Die Phase 2 trifft sich mit drei Redakteur_innen unterschiedlicher linker Medien im virtuellen Raum, um über persönliche Motivation, die Ausrichtung ihrer Publikations-organe und den Sinn linker Medien zu diskutieren.
Es diskutieren: für die Phase 2 eine Redakteurin der ersten Stunde, der Hauptakteur des viel beachteten politischen Blogs Lizas Welt, Bernd Baier, der seit deren Gründung bei der Jungle World arbeitet und zuvor Redakteur bei der Jungen Welt im Bereich Internationales war, und Werner Pomrehn, seit 2010 beim Freies Sender Kombinat (FSK) in Hamburg zunächst in der Redaktion 3 mit der Sendung recycling, inzwischen ebenfalls involviert in die strukturellen Aufgaben des Ladens.
Phase 2: Die Phase 2 gibt es jetzt seit zehn Jahren. Alle drei Monate erscheint ein doch recht umfangreiches Heft, das einen beständig wachsenden Leser_innenkreis gefunden hat. Wir sind 2001 angetreten um linken Gruppen eine Plattform zur gemeinsamen Diskussion zu bieten, besonders nach dem Scheitern von zwei bundesweiten Organisierungsversuchen. Recht schnell wurde aber deutlich, dass es so viele Gemeinsamkeiten zwischen den Gruppen gar nicht gibt. Unsere Ausrichtung ist, dass wir für Linke relevante Themen diskutieren, dass unterschiedliche Positionen in einem Heft gegeneinander stehen können und Diskussionen um Theorie und Praxis begleitet werden. Zudem bemühen wir uns darum, Positionen und Theorien zunächst vorzustellen und zu diskutieren, bevor sie kritisiert werden. Unsere Devise für die Textauswahl ist: Pluralistisch mit harter Hand.
Könnt ihr bitte etwas zur Entstehung eures Mediums und der Ausrichtung sagen?
Lizas Welt: Lizas Welt ist ein (Einzel-) Blog, das seit Februar 2006 existiert und sich mit den Themenschwerpunkten Politik und Fußball beschäftigt, wobei sich die politischen Beiträge im Wesentlichen auf die Bereiche Israel, Nahost, Antisemitismus und Islamismus konzentrieren. Sinn und Zweck des Blogs ist es, mit den bescheidenen und notwendig beschränkten Mitteln und Möglichkeiten einer Website Aufklärung, Kritik und Polemik zu betreiben und dabei in den genannten Bereichen zu einer Gegenöffentlichkeit beizutragen, die aus meiner Sicht dringend erforderlich ist.
FSK: Das FSK ist ein Freies Radio Projekt. Solche sind an sich, vor allem was den Westen betrifft, als Instrumente der Gegenöffentlichkeit entstanden. Als solches hat sich FSK nie ausschließlich verstanden, eher intervenierend und die Gegenöffentlichkeiten kritisierend. Das FSK versteht sich als heterogenes Projekt mit guten Einstiegsmöglichkeiten – auch in und zu Debatten. Seit Mitte der 1990er, im Nachgang der Implosion des realexistierenden Sozialismus, ungefähr mit der Entstehung der Jungle World, wäre über alle Formen medialer Intervention auch dahin gehend nachzudenken, wie theoretische Impulse und Entwicklungen aus diesen heraus entstanden sind bzw. forciert werden.
Jungle World: Die Jungle World ist 1997 nach einem heftigen Konflikt in der Jungen Welt entstanden. Nachdem ein Mitglied der Chefredaktion, das sich gerade im Urlaub befand, aus derselben entfernt werden sollte, entstanden ein Streik und eine Redaktionsbesetzung. Inhaltlich sollte die Junge Welt auf »Ostkompetenz« verpflichtet werden, das heißt ostdeutschen Nationalismus und Ostalgie. Das war mit dem Großteil der Redaktion nicht zu machen, der die Jungle gründete, nachdem er rausgeschmissen worden war. Die Jungle hat sich von Anfang an bemüht, eine Kritik an vermeintlichen linken Gewissheiten zu formulieren und sich deshalb oft unbeliebt gemacht. Bei der zweiten Intifada etwa kritisierten wir die religiöse Ausrichtung und brachen mit dem Soli-Reflex; 9/11 war für uns nicht der irgendwie berechtigte Aufschrei der Verelendeten im Trikont; im Irakkrieg kritisierten wir die Politik des deutschen Staats und Kapitals, das mit Saddam Hussein Geschäfte machen wollte. Bei der Mavi-Marmara-Flottille kritisierten wir die Querfront von IslamistInnen und Antiimp-Linken gegen Israel. Das verschafft einem nicht nur Freunde, ist aber, denke ich, der richtige Weg, um Kritik zu organisieren. Und dazu ist die Jungle da.
