White Men at work

Die Rolle der Arbeit im Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus

Vom 12.-19.07.2002 findet in Thüringen bei Jena (1) das fünfte Antirassistische Grenzcamp statt. In den vergangenen Jahren haben sich die Camps als konstituierendes Ereignis und Diskussionsforum für die antirassistische Bewegung erwiesen. Neben der Thematisierung von Grenzen für MigrantInnen und Flüchtlinge wird auch die Einwanderungsdebatte als Verknüpfung rassistischer Argumentationen mit kapitalistischer Verwertung ein Thema sein. Als eine an der Vorbereitung und Durchführung beteiligte Gruppe wollen wir sowohl im Vorfeld als auch auf dem Camp selbst in Form einer Diskussionsveranstaltung das Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus und die Rolle der Arbeit beleuchten.

Ausgangsbasis für uns ist ein Theoriedefizit in der antirassistischen Analyse: Meist wird das Herrschaftsverhältnis Rassismus weitgehend isoliert betrachtet und nicht in eine umfassende Gesellschaftsanalyse und -kritik eingebettet. Rassismus und Kapitalismus sind keine bloß nebeneinander her bestehenden Herrschaftsverhältnisse, vielmehr existieren zahlreiche Verschränkungen, die sich gegenseitig konstituieren und bedingen. Doch auch dort, wo die Diskussion geführt wird, sind die Analysen häufig verkürzt und problematisch: so ist z.B. die Vorstellung, dass die kapitalistische Ordnung Rassismus als lediglich vorgefundenes Herrschaftsverhältnis instrumentalisiert und nicht aus sich heraus notwendig hervorbringt, keine isolierte Position, sondern durchaus gängig nicht nur in der antirassistischen Diskussion. Unser Ziel ist es, inhaltliche Diskussionen sowohl innerhalb der antirassistischen Bewegung als auch als Teil einer radikalen Linken losgelöst von ihrer Aufsplittung in Teilbereiche voranzubringen. Für einen konsequenten linken Antirassismus ist eine Auseinandersetzung mit und Analyse von Kapitalismus und Ideologien wie Rassismus unbedingt notwendig. Wir werden im Folgenden den Stand unserer Analyse als Beitrag zu dieser von uns eingeforderten Diskussion vorstellen.

Rassismus spielt eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Werte und Sekundärtugenden im kapitalistischen Arbeitsprozess und der bürgerlichen Gesellschaft. Der Mensch muss sich zum bürgerlichen Subjekt, das in der kapitalistischen Gesellschaft funktioniert, zurichten und seine innere Natur beherrschen (2). Das bürgerliche Subjekt lernt in einem schmerzhaften, nie vollständig abgeschlossenen Prozess, seinen Lebensalltag und seine Bedürfnisse auf eine von außen aufgezwungene Arbeitsdisziplin auszurichten, die aber nicht als solche begriffen, sondern als prinzipiell notwendig und richtig von innen heraus bejaht wird. Es verklärt Arbeit als natürlich und dem menschlichen Wesen zugehörig. Folgerichtig begreift es seine Zurichtung als Verwirklichung des menschlichen Charakters und benötigt kaum noch äußere Zwänge, sondern verstümmelt sich vielmehr freiwillig zur kapitalistischen Arbeitsmaschine.

Das bürgerliche Subjekt spaltet die Welt in Gegensätze - Zivilisation/Kultur vs. Natur, Geist/Verstand vs. Trieb -, weist sich den einen Teil zu und projiziert den zweiten auf "die Anderen". Zwei wesentliche Abspaltungen, auf die wir im folgenden eingehen werden, sind die Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit, in der Geschlechter als zwei zusammengehörende und sich gegenseitig ergänzende Teile innerhalb einer Gemeinschaft begriffen werden, und die rassistische Spaltung in Angehörige einer eigenen Gemeinschaft, denen die "Fremden" entgegengesetzt werden.

 

Kultur vs. Natur Part I: sexistische Abspaltung (3)

Eine grundlegende Spaltung ist die Konstruktion zweigeteilter Geschlechter. Dem "Mann" als Ausgangs- und Bezugspunkt wird dabei Rationalität, Vernunft und Triebbeherrschung zugewiesen. Die "Frau" hingegen wird in die Nähe der Natur gedrängt: sie gilt als emotional, sinnlich, ungezügelt und in der Reproduktionssphäre verhaftet. Der Mensch ist der Mann, die Frau nur "das Andere". Das Idealbild einer freien, ungebundenen, produktiven Arbeitskraft wäre ohne das Gegenprinzip der fürsorgenden, erziehenden und emotionalen Frau nicht überlebensfähig. Bereits daher ist eine vollkommene Lösung von der Natur nicht möglich. Der scheinbare Gegensatz ist ein Teil des Eigenen und fasziniert gleichermaßen wie er gehasst werden muss, um sich von ihm abspalten zu können.

