Hinter dem Wunsch nach einem Kind verbirgt sich meist die Erwartung, das eigene Lebensglück zu steigern. Sind ein paar Wochen oder Monate nach der Geburt vergangen, steht man jedoch häufig einer harten Realität gegenüber. Der Schleier der Unwissenheit lüftet sich. Auch wenn man eigentlich um die elterlichen Einschränkungen wusste, waren diese nicht wirklich vorstellbar und fühlen sich in der Realität ungemein härter an als erwartet. Mit fehlendem Schlaf, emotionaler Überforderung, knapper Freizeit und den sich daraus ergebenen zwischenmenschlichen Problemen hat man die Schattenseiten des Elternseins kennenlernen dürfen. Glücklicherweise gibt es zwischen den anstrengenden Momenten, wie etwa den kindlichen Wutausbrüchen, die positiven, in denen man überaus glücklich darüber ist, ein Kind zu haben. Es ist eine große Freude, Kinder aufwachsen und sich entwickeln zu sehen. Auch haben sie eine relativierende Wirkung auf das eigene Leben. Denn mit der Verantwortung für ein Kind entstehen neue Herausforderungen und Aufgaben, wodurch den Lebenssphären von Politik, FreundInnen und Arbeit ein Korrektiv zur Seite gestellt wird. So ist die Genesung eines kranken Kindes, die Wahl des Kindergartens oder sogar des richtigen Kinderfahrrads in gewisser Weiser existenzieller. Es hängt das Wohl des eigenen Nachkommens daran, dem man sich durch Geburt oder Adoption verpflichtet hat.
An die neue, das ursprüngliche Leben umkrempelnde Realität gewöhnt man sich früher oder später und die damit verbundenen Entbehrungen werden im Idealfall durch die erlebten glückseligen Momente mit der neuen Familie kompensiert. Doch diese Balance zwischen dem gefühlten Glück und der Zufriedenheit einerseits und den persönlichen Einschränkungen andererseits zu finden, ist äußerst schwer, wenn man feministische Prämissen im Sinne einer Gleichheit zwischen den Geschlechtern und politische Ideale von Freiheit, hier verstanden als eine Autonomie des Individuums, an sich, sein Umfeld und das eigene Leben legt. Denn mit der Geburt prasselt die Realität heftig auf einen ein. Die gesellschaftlichen Wirklichkeiten in Form von Rollenzuschreibung, Stereotypisierung, Ungleichheit und Arbeitszwang dringen jetzt noch unverhohlener und unvermittelter als vorher in das eigene Leben. Auch wenn im Folgenden nicht darauf eingegangen wird, soll nicht in Abrede gestellt werden, dass rassistische, homophobe und behindertenfeindliche Diskriminierungserfahrungen das Elterndasein häufig zusätzlich erschweren und die in diesem Text verhandelten Probleme immer noch aus einer privilegierten Position heraus erfahren werden. Sicherlich wird man auch durch das Berufsleben oder dem schlichten Älterwerden auf den Boden der harten gesellschaftlichen Realität geholt. Aber durch die Geburt eines Kindes werden die eigenen Autonomieansprüche gegenüber der Gesellschaft und der Natur nicht sukzessive, sondern schlagartig angegriffen. Das Verhältnis, das man zum Staat und zur Gesellschaft unterhält, intensiviert sich deutlich. Einerseits ist diese engere Verbindung über Institutionen wie Kindergarten, Schule oder auch KinderärztInnen bedingt. Andererseits diffundieren dominante Ideologien über das Kind in das eigene Denken, in dem die Eltern, FreundInnen, Kolleg-Innen oder ErzieherInnen einem regelmäßig offensiv oder subtil spiegeln, welche Vorstellung einer normalen Mutter und Familie sie haben. Durch ein Kind scheint sich das Umfeld sogleich berufen zu fühlen, einem Erwartungen und Rollenbilder aufzuerlegen. Das Kind wirkt als ein gesellschaftliches Verhältnis, durch das ein Zugriff auf die Selbstbestimmung der Mutter oder des Vaters möglich wird. Regelmäßig werden somit die eigenen politischen und sozialen Prämissen infrage gestellt; es obliegt den einzelnen Individuen, den Widerspruch zwischen der durch die Gesellschaft vermittelten Rolle und den Selbstansprüchen zu verhandeln und auszuhalten. Die Folge sind häufig als individuell empfundene Auseinandersetzungen: Die Mütter und Väter suchen bei sich selbst die Schuld oder ziehen ihre elterlichen Kompetenzen in Zweifel, anstatt die Konflikte gesellschaftlich zu deuten und zu verhandeln. Die linke Szene, die oft als Schutzraum für Menschen mit Positionen außerhalb der gesellschaftlichen Norm fungiert, erweist sich hierbei jedoch nicht als Erleichterung. Vielmehr werden auch hier die gängigen Rollenbilder reproduziert. Es zerplatzt die Blase, in der man sich wähnte.
