Der Anschlag auf das WTC liegt heute fast zwei Jahre zurück. Selten hat ein Ereignis so viele Spuren innerhalb der radikalen Linken hinterlassen wie das Massaker in New York. Die seitdem geführte Debatte innerhalb der radikalen Linken ist derzeit allerdings an einem Punkt angelangt, an dem bloßes Bekenntnis für die »eine« oder »andere« Seite, Polemiken und Beleidigungen nicht nur Gruppen gespalten, sondern die Auseinandersetzung mit wichtigen Inhalten ersetzt zu haben scheinen. Eine Kritik an den von der Bahamas und nahe stehenden Gruppierungen formulierten Thesen zum Anschlag auf das WTC, Israel/Palästina und der derzeitigen Weltlage im allgemeinen ist auch deshalb wichtig, weil die angestoßene Debatte in vielen Fällen einen wahren Kern enthält.
Am Anfang war das WTC
Seit dem 11. September 2001 ist nichts, wie es mal war und doch ist alles gleich. Während ein Teil der deutschen Linken in dem Anschlag lediglich den verlängerten Arm US-amerikanischer »Unterdrückungspolitik« sah und damit die Tat zu einem berechtigten »Protest« gegen den nicht genauer definierten US-Imperialismus verklärte, entwickelten sich u.a. als Reaktion auf diese Linke in zahlreichen Städten antideutsche Gruppierungen, denen zumindest eines gemeinsam war und ist: Die Hervorhebung der möglichen Bedrohung durch weltweit agierende islamistische Organisationen, die sich die Vernichtung der Jüdinnen und Juden auf die Fahnen geschrieben hätten. Wie bestimmend der Anschlag auf das WTC für die in diesem Artikel skizzierten Positionen einiger Antideutscher ist, lässt sich exemplarisch an einzelnen Thesen von Bahamas-AutorInnen verdeutlichen: So erklärt Justus Wertmüller z.B. in seinem Text »Warum Israel kritisieren?«: »Seit die Al-Aksa-Intifada zum wahllosen Judenmord angetreten ist, seit die Attas aus lauter Solidarität mit dieser Intifada in die Twin-Towers geflogen sind, und der schreckliche Kampfruf ›Intifada weltweit‹ Friedrichshainer Autonome mit islamistischen Selbstmordattentätern und der Globalisierungsbewegung eint, wird man sich entscheiden müssen: Für Israel oder den globalen Faschismus, dazwischen ist nichts mehr.«(1) Die reale Gefahr islamistischer Gruppierungen soll hier nicht in Frage gestellt werden, sie wurde nicht nur durch das offensichtlich in dem Angriff auf das WTC vorhandene Vernichtungspotential, sondern auch auf anderen Ebenen deutlich: Von der Rezeption des Anschlags, der gerade in einigen arabischen Ländern als Verschwörungstat der CIA und/oder des Mossad gedeutet wurde, bis hin zu einem weltweiten rasanten Anstieg antisemitischer Übergriffe und Anschläge – fatal ist allerdings die Aneinanderreihung und damit suggerierte Gleichsetzung verschiedener Bewegungen, die in diesem Zitat vorgenommen wird.
Eine Folge des Massakers war der Afghanistankrieg, der flugs von der Bahamas und anderen als »Akt der Befreiung« begrüßt wurde, noch bevor er zu Ende war. Wortwörtlich heißt es in der »dritten Erklärung« der Redaktion nach dem 11.9.: »So zweifelhaft die möglichen Nachfolger der Taliban auch sein mögen, kann wenigstens soviel mit einiger Begründung erhofft werden: dass im Interesse der Frauen und mancher Minderheit ein anderes Regime herbeigezwungen wird, denn besser als das der Taliban wird es – nicht zuletzt wegen des zu erwarteten Drucks durch die USA und wohl auch Russland – allemal werden.«(2) Es ist unbestritten, dass das Taliban-Regime ein Terrorregime war. Bezeichnenderweise findet man jedoch heute keinerlei Analysen über die aktuelle Situation in Afghanistan in den Veröffentlichung der Bahamas. Die Kritik der oppositionellen Frauenorganisation Rawa, dass von einer Befreiung der Frauen keine Rede sein kann, verhallt ebenso, wie die aktuelle Reorganisation der Taliban ignoriert wird. Nun ist es zwar nicht das Anliegen der Bahamas, sich mit regionalen Entwicklungen auseinander zusetzen, wie es etwa die AutorInnen der iz3w tun. Die oben zitierte These muss sich jedoch an der realen Entwicklung in Afghanistan messen lassen, insbesondere dann, wenn durch die Bahamas eine eindeutige Pro-Kriegsposition vertreten wird, die sie u.a. mit der Hoffnung auf eine Verbesserung der Verhältnisse in dem Land verknüpft.