Phase 2: In euren Beschreibungen taucht der Begriff »Gegenöffentlichkeit« auf. Da sind wir schon mittendrin in der Diskussion um linke Medien. Eurem Verständnis nach stehen linke Medien eher außerhalb der »normalen« Medienlandschaft und behandeln Themen, die sonst nicht diskutiert werden. Verortet ihr euch tendenziell innerhalb linker Medien oder innerhalb einer allgemeinen Medienlandschaft?
Zur Veranschaulichung: Orientiert ihr euch an Medien, die ähnlich verortet sind, also für die Jungle z.B. am Freitag oder am Spiegel? Oder auch an Medien außerhalb des Printbereichs?
Jungle World: Ich bevorzuge den Begriff der »kritischen Öffentlichkeit«, »dagegen« sind ja irgendwie auch Nazis. »Linke Medien« sind natürlich ein Teil der normalen Medienlandschaft, oft werden in ihnen ja auch Ideologien reproduziert, nur andere als im »bürgerlichen« Mainstream, der in Deutschland ja auch nicht sonderlich ausgeprägt ist, weil es hierzulande noch nicht einmal eine bürgerliche Revolution gab.
Man schaut natürlich, was andere Medien wie Spiegel oder Freitag so treiben, aber ich hoffe doch schwer, dass sowohl inhaltlich als auch im Stil und der Gestaltung deutliche Unterschiede erkennbar sind. Die Jungle hat etwa, anders als der Spiegel, der das alle paar Wochen macht, noch nie Hitlers hässliches Face aufs Titelbild gepackt, und auch die Boulevardisierung des Spiegels machen wir nicht mit. Andererseits ist es natürlich interessant, wie der Spiegel ein Konzept für seine Artikel entwickelt hat. Der Freitag ist politisch ziemlich wischiwaschi, radikale Thesen finden sich dort in meinen Augen nicht – das ist ein Unterschied zur Jungle. Und wir machen im Unterschied zum Freitag eher thematische Blogs, wie den zu den Revolten in der arabischen Welt, um ein ausuferndes Gefasel über alles und nichts zu vermeiden.
Andere Medien nutzen wir natürlich auch – politische Blogs etwa sind mittlerweile unverzichtbar, wenn man schnell etwas mitkriegen will. Das Problem der Blogs zumindest hierzulande ist aber noch, dass sie kaum über finanzielle Ressourcen für Recherche verfügen – da ist selbst eine vergleichsweise kleine Zeitschrift wie die Jungle im Vorteil. Und das, was als »investigativer Journalismus« bekannt ist, ist in Deutschland m.E. wegen der autoritären und nazistischen Vergangenheit extrem unterentwickelt. Bis heute gibt es z.B. noch nicht einmal eine kritische Biografie über Möllemann, gegen den zur Zeit seines Todes mehr als 20 Verfahren anhängig waren. Dagegen müsste man auch einen kritischen investigativen Journalismus versuchen, zu etablieren.
Lizas Welt: Politische Blogs sind – je nach Größe und Bedeutung – zum einen sicherlich ein Teil der (Online-) Medienlandschaft geworden und haben an Relevanz gewonnen; zum anderen stehen sie aber auch in einer Konkurrenz zu ihr. Was Lizas Welt betrifft, geht es nicht so sehr um die Behandlung von Themen, die sonst nicht diskutiert werden – denn das lässt sich vom »Nahostkonflikt« ja schwerlich behaupten –, sondern vor allem um eine andere Perspektive, um eine Parteinahme für Israel. Wenn sowohl der bürgerliche Mainstream als auch nicht wenige linke Medien von antiisraelischen Ressentiments durchtränkt sind, bedarf es unbedingt einer kritischen Gegenöffentlichkeit.
