa in der amerikanischen Pop-Art die Kunst wenigstens ironisiert wird oder die international agierenden Situationisten die Kunst aufgeben (beziehungsweise ihre Aufgabe propagieren), ist der im Nachkriegsdeutschland entstehende Kunstbetrieb von Surrogaten eines spätbürgerlichen Romantizismus dominiert. Aber auch das generiert eine Gegenwartskunst als Marktsegment.
KS: Die Aktualität, die der Gegenwartskunst als Marktsegment zukommt, birgt jedoch neben der tragischen Verabschiedung der Autonomie der Kunst ebenso ihre praktische Politisierung. In der BRD fiel das mit Beuys affirmativ ja auch im Bezug auf die Mythologisierung der eigenen Vorgeschichte aus: aus dem NS-Jagdflieger wird die Historie einer schamanischen Katharsis. Aber potentiell ist die Desolidarisierung zwischen Arbeiter_innen anderer Produktionssegmente, die die moderne Kunst beherrscht hatte und eben deshalb Angriffsziel revolutionärer Künstler_innen in der Sowjetunion gewesen war, nun objektiv gebrochen. Das zieht sich als Diskussion ja auch von WPA?Andrew Hemingway, Artists on the Left?: ?American Artists and the Communist Movement, 1926-1956?, Yale 2002. über Art Worker’s Coalitionhttp://www.journalofaestheticsandprotest.org/5/articles/forkert.htm. bis hin zu W.A.G.E. Die Diskussionen um die Prekarität reflektiert diese Situation sozusagen indirekt, projiziert jedoch auf die Künstler_innen eine Vorreiterrolle, die sich erst aus deren Nachkriegseingliederung in die allgemeine Produktion ergab. Eine Projektion, die häufig – wie ja bei Antonio Negri und Michael Hardt ungebrochen – das modernistische Versprechen unentfremdeter Arbeit genau hier vermutet, und gleichzeitig das einzig progressive an der Figur künstlerischer Arbeit, nämlich deren materiellen, ja reproduktiven Aspekt, auslässt.Siehe Mierle Lademan Ukeles: http://www.moca.org/wack/?p=301 oder Silvia Federici: http://www.variant.org.uk/pdfs/issue37_38/V37preclab.pdf.
Doch innerhalb der Gegenwartskunst als industriellem Marktsegment sind Streiks eigentlich ebenso denkbar wie nachhaltig, da sie nicht mehr wesentlich von der Verweigerung eines Einzelkünstlers handeln, sondern von der Arbeiter_innen-Organisierung auch all derer, die Künstler_innen sind und als Assistent_innen, als Aufbauhilfen, als Vermittler_innen oder Kurator_innen arbeiten. Was Gustav Metzgerhttp://www.thing.de/projekte/7:9%23/y_Metzger+s_Art_Strike.html. und Stewart Homehttp://www.stewarthomesociety.org/artstrik.htm. je noch als Individualaufruf zur allgemeinen Verweigerung gestartet hatten, wird eben heute bei W.A.G.E.http://www.wageforwork.com/., den Carrot Workershttp://carrotworkers.wordpress.com/. und anderen Organisierungen in der Kunst als Arbeitskampf erprobt. Auf die Gegenwartskunst lassen sich die Marx’schen Kategorien des Kapitals nicht mehr nur metaphorisch anwenden: Die Massenkunst erschuf die Künstler_innen-Massen und deren Existenz birgt die Chance, dass die künstlerischen Produktionen zu politischen Handlungen werden, statt deren Themen nur zu repräsentieren.