Die Wiederkehr des Nationalsozialismus?
Während nicht nur für antideutsche AntifaschistInnen das größte Übel bisher vor allem deutscher Vernichtungswahn, Auschwitz, deutsche Kontinuitäten und Neofaschismus waren, fungieren heute Ramallah, Kabul und Bagdad als Chiffren für den Vernichtungswahn. So ist von der »judenmordenden Volksgemeinschaft Palästina« die Rede, der Anschlag auf das WTC wird als »bisheriger Gipfelpunkt der antizivilisatorischen Aggression«(3) bezeichnet und diverse Gruppen forderten den »Kampf gegen das faschistische Baath-Regime im Irak« – letzteres bedeutete im Kontext der von der Bahamas veröffentlichten Pamphlete nichts anderes als ein ideelle Unterstützung des Irakkrieges.
Es ist auffällig, wie die Prämisse von Adorno, alles zu tun, damit sich Auschwitz nicht wiederhole, die selbstverständlich die Grundlage jeglicher emanzipatorischer Politik sein sollte, strapaziert wird. Aus der richtigen Erkenntnis heraus, dass die Bedingungen, die Auschwitz erst ermöglichten, weiterhin bestehen, wird nun eine Weltlage konstatiert, die sich an der Schwelle zum Faschismus befinde. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den verschiedenen islamistischen Bewegungen und den jeweiligen islamisch-arabischen Gesellschaften, die IslamistInnen beherbergen bzw. deren Regime mit ihnen zusammen arbeiten. Immer wieder unternehmen die Bahamas-AutorInnen seit dem 11. September 2001 den Versuch, Gemeinsamkeiten zwischen nationalsozialistischer Ideologie und Islamismus herauszuarbeiten. Als Ausgangspunkt dient dabei (in Anlehnung an Goldhagen) der eliminatorische Antisemitismus, unbestrittenes Wesenmerkmal des deutschen Faschismus. Man muss nun kein Horst Pankow oder Tjark Kunstreich sein, um festzuhalten, dass der deutsche Vernichtungsantisemitismus Selbstzweck war und dass die Analyse desselben in Teilen der radikalen Linken nach wie vor keine oder nur eine marginale Rolle spielt. Ausreichend dokumentiert wurde diese Problematik bereits vor Jahren im Zusammenhang mit der Diskussion um Goldhagen.(4) Pankow und Kunstreich warnen zwar zurecht vor einer Historisierung von Auschwitz, kommen allerdings zu einem nicht weniger bedenklichen Schluss, der es ihnen ermöglicht, die Gefahr eines »neuen Auschwitz« in der Wirkungsmacht islamistischer Gruppierungen zu sehen: »Für Juden ist die mit der Chiffre Shoa belegte Massenvernichtung das einschneidende Ereignis, in dem der, mit der Herausbildung des industriellen Kapitalismus sich entwickelnde moderne Antisemitismus sein genuines Anliegen – Vernichtung aller Juden – erstmals in gigantischem Ausmaß umsetzte und – das zeigen nicht zuletzt die islamistischen Aktivitäten – mit der vorzeitigen Beendigung seines Projekts durch Deutschlands Kriegsgegner seinen Vernichtungswillen längst nicht eingebüßt hat.«(5) Im zweiten Teil dieses Satzes wird die Vergleichbarkeit zwischen islamistisch motiviertem Antisemitismus und dem eliminatorischen Antisemitismus des NS (und letztlich Auschwitz als dessen Konsequenz) nahegelegt. Entscheidende Klammer ist für Pankow und Kunstreich die Klassifizierung des Antisemitismus in diesem Kontext als »Vernichtungsantisemitismus«, dem, wie sie darstellen, die »Vernichtung der Juden als allein bestimmendem Zweck« zugrunde liegt. Während sich dieses Merkmal zweifellos auf den NS-Antisemitismus anwenden lässt, bedarf die Analyse des islamistischen Antisemitismus einer gesonderten Betrachtung. Als Beleg für das Vernichtungspotential desselben führen die Autoren den Anschlag auf das WTC vom 11. September 2001 an: »Es stimmt: Die heutigen Islamisten sind noch nicht so weit. Am 11. September 2001 wurden ›erst‹ knapp ein Promille – vielleicht weniger – der von den Nazis ermordeten Juden umgebracht ... Doch sagt das etwas aus über das Verhältnis von industriell oder nichtindustriell?