Auf verschiedenen Ebenen der Vergesellschaftung soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie insbesondere das Mutterdasein in einer heterosexuellen Konstellation mit dem Anspruch einer gleichberechtigten Beziehung politische und auch soziale Ansprüche infrage stellt und sich gesellschaftliche Widersprüche und Konflikte im privaten Bereich zuspitzen. Daraus leitet sich die Frage ab, welche Veränderungen dazu führen könnten, soziale Beziehungen so zu gestalten, dass eine Vereinbarkeit von Familie mit den Idealen von Freiheit sowie Gleichheit denkbar werden. Dabei wird Familie hier als Mehrgenerationenprojekt verstanden, das sich durch Verantwortlichkeiten zwischen Eltern und Kindern auszeichnet, wobei diese aber nicht in einem biologischen Verhältnis zueinander stehen müssen. Als erste Bestandsaufnahme soll dieser Text Möglichkeiten von Veränderungen beleuchten, die unter den gegebenen Umständen realisierbar sind, auch wenn überdie hieraus erwachsenden Chancen langfristiger emanzipatorischer Veränderungen der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse letztendlich nur spekuliert werden kann.
Familiärer Alltag und gesellschaftliche Realitäten
Bis zum Kind ist das Leben von sich linksradikalen oder szenekulturellen Kreisen zugehörig fühlenden Menschen häufig von Hedonismus und Individualismus geprägt. Neben der Verrichtung scheinbar notwendiger Dinge wie Lohnarbeit und Ausbildung wird die Zeit daher vor allem in politische Projekte, soziale Zusammenhänge, Reisen und Feierei gesteckt. Doch mit dem Kind entstehen permanente zeitliche Zwänge, die eine Vereinbarkeit diverser Interessen kaum zulassen. Ständig muss man sich entscheiden, mit wem oder womit man die wenige Zeit verbringt, denn Kinderbetreuung und Reproduktionsarbeit nehmen große Teile der Lebenszeit ein. Da die Entscheidung für ein Kind aufgrund zur Verfügung stehenden Verhütungsmethoden heutzutage meist eine bewusste ist und daher auch die Anzahl der Kinder gesamtgesellschaftlich abnimmt, wird Kindern und ihrer Erziehung eine viel größere Relevanz in der Gesellschaft und im eigenen Leben beigemessen. Daraus ergeben sich aber auch Erwartungen an eine gute und verantwortungsvolle Elternschaft, die dazu verleiten, eine glückliche Hingabe, bei der die Bedürfnisse der Eltern stets unter die des Kindes gestellt werden, als Norm zu propagieren. Dabei wird Männern schon im Vorhinein ein größerer Autonomiebereich innerhalb der Familie zugesprochen. Folglich ist die berufliche Verwirklichung der Väter oftmals vorrangig vor der der Mütter; gleichzeitig gelingt es den Männern meist besser, freie Zeit zu beanspruchen und diese auch für sich zu nutzen. Wenn sie dann ein bisschen Selbstbestimmung aufgeben, und sei es auch nur durch zwei Monate Elternzeit, wird dies von außen positiv bedacht. Lösen sich wiederum Frauen von traditionellen Mutterrollen und gehen ihren Interessen nach, steht schnell der Vorwurf im Raum, eine lieblose Mutter zu sein. Hinsichtlich der Selbstbestimmung, die durch das Elternwerden vor einer Neudefinition steht, wird die besondere Herausforderung deutlich, mit denen sich Frauen konfrontiert sehen: Mit der Geburt eines Kindes erfahren die Konflikte um das Geschlechterverhältnis eine Neubelebung.