Ein Orientierungspunkt sind dabei selbstverständlich Medien wie die Jungle World, die Phase 2, Konkret und das FSK, aber auch und vor allem ähnlich gelagerte politische Blogs, mit denen es – sei es etwa durch Verlinkungen, sei es durch einen direkten Austausch – durchaus so etwas wie eine Vernetzung gibt.
FSK: Na ja, linke Medien, also auch das FSK, sind Teil medialer Vermittlung. Was darüber hinausgeht, ist sicherlich schon mal die Reflexion dieser Form. Dann natürlich die berühmte Frage: »What‘s left?«. Wenn ich mich auf die Mitte der neunziger Jahre beziehe, dann als einen von mehreren fundamentalen Wissens- und Kenntnisbrüchen, nach und mit denen die Linke sich auf ihren Emanzipationsgehalt zu befragen hatte. Bei der Jungen Welt z.B. wäre das damals der homophobe Mob gewesen, der dort losgebrochen war und den unter anderem der überwiegende Teil der Belegschaft zurückgewiesen hatte. Im FSK war das leicht zeitversetzt die immer wieder aufflackernde Antisemitismusauseinandersetzung. Später dann 11. September usw. Auch der Jugoslawienkrieg, der zu verstehen gab – zumindest für diejenigen, die es verstehen wollten –, dass und mit welchen Mitteln Deutschland Kriege führt.
Phase 2: Die Notwendigkeit zur kritischen Intervention, auch gegen linke Selbstverständlichkeiten, eint die Phase, Lizas Welt und Jungle World offenbar. Auch FSK möchte Kritik an der Gegenöffentlichkeit formulieren. Da schließt sich die Frage an: Und, gelingt es? Wie ist eure Selbsteinschätzung in Bezug auf Verbreitung und Rezeption? Bekommt ihr Feedback, das zum Weitermachen motiviert? Ist die Motivation eher an Verkaufs- bzw. Klickzahlen gebunden oder kommt sie aus der Intention eures Mediums heraus? Also eher aus der Gewissheit, das »Richtige« zu sagen/schreiben?
Lizas Welt: Die Verbreitung und Rezeption von Lizas Welt ist zwar größer, als ich es zu Beginn erwartet habe. Und tatsächlich kommt eine Menge Feedback von Leser_innen, kommen interessante und wertvolle Links oder Gastbeiträge. Dennoch darf man die Bedeutung eines Blogs nicht überschätzen. Auch wenn ein paar tausend Klicks pro Tag eine schöne Sache und für ein Einzelblog nicht wenig sind, ist die Reichweite doch klar begrenzt. Außerdem weiß man natürlich nicht, wie viele Menschen die aufgerufenen Texte auch wirklich lesen, verstehen, verarbeiten. Entscheidend für mich sind aber nicht die Klickzahlen, entscheidend sind vielmehr die politische Großwetterlage und mein Bedürfnis, in sie zu intervenieren.
Jungle World: Naja, man tut, was man kann in Anbetracht der Mittel, die einem zur Verfügung stehen. Die Verbreitung der Jungle ist natürlich viel zu gering angesichts des großartigen Produkts. Das Feedback ist schwierig zu beurteilen: manchmal ist es ein wenig stürmisch, etwa wenn sich haufenweise Autor_innen beschweren, wenn man mal wieder mit irgendeiner linken Gewissheit zu brechen bereit ist, aber ganz grob würde ich meinen, hat man mit seinen Einschätzungen in der Jungle selten komplett daneben gelegen. Und eine scharfe Diskussion klärt ja in der Regel auch etwas. Aber mein Engagement bemisst sich nicht an den Verkaufszahlen.
FSK: Das FSK wird, glaube ich ziemlich breit und in sehr unterschiedlichen Öffentlichkeiten rezipiert; sowieso nicht ausschließlich in linken. Vielmehr auch thematisch, inhaltlich und – wenn man so will – genremäßig. Das Radioprogramm greift in den einzelnen Sendungen ineinander und die Rezeption spiegelt das wieder. Das wäre für mich, neben einzelnen Themen, die zentrale Motivation – ein gutes Programm, welches man selbst gerne hört zu Hause oder unterwegs und von dem ich erfahre, dass es Anderen damit auch so geht.
