Von No Future zu Fridays for Future 

Ein Triptychon 

Von Anti-AKW-Protesten, den Warnungen vor saurem Regen und dem Absterben der Wälder bis hin zur Gründung der Partei Bündnis 90/Die Grünen samt erstmaligem Einzug in bundesdeutsche Parlamente: Die achtziger Jahre waren ein Jahrzehnt der Ökologie- und Umweltbewegung. Die damalige Angst vor dem großen Knall, nicht zuletzt angeheizt durch die Havarie des Kernkraftwerks Tschernobyl, war allgegenwärtig und strahlte bis in politische Jugend- und Subkulturen aus. Der Tanz auf dem Vulkan sollte das erwartete Ende der Welt zelebrieren. Das Motto, frei nach den Sex Pistols: »No future for you!« Kaum 40 Jahre später liegt der Fall anders. Unter der Überschrift »Fridays for Future« ist eine regelrechte Versessenheit auf die Zukunft entbrannt. Spätestens im letzten Jahrzehnt sind Artensterben, Endlichkeit der Ressourcen und Klimawandel wieder zu zentralen Themen geworden, um die sich neue aktivistische Bewegungen und Gruppierungen gebildet haben.  

Die Phase 2 hat mit unterschiedlichen Personen gesprochen, die seit den achtziger Jahren in Jugend- und Subkulturen unterwegs waren, es bis heute sind und sich zwischen Hardcore, Punk, Hamburger Schule, Riot Grrrl und Indie verorten. Unsere Frage: Wie hat sich der Bezug auf die Zukunft in der Kultur jenseits des Mainstreams seit den Achtzigern entwickelt? Jan Off ist Schriftsteller, Autor des Romans »Vorkriegsjugend« und treuer Begleiter der deutschsprachigen Punkszene. Sandra Zettpunkt ist Musikwissenschaftlerin, Autorin, Radiomacherin mit eigener Sendung und spielte unter anderem in den Bands Fünf Freunde, Kajak und Parole Trixi. Ted Gaier ist Gitarrist der Goldenen Zitronen, Labelgründer, Regisseur, Ted Boy und Vorreiter der Hamburger Schule.  

Anmerkung der Redaktion: Die Texte entstanden, bevor Fridays for Future und Greta Thunberg im Oktober 2023 mit israelfeindlichen Beiträgen für Schlagzeilen gesorgt haben. 

 

Jan Off 

Waffen für Greta 

Meine Generation muss sich rückblickend ganz unbedingt bei der NATO und dem Warschauer Pakt bedanken. Die beiden Militärblöcke hatten uns Anfang der achtziger Jahre so fest versprochen, dass die Erde in Bälde von einem Atomkrieg heimgesucht werden würde, dass eine nähere Beschäftigung mit der Zukunft nicht vonnöten war. Wieso Gedanken an Themen wie Berufsausbildung, Familienplanung oder Alterssicherung verschwenden, wenn doch glasklar feststand, dass es nicht mehr allzu lang dauern würde, bis irgendein nervöser Idiot auf den roten Knopf drückte? 

Es konnte sich also uneingeschränkt aufs Hier und Jetzt konzentriert, besser noch: ins Bällebad namens Amüsement gestürzt werden. Getreu dem Motto »Ich geb Gas, ich will Spaß« (Markus) unterwarfen sich die einen uneingeschränkt den verheißungsvollen Versprechungen des Konsums, während die anderen ihre Aufgabe vor allem darin sahen, Regeln zu brechen und sich selbst zu zerstören. 

Neben der Aussicht auf einen nuklearen Waffengang, machten – wen wundert’s – noch weitere Weltuntergangsszenarien die Runde. Hauptsächlich gespeist aus sichtbaren Phänomenen wie dem Waldsterben oder weniger greifbaren wie saurem Regen oder dem Ozon-Loch (vom Klimawandel war damals kaum die Rede). Natürlich spielte auch die Angst vor Super-GAUs eine zentrale Rolle. 1986 noch einmal befeuert durch die Katastrophe von Tschernobyl. Aber ganz egal, welch düsterer Vision der Einzelne den Vorzug gab (die meisten werden sich wohl auf den Atomkrieg kapriziert haben), vereint waren sie alle in der unerschütterlichen Gewissheit, dass das Ende der Welt nur noch eine Zeitfrage darstellte. 