«(6) Mit dieser Aussage wird zwar ein wesentlicher Unterschied zwischen IslamistInnen und der deutschen Volksgemeinschaft im NS konstatiert, nämlich die industrielle Massenvernichtung von Juden und Jüdinnen durch deutsche TäterInnen, die einen gewissen gesellschaftlichen Entwicklungsstand voraussetzte. Allerdings wird die Bedeutung dieses Unterschiedes in dem genannten Zitat gleichzeitig in Frage gestellt. Diese Zeilen mögen vielleicht makaber erscheinen, ein historischer Vergleich, aus dem eine konkrete politische Praxis abgeleitet wird, muss aber einer differenzierten Untersuchung standhalten. Dabei hilft es auch nicht, die stattfindenden Attentate aneinander zu reihen, die Verwicklung der Fatah bzw. konkret Arafats in die Attentäter-Strukturen darzustellen oder fleißig Zitate zu sammeln, die den Antisemitismus in der arabischen Welt belegen. Es müsste zunächst definiert werden, was den »islamistischen Antisemitismus« im Einzelnen ausmacht und worin sich etwa al-Qaida, Hamas und vor allem auch die säkularen palästinensischen Strömungen ähneln und/oder unterscheiden. Niemand kann das Vernichtungspotential des 11.9. bestreiten, die These jedoch, das Hauptmotiv sei die Vernichtung von Jüdinnen und Juden gewesen, ist ebenso spekulativ wie die, dass es eine offene Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen islamistischen Gruppen gibt. Eine solche wäre aber Vorraussetzung für die These einer »islamistischen Internationale«, wie sie von der Bahamas kolportiert wird. Dass der Antisemitismus Bestandteil islamistischer Gruppen ist, läßt sich einfach nachweisen. Die Grundlage für den nationalsozialistischen Antisemitismus bildete jedoch der völkische Nationalismus, der in Deutschland eine lange Tradition hat und bei den IslamistInnen eher sekundär ist. Während IslamistInnen sich vor allem als religiöses Kollektiv definieren, aus dem Homosexuelle, Liberale und Säkulare etc. ausgeschlossenen werden sollen, beinhaltet die nationalsozialistische Idee von »Volksgemeinschaft« die konkrete Vorstellung einer angeblich existenten »höherwertigen« deutschen Rasse. Jüdinnen und Juden wurden von den Nazis und ihren AnhängerInnen nicht »nur« als Gefahr für die gesamte Welt, sondern vor allem als Gefahr für dieses rassisch definierte Kollektiv gesehen. Gleichzeitig funktionierte die nationalsozialistische Rassenideologie nach »innen«: Aus dem Kollektiv wurden auch diejenigen zunächst ausgegrenzt und später verstümmelt und ermordet, die als »wertlose« Deutsche galten. Erinnert sei an dieser Stelle an das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, auf dessen Grundlage sogenannte »Asoziale« und Behinderte sterilisiert und und/oder ermordet wurden – das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten dürfte hinreichend bekannt sein. Etwas ähnliches lässt sich bei den IslamistInnen nicht finden, im Gegenteil. Das soziale Modell etwa der Hamas ist zwar in dem Punkt mit dem nationalsozialistischen vergleichbar, dass beide ein korporativistisches Wohlfahrtsmodell propagieren, in dem alle Klassengegensätze ausgesöhnt würden. Auf der anderen Seite basiert die islamistische Gemeinschaft aber nicht auf Rassismus – die Hamas predigt bzw. praktiziert vielmehr die soziale Unterstützung der schwächsten Glieder der Gesellschaft anstatt deren Verstümmelung oder Vernichtung, soweit sie sich den Regeln der Gesellschaft unterwerfen.(7)