Die Geschlechterdichotomie und das patriarchale Geschlechterverhältnis bilden die Grundlage für das Funktionieren der kapitalistischen Ordnung. Durch die Abspaltung von der Natur entsteht das bürgerliche Subjekt, welches Ideologien - wie Rassismus - hervorbringt.

 

Kultur vs. Natur Part II: rassistische Abspaltung

Die Zurichtung des Menschen zum bürgerlichen Subjekt und die Widersprüchlichkeit der Interessen als Privat- und Staatsbürger in einer kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft, die scheinbar unverständlich und durch indirekte Herrschaft funktioniert, bilden den Nährboden für Ideologien. Diese geben einfache Erklärungen für komplexe und unverständliche Zusammenhänge und stiften darüber hinaus Identität und Gemeinschaft.

Die Figur des "Fremden" verkörpert den verdrängten, abgeschobenen Teil des eigenen Selbst als Spiegelbild der eigenen Identität. Nur in Abgrenzung zu "den Anderen" kann sich die eigene Identität festigen und rückversichern und ist immer auch Zurichtung und Einfügen in Rollenbilder.

Das bürgerliche Subjekt versucht die Abtrennung von seiner inneren Natur durch die Einbindung in als natürlich konstruierte und empfundene Gemeinschaften zu kompensieren. Aufbauend auf diese unveränderlich festgeschriebenen Gruppen werden komplexe soziale Zusammenhänge zu biologischen oder kulturellen Entwicklungen verklärt (4) oder in das Wesen hineinverlagert.

Die Zurichtung des Menschen zum bürgerlichen Subjekt ist nie abgeschlossen: anfänglich erfolgte sie gewaltsam durch Zwänge von außen, um den Arbeitsethos und die Bedürfniszurichtung im Individuum zu internalisieren und gesellschaftlich durchzusetzen. Heute erfolgt die Zurichtung "von Geburt an" durch Erziehung und Sozialisation und muss permanent aufrechterhalten werden: jeder Mensch muss sich lebenslang zurichten. Ideologien verlieren auch nach der äußerlichen Durchsetzung nicht ihre Bedeutung, sondern erfüllen dauerhaft Funktionen bei der Zurichtung des Menschen und der inneren Durchsetzung der Arbeitsdiziplin, der Legitimierung und Aufrechterhaltung der kapitalistisch-bürgerlichen Ordnung. Wie dies mithilfe der rassistischen Ideologie durchgesetzt wurde und wird, veranschaulichen die folgenden beiden historischen Beispiele und ein Blick auf die aktuelle Situation.

 

Arbeitsethos: Kolonialismus

In den afrikanischen Kolonien wurde die Arbeitsgesellschaft etwa 100 Jahre später in verdichteter, beschleunigter Form und mit denselben Mechanismen innerhalb von ein bis zwei Generationen durchgesetzt, was in Westeuropa noch mehrere Generationen dauerte.(5)

Im Zuge der Durchsetzung des Kapitalismus in Europa im 18. Jahrhundert wurde der Arbeitsbegriff verändert bis hin zum quasi-religiösen Sinnzentrum des Lebens. Die von außen erzwungene Arbeitsdisziplin wurde zu einer von innen heraus bejahten, selbstlaufenden, "automatischen" Arbeitsdisziplin. Arbeit galt als die notwendige Schule für die "rohe Menschheit", um auf dem Wege zur Zivilisation der "Segnungen der freien und freiwilligen Arbeit" teilhaftig zu werden. Nur "despotische, sittlich verdorbene Länder" würden die Arbeit missachten. Diese Ansicht beinhaltet die Aufforderung zur Missionierung der "Wilden" durch Arbeit.