Wer sich mit feministischen Positionen auseinandersetzt, hinterfragt als weiblich sozialisierte Person häufig die eigene ge- und erlebte geschlechtliche Normierung. Infolgedessen sind die von außen herangetragenen weiblichen Rollenzuschreibungen und biologistischen Argumentationen Gegenstand der Kritik und der Abgrenzung. Doch die geschlechtlichen Stereotypisierungen erlangen in dem Moment, in dem die Frau zur Mutter wird, eine noch stärkere Wirkmacht, es droht eine Retraditionalisierung in verschiedenen Lebensbereichen. Aufgrund der eigenen linken Sozialisation sind die Konflikte mit der Außenwelt vorprogrammiert. Aber auch das engste politische Umfeld und der Freundeskreis reproduzieren trotz Verlautbarung antisexistischer Grundsätze regressives Denken über geschlechtliche Unterschiede und Ungleichheiten. Auch tauchen »mütterliche« Gefühle in einem selbst auf, bei denen sich nicht die Frage beantworten lässt, inwieweit sie gesellschaftlich vermittelt oder autonome Bedürfnisse sind. Doch die von Müttern vermehrt praktizierte Selbstlosigkeit und im Vergleich zum Partner oft verstärkt gefühlte Fürsorglichkeit in Bezug auf die Kinder nähren Selbstzweifel, denn sie ähneln den weiblich und mütterlich konnotierten Verhaltensweisen, die man durch die eigene politische Reflexion abgelegt zu haben glaubte. Die geschlechtliche Begründung des eigenen Handelns und Seins hat eine stark biologistische Dimension, die mit der Schwangerschaft ihren Anfang nimmt. Mit Schwangerschaft und Geburt erlebt der Mensch, der an eine zivilisierte und rational-funktionale Welt gewöhnt ist, nicht nur ein extrem naturhaftes und auch brutales Ereignis, sondern auch der eigene Körper wird in den Dienst eines anderen gestellt. Er ist nicht mehr Verfügungsmasse eigener Entscheidung, den man mit Drogen und Party selbstbewusst ruinieren kann, sondern man isst und lebt letztendlich, um ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Schon die medizinischen Vorsorgeuntersuchungen und nahrungstechnischen Reglements während der Schwangerschaft geben einen Vorgeschmack auf die behindertenfeindliche Welt, in der ein körperlich oder geistig beeinträchtigtes Baby als Katastrophe gilt. Durch das existentielle Abhängigkeitsverhältnis des ungeborenen Kindes zur werdenden Mutter wird eine gesellschaftliche Norm und Geschlechterrolle hervorgerufen, in der es vor allem der Mutter obliegt, für das physische und psychische Wohl des Kindes verantwortlich zu sein. Als Maßstab für die Liebe zum Kind gilt vor allem der Grad der Selbstaufopferung; so wird im Zweifel alles zum Wohle des Kindes getan. Für eine junge Mutter ist es kaum möglich zu unterscheiden, welche Bedürfnisse die eigenen sind, welche die des Babys und welche einem von außen aufgeladen werden. Insbesondere, wenn das Kind noch klein ist, wird oft eine Mutterrolle angestrebt, die von der Selbstaufgabe lebt – auch wenn dies zur völligen Überlastung führt. In der Entscheidung für oder gegen das Stillen beispielsweise haben es rationale Argumente schwer, obwohl die Väter dadurch gegebenenfalls lange aus der Versorgung ausgeschlossen bleiben und die Verantwortung allein auf die Mutter übertragen wird. Trotz mangelnder wissenschaftlicher Nachweise gibt es immer wieder die Behauptung, dass Stillen wichtig für das Immunsystem sei, auch soll die durch das Stillen entstehende starke Bindung zwischen Kind und Mutter einen positiven Einfluss auf das Selbstbewusstsein des Kindes haben. Dass hierfür jedoch hauptsächlich eine entspannte und liebende Umgebung notwendig ist, die auch aus mehr als einer Person bestehen kann, wird gerne übersehen.