RB: Wenngleich ja gerade mit der Entwicklung der Gegenwartskunst eine Metaphorisierung der Marx’schen Kategorien in den Diskursen zu wuchern begann, angefangen mit Postmodernismen wie Jean Baudrillards Theorem vom »symbolischen Tausch« über die Rezeption der Bourdieuschen Theorie vom symbolischen und kulturellen Kapital, über die aberwitzig falsche Adaption des Marx’schen Begriffs der Aneignung bis hin zu Jacques Rancières geschmäcklerischer Parole einer Politik des Sinnlichen… Auffällig ist in jedem Fall, dass in genau dem historischen Moment, in dem auch die Kunst ohne weiteres im Sinne der Kritik der politischen Ökonomie analysiert werden kann, eben das nicht passiert. Gegenwartskunst ist auch die Kunst, in der eine kritische Theorie der Gesellschaft nicht mehr vorkommt. Die Politisierung ist keine der Kunst selbst, wie Benjamin es forderte, sondern eine Umwendung der Ästhetisierung der Politik, nämlich Politisierung der ästhetisierten Politik: eine redundante Bewegung, die sich im Symbolischen, im bloß Diskursiven verflüchtigt. Auch dafür ist signifikant, dass eine solidarische Organisierung der Künstler_innen als Produzenten_innen bisher kaum statt fand.
KS: Die Reproduktion eben dieser Künstler_innenmassen ebenso wie der Kunst selbst, ist, wie Sabeth Buchmann argumentiert Sabeth Buchmann, Denken gegen das Denken. Produktion – Technologie – Subjektivität bei Sol LeWitt, Hélio Oiticica und Yvonne Rainer, Berlin 2007., heute der Kunstproduktion selbst vorgängig. Wo Walter Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz die Reproduzierbarkeit der Kunst in ihren sich industrialisierenden Medien beobachtete, sozusagen einen Prozess primitiver Akkumulation, hat sich diese Bewegung in der Gegenwartskunst auf eine andere Ebene verlegt. Es geht nicht um die Reproduzierbarkeit der Werke selbst, sondern um diejenige ihrer Produktionsbedingungen und der ihr zu Grunde liegenden Arbeitsteilung. Die Mythologisierung der Figuren der autonomen Kunst der Moderne basiert eben auf dem faktischen Ableben dieser Moderne und ihrer Ersetzung durch eine ökonomische Gleichzeitigkeit künstlerischer und anderer Produktion: Eben dadurch kann die Autonomie sich als Grundform der Ästhetisierung einschreiben.
Darüber hinaus bezeichnet Gegenwartskunst als Marktsegment einen Wachstumsmarkt, der sich mit der Kulturalisierung der kapitalistischen Produktion nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte und sich seitdem stetig festigt, intensiviert und institutionalisiert…
RB: ... und daraus erwächst dann auch die neue Form des Politischen, das die Gegenwartskunst für sich reklamiert. Dieses Politische ist keineswegs, wie von vielen vermeintlich kritischen Gegenwartskünstler_innen postuliert wird, das Außerhalb zum Markt. Tatsächlich ist das Politische auf den Markt angewiesen, also nachgerade eine Funktion innerhalb des Marktsegmentes Gegenwartskunst.
KS: Insofern stellt sich in der Gegenwartskunst nicht die Frage nach »politischer Kunst«, denn diese ist lediglich dasjenige Marktsegment, das sich thematisch mit Politik beschäftigt. Vielmehr geht es hier zum einen um die Frage der politischen Organisierung der Produktion und Reproduktion ihrer Produzent_innen, zum anderen eben darum, das Verhältnis von Moderne und Gegenwartskunst auch über ihre Produktionen zu unterscheiden und in Fragen wie derjenigen nach der Gegenwärtigkeit oder historischen Signifikanz einer künstlerischen Arbeit die Qualitätsfrage inhaltlich wie formal zu diskutieren. Das birgt die Chance, die Moderne aus ihrem gegenwärtigen Status als endlose Epoche der phantasmagorischen Autonomie zu befreien und ihre Produktion zu ihrer Nachgeschichte hin zu öffnen.
RB: Das birgt aber auch die Möglichkeit, die Moderne im Sinne einer kritischen Ästhetik des Vor-Scheins zu reaktivieren: um die Menschen selbst mit einer Autonomie zu bewaffnen, die es ihnen erlaubt, die Gesellschaft von ihren Phantasmagorien zu befreien.
Der Kunstklub ist eine Initiative von Roger Behrens, Kerstin Stakemeier u.a.