Mehrere Generationen weißer Kolonialherren unternahmen Versuche, in Afrika das Arbeitsprinzip durchzusetzen, die verquickt waren mit rassistischen Klischees vom faulen und naturhaften "Afrikaner". Daraus leiteten sie die Aufgabe der "Weißen" ab, die "Schwarzen" zu zivilisieren, was sich aber innerhalb der rassistischen Logik nur als Sisyphosarbeit herausstellen kann, weil die Grundannahme in einem unveränderlichen und natürlichen Wesen des "faulen Schwarzen" besteht. Dieses Bild nimmt vorweg, dass bis heute die Durchsetzung des Arbeitsprinzips nicht gelungen ist. Die Gründe für das Scheitern wurden und werden aus weißer, kolonialer Sicht mittels der drei folgenden Thesen erklärt:(6)

Die rassistische These: Die AfrikanerInnen sind faul und müssen zur Arbeit gezwungen werden. Das bedeutet, dass Zivilisation und Arbeitsgesellschaft in Afrika nur möglich sind, wenn die weiße Herrschaft erhalten bleibt. Diese These ist bei weißen SiedlerInnen nach wie vor weit verbreitet.

Die kulturelle These: Sie besagt, dass das afrikanische Verwandtschaftssystem die Entstehung von Karriere- und Leistungswünschen verhindert, wohingegen die Etablierung der Kleinfamilie mehr Verfügungsrecht über den eigenen Lohn nach sich ziehen würde. (7)

Die ökonomische These sagt aus, dass es notwendig ist, Anreize zu schaffen. Diese können zum einen politisch repressiv sein, d.h. die Zerstörung der sozialen Bindungen und der traditionellen Lebensgrundlagen zum Ziel haben. Zum anderen können sie liberaler Art sein, in dem Sinne, Lohnanreize zu schaffen.

Zu Beginn der Kolonialzeit beklagten sich die weißen Pioniere immer wieder über die Bedürfnislosigkeit und die Unzuverlässigkeit der schwarzen Hilfskräfte. Oftmals blieben die Anwerbungen für Landwirtschaft, Fabriken und vor allem Bergbau erfolglos, da für die afrikanischen Gesellschaften keine Notwendigkeit bestand, für die Weißen zu arbeiten. Die Beschaffung von Arbeitskräften erfolgte letztendlich doch über Zwangsarbeit, Erhebung von Steuern und hohen Strafen bei Missachtung der Kolonialgesetze. Des weiteren wurden Erziehungsinstitutionen geschaffen - nämlich compounds (Arbeitslager) und Schulen - um die Anerziehung von Arbeits- und Zeitdisziplin zu ermöglichen.

Es wurde die materielle Notwendigkeit geschaffen, sich in abhängige Arbeit zu begeben. Erreicht wurde dies durch die Zerstörung der Subsistenzwirtschaft mittels der Monopolisierung des Bodens, die Erzwingung von Bargeldbedarf durch die Einführung von Steuern und später die Erziehung zu disziplinierten KonsumentInnen durch die shops in den compounds. Parallel dazu wurden regionale Kulturen zerstört, da die traditionellen Lebensverhältnisse mit den Erfordernissen der Arbeitsgesellschaft - der disziplinierten Gleichschaltung - unvereinbar waren. Im afrikanischen Kontext bedeutete dies vor allem die Bekämpfung der Polygamie, des Polytheismus und der Vielzahl an Festen.

Zur Legitimation all dieser Vorgehensweisen beriefen sich die Kolonialherren auf das o.g. Stereotyp vom "faulen Afrikaner". Cecil Rhodes - weißer Pionier der 1. Stunde - begründete die Kolonisierung Afrikas und anderer Regionen in der Welt mit rassistischen Aussagen wie, "dass wir (die Briten) die erste Rasse in der Welt sind und dass es um so besser für die menschliche Rasse ist, je mehr von der Welt wir bewohnen".

 