Versuche, die entsprechenden Entwicklungen aufzuhalten, gab es durchaus. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die Großdemonstration in Bonn, bei der 1983 mehrere hunderttausend Menschen gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen auf die Straße gingen, oder die zahllosen Bemühungen, die die Startbahn West in Frankfurt, das AKW in Brokdorf oder die Wiederaufbereitungsanlange in Wackersdorf verhindern wollten und im letztgenannten Fall sogar verhindern konnten. Auch Künstler wie Nena, Nicole oder Udo Lindenberg gaben ihr Bestes, sich dem Unausweichlichen entgegenzustemmen, lieferten mit den jeweiligen Songs dann allerdings nur ein paar Gründe mehr, den großen Knall dringend herbeizusehnen. 

Das letzte Aufgebot der Friedens- und Umweltbewegten war, was seine bloße Zahl anging, also durchaus beeindruckend. Getragen wurde der Protest jedoch in erster Linie von sogenannten Bürgerinitiativen, also von Vereinigungen besorgter Anwohner, deren wichtigstes Bestreben es war, so gruslige Schattenwesen wie Dioxin oder Pseudo-Krupp von der eigenen Haustür fernzuhalten. Viele andere, vor allem jüngere Semester, verstanden Demonstrationen und ähnliche Veranstaltungen eher als gesellschaftliche Events, sprich: als willkommene Gelegenheit, endlich die langgehegten Vorstellungen eines alternativen Lebens zu erproben, oder im Falle der Wenn-kaputt-wir-Spaß-Fraktion Kontakte zur Staatsmacht zu akkumulieren. 

Buttons und Aufkleber mit Losungen wie »Atomkraft? Nein Danke« oder »Baum ab? Nein Danke« waren weitverbreitet. Wie sich eine Kernschmelze vollzieht, hätte damals aber kaum jemand erklären können. In dieser, also in wissenschaftlicher Hinsicht ist die Generation Triple-F zweifellos deutlich weiter – nicht zuletzt dank Internet. Wichtiger als Wissen war damals aber ohnehin das Gefühl, besser: das »Feeling«, auf der richtigen Seite zu stehen. Sicher ein Grund dafür, dass das Völkische und Antiamerikanische der Protestbewegung (wie zum Beispiel vom Grünen-Politiker Baldur Springmann verkörpert) von nur wenigen ihrer Protagonisten wahrgenommen wurde. 

Nach dem Ende des Kalten Krieges dann das jähe Erwachen: Der dritte Weltkrieg mit all seinen Begleiterscheinungen – wie dem atomaren Winter – war ausgeblieben. 

Kollektiver Selbstmord wäre jetzt angezeigt gewesen (was die Artenvielfalt selbstredend gefreut hätte). Aber der blieb, getreu dem Motto »No Future war gestern«, genauso aus wie das konsequente Arbeiten am individuellen gesundheitlichen Ruin. Und um dem Ganzen noch einen draufzusetzen, wurden – als hätte das Wissen um den erhöhten CO2-Ausstoss und seine Folgen nie existiert – auch noch Kinder gezeugt, also genau die bedauernswerten Geschöpfe, die sich aktuell gezwungen sehen, ihre Hände aufs Straßenpflaster zu kleben. Die nämlich, also die Kinder, wachsen unter ganz anderen Voraussetzungen auf als das hedonistische Blasorchester, das Ende des letzten Jahrtausends im Bauch des Dampfschiffs Inferno zum Engtanz aufspielte. 

Der schnelle Zusammenbruch ist mittlerweile eher unwahrscheinlich. Stattdessen deutet alles, was zum Thema Klimawandel bis dato bekannt ist, auf ein qualvolles Dahinsiechen der menschlichen Gattung hin. Strafverschärfend kommt hinzu, dass die durchschnittliche Lebenserwartung (zumindest in der westlichen Welt) Jahr für Jahr steigt, was bei jungen Leuten naturgemäß den Zwang zur Selbstoptimierung erhöht. Schließlich brauchst du viele Skills, wenn die Aussicht droht, hundert zu werden (vor allem bei mangelnder oder fehlender Rente). Freizeitgestaltung, Partnerschaft, Sex – das alles will auch bei steigendem Meeresspiegel noch im Blick behalten werden. 

Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich heute also in folgendem Dilemma: Sie haben im schlimmsten Fall noch siebzig bis achtzig Jahre Lebenszeit vor sich, können aber gleichzeitig nicht abschätzen, wie viele dieser Jahre erträglich sein werden. Und dieses Wissen wiederum führt dann natürlich nicht zum ekstatischen Tanz auf dem Vulkan wie in den achtziger und neunziger Jahren, sondern zu einem dauerhaften Besorgtsein, das für Tanzvergnügen keinen Platz mehr lässt. 