Phase 2: Radio ist ja ein eher flüchtiges Medium. Ich weiß, dass ihr auch ein Online-Archiv habt, aber bei der thematischen Suche im Netz lassen sich nur schwer Beiträge finden. Zudem muss man dann Zeit aufbringen um zu hören, was in der Sendung vorkommt. Es ist nicht wie bei Texten möglich, kurz drüber zu schauen, ob es sich lohnt. Ich finde dies einen klaren Nachteil von Radiomachen. Denn zumindest als Archiv, als Beiträge zu verschiedensten Themen überdauern Texte (Printprodukte) doch ihre aktuellen Ausgaben. Warum findest du Radio als das adäquate Mittel zur Intervention?
FSK: Der Behauptung, Radio sei ein eher flüchtiges Medium, widerspreche ich entschieden. Meine Erinnerungen zu einzelnen Radiosendungen, Wort oder Musik, reichen teilweise über Jahrzehnte zurück. Es wäre wunderbar, wenn wir unsere Podcasts mehr verschriftlichen könnten. Einen Ansatz entwickelt sich in unserer Kooperation mit Radio Corax. Gemeinsam nutzen wir freie-radios.net und audioarchiv.blogsport.de. Radio ist ein Mittel, besonders wirksam für Live-Situationen und Vorträge, aber auch für Diskussionen. Radio ersetzt das Lesen keineswegs, nicht das journalistische, nicht das belletristische und auch nicht das wissenschaftliche.
Phase 2: Die Abo- und Verkaufszahlen der Phase 2 steigen kontinuierlich, selbst unsere nicht allzu userfreundliche Internetseite hat, fast unbeworben, recht erfreuliche Klickzahlen. Tiefer gehendes Feedback auf Texte bekommen wir in Form von Leser_innenbriefen eher selten. Wenn, dann gleich ganze Texte. Wir kriegen mit, dass unser Heft gelesen wird, wenn wir mit anderen Leuten reden und natürlich darüber, dass die Leute, die wir als Autor_innen anfragen, uns sehr häufig schon kennen. Das ist alles recht schön. ABER der Zeitaufwand ist natürlich auch enorm. Die Bezahlung bei null. Das gilt, vermute ich, für euch alle, außer Dich, Bernd.
Rechtfertigt der Aufwand den Nutzen?
FSK: Eindeutiges Ja – es ist manchmal allerdings hart. Wir diskutieren das oft. Ein Ergebnis dabei ist immer wieder: Das hohe Maß an gemeinsamer, selbstbestimmter und kollektiver Arbeit macht es lohnenswert. Nicht immer so, wie man es sich eigentlich wünscht, aber doch immerhin ein Stück weit....
Jungle World: Bei der Jungle steckt man natürlich in dem alten Widerspruch, dass man einen Fulltimejob hat, der selbst organisiert ist, aber wenig Knete abwirft. Was soll man dazu sagen? Nochmal das Klagelied von der Selbstausbeutung anstimmen? Das ist nicht so mein Fall. Wenn man das nicht mehr machen will, sucht man sich halt was Anderes. Ansonsten sollte sich die Jungle am besten in einen schicken, großen, kritischen Medienkonzern transformieren lassen, mit guter Bezahlung, eigenem Radiosender (Jungle-Funk haben wir ja auch bereits gemacht, und wir arbeiten auch gerne und regelmäßig mit freien Radios wie dem FSK zusammen), mit massig Knete für Auslandsredaktionen in anderen Ländern, für kritische Blogger_innen und Jungle TV. Aber das wird wohl noch ein wenig dauern. Man kann wohl kaum erwarten, dass einem die Gesellschaft, die man kritisiert, nen roten Teppich ausrollt. in der Regel stehen eher Gefängniszellen für Kritiker_innen bereit.
Phase 2: Gut, so kurz vorm Knast steht man in Deutschland mit einer kritischen Haltung eher nicht, oder? Und dass es schöner sein könnte, ist keine Frage. Die Motivation weiterzumachen braucht es ja dennoch. Du hast geschrieben, die Verkaufszahlen sind es nicht. Die Bezahlung offenbar auch nicht. Was ist es denn dann?
Jungle World: Stimmt, die kritische Haltung allein ist es nicht, aber ich hoffe immer noch auf eine radikale Veränderung der Gesellschaft, sprich Revolution, auch wenn das in diesen Zeiten seltsam klingen mag. Und dazu kann die Jungle ein Mittel sein. Im Übrigen freue ich mich immer, wenn die Jungle ein schickes Titelbild zustande gebracht oder ein ganz spezielles Thema gut gecovert hat. Eine gute Zeitung zu machen, macht auch Spaß.