In unserem Text in der Phase 2.08, in dem wir uns kritisch mit den Thesen von Volker Weiß auseinandergesetzt haben,(8) wurde auf die möglichen Gemeinsamkeiten zwischen islamistischer und nationalsozialistischer Ideologie hingewiesen. Wir sehen nach wie vor Anknüpfungspunkte, die auch deshalb gefährlich sind, weil sie in einigen Fällen zu realen Allianzen zwischen deutschen Nazis und IslamistInnen führen. Diese Feststellung impliziert allerdings noch lange nicht, dass beide Bewegungen und deren Ideologien einfach gleichzusetzen sind. Die ständige Parallelisierung der Vernichtungspolitik deutscher TäterInnen im NS mit der heutigen Situation in völlig anderen Teilen der Welt birgt die Gefahr, jene Zeiten linksradikaler Politik wiederzubeleben, in denen der Faschismusbegriff allzu beliebig eingesetzt wurde. Wie eindeutig diese historischen Parallelen gezogen werden, wird in dem bereits zitierten Text der Bahamas deutlich: »An einem Wendepunkt, der durchaus nicht unverwandt ist mit dem, den die faschistische Aggression gegen die spanische Republik 1936 bedeutete und der die Entscheidung verlangte, für diese Republik als Symbol des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und seine spanischen und italienischen Verbündeten zu kämpfen, wird man sich entscheiden müssen: Für die bewaffnete Selbstverteidigung Israels als Kristallisationspunkt eines weltweiten Kampfes gegen den barbarischen Antikapitalismus.« Der Text endet mit dem programmatischen Aufruf »Es heißt jetzt schon Front zu beziehen gegen den faschistischen Solidarpakt der Völker.«(9)
Während in den siebziger und achtziger Jahren der Großteil der deutschen Linken den »neuen Faschismus« vor allem in den USA und Israel ausmachten und sich damit letztlich der deutschen Geschichte unter antiimperialistischen Vorzeichen entledigten, sind es ausgerechnet Teile der Antideutschen, die unter umgekehrten Vorzeichen ähnlich binär argumentieren. Demnach gelte es heute, die Staaten, die für das bürgerliche Glücksversprechen ständen, namentlich Israel und die USA, in ihrem angeblichen Kampf gegen eine »faschistisch-islamistische Internationale« zu unterstützen, da sie »den bewaffneten Widerstand gegen eine Welt« wagen würden, in der die Faschisten (namentlich Islamisten) auf dem Vormarsch seien. Die Argumentation ist deshalb noch nicht inhaltlich gleich, schließlich kann den Antideutschen, von denen hier die Rede ist, schwerlich unterstellt werden, sie wollten sich der deutschen Geschichte entledigen, wie es jenen Linken nachgesagt werden kann, die ausgerechnet in Israel den Faschismus neu zu entdecken glaubten. Die Herangehensweise bleibt jedoch vergleichbar und beinhaltet in beiden Fällen die Aufgabe einer differenzierten Sichtweise zugunsten eines einfachen, schematischen Weltbildes, in dem »Freund« und »Feind« leicht auszumachen sind. Gleichzeitig fungiert das Vokabular als bewusstes Stilmittel. Wer heute etwa von »Volksgemeinschaft« oder »Judenvernichtung« redet, weiß, welches Assoziationen damit verknüpft sind.
Israel als »antifaschistischer Hort«
Während seit Anfang der neunziger Jahre eine Aufarbeitung des Antisemitismus in der radikalen Linken eingesetzt hatte, die einige Erfolge nach sich zog, sprossen nach Beginn der sogenannten »Al-Aksa-Intifada« antizionistische und antisemitische Pamphlete aus dem Boden oder wurden aus den Mottenkisten geholt. Der Antisemitismus in der Linken erlebte ein Revival, dessen Höhepunkt die Demonstration im April 2002 in Berlin zum »Tag des Bodens« darstellte, auf der palästinensische IslamistInnen mitliefen, Menschen mit Israelfahne der Hitlergruß gezeigt und offen »Tod den Juden« skandiert werden konnte – und das vor den Augen beteiligter deutscher Linker. Neben dem seit dem 11. September zu verzeichnenden Anstieg des Antisemitismus veränderte sich auch die Position Israels in der Welt. Die aktuelle Gefahr für den Staat Israel liegt jedoch weniger in einer direkten militärischen Bedrohung, sondern vielmehr in der schleichenden diplomatischen Isolierung und der damit einhergehenden Parteinahme und Unterstützung für die Intifada. Diese drückt sich auch in der finanziellen Unterstützung der EU aus, mit deren Gelder etwa antisemitische Schulbücher des palästinensischen Erziehungsministeriums bezahlt und Terrorgruppen unterstützt wurden.