Welche Rolle der Mutter zukommt und wie sich Muttergefühle definieren, sind stark normierte Bereiche, in denen Selbstbestimmungswille und vor allem ein Selbstbestimmungsrecht schwer haben. Freut man sich auf freie Wochen ohne Kind, weil es mit den Großeltern in den Urlaub fährt, runzeln andere die Stirn und vermitteln so, dass man die Zeit mit dem eigenen Kind nicht ausreichend schätzt. Will man als Mutter eines vier Monate alten Kindes wieder unbedingt Party und Rausch erleben, fühlt man sich als verantwortungslose Mutter.
Aber auch die Linke ist nicht davor gefeit, normative Gegenbilder von autonomen Müttern zu entwerfen, an denen sich dann die Frauen abarbeiten dürfen. Ist einem etwa der Wunsch nach einem wilden Nachtleben oder die Geduld für politische Plena durch das Kind verloren gegangen, und man findet es auf einmal zu Hause beim Kind viel angenehmer als mit allen anderen da draußen, lässt sich das schwer genießen. Schließlich glaubte man ja vorher, dass die vor der Kindesgeburt geltenden Prioritäten nicht vollends umgeworfen und die eigene Zufriedenheit sich nicht vorrangig über das Elterndasein einstellen würde. Das beschriebene Verhältnis zwischen den Bedürfnissen in Bezug auf das Kind und den Rest des eigenen Lebens einerseits und der gesellschaftlich normierten Mutterrolle andererseits lässt sich nur schwer ausbalancieren, sondern übt einen psychischen Druck auf die Frau aus.
Auch die Hetero-Paarbeziehung mit einem emanzipativen Verständnis als freiwillige Gemeinschaft zweier gleichberechtigter und autonomer Menschen wird durch das Elternwerden tüchtig aufgewühlt, denn hierarchisierte Rollenbilder und institutionelle Modelle heterosexueller Beziehungen sind wirkmächtiger als manch einer denkt. Ein gemeinsames Kind führt nicht nur dazu, dass Streitigkeiten um Rollenverhalten und Arbeitsteilung zum Alltag gehören, sondern es zeigt auch knallhart auf, wie tief die geschlechtliche Sozialisation greift. Dass Aufgaben im Haushalt von beiden Eltern übernommen werden, ist heute meist Normalität. Doch die Normalität sieht auch so aus, dass die Organisation des Haushaltes und des familiären sozialen Lebens letztendlich bei den Frauen verbleibt, sie dadurch immer noch einen Mehraufwand haben, während den Männern die Aufgaben zugewiesen werden. Und hier liegt die Krux: Denn natürlich erfahren nicht nur die Väter eine geschlechtliche Sozialisation, sondern auch die Mütter. Die klassische geschlechtliche Zuschreibung, die den Frauen meist nur Haushalt und Familie als Selbstverwirklichungsfeld ließ, wirkt bis heute nach, so dass Frauen ihren Ehrgeiz häufig im Privaten ausleben. Wenn dann noch der Vater nicht nur mehr arbeitet, sondern auch mehr verdient ist eine klassische Rollenaufteilung schnell legitimiert. Dieser wieder zu entkommen ist schwer, schließlich muss ja die Familie ernährt werden.
Auch in der Rollenverteilung hinsichtlich der auf das Kind gerichteten Ängste oder Emotionen spiegeln sich die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Auch wenn Väter sich heute verantwortlicher fühlen als früher, ist im mehrheitsgesellschaftlichen Durchschnitt der Vater derjenige, der ein lockereres und unbekümmerteres Verständnis vom Elternsein hat und der hauptsächlich zur Bespaßung der Kinder da ist. Hingegen übernimmt die Mutter meist die Rolle, das Kind einerseits emotional und empathisch aufzufangen und andererseits erzieherische Maßnahmen durchzusetzen. Wenn die Rollenaufteilung doch eine andere sein sollte, stellt sich wiederum die Frage, ob man ein zu sensibler Mann oder eine Rabenmutter ist. Und so ist es ein schwieriges Unterfangen, eine gleichberechtigte Familienorganisation und eine nicht geschlechterrollenreproduzierende Erziehung umzusetzen – ganz zu schweigen von der Herausforderung, unter den gegeben Bedingungen und Ungleichheiten eine Paarbeziehung zu führen, die nicht nur aus Gewohnheit und Sicherheitsbedürfnissen erwächst, sondern wenigstens ab und zu so etwas wie Verliebtsein kennt.