Lizas Welt: Die Jungle ist – zum Glück! – eher ein Medium zur Verhinderung einer Revolution hierzulande. Wehe, wenn der Wutbürger losgelassen wird.
Jungle World: Revolution beziehe ich immer auf emanzipative Veränderungen, der Rest ist in meinem eher schlicht gestrickten Weltbild die Konterrevolution, also die Mullahs im Iran oder die Wutbürger, die einen Nazibahnhof erhalten wollen.
Lizas Welt: Ich denke, der Aufwand rechtfertigt den Nutzen. Wenn mal wieder eine Mail eines Lesers eintrudelt, der sich für den Blog oder einen bestimmten Beitrag bedankt; wenn sich ein Blogtext rasch verbreitet und vergleichsweise breit rezipiert wird; wenn man merkt, dass das eigene Produkt wahrgenommen und genutzt wird; wenn man mitbekommt, dass man beispielsweise die Nahostdebatten in gewisser Weise beeinflusst – dann lohnt das schon die Mühe. Außerdem hat es mir der Blog nach einer Weile ermöglicht, für verschiedene Zeitungen zu schreiben und Vorträge zu halten. Auch das ist deutlich mehr, als ich anfangs erwartet hatte.
Jungle World: Und auch die Feedbacks sind wichtig. Als Wochenzeitung ist die Jungle im Vergleich zu den Monats- oder Quartalszeitschriften aktueller. Da kann man Themen setzen, die dann von anderen Medien (Blogs, Radio, usw.) aufgegriffen werden, das macht auch Laune.
FSK: Themen setzen ist das Eine. Themen durchhalten das Nächste...
Phase 2: Die Phase ist thematisch relativ breit aufgestellt, im Gegensatz zu einer Fokussierung auf spezielle Bereiche, wie bei Lizas Welt. Neben den Textangeboten, die uns erreichen, gucken wir selbst, was interessant sein könnte, auch in Bereichen, von denen wir keine Ahnung haben, und fragen dann Leute an. Da wir eher wie eine Politgruppe arbeiten, entscheiden bei uns alle Redakteur_innen über alle Inhalte gleichberechtigt. Wir diskutieren alle Texte gemeinsam durch.
Das kann bei der Fülle der Redaktionen bei FSK, und bei einer Wochenzeitung, die anderen Zeitdruck hat, sicherlich nicht passieren. Wie wird bei Euch über Inhalte entschieden? Eint Euch die politische Intention? Werden in Euren Medien auch Meinungen/Themen etc publiziert, die Ihr ablehnt? Wie geht Ihr oder Eure Redaktion mit solchen Konflikten um?
Jungle World: Die Jungle hat den politischen Teil, in dem es um die Kritik an Deutschland im besonderen und die an der ganzen Welt im allgemeinen geht; sie hat Platz für Debatten auf der Diskoseite, für Reportagen mit schönen Bildstrecken und Interviews. Im Feuilleton gibt es massig Platz für Dinge, die das Leben angenehm machen können – Musik, Kino, Literatur. Sozusagen eine Hedonismus- und popkulturelle Strecke; daneben natürlich das politische Feuilleton mit thematischen Auseinandersetzungen. In der Jungle ist das politische Spektrum breiter als bei Phase 2, denke ich. Texte werden bei der Redaktionskonferenz vorgestellt, wenn es Kritik an Texten gibt, kann man die Diskoseite dazu nutzen, um Gegenbeiträge zu platzieren, und jede_r Redakteur_in hat das Recht dies zu tun.
Phase 2: Lizas Welt, Du entscheidest vermutlich alleine, was, wie publiziert wird. Das vereinfacht und beschleunigt wahrscheinlich einiges. Aber Du bist auch immer alleine verantwortlich. Hast Du stets ein solch hohes Sendebewusstsein oder etwa ein Abkommen mit Dir selbst, dass jeden Tag mindestens zwei Postings kommen sollten? Oder ist immer so viel los, dass Du Dich gar nicht überreden musst, etwas zu posten?