In den Texten der Bahamas und des »Berliner Bündnisses gegen die IG- Farben« wird allerdings immer wieder suggeriert, Israels sei momentan in seiner Existenz bedroht und es gelte nun, die Vernichtung des Staates zu verhindern – auch wenn diese »Rettung« Israels realistisch natürlich unmöglich sei. Daraus folgt die Position, die nur noch die Entscheidung für das Absolute zulässt. In einem Flugblatt, das auf dem Jungle-World-Kongress zum 11. September in Berlin verteilt wurde, schreibt die Bahamas: »Auf dem Jungle-World-Kongress glaubt man, durch betont zur Schau getragene Gleichgültigkeit der zwingenden Entscheidung aus dem Weg gehen zu können, sich entweder kompromisslos für die Verteidigung Israels auszusprechen oder gemeinsame Sache mit den Mordbuden zu machen«(10). Zweifel sind nicht erlaubt, ein »Herumlavieren« erscheint nicht nur als analytische Schwäche, sondern zieht gleich den Vorwurf auf sich, in Wahrheit etwas anderes zu meinen, sprich: Wer nicht kompromisslos »Waffen für Israel« fordert, will letztlich doch nur die Vernichtung des jüdischen Staates. Die Forderung »Waffen für Israel« beinhaltet jedoch noch einen anderen Aspekt, der wiederum auf ein problematisches Geschichtsverständnis verweist. Die israelische Armee wird nicht mehr als Armee eines besonderen bürgerlichen Staates angesehen, dessen Existenz als Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden in den Zeiten kapitalistischer Barbarei unbedingt notwendig bleibt, sondern vielmehr zur antifaschistischen Truppe hochstilisiert. Dazu passt auch der Verweis der »Antifaschistischen Aktion Giessen« auf ihrer Homepage. Unter dem Namen »Antifaschistische Aktion Ramallah« findet sich dort ein Link zur Homepage der israelischen Armee. Was zunächst als Witz oder Provokation daherkommt, beinhaltet allerdings ein gehöriges Maß an Projektion. Es scheint, dass es auch Teilen der reflektierten Linken nicht gelingt, Jüdinnen und Juden in Israel als das wahrzunehmen, was sie zunächst sind – bürgerliche Subjekte – ohne sie entweder zu heroisieren oder kollektiv zu Opfern zu stilisieren. Die Tatsache, dass sie sich als StaatsbürgerInnen Israels von anderen bürgerlichen Subjekten auf abstrakter Ebene unterscheiden, ändert nichts daran. Wer erkannt hat, dass Israelis als Israelis und vor allem als Jüdinnen und Juden immer gefährdet bleiben, solange es Antisemitismus gibt (es ist eben diese Tatsache, die sie von anderen bürgerlichen Subjekten unterscheidet), muss diese Erkenntnis noch lange nicht auf die einzelnen Subjekte übertragen und sie deshalb lediglich als potentielle Opfer wahrnehmen.(11) In einem Interview mit der Phase 2 erklärte das »Berliner Bündnis gegen IG Farben« etwa: »Für uns steht der Kampf Israels in der Tradition des Aufstands im Warschauer Ghetto.«(12) In die Israel Defense Force wird also hinein projiziert, was klassische AntiimperialistInnen in der palästinensischen Bewegung gesehen haben und sehen. Damit wird nicht nur suggeriert, dass Selbstverteidigung von Jüdinnen und Juden nur dann berechtigt ist, wenn sie dem hehren Ziel des Antifaschismus folgt, nein, es wird aus der Selbstverteidigung ein politisches Motiv. Jene Gleichsetzung Israels mit einem »antifaschistischen Projekt« findet sich bei diversen antideutschen Gruppen. So zeugt die Umgestaltung des Antifa-Aktionssymbols, bei dem je nach Standpunkt die schwarze oder die rote Fahne durch die israelische ersetzt wird, von einer Projektion, in der Israel zu dem wird, was deutsche Linke nie hatten: zum real existierenden antifaschistischen Projekt, in dem sie all ihre Sehnsüchte verwirklicht sehen. Folgerichtig müssen alle militärischen Aktionen in den palästinensischen Gebieten als »Notwehr« und damit als Bestandteil eines antifaschistischen Kampfes wahrgenommen werden, da die PalästinenserInnen, so die Wahrnehmung, ein antisemitisches Mordkollektiv darstellen. In einem Aufruf der Bahamas und des »Berliner Bündnis gegen IG Farben« bezüglich einer NPD-Demonstration in Berlin, die gegen den Besuch des israelischen Präsidenten Moshe Katsav aufmarschierten, heißt es gar: »Es besteht deutscherseits unmittelbar vor dem Irakkrieg kein Interesse, anzuerkennen, dass Israel aktuelle in hohem Maße bedroht ist und fast täglich Israelis ermordet werden, weil sie Juden sind. Bedroht und angegriffen von den Palästinensern, denen auf absehbare Zeit hin nur militärisch durch Großrazzien und Besetzungen, durch Liquidierungen der Hauptakteure im judenmordenden Bombengeschäft, durch Gefangenennahme etc., also nur durch die dauerhafte Präsentation militärischer Überlegenheit, beizukommen ist.« Auch wenn wir es einerseits keineswegs bedauern, wenn die eine oder andere Führungspersönlichkeit der Hamas liquidiert wird, impliziert die obige Aussage andererseits eine unzulässige Rationalisierung aller militärischen Aktionen Israels. Damit findet ein positiver Bezug auf jegliche Formen staatlicher Repressionen statt, die in den besetzten Gebieten die verschiedensten Formen hat und schon an der kleinsten Straßensperre praktiziert wird. Eine rein militärische Lösung des Nahostkonfliktes ist eben nicht möglich.