Doch nicht nur im privaten Bereich erleben Frauen durch die Geburt eines Kindes einen Wandel in ihrer (politischen) Subjekthaftigkeit. Der Verkauf und die Steigerung des Werts der eigenen Arbeitskraft erfährt eine neue Aufladung, weshalb sich eine arbeitskritische Position nur noch theoretisch halten lässt: Lohnarbeit bedeutet Zwang und Erlösung zugleich. Zum einen wiegt die finanzielle Verantwortung schwer, weshalb das Bedürfnis nach der Sicherheit, ein geregeltes Einkommen zu beziehen, zunimmt. Man wird kompromissbereiter und pragmatischer hinsichtlich der eigenen Jobwahl. Lässt sich eine prekäre Lebenslage als Einzelperson noch halbwegs handhaben, vielleicht auch weil individuelle Wege existieren, innerhalb der staatlichen Res-triktionen noch das Bestmögliche herauszuholen, wird das Leben in familiärer Bedarfsgemeinschaft mit ALG II entbehrungsreicher und unangenehmer. Schließlich will man seinem Kind nicht erklären müssen, warum kein Sommerurlaub möglich ist. Zum anderen erlangt Arbeit eine positivere Konnotation: Galt Lohnarbeit vor dem Kind als Verpflichtung, stellt sie nun einen angenehmen Ausgleich zum normalen Familienwahnsinn und eine Möglichkeit dar, die eigenen vier Wände zeitweise zu verlassen und im öffentlichen Raum zu agieren. Bei Müttern erhält Arbeit damit eine politische Aufladung, sie bekommt einen emanzipativen Charakter. War die Flucht vor dem Arbeitsmarkt und die Verdammung der Lohnarbeit vor der Geburt noch politisch richtig, würde dieses Modell als Mutter bedeuten, dass man Hausfrau ist und der Mann das Geld nach Hause bringt. Gleichzeitig sind Frauen, wenn sie ihrer beruflichen Selbstverwirklichung nachgehen, nicht vor konservativ normierten Geschlechterzuweisungen gefeit. Sie werden egoistischer als jeder Mann wahrgenommen.
Abseits der Widersprüche, die man mit sich und seinem unmittelbaren Umfeld verhandeln muss, ist man durch die Geburt des Kindes auch mit einer äußeren, kaum zu entkommenden Realität konfrontiert. Der herrschende Nationalismus und Konsum- und Leistungswahn lässt sich spätestens im Kindergarten nur noch schwer vom eigenen Kind fernhalten. Auch wird einem schnell der mangelnde Einfluss auf das eigene Kind bewusst, wenn es sexistische Stereotype wiederkäut. Und so bleibt einem der Mund offen stehen, wenn das vierjährige Kind behauptet, Frauen hätten viel mehr Angst, vom Turm ins Wasser zu springen oder verdienen weniger Geld. Das Schlimme daran ist: Sie haben Recht. Ihr kindliches Urteil entsteht auf einer empirischen Basis und in der Wahrnehmung der Kinder wiegt die Gesellschaft mit ihrer quantitativen Beweiskraft schwer. Im Freibad stehen nun einmal pubertierende Jungs auf dem Sprungturm und in der Kita werden die Kinder immer noch von Müttern gebracht und abgeholt, weil die Väter im Vollzeitjob eingespannt sind. Und dass Arbeit und Geld eine Notwendigkeit bedeuten, haben die Kinder schon verstanden, wenn sie noch in den Windeln stecken. Aber nicht nur Fragen zum Geschlechterverhältnis bringen die gesamtgesellschaftliche Realität ins eigene Leben. Wenn das eigene Kind als Kompromiss zwischen kindlicher Fußballbegeisterung und dem Antinationalismus der Eltern ein Brasilientrikot zur Weltmeisterschaft trägt, und man sich dann sogar von anderen Eltern anhören darf, dass man selbst daran schuld sei, wenn das Kind im Kindergarten gemobbt wird, spätestens dann wird einem bewusst, dass die eigene politische Enklave nicht mehr vorhanden ist.