»Gewalt hört da auf, wo die Liebe beginnt«, hatte Petra Kelly, die unbestrittene Ikone der westdeutschen Friedensbewegung, einst verlauten lassen. Woraus natürlich im Umkehrschluss gefolgert werden darf, dass bei einem Versiegen der Liebe – in unserem Fall gekennzeichnet durch mangelnde Um- Ein- und Weitsicht der Elterngeneration – der Gewalt jedwedes Recht zum (erneuten) Erblühen eingeräumt werden muss. Oder wie schon die Spontis wussten: »Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.« 

Das Geraune von der »Klima-RAF«, wie es nun aus den Mündern von CSU und CDU zu vernehmen ist, klingt in diesem Zusammenhang allerdings geradezu lachhaft. Schließlich stellt das größte Problem von Greta Thunberg und all jenen, die ihr folgen, unzweideutig die Einwohnerzahl des Planeten dar. Ein oder zwei Milliarden Menschen weniger und der Klimawandel wäre zumindest deutlich verlangsamt. Ein oder zwei Milliarden mehr, wie in den nächsten zwanzig Jahren zu erwarten, und der Erderwärmung etc. pp. wird noch schwerer Einhalt zu gebieten sein. 

Mit Attentaten im Stile der RAF wäre also nichts zu gewinnen. Vielmehr bräuchte es das ganz große Besteck, also genau die Art von Raketen, gegen deren Aufstellung die Eltern und Großeltern der Letzten Generation einst demonstriert haben. 

»Bombs for Peace«, würde das Klima sagen. 

 

Sandra Zettpunkt 

Zurück ins Tal: Gegenwart und Zukunft im Indierock der neunziger Jahre 

Lange Zeit habe ich gern die Geschichte erzählt, wie froh wir eines schönen Tages waren, mit dem Tourbus unserer Band Die Fünf Freunde über die Kasseler Berge gelangt zu sein. Das Ding war so alt, dass wir stets drohten, ins Tal zurückzurollen. Die Achse hing auf halb acht und die Sitzbänke standen ungesichert im Laderaum. Gebannt blickten wir auf das Tachometer, wie es bei voll durchgedrücktem Gaspedal ganz langsam zurückging. Es muss um 1993 gewesen sein, und uns wäre seinerzeit nicht in den Sinn gekommen, über die Abgaswerte dieser Dreckschleuder zu sinnieren. Wenn ich heute daran zurückdenke, stellt sich die Frage unmittelbar. Aber so ist es halt mit dem Denken und der Wahrnehmung: Sie haben ihre Zeit und ihren Ort. 

Ich greife die Ausgangsthese auf: Früher verspielten wir eine Zukunft, die doch egal war, zugunsten der reinen Gegenwart. Heute denken wir viel an eine Katastrophen-Kaskade, die schon begonnen hat, und versuchen durch radikalen Wandel unseres Verhaltens das Schlimmste zu verhindern. Aber der Reihe nach: War das damals wirklich so, war uns die Zukunft gleichgültig? 

Wenn ich an die neunziger Jahre zurückdenke, an die Zeit der sogenannten Hamburger Schule, an Diskursrock und Riot Grrrl, dann kommt mir die Angelegenheit doch nicht so zukunftsvergessen vor. Schon die smarteren Post-Punk-Entwürfe waren über das politische Zeitgeschehen gut informiert. Denken wir nur an Gang of Four oder Scritti Politti, die durchaus in der Lage dazu waren, unter Anwendung französischer Theorie zu beschreiben, warum der Neoliberalismus unser baldiges Verderben bedeuten würde. Mit solchen Bands sind wir aufgewachsen – natürlich nicht nur mit solchen. 