Die Darstellung der palästinensischen Gesellschaft
Ein immer wieder beliebter Begriff der Bahamas ist das angeblich vorhandene palästinensische »Mordkollektiv« dessen Existenz an keiner Stelle ausreichend belegt wird. Vielmehr listen die AutorInnen der Bahamas Zitate einzelner PLO-PolitikerInnen auf, die den kollektiven Antisemitismus aufzeigen sollen. Abgesehen davon, dass eine solche Herangehensweise methodische Mängel ausweist, beinhaltet sie ein anderes grundsätzliches Problem. Die auch im Bezug auf den Antisemitismus vorhandene Notwendigkeit der Differenzierung wird ignoriert. Der palästinensische Antisemitismus ist nicht zu rechtfertigen, schon gar nicht in dem Stil, wie es einige Linke immer wieder mit dem Verweis auf die Realitäten in den besetzten Gebieten tun (auf diese Problematik haben wir u.a. in unserer Kritik an Volker Weiß in der Phase 2.08 hingewiesen). Es bleibt dennoch ein Unterschied zwischen Antisemitismus und Vernichtung bestehen, der nicht einfach verwischt werden sollte. Gerade vor dem Hintergrund der Geschichte des europäischen Antisemitismus hat sich gezeigt, dass nicht etwa der Antisemitismus in Frankreich oder der Sowjetunion zu Auschwitz geführt hat, sondern die spezifisch deutsche Variante. Dennoch lassen sich zahlreiche Belege für einen durch weite Teile der Gesellschaft getragenen Antisemitismus im Frankreich des 19. und 20. Jahrhunderts finden. Nun kann man einwenden, dass sich der Antisemitismus in den besetzten Gebieten in Selbstmordattentaten äußert und damit eine eindeutig andere Qualität aufweist. Dies ist zwar einerseits richtig, andererseits gibt es keinen Beleg für die These eines »antisemitischen Mordkollektivs«. Schließlich besagt auch die Unterstützung für die Selbstmordmassaker noch nicht, dass alle PalästinenserInnen mit den weitergehenden Zielen der IslamistInnen übereinstimmen bzw. selber am liebsten so viele Jüdinnen und Juden wie möglich umbringen wollen. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass viele PalästinenserInnen in Anlehnung an den Rückzug aus dem Südlibanon davon ausgehen, die israelische Regierung könne anhand dauerhafter Eskalation unter Druck gesetzt und eine Ende der Besatzung von Westbank und Gaza auf diesem Weg erreicht werden. Auch die partielle Unterstützung der Hamas durch säkulare Kräfte bzw. die Attentate von Arafats Brigaden kann die wesentlichen ideologischen Unterschiede, die übrigens schon in den achtziger Jahren zu militanten Auseinandersetzungen zwischen der Fatah und der Hamas führten, nicht verwischen. Für einen Bahamas-Autor wie Ingo Way spielen solche Aspekte allerdings keine Rolle. Ausgehend von der Vorstellung einer homogenen palästinensischen Gesellschaft kritisiert er in seinem Text über die Bir Zeit Universität(13) die palästinensischen UnterzeichnerInnen eines Aufrufs, der sich u.a. gegen den Verlauf der Intifada und deren zunehmende Militarisierung und Islamisierung richtete, dafür, dass sie ein Rükkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge forderten und stellt sie aufgrund dessen in eine Reihe mit denjenigen, die sich die Vernichtung Israels auf die Fahnen geschrieben haben. Er ignoriert damit nicht nur die Tatsache, das jene Intellektuellen unter dem »Rückkehrrecht« etwas anderes verstehen als die Vernichtung Israels – nämlich das Rückkehrrecht in den zukünftigen palästinensischen Staat sowie eine Entschädigung in den Fällen, in denen die Schuld des israelischen Militärs für die Vertreibungen nachgewiesen werden kann – sondern ergeht sich in seinem Text in der Diffamierung der Universität als islamistischem Hort. Seine Belege dafür stammen aus dem Jahr 1996 und beruhen auf zwei Erlebnisberichten. Dem könnten getrost zahlreiche andere Einschätzungen entgegengehalten werden. So z.B. die Tatsache, dass gerade in Bir Zeit in massiver Anzahl StudentInnen und DozentInnen anzutreffen sind, die IslamistInnen nicht nur offen kritisieren, sich freizügig kleiden und ihre Abende in den Diskotheken Ramallahs verbringen, sondern auch im regelmäßigen Austausch mit Israelis stehen. Scheinbar ist es durchaus möglich, die IslamistInnen anzugreifen und einen Ausgleich mit Israel zu fordern. Das wohl bekannteste Beispiel für einen palästinensischen Kritiker der Intifada ist der PLO-Beauftragte für Jerusalem, Sari