Lizas Welt: Ja, ich entscheide das grundsätzlich alleine, wobei ich auch schon mal befreundete Blogger zu Rate ziehe. Eine Art Produktionsdruck habe ich mir anfangs mal gemacht, inzwischen tue ich das nicht mehr. Was und wie oft ich schreibe, hängt entscheidend von meiner Zeit ab, aber auch von meiner Lust und meiner Tagesform – das ist in gewisser Weise natürlich ein Vorteil gegenüber Zeitungs- und Radiomacher_innen.
Jungle World: Man kann als Redakteur_in auch dafür plädieren, dass ein umstrittener Text nicht veröffentlicht wird; eskaliert der Streit, dann entscheidet ein kleineres Gremium, das sich aus Mitgliedern aller Redaktionen zusammensetzt.
Alle Texte durchzudiskutieren, geht bei dem Rhythmus der Jungle nicht. Man muss darauf achten, dass sie auf den Konferenzen möglichst präzise vorgestellt werden. Aber man weiß natürlich auch, welche Texte heikel sein könnten und dann kann man so vorgehen, dass man auf diesen speziell aufmerksam macht und sagt, wenn es entschiedene Einwände gegen eine Veröffentlichung gibt, könne man die diskutieren. Aber das kommt nicht oft vor, alle paar Monate höchstens.
Phase 2: Wir wollen alle die richtige Kritik in der angemessenen Form veröffentlichen. Ehrlicherweise muss man doch zugeben, das gelingt nicht immer.
Bei der Phase zum Beispiel bekommen wir Texte, die nichts mehr mit dem vorher besprochenen Text zu tun haben. Auch der akademische Stil, der uns (manchmal zu recht) vorgeworfen wird, ist nicht von uns intendiert, scheint sich aber selbst zu reproduzieren, schreckt aber manche Autor_innen ab, weil sie sich nicht zutrauen so zu schreiben. Von uns aus müssten Texte z.B. gar keine Fußnoten haben...
Wir sind in der Betreuung von Texten aber deutlich an unserem zeitlichen Limit, da geht schon mal was durch, was bei mehr Zeit nicht ins Heft gekommen wäre.
Und manchmal sind auch Meinungen vertreten, die an die Grenze des Vielfaltsspektrums einzelner Redaktionsmitglieder gehen (so homogen wie gelegentlich vermutet wird, sind unsere Positionen nämlich gar nicht).
Was sehr ihr bei Euren Medien kritisch, verbesserungswürdig?
Jungle World: In der Jungle haben wir ähnliche Probleme wie die, die Du ansprichst. Die gelten für alle Printprodukte. Man wundert sich, was für ein Text kommt, hatte man ihn doch anders bestellt. Die akademische Schreibe versuchen wir, durch Redigieren in Grenzen zu halten. Aber der zeitliche Druck ist natürlich größer bei einer Wochenzeitung.
Phase 2: Werner, Du hast den Antisemitismusstreit angesprochen, der wurde so weit ich weiß eher dahin beendet, dass sich gegen die Antisemitismuskritiker_innen entschieden wurde. Gibt es Grenzen des Tolerierbaren?
FSK: Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus im FSK als so beendet anzusehen, ist Ergebnis einer bestimmten und von mir abgelehnten Geschichtsschreibung. Vielmehr zeigt sich, dass sie eine fortwährende Debatte darstellt und sie das Ziel haben sollte, Klärungen herbeizuführen. Organisierte linke Antisemiten, jedenfalls als politische Strömung, gibt es hier im Laden nicht (mehr).
Der Phase 2 möchte ich hier mal ein ausdrückliches Kompliment machen. Man spürt die Arbeit der Gruppe! Und Ihr bringt Spezifisches auf den Plan – habt Euch einen Platz erobert! Im FSK, um auf die Fragen einzugehen, sind wir im weiteren Sinne sowohl über die politische Intention als auch über die Form des Mediums vereint bzw. organisiert. Wir sind hier eher ein Zusammenschluss von Gruppen und Individuen mit Organisationsanspruch. Schon längst überfällig ist z.B. die Entwicklung einer Theorie der Selbstorganisation. Im Kern sind wir uns vieler Essentials, auch eines gemeinsamen politischen Anspruchs, einig. Im Detail gibt es schon Debatten, manchmal auch schwere Auseinandersetzungen. Es gilt natürlich immer ein gewisser Produktionsdruck und auch Pragmatismus. Ja, es werden auch Sachen veröffentlicht, bei denen man sich schon wundert, aber das gilt sicherlich wechselseitig. Wir kritisieren (uns) im Idealfall nachträglich in Sitzungen oder Gesprächen. Die Inhalte ergeben sich aus dem Prozess und werden höchst unterschiedlich und sehr flexibel kommuniziert.