Arbeitsethos: Frühkapitalismus

Welche Rolle Rassismus bei der Herausbildung des bürgerlichen Arbeitsethos spielte, zeigt das historische Beispiel der "Zigeuner" (8). Das "Zigeuner-Volk" wurde nicht als einheitlich festgefügt konstruiert. Vielmehr wurde die Möglichkeit, durch freie Entscheidung dazu zu stoßen, immer betont und spielte eine wichtige Rolle. Dennoch wurden gleichzeitig die zugeschriebenen Eigenschaften einerseits als angeboren charakterisiert, indem ein genetischer Begriff von Faulheit und Müßiggang, der die Ursachen im Individuum und nicht in erster Linie in der "Volkszugehörigkeit" sucht, entwickelt wurde. Andererseits galten sie als unveränderlich: ihre Verfolgung wurde nicht mit konkreten Delikten begründet, sondern mit ihrem Lebenswandel, zu dem Kriminalität als unveränderlicher Anteil dazugehören und früher oder später vorbrechen würde. In der öffentlichen Vorstellung resultiert ihre Fremdheit nicht vorrangig daraus, dass sie "aus der Ferne" zugewandert sind (9), sondern aus ihrer Verweigerung an die Anforderung der Neuzeit: an abhängige Arbeit, Sesshaftigkeit, Unterordnung unter die Herrschaftsverhältnisse und Triebkontrolle. Dadurch entfaltete das Klischee der stigmatisierten ZigeunerInnen ein enormes Drohpotential gegenüber den potentiellen ArbeiterInnen. Der gewaltsame Umgang mit ihnen verdeutlichte, was mit denen geschieht, die sich den kapitalistischen Werten und insbesondere dem neuen Arbeitsethos entziehen und sich in die Nähe der verachteten Gruppen und "Rassen" rücken.(10) Die Alternative "Abhängige Arbeit oder Unterdrückung und Untergang" gilt sowohl für die als minderwertig definierten "Rassen" als auch für die unteren Klassen, die zu dieser Zeit "produziert" wurden. Zwangsweise wurden Menschen zu "Vagabunden und Bettlern" gemacht, dann beschuldigt, willentlich aus Faulheit diesen Lebensstil gewählt zu haben und sich dem Arbeitsethos zu entziehen, und schließlich wegen Delikten wie Landstreicherei und Bettelei, die einen Lebenswandel kriminalisieren, in Arbeits- und Zuchthäuser gesperrt.

 

Arbeitsethos: today

Im aktuellen Diskurs greifen mehrere, in sich widersprüchliche rassistische Vorurteile ineinander. Die klassischen Zuschreibungen von "faulen, naturnahen Völkern" bestehen zum Beispiel in der Erklärung unterschiedlicher Entwicklungsstände von Ländern im Weltmaßstab fort. So ist die Wirtschaft afrikanischer Länder angeblich deswegen unterentwickelt, weil die BewohnerInnen nicht kapitalistisch durchrationalisiert sind, Vetternwirtschaft statt ökonomische Betriebsplanung betreiben würden und nicht produktiv arbeiten. Sie scheinen (noch) keine kapitalistischen "Arbeitstiere", sondern der Natur näher zu sein, und darin wird eine einfache Erklärung für systemimmanente Widersprüche gefunden, die im Wesen dieses "Volkes" liegen soll.

Bei hier lebenden MigrantInnen scheint sich dieses Klischee auf den ersten Blick verkehrt zu haben. Deutsche fürchten sie als KonkurrentInnen auf dem Arbeitsmarkt, die härtere Bedingungen akzeptieren und für weniger Geld intensiver arbeiten. Im Heimatland noch unfähig zur Arbeit und schuld an wirtschaftlicher Misere, scheinen also dieselben Menschen im Zufluchtsland in der Wahrnehmung zu Musterbildern der kapitalistischen Verwertung zu mutieren. Aber sie verkaufen sich "unter Wert": sie sind gezwungen, ihre Arbeitskraft unter dem dafür üblichen Tauschwert zu verkaufen. Sie gelten im Wortsinn als "minder-wertig" und folgerichtig auch als formal ungleich (11). Auch die Begründung folgt rassistischen Mustern: Nichtdeutsche Arbeitskräfte gelten als primitiv und bedürfnislos und bräuchten deswegen gar keinen höheren Lohn.

Die Zuschreibungen bilden keinen Widerspruch, sondern stellen vielmehr eine konsequente und effektive Ergänzung verschiedener Funktionen dar. Rassismus legitimiert und rechtfertigt das Konkurrenzprinzip zum einen innerhalb eines Landes z.B. durch die Präsenz und Drohung der billigeren Alternativen MigrantInnen und Schwarzarbeit, zum anderen nach außen z.B. durch die Drohung von Unternehmen, in Länder mit niedrigeren Produktionskosten abzuwandern. Er stützt die Identifikation mit Deutschland: In dieser Logik scheint es dann plötzlich im eigenen Interesse der ArbeiterInnen zu sein, dass sie weniger Lohn erhalten oder entlassen werden, um den Wirtschaftsstandort BRD zu erhalten.

 

tomorrow: Perspektiven

Der Kapitalismus ist legitimierend und konstituierend für den Rassismus. Dennoch ist es falsch, diesen rein ökonomistisch aus dem Kapitalverhältnis abzuleiten: Als eine Ideologie der Ungleichheit verselbständigt und reproduziert er sich ständig. Ebenso ist der Rassismus aber auch konstituierend für den Kapitalismus. Er spielt eine wichtige Rolle für dessen Aufrechterhaltung und verhindert, dass die kapitalismusimmanenten Widersprüche zu Tage treten. Rassismus zu bekämpfen, muss daher grundlegend auch bedeuten, Kapitalismus zu bekämpfen.