Nusseibeh, der im Juni 2002 einen Aufruf in der palästinensischen Zeitung initiierte, den zunächst 55 palästinensische Intellektuelle unterschrieben und in dem es wortwörtlich heißt: »Aufgrund unserer nationalen Verantwortung und wegen der bedenklichen Lage, in der das palästinensische Volk sich befindet, hoffen wir, die Unterzeichner, dass diejenigen, die hinter den Militäraktionen stehen, die auf die Schädigung von Zivilisten in Israel zielen, ihre Vorgehensweise überdenken und damit aufhören, unsere Jugend dazu anzutreiben diese Operationen auszuführen, denn wir sehen nicht, dass sie zu anderen Ergebnissen führen als zunehmendem Hass, Feindseligkeit und Feindschaft zwischen zwei Völkern, die die Kluft zwischen ihnen vertiefen und die Möglichkeit zerstören, dass beide Völker nebeneinander in Frieden in benachbarten Staaten leben.«(14) Trotz der nationalistischen Argumentation, die aus linksradikaler Perspektive sicherlich zu kritisieren ist, wird eindeutig das Ziel eines dauerhaften Zusammenlebens in zwei Staaten formuliert, dass einen Wunsch nach Vernichtung ausschließt. Vor dem Beginn der sogenannten »Al-Aksa-Intifada« gab es zumindest im kleinen Rahmen einen regelmäßigen Austausch zwischen israelischen und palästinensischen Intellektuellen, gerade Ramallah wurde von vielen Israelis heimgesucht, gemeinsame kulturelle Programme fanden statt. Vereinzelt gibt es diese Zusammenkünfte heute noch, vor allem zwischen israelischen Peace-Now-AktivistInnen und gemäßigten PalästinenserInnen. Spricht dies nicht gegen einen kollektiven Vernichtungswillen?
Wir sind uns bewusst darüber, dass diese Positionen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft derzeit marginal sind. Sie beweisen jedoch, dass diese in sich widersprüchlicher ist, als es die Pamphlete mancher Antideutscher suggerieren.(15)
Antifaschismus neu denken?
Die Kritik an der deutschen Linken sowie der Verklärung des Islamismus und des Antisemitismus in der arabischen Welt ist notwendig. In den meisten antideutschen Pamphleten der letzten Zeit wird jedoch inflationär mit Begriffen aus der NS-Forschung um sich geworfen, die wahlweise auf verschiedene Gesellschaften übertragen werden und eine differenzierte Sichtweise u.a. auf den Nahostkonflikt versperren.
Während gerade die deutsche Geschichte für Gruppen wie die Bahamas von fundamentaler Bedeutung ist, und sie damit die »Geschichtslosigkeit« innerhalb der Linken in Frage stellen könnten, bleibt die Hoffnung, in diesen Teilen der antideutschen Kreise einen respektablen Umgang mit der Historie vorzufinden, getrübt. Vor den »großen Strukturen« und einem binären »schwarz-weiß« Weltbild verschwinden auch hier die Subjekte der Geschichte, gerät die Bedeutung des Details aus den Augen. Anhand von propagandistischen Schlagwörtern wird versucht, sich die Welt heute zu erklären. Aussagen wie ›Ariel Sharon jedenfalls, der Zionist und praktische Antifaschist, ist dem aufgelösten Rätsel der Geschichte näher als die deutsche Linke, deren »Antifaschismus« sich als Aufstand der Anständigen a la Gerhard Schröder oder als Solidarität mit dem palästinensischen Volk ausagiert‹(16), spiegeln die absurde Vorstellung wieder, Israel sei allein deshalb ein antifaschistisches Projekt, weil der Zionismus die Antwort auf die zum Scheitern verurteilte Aufklärung ist.
So richtig und wichtig es ist, die Gefahren des Antisemitismus sowohl in Deutschland als auch überall auf der Welt zu benennen, so unsinnig ist es, sich die Welt anhand von einigen wenigen Bezugspunkten zurecht zu zimmern. Statt sich jedoch in eigene Identitäten zurückzuziehen, sollte eine Kritik der Verhältnisse entwickelt werden, die der derzeitigen Weltlage gerecht wird. Dazu gehört selbstverständlich die Bereitschaft, traditionelle linke Schemata zu hinterfragen und regressive Ideologien auch dort zu bekämpfen, wo sie sich innerhalb der deutschen Linken tummeln, wie es etwa in Teilen der Antiglobalisierungs- oder Antikriegsbewegung der Fall ist.
Fußnoten:
(1) Justus Wertmüller, Warum Israel kritisieren? Wider ein deutsches Menschenrecht, in: Bahamas 38 (2002), S. 12.
(2) Bahamas-Redaktion, 31.10.2001: Zur Verteidigung der Zivilisation.
Gegen die deutsche »Friedenssehnsucht« und ihre schriftstellernden Apologeten, in: Bahamas 37 (2002), S. 61.