Jungle World: Ich würde in der Jungle gerne mehr eigenständige Recherchen sehen, aber ob man Autor_innen irgendwohin schicken kann, ist natürlich auch eine Knetefrage.
Und in einem gewissen Sinn ist die Jungle natürlich auch abhängig von den Konjunkturen der Kritik hierzulande. Das ist teils schwierig zu behandeln, weil diverse linke Spektren oft nicht gut aufeinander zu sprechen sind und eine Diskussion dann schnell an Grenzen stößt. Jedes Spektrum hätte die Jungle natürlich gerne als Verlautbarungsorgan für die je eigenen Positionen. Das ist legitim, aber macht es für uns nicht unbedingt einfacher.
FSK: Genau heute beginnen wir im FSK eine Perspektivendiskussion. Hier werden wohl unsere sehr verbesserungswürdigen Strukturen und Arbeitsabläufe thematisiert und auch die Verbesserung unserer Finanzen. Und wir werden sicherlich auch das Radioprogramm zu diskutieren haben – im Sinne einer Weiterentwicklung. Da geht es um Sprache, bessere Abstimmungen im Sinne des Ineinandergreifens von Sendungen und auch um eine inhaltliche Verdichtung.
Lizas Welt: Mein größtes Problem ist, dass ich oft nicht hinterherkomme und manchmal auch nicht weiß, wie ich mit der Erwartungshaltung, die ein Teil der (übrigens sehr heterogenen) Leser_innenschaft nachweislich entwickelt hat, umgehen soll. Einerseits setze ich mich, wie gesagt, nicht mehr wie früher unter Produktionsdruck, andererseits bin ich oft unzufrieden, wenn ich gerne etwas recherchieren oder kommentieren würde (oder mich Leser_innen explizit darum bitten) und mir dann die tägliche Lohnarbeit und andere Verpflichtungen dazwischengeraten. Wenn man den Anspruch hat, mit seinem Blog kontinuierlich eine kritische Öffentlichkeit zu bestücken, und dieser Anspruch dann immer wieder mal nicht eingelöst wird (oder werden kann), ist das unbefriedigend. Hier zeigt sich auch einer der Nachteile von (Einzel-) Blogs: Es springt nun mal niemand in die Bresche, auch wenn ich über jeden Gastbeitrag froh bin.
FSK: Das mit dem Hinterherkommen ist auch bei uns ein Problem – wir sind sehr oft zu Wenige, die in den Themen oder Projekten stecken. Allerdings geht es ja auch nicht nur ums Abarbeiten. Vielmehr selber die politischen Entwicklungen zu treiben. Diese Maßgabe schafft dann auch immer wieder die Distanz zu den Gegenständen...
Jungle World: Back zu den Konjunkturen der Kritik: In den 90ern etwa hat sich die Kritik am Nationalismus und am Antisemitismus entfaltet, das hat alle linksradikalen Spektren erfasst und der Jungle die Möglichkeit geboten, diese Spektren in mal mehr, mal weniger interessante Diskussionen zu verheddern. Aber einige dieser Milieus haben sich aufgelöst, die Poplinke etwa ist einfach still und leise verendet, ohne dass an deren Stelle etwas Neues getreten ist. Das spiegelt sich auch in der Jungle wieder, zu bestimmten Themen wird es dann schwierig, Texte aufzutreiben.
Hinterher kommen wir nie ausreichend, für die ganze Welt ist in der Jungle auch zu wenig Platz. Deshalb versuchen wir, Schwerpunkte zu setzen: vor zwei Jahren etwa die Krisenprozesse zu analysieren, derzeit die Aufstände in der sogenannten arabischen Welt.
Phase 2: Zehn Jahre Phase 2, das ist einerseits erstaunlich, andererseits haben wir am Anfang immer gesagt: wenn, dann richtig; mit längerem Atem. Wir haben das Heft nicht auf drei, vier Ausgaben konzipiert. Mit dem, auch optischen, Bruch nach etwa sieben Ausgaben haben wir unser Profil geschärft. Nach Einschätzung der Redakteur_innen machen wir ein gutes Blatt, das eine Lücke in der Printlandschaft füllt, besonders was ausführlichere Analysen angeht. Und da die Welt schlecht zu bleiben scheint, ist der Bedarf an der Phase auch für die nächsten Jahre gesichert.
