Seit mehr als 13 Jahren fördert die Bundesregierung zivilgesellschaftliche Projekte gegen Rechtsextremismus. Der Band »Der Sommer ist vorbei…« – Vom »Aufstand der Anständigen« zur »Extremismus-Klausel« bietet eine kritische Rückschau. Ausgangspunkt der meisten Beiträge ist das Jahr 2000, geprägt durch den »Staats-Antifa-Sommer« und das Eingeständnis der Regierung, dass der Fokus bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht auf Neonazis, sondern die Gesellschaft gerichtet werden muss. Aus dieser durchaus fortschrittlichen Einsicht bildeten sich staatlich finanzierte, zivilgesellschaftliche Projekte, deren Protagonist_innen nicht selten in der linksradikalen »Bewegungsantifa« der neunziger Jahre sozialisiert wurden. Das Spannungsfeld zwischen bezahltem zivilgesellschaftlich-antifaschistischem Engagement mit Staatsnähe und linksradikalem Antifaschismus zieht sich durch das gesamte Buch. Die Herausgeber Friedrich Burschel, Uwe Schubert und Gerd Wiegel stehen beiden Sphären nicht fern.
Einen guten Überblick zu den Präventionsprogrammen geben die Beiträge von Henning Obens und Uwe Schubert. Obens kritisiert die Orientierung von Teilen der Antifa auf die zivilgesellschaftlichen Projekte zu Beginn der 2000er. Er konstatiert, dass es dadurch zu einem Brain-Drain von der Bewegungsantifa – aus deren Sicht er schreibt – hin zur Zivilgesellschaft kam. Dies hatte zur Folge, dass erstere in den Medien nicht mehr als Expertin zu Wort kam und auch in lokalen Bündnissen ersetzbar wurde. Zudem kritisiert er, dass die Zivilgesellschaft vor allem durch den Antragssprech und ihre faktische Fokussierung auf Rechtsextremismus die Abspaltung von Extremismus und Gewalt von der demokratischen Mitte forcierte. Uwe Schubert zeichnet die Entpolitisierung der Bundesprogramme in drei Etappen nach. Während zu Beginn der 2000er noch lebhafte linksradikale Debatten über Sinn und Unsinn einer staatlich finanzierten Zivilgesellschaft geführt wurden, verschärfte sich in den Jahren bis 2009 die »Verstaatlichung der Zivilgesellschaft«. Die dritte Etappe macht der Autor mit der Durchsetzung der »Extremismus-Doktrin« in der Programmlandschaft aus.
Die Entstehung, Logik und Funktion des Extremismuskonzepts fasst Doris Liebscher in ihrem Artikel Wahnsinn und Wirkungsmacht knapp, aber facettenreich zusammen. Damit liefert sie den zivilgesellschaftlichen Projekten gegen Rechtsextremismus viele gute Argumente, entschiedener gegen dieses Konzept zu agieren, als es in der Vergangenheit der Fall war.
In zwei Artikeln wird vor allem die Sicht der Projekte stark gemacht. Das Interview mit Bianca Klose, Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), beleuchtet neben der praktischen Arbeit des MBR Streitpunkte wie die Fokussierung auf Ostdeutschland, die Rolle des Extremismuskonzepts und die zunehmende Kontrolle durch staatliche Akteure. Heike Kleffner beschreibt die vielfältigen Aufgaben der Opferberatungsstellen und kontrastiert sie mit den prekären Arbeitsbedingungen. Vor allem in Westdeutschland sind die Beratungsstrukturen wenig etabliert, was – so der Subtext des Artikels – durchaus eine Rolle in der Nicht-Verfolgung rassistischer Motive im Zuge der NSU-Morde spielte. Dabei thematisiert die Autorin selbstkritisch die Folgen der Institutionalisierung.
Zu bemerkenswerten Ergebnissen kommen die beiden Artikel, welche sich mit dem Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG), das von 1992 bis 1996 vor allem in Ostdeutschland aufgelegt wurde, auseinandersetzen. In den Folgejahren oftmals als »Glatzenpflege auf Staatskosten« diskreditiert, arbeitet Katrin Reimer heraus, dass – neben aller berechtigter Kritik – die Thematisierung von sozialen und ökonomischen Fragen in diesem Programm verbreiteter war, als es in der politischen Bildung seit 2000 der Fall ist. Titus Simon richtet seinen Blick auf die Evaluationen des AgAG und zeigt, dass unter bestimmten Kriterien durchaus positive Ergebnisse erzielt wurden.
Weitere Artikel setzen sich mit dem Konzept der Zivilgesellschaft und der Entwicklung von Neonazistrukturen vor und nach der Wende in der DDR auseinander. Dem Buch gelingt es, die Bundesprogramme in ihrer Widersprüchlichkeit darzustellen, auch wenn die Aufeinanderfolge der Beiträge zufällig wirkt, was den Zugang zum Band erschwert. Die wertvollsten Passagen sind zweifelsohne jene, in denen die Autor_innen selbstkritisch über die Entwicklung der eigenen Arbeit in den letzten 13 Jahren reflektieren. Aufgrund der Kürze der Beiträge fehlt stellenweise die Einbindung in einen größeren Kontext. Leider wird in diesem Band nicht die Frage gestellt, welche Positionierungen im eingangs genannten Spannungsfeld notwendig wären, um aktuellen Herausforderungen durch NSU, rassistische Mobilisierungen und konstant hohe rechtsmotivierte Straf- und Gewalttaten, entgegnen zu können.
Max Heim
Friedrich Burschel / Uwe Schubert / Gerd Wiegel (Hrsg.): »Der Sommer ist vorbei...« – Vom »Aufstand der Anständigen« zur »Extremismus-Klausel«: Beiträge zu 13 Jahren »Bundesprogramme gegen Rechts«.edition assemblage, Münster 2014, 151 S., € 16.