(3) Beide Zitate stammen aus der programmatischen Erklärung »Krieg dem Baath-Regime. Waffen für Israel« der Bahamas-Redaktion von 2002, abgedruckt in der Bahamas 39 (2002)
S. 27-31. Wortwörtlich heißt es dort unter dem Abschnitt »Irak und Islamfaschismus«: »Diese Zuversicht (gemeint ist die der Islamisten, d. A.) hat erst da merklich Schaden genommen, als die USA nach dem bisherigen Gipfelpunkt der antizivilisatorischen Aggression, anders als in Europa (mit der Ausnahme Großbritanniens) das tun würde, höchst
selbstbewusst auf ihre Souveränität setzten und im Fall Al Kaida und Afghanistan nachhaltig deutlich machten, dass es nicht mit gutem Zureden sein Bewenden haben würde.« (S. 28).
(4) Siehe dazu Matthias Küntzel/ Klaus Thörner u.a., Goldhagen und die deutsche Linke oder Die Gegenwart des Holocaust, Berlin 1997.
(5) Horst Pankow/ Tjark Kunstreich, Vernichtung als Selbstzweck ist eine Gemeinsamkeit von nationalsozialistischem und islamistischem Judenhass, in: Bahamas 37 (2002), S. 21-25.
(6) Ebd.
(7) Die unterschiedlichen Strategien und Flügel innerhalb der Hamas werden in einem Band des Tami Steinmetz Center for Peace Research dargestellt: Shaol Mishal/Sela Avraham, Hamas. A behavioural profile, Research Preport Series 7, Tel Aviv 1997.
(8) Phase 2 Göttingen, Arabischer Antisemitismus, Islamismus und der NS, Phase 2.08 (2003), S. 64-67.
(9) »Krieg dem Baath-Regime. Waffen für Israel«, a.a.O.
(10) Flugblatt der Bahamas zum Jungle-World-Kongress, Februar 2002.
(11) Eine ähnliche Sichtweise auf Israel und seine jüdischen BewohnerInnen bestimmte bis zum »6-Tage-Krieg« 1967 die Wahrnehmung der zu diesem Zeitpunkt durchaus Israel-solidarischen und bisweilen philosemitischen deutschen bürgerlichen und linken Öffentlichkeit. Während die Israelis zunächst als schwache Opfer der arabischen Bedrohung galten, stilisierte insbesondere die Springerpresse Israel nach 1967 zu einem Staat voller Helden, dem es gelungen war, seine Wehrhaftigkeit zu beweisen. Die realen Verhältnisse in Israels spielten bei diesen projektiven Sichtweisen keine Rolle, vielmehr wurde vor dem Hintergrund deutscher Befindlichkeiten ein Israel-Bild entworfen, welches sich mit den eigenen Vorstellungen über Juden und Jüdinnen deckte.
(12) Bündnis gegen IG Farben, Nicht objektiv, sondern parteilich, Phase 2.05 (2002), S. 27.
(13) Ingo Way, Studieren gegen Israel. Die Universität Bir-Zeit und ihre deutschen Bewunderer, in: Bahamas 35 (2001), S. 56-58.
(14) Diese Erklärung wurde in diversen deutschen und internationalen Tageszeitungen zitiert, die komplette Übersetzung kann auf der Seite von MEMRI (www.memri.org) aufgerufen werden. Nusseibeh war es auch, der gegenüber dem Spiegel erklärte, er sei bereit, ein generelles Rückkehrrecht der PalästinenserInnen aufzugeben. Ausgerechnet sein Büro in der Jerusalemer Al-Kuds-Universität wurde nur wenige Tage später von der israelischen Polizei gestürmt und besetzt.
(15) Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich auch in dem Konflikt zwischen palästinensischen Linke, der PLO und der Hamas. So kam es u.a. in den achtziger Jahren immer wieder zu militanten Übergriffen der IslamistInnen auf Einrichtungen der PFLP. Heute gibt es zwar ein strategisches Bündnis zwischen PFLP und Hamas, dies bedeutet allerdings noch lange nicht, dass die Konflikte zwischen IslamistInnen und Säkularen damit gelöst wären. Am deutlichsten lassen sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen von völlig unterschiedlichen Lebensweisen aufzeigen, wenn man etwa die kulturelle und politische Situation in Ramallah mit der in Gaza vergleicht. Ein Spaziergang in Ramallah reicht aus, um festzustellen, dass zumindest im Stadtbild die Säkularen dominieren, auch die Hamas kann nicht verhindern, dass es zahlreiche Frauen gibt, die in Spagettitops und geschminkt durch die Gegend laufen und sich im örtlichen Kino amerikanische Spielfilme ansehen oder in den Kneipen und Cafes sitzen, sofern sie es sich noch leisten können.
(16) Initiative Sozialistisches Forum (ISF), Der Kommunismus und Israel, Bahamas 38 (2002).
Phase 2 Göttingen