Meine Abschlussfrage: Haben linke Medien eine Zukunft? Wo seht Ihr Euer Medienprodukt in fünf Jahren? Seid Ihr dann noch ein Teil davon?
FSK: »Ich bin neu in der Hamburger Schule« haben Tocotronic 1995 gesungen. Ich hab das Lied jetzt erst entdeckt. Ich glaube nicht, dass die Poplinke tot ist. Punk is not dead. Das alles hat nur hergehalten zum Ersatz der untergegangenen politischen Linken. Da wurde alles in den Pop projiziert, was zuvor einen Platz in realer gesellschaftlicher Auseinandersetzung hatte.
Das, was wir hier gerade machen, ist auch so zu verstehen wie die Entwicklung von Verständigungsprozessen darüber, was eine neue Linke ausmachen wird. Da galt es die letzten Jahre viel abzuarbeiten
Jungle World: Linke kritische Medien haben eine Zukunft, würde ich sagen. Was ich in fünf Jahren mache? keine Ahnung, ich bin kein Prophet. Wo die Jungle in fünf Jahren steht? Bei der doppelten Auflage und bei doppelt so viel Kritik, Unterhaltung und Recherche, hoffe ich (wenn man das quantifizieren kann).
Lizas Welt: Ich denke grundsätzlich schon, dass es Lizas Welt auch in fünf Jahren noch geben wird, aber wer weiß, was alles dazwischengeraten kann? Blogs stehen – zumal, wenn sie nur von einer Person betrieben werden – prinzipiell jederzeit zur Disposition. Was die Phase 2, die Jungle World und das FSK betrifft, hoffe ich doch sehr, dass sie noch lange Bestand haben werden. Bedarf gibt es jedenfalls mehr als genug.
Oder um es frei nach Bernd zu sagen: Kritik hat jederzeit Konjunktur.
Jungle World: Hoffen wir das Beste in Hinblick auf Kritik und Konjunktur.
Brauchen wir noch einen schönen Schlusssatz von allen? Mein leerer Nikotintank meldet sich. Ich habe, glaube ich, noch nie zwei Stunden lang ohne eine einzige Zigarette geschrieben – dabei bin ich doch strikt gegen Politik, die auf persönlichen Opfern beruht.
FSK: Mein Schlusssatz wäre, dass wir alle voneinander profitieren. Unterschiedliche Medien mit einer Heterogenität in der personellen Zusammensetzung; gleichzeitig offenbar aus vergleichbaren Impulsen und Entwicklungen. Lizas Welt, Phase 2, Jungle, das wird bei uns alles regelmäßig gelesen und damit auch in unseren Produktionen verarbeitet. Die Bezüge sind für mich jedenfalls unübersehbar. Das soll sicher so bleiben und sich auch weiterentwickeln. Was wir hier in unserem Gespräch immer wieder mal am Rande hatten, sind die Reifungsprozesse, die sicherlich alle Projekte durchlaufen haben. Austausch und vielleicht auch mal intensivere Vernetzungsprozesse sind durchaus vorstellbar...
Lizas Welt: Ich schließe mit einem Satz des grandiosen Duos Katz & Goldt an: »Ich betrachte das Elend, ich trage nicht zu ihm bei.« Und was die Revolution betrifft, möchte ich in Bezug auf die Zustände hierzulande nur anmerken: Wenn sich Deutsche massenhaft zusammentun, kommt selten etwas Gutes dabei heraus. Insofern geht es mir derzeit weit eher darum, die fortschreitende Regression zu bremsen. Das ist schon mühsam genug.
Phase 2: Mein Schlussatz: Die Revolution (emanzipatorisch, regressiv, bürgerlich) wird bestimmt televised, blogged, aired and printed. Und vor allem kritisch kommentiert! Wer sie macht? Das ist eine andere Frage.
Schade, dass wir jetzt nicht zusammen eine rauchen gehen können.
Jungle World: Das ist jetzt wirklich bedauerlich!
FSK: Rauchen ist so gut...
Lizas Welt: Vier Leute, und alle rauchen? Das hat doch auch was zu bedeuten! Aber das wäre ein anderes Thema.
Phase 2: Vielen Dank für das Gespräch.