Herrschaftsverhältnisse wurden in der Vergangenheit meist in einer Hierarchie von Hauptwiderspruch Kapitalismus und den ihm untergeordneten Unterdrückungsverhältnissen Rassismus, Sexismus, Nationalismus u.a. gedacht, oder als gleichwertig, aber voneinander isoliert begriffen. Entscheidend ist vielmehr, ihren Zusammenhang und ihre Funktionen zu untersuchen. Dieser Text stellt einen Beitrag zu einer zu führenden Diskussion dar, in der die Beschränkung der Teilbereiche und der isolierten Politikfelder überwunden werden und parallel eine Praxis zur Abschaffung jeder Form von Herrschaft (weiter) entwickelt werden muss.

 

 

Fußnoten:

(1) www.contrast.org/borders/kein

(2) Der Begriff der "inneren Natur" meint keine natürliche, vorausgesetzte und unveränderliche Natur des Menschen, die ihn biologisch determiniert (abgesehen von wirklichen biologischen Konstanten wie Schmerzempfinden und Hunger), sondern diese ist bereits gesellschaftlich geformt. Die Zurichtung des Menschen unter kapitalistischen Verhältnissen ist eine komplizierte und widersprüchliche: einerseits werden Bedürfnisse nach Geborgenheit, Unterhaltung und Freizeit produziert, andererseits bürgerlicher Arbeitsethos, Effektivität und Leistung. Letzteres fordert die Unterdrückung der ersteren Bedürfnisse ein.

(3) Ausführlicher in einem Artikel von Martin D., CEE IEH 84 (Januar 2002), www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/84/15.html

(4) Kulturelle Erklärungsmuster funktionieren aber genauso festgefügt und unveränderlich, also "quasi-biologisch".

(5) Näheres in: Reimer Gronemeyer (HG.) "Der faule Neger. Vom weißen Kreuzzug gegen den schwarzen Müßiggang".

(6) Tatsächlich lagen die Gründe aber u.a. darin, dieselben Mechanismen, die in Europa zur Durchsetzung der Arbeitsgesellschaft und zur Verinnerlichung des Arbeitsethos erfolgreich waren, auf Afrika ohne Anpassung an die spezifischen Verhältnisse zu übertragen. Wesentliche Voraussetzungen, die in Europa den Boden für die Entwicklung und Annahme des Arbeitsethos bereiteten, waren nicht gegeben: z.B. ein abstrakter Arbeitsbegriff und Wert als Arbeit "für Gott", der nur noch säkularisiert werden musste. Ein weiterer Grund lag in der kolonialen Situation: Die Unterdrückten verband mit den kolonialen UnterdrückerInnen keine Gemeinschaft (wie Nation oder Volk), aus der heraus sie die Werte der UnterdrückerInnen als ihre eigenen annehmen konnten.

(7) Als Merkmal der afrikanischen Großfamilie wird ein starker Zusammenhalt der Gruppe benannt, aus dem folgt, dass ein Großteil des Lohn automatisch auch nach festgelegten traditionellen Kriterien auf die gesamte Familie aufgeteilt wird und nicht der freien Verfügung des Verdienenden liegt.

(8) Ausführlich in: Wulf D. Hund: Das Zigeuner-Gen. Rassistische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit, 1999

(9) Sinti und Roma wanderten zu Beginn des 15. Jhd. in der Phase des Untergangs des Feudalismus und der Herausbildung frühkapitalistischer Strukturen nach Mitteleuropa ein.

(10) Die Verwissenschaftlichung des "Zigeuner"-Begriffes als biologische Rasse im 19. Jhd. machte diesen dann auch weitgehend untauglich für die Durchsetzung des Arbeitsethos.

(11) Stephan Grigat legt diesen Ansatz von Peter Schmitt-Egner in seinem Aufsatz "Rassismuskritik und Wertvergesellschaftung" dar (Context XXI: contextxxi.mediaweb.at/texte/archiv/wuz990545.html)

Links:

www.noborder.org

www.nadir.org/nadir/kampagnen/landinsicht/

www.summercamp.squat.net



Klara Woldner
Die Autorin ist Mitglied der Antirassistischen Gruppe Leipzig