Die Familie als (Des-)Illusion
Die politischen Grundforderungen nach Freiheit und Gleichheit, die man nicht nur als gesamtgesellschaftliche Ideale formuliert, sondern die auch im Kleinen schon jetzt ihre Umsetzung finden sollen, werden durch die Familiengründung somit infrage gestellt. Die sich daraus ergebenen Widersprüche zwischen der Realität und den eigenen Ansprüchen hat zur Folge, dass das private Leben noch offensichtlicher zum Feld politischer Auseinandersetzungen wird.
Mit der Entstehung der Kooperationsgemeinschaft Familie bringt man sich in eine Situation, in der die eigenen Interessen und Bedürfnisse nur noch schwierig autonom zu realisieren sind. Vielmehr müssen sie nunmehr in Absprache und im Einvernehmen mit dem/der PartnerIn ausgehandelt werden. Auch wenn soziale Beziehungen bedingen, Rücksicht auf die Bedürfnisse des/der anderen zu nehmen und Interessen zu vermitteln, ist es ein Unterschied, Auseinandersetzungen um Urlaubsziele zu führen oder aber Konflikte mit einer politischen Dimension auszutragen. In der Kooperationsgemeinschaft Familie entstehen Verteilungskämpfe um immaterielle und materielle Ressourcen, die durch die Ungleichheit der Geschlechter zusätzlich politisiert werden. So kann der Streit zwischen den Elternteilen um den Putzwillen nervig sein – wenn der Konflikt jedoch zwischen einer häufig putzenden Frau und einem Partner besteht, der sich weniger für die Sauberkeit der Wohnung interessiert, erfährt er eine zusätzliche geschlechtliche und damit politische Dimension. Indem die Ungleichheit nicht zufällig, sondern gesellschaftlich verankert ist, wird das Aushalten und Lösen des Konfliktes verkompliziert.
In Anbetracht dieser Realitäten könnte man auch einfach dazu aufrufen, Familie als überkommenes Konstrukt abzutun. Doch zum einen gibt es immer die positiven Gegenbeispiele, und zum anderen verspüren viele Menschen den Wunsch nach Familie, denn sie kann durchaus eine Gemeinschaft sein, in der im Idealfall eine hohe Solidarität und Kooperation zum Wohle aller Beteiligten herrscht. Gerade mit Blick auf die Waren- und Konkurrenzgesellschaft erscheint das Bedürfnis nach einer Familienenklave verständlich, denn die aktuellen Strukturen kapitalistischer Gesellschaft bedeuten de facto, dass jeder und jede austauschbar ist. Damit geht eine Aufforderung zur permanenten Selbstoptimierung einher, die dem Individuum eine stete Warnung ist, dass bei Leistungsunfähigkeit die Einsamkeit droht. Auch bietet die Familie eine Orientierung und auch Strukturierung des Lebens, die viele als befreiend erleben. Zudem bedient das Kind ein Sicherheitsbedürfnis, da es eine größere Gewissheit in einer Beziehung verschafft und die Hoffnung steigen lässt, dass der/die PartnerIn nicht übermorgen verschwunden ist. Eine Trennung wird schließlich sehr viel schwieriger, da die Leben der Eltern durch das Kind miteinander verflochten sind, und zwar nicht nur auf emotionaler Ebene, da man die Elternliebe und die Verantwortung teilt, sondern auch auf struktureller Ebene, schließlich nutzt man meistens die Wohnung und das Geld gemeinsam. Auch wenn man eine theoretische Kritik an der Familie als eine Einrichtung in die Verhältnisse anbringen könnte, in der immer die Retraditionalisierung droht, lässt sich dem Individuum schwer der Wunsch absprechen, sich das Leben persönlich erträglicher und sinnvoller zu gestalten.
Der Effekt politischer Reflektiertheit sowie der strukturellen Rahmenbedingungen ist jedoch, dass sich das Versprechen von Familie nicht einfach einlöst. In dem Wissen darum entscheiden viele sich gegen ein Leben in Familie und für genügend Freiraum für das eigene Selbst. Wer sich trotzdem der romantischen Illusion eines Verbundes von Paarliebe und gemeinsamen Kindern hingibt, macht dies nicht ohne Grund, schließlich verbirgt sich hinter diesem Bild die Hoffnung auf Lebensglück, Zufriedenheit und Sicherheit. Auch erscheint diese Form der sozialen Beziehung eines sich bewusst für gemeinsame Kinder entscheidenden und verliebten Pärchen als Normalität. Mit Blick auf den historischen Umstand von Zweckehen, in denen Kinder vor allem Bedeutung als potenzieller VersorgerInnen hatten und Resultat mangelnder effektiver Verhütungsmethoden waren, wird jedoch schnell deutlich, dass dieses Beziehungskonstrukt noch nicht einmal ein Jahrhundert alt ist. Daher ist die Frage nach anderen Konstellationen, die das Bedürfnis nach einem Kind und einer Basis, die einem mehr Sicherheit und Schutz vor der Gesellschaft verspricht, berechtigt, auch wenn dieser Wunsch eine realpolitische Kapitulation bedeutet.
Emanzipation und Familie – ein Widerspruch?
Immer mehr Menschen sind gewillt, ihren Wunsch nach Familie zu erfüllen und trotzdem nicht der Kleinfamiliendynamik und Retraditionalisierung zu erliegen. Sie suchen sich daher Hausprojekte, die den Rückzug in die Familie partiell verhindern und eine geteilte Kinderbetreuung versprechen. Auch ist der Austausch zwischen Eltern und insbesondere Müttern, die unter der geschlechtlichen Normierung und idealen Familienbildern leiden, wichtig und nur zu unterstützen. Sich nicht alleine mit der Überforderung und den Zweifeln zu fühlen, war schon immer ein Schritt, Emanzipation selbstbewusster leben zu können. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, nach weiteren Alternativen zu fragen, die ein gleichberechtigtes und möglichst selbstbestimmtes Familienleben möglich machen. Im Folgenden soll daher exemplarisch ein Blick auf das soziale Modell der Freundschaftsfamilien geworfen werden. Hierbei entscheiden sich zwei oder mehrere Freunde und Freundinnen, die nicht in einer Liebensbeziehung zueinander stehen, eine Familie zu gründen. Allerdings ziehen die Freundschaftsfamilien nicht automatisch ein gleichberechtigtes Familienglück nach sich, denn auch hier existieren Konflikte politischer sowie selbstverständlich auch persönlicher Natur und auch die Ungleichheitsstrukturen und Ausgrenzungen des kapitalistischen Ganzen dauern fort. Doch diese neuen sozialen Konstellationen weisen auf eine interessante und potenziell emanzipative Entwicklung hin und nähren damit die Hoffnung, dass Familie nicht per se ein Gebilde mit regressiven Tendenzen sein muss.
Seit geraumer Zeit nimmt die Gründung von Freundschaftsfamilien zu. Teilweise bilden sich diese Familien aus Notwendigkeiten, weil es beispielsweise für homosexuelle Menschen immer noch unmöglich oder schwer ist, Kinder zu adoptieren oder biologische Gesetzmäßigkeiten einer Verschmelzung von Samen und Eizelle zu überwinden. So kann ein Mann seinen Samen an ein lesbisches Pärchen geben, das daraus entstehende Kind erziehen sie dann zu dritt. Oder ein Freundschaftspaar aus einer lesbischen Frau und einem heterosexuellen Mann trifft die Entscheidung für eine gemeinsame Familie. Auch heterosexuelle Alleinerziehende vereinigen sich immer häufiger in Familiengemeinschaften. Auf den ersten Blick wirkt dies weniger romantisch, denn immer noch dominiert das Bild von einem Kind als Gipfel des gemeinsamen Glücks. Doch man könnte diese neuen Freundschaftsfamilien auch als eine Tendenz in einem Modernisierungsprozess begreifen, in dem soziale Rollen entflechtet werden und der mit einem Freiheitsgewinn für den/die EinzelneN einhergeht. Vergleichbar ist diese Entwicklung sozialer Beziehungskonstellationen vielleicht mit denen von Wohngemeinschaften: War es bis vor 50 Jahren nur statthaft, mit seiner Familie unter einem Dach zu wohnen, forcierte die gesellschaftliche Liberalisierung vorher Undenkbares – Frau und Mann, die in keiner ehelichen oder paarähnlichen Bindung zueinander stehen, teilen ihre Privatsphäre. Mit der Zeit normalisierte sich dieses Miteinander, wodurch Menschen nicht nur den Fittichen ihrer Familien entkommen konnten, sondern auch ein paar Jahre mit wenigen Verpflichtungen außer sich selbst gegenüber erleben und genießen können.
Ähnlich voluntaristisch wie die Wohngemeinschaft ist die freundschaftliche Familienkonstellation. Die Entscheidung für ein Kind ist in diesem Fall vergleichbar mit der Realisierung eines gemeinsamen Projektes, dessen Regeln man zusammen aufstellt. Indem aber die Basis nicht mehr eine Liebesbeziehung ist, in der emotionale Abhängigkeiten und Gendergap immer wieder auftauchen, schafft man bessere Voraussetzungen, durch die sich beide als grundsätzlich gleichberechtigte VertragspartnerInnen gegenüber treten und in der die Bedürfnisse des/der anderen per se als legitim gelten. Dass in Familienkonstellationen unterschiedliche Interessen bestehen, ist unumstritten und einfache Folge menschlicher Diversität und begrenzter Ressourcen. Die Frage ist, ob über die Freundschaftskonstellation nicht die Chancen erhöht werden, dass Elternteile gleichberechtigt ihren Bedürfnissen nachgehen und ihre Selbstbestimmung besser behaupten können, denn die Rollenentzerrung führt nicht nur dazu, dass die drohende Enttäuschung über abfallende Liebe ausbleibt, sondern auch die in Beziehungen häufig existierende emotionale Abhängigkeit, die teilweise das Geben und Nehmen oder sogar den gegenseitigen Respekt aus dem Gleichgewicht bringt, wird durch die Distanz in einer Freundschaft ausgebremst. Freundschaftsfamilien, erst recht wenn dabei mehr als zwei Erwachsene Verantwortung tragen, funktionieren aber nur durch aufwendige Kommunikationsprozesse, in denen die gleichberechtigte Erziehung, die Familienorganisation und auch die Interessen des/der Einzelnen besprochen werden müssen. Mit Sicherheit ist das anstrengend und zeitraubend. Doch ohne Absprache ist nur die traditionelle Familie zu haben. Hier sind die Aufgabenfelder zwischen Frau und Mann klar abgesteckt, die Alltagsorganisation muss nicht geklärt werden. Wer die Kinder abholt und sich um das Essen kümmert, ist für immer gesetzt. Dementsprechend verlangt jede Form von gleichberechtigter Erziehung und Familienkooperation, sei es nun auf Basis einer Liebesbeziehung oder Freundschaft, Kommunikation und eine immense Organisation. Doch die soziale Ausdifferenzierung, die hinter dem freundschaftlichen Familienmodell steht, kann zu einer Entlastung der einzelnen Person führen, schließlich muss sie nicht mehr die Rolle der Ernährerin, der Freundin, des Elternteil und Partnerin gleichzeitig ausführen. Wenn dann vielleicht auch drei statt zwei Bezugspersonen für ein Kind vorhanden sind, führt das zu einer zusätzlichen Entlastung der Eltern.
Als Fazit lässt sich festhalten: Wer ein Kind bekommt, erlebt häufig eine realpolitische Ernüchterung. Die als fest gesetzt geglaubten feministischen Prinzipien werden durch die Außenwelt, die Szene und durch einen selbst ins Wanken gebracht. Die sich ergebenden persönlichen Auseinandersetzungen, die eigentlich politisch und immer anstrengend sind, strapazieren reichlich das elterliche Glücksgefühl. Um die Widersprüche in Bezug auf die Gesamtgesellschaft, die durch die neue Elternrolle auf einen einprasseln, auszuhalten und auch auszutragen, könnte eine Kooperation und Solidargemeinschaft Abhilfe schaffen, die politisch als möglichst konfliktfreier Rückzugsort dient. Die Freundschaftsfamilien deuten an, in welche Richtung dies gehen kann.
Feline Nowak
Die Autorin ist Redakteurin der Phase 2 und lebt in Leipzig und Berlin.