In Hamburg trat bereits Ende der achtziger Jahre die Kolossale Jugend auf den Plan. Was Sänger Kristof Schreuf hier – wie auch später mit der Band Brüllen – auf der Bühne betrieb, war eigentlich die Förderung politischer Bewusstwerdung, permanenter Diskussion, endloser Aushandlung und die völlige Verweigerung rockistischer Dienstleistung. Das hat geprägt. Wenn ich mich recht erinnere, wurde in Hamburgs Kneipen dieser Jahre sehr viel diskutiert, auch über Politik, eigentlich ununterbrochen. Natürlich war die Atmosphäre nicht frei von Platzhirschen und Besserwisser:innen. Aber waren wir hedonistisch und uninteressiert an dem, was kommen sollte? Nicht, dass ich wüsste. Nur, dass unsere Bezugsgröße vielleicht weniger die Welt im Ganzen, als eher die Bundesrepublik war. Mit den Fünf Freunden hätten wir gern das Stück Liebling, lass uns Waffen klauen (und dann den Staat zu Schrott zerhauen) als Single veröffentlicht, doch das war unserer damaligen Plattenfirma zu heikel. 

Als mit Bikini Kill und Team Dresch die Riot-Grrrl-Bewegung über den großen Teich schwappte, konnten wir gut daran anschließen, weil alle Voraussetzungen aktivistischer Kollektive bereits vorhanden waren. Aber es war auch kein blindes Abfeiern. Ich habe um die Jahrtausendwende tatsächlich meine Abschlussthesis an der Universität Hamburg über das Phänomen Riot Grrrl geschrieben, und mich sehr daran abgearbeitet, dass es zwar für viele gute Impulse, aber meines Erachtens eben doch nicht für eine nachhaltige Bewegung reichte. 180 schmerzhafte Seiten lang sollte die Auseinandersetzung am Ende werden. 

Dies soll keine Verteidigungsrede sein. Das wäre unangemessen und auch pathetisch. Vor allem hilft es uns nicht weiter. Mich interessiert eher, wie die Geschichte weitergegangen ist und womit wir es heute zu tun haben. Mein eigener Blickwinkel ist insofern besonders, als ich vor 15 Jahren in die Schweiz gezogen bin und der Indie-Begriff hier völlig anders belegt ist. Das prägt zwar mein unmittelbares Umfeld, spielt aber für den Arbeitsalltag keine große Rolle, weil ich just seit meinem Umzug eine Radiosendung namens Golden Glades produziere, die alle zwei Wochen auf dem Hamburger Sender ByteFM zu hören ist. Mein Bezugsfeld ist also international, ohne, dass ich einen Fuß vor die Tür setzen müsste. Ich habe mir für diese Sendung zweierlei vorgenommen: Einerseits gute Neuveröffentlichungen vorzustellen, die anderswo nicht gespielt werden und andererseits vergessene Schätze der Musikgeschichte zu heben. 

Ich habe es also permanent mit dem Vergleich alter und neuer Produktionstechniken zu tun. Das ist – abgesehen von meinen ästhetischen Vorlieben – eine recht interessante Sache: Sind die Produktionen aus den sechziger und siebziger Jahren häufig verschwenderisch instrumentiert, regelrechte Materialschlachten, haben wir es heute oft mit Positionen zu tun, die kaum etwas benötigen. Kurioserweise liegen die Unterschiede klanglich nicht immer auf der Hand: Ob im Studio ein Streichorchester gespielt hat oder jemand sehr geschickt mit digitalen Verfahren umzugehen weiß, ist selbst für Expert:innen manchmal schwer herauszuhören. 

Womit hat diese Beschränkung der Mittel zu tun? Natürlich mit den neuen technischen Möglichkeiten, auch mit der Pandemie, mit der Vereinzelung – aber vielleicht eben doch auch mit einem Bewusstsein dafür, musikalische Visionen mit sparsamen Mitteln umsetzen zu können. Das ist mit Sicherheit ein Phänomen der Gegenwart. Und doch glaube ich, dass der Do-it-yourself-Ansatz solcher Produktionen seine Wurzeln im Post-Punk-Spirit hat. Damit sind keine Versäumnisse der Vergangenheit entschuldigt, aber es ist doch – an einem vielleicht nebensächlichen, aber für mich nicht unwichtigen Beispiel – der allzu dichotome Gedanke relativiert, dass es einen kategorischen Spalt zwischen meiner Generation und den Nachgeborenen gebe. Meiner Empfindung nach ist das nicht so. Wir sind seinerzeit mit sehr wenig ausgekommen, und zwar aus Überzeugung, auch wenn der politische Überbau damals ein anderer gewesen sein mag. Unsere second-hand-Klamotten trugen wir nicht der Nachhaltigkeit wegen, sondern weil es cool aussah – und weil wir uns nichts anderes hätten leisten können. 

Es bringt nichts, sich auf vor langer Zeit getroffene Positionen zurückzuziehen. Auch sollten wir uns jene Heldengeschichten, die Menschen im mittleren Alter so häufig ungefragt von sich geben, sparen und stattdessen schauen, was wir in der Gegenwart anbieten können: Wir haben eine gewisse Übung im katastrophischen Denken, das ja seit jeher linker Imagination eigen ist. Und die weniger Selbstgerechten unter uns sind sogar in der Lage dazu, umzudenken, etwa zu begreifen, dass der eigene Blick nie neutral ist – und sei es, weil die eigenen Kinder es einem beibringen. 

Die Zukunft wollten wir im Indierock nie verspielen. Und die zahllosen Musikschaffenden der Gegenwart, die sich in diesem kaleidoskopischen Genre mit seinen dutzenden Unterkategorien noch immer herumtreiben, auch wenn das keine signifikante Konsumentengruppe bemerkt, ticken natürlich anders als wir in den neunziger Jahren. Sie haben andere Modelle, leben in anderen Produktionsverhältnissen, drücken sich anders aus, ziehen sich anders an – aber am Kern dieser Musik und an der Haltung, die sich in ihr Ausdruck verleiht, hat sich nicht so viel getan. Es geht nach wie vor darum, Wege abseits der Gleise zu finden und Gesten abseits der offensichtlichen. Vielleicht bin ich blind, kann aber nur sagen: Die Binarität zwischen einer Vergangenheit ohne Zukunft und einem Heute in neuerwachter Apokalyptik kann ich nicht erkennen. Ich glaube sogar, dass es sie nicht gibt. 

Und weil dies nun einmal mein Beruf ist, hier noch ein paar thematisch passende Musikempfehlungen – aus entfernter Vergangenheit und unmittelbarer Gegenwart:  

Mike Sedgewick: Pollution Song (1971). Nachdem er erfolglos in den sechziger Jahren mit seiner Band Adam, Mike and Tim unterwegs war, brachte der britische Musiker Mike Sedgewick noch zwei Singles als Solokünstler heraus – als b-Seite den orchestral ausgeschmückten Pollution Song. Hoher Energieaufwand, aber musikalisch sehr schön. Mehr als 50 Jahre sind vergangen und das Stück ist inhaltlich nach wie vor aktuell. 

J Fernandez: Volcanic Winter (2018). Justin Fernandez kam als Sohn philippinischer Einwanderer in Arkansas zur Welt und die Klimakrise ist nur eines von vielen Problemfeldern, auf die er sich in seiner Musik bezieht. Die Sachlage ist ernüchternd, aber sie wird von Fernandez ausgefeilt in nostalgischen Bedroom-Pop verpackt. 

Leah Senior: There's No Fish (2020). Eine apokalyptische Klavierballade, mit viel Herz vorgetragen und einem 8-Spur Rekorder aufgenommen von der australischen Songwriterin Leah Senior. Ihr Werk kreist um Gedanken zur Zukunft. Mitte August 2023 bringt sie ein viertes Solowerk heraus. 

Die Sterne: Die Welt wird knusprig (2022). Die Sterne, revitalisiert und in neuer Höchstform. Der Titel erklärt sich von selbst. Ein Soundtrack, um dem Abgrund entgegenzutanzen (womit wir wieder bei dem vermeintlichen No-Future-Thema Tanz auf dem Vulkan wären). 

Lavinia Blackwall: The Damage We Have Done (2023). Geradezu hymnischer Folkrock aus Schottland mit einer deutlichen Message: Uns steht nur noch eine kurze Zeit auf diesem Planeten zur Verfügung und die Art, wie wir unser Leben führen, hat fatale Konsequenzen. Das Gewicht dieser Botschaft ist allein über den eindringlichen Gesang von Lavinia Blackwall deutlich zu spüren. 

Sunfruits: End of the World (2023). Die gesamte Debüt-LP One Degree ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Zustand der Welt und unserem Platz darin. Das Quartett verbindet die pessimistische Stimmung mit sechziger-artigen Psyche-Pop-Klängen. 

 

Interview mit Ted Gaier 

Unterschiedliche Spielfelder: Ästhetik und Politik 

 

Phase 2: Gehen Punk und Ökologie für Dich zusammen? 

Ted Gaier: Für mich damals nicht. Aber die Ausgangslage war, als Punk Ende der siebziger Jahre auch in Süddeutschland, wo ich aufgewachsen bin, auftauchte, total anders als heute. Die Post-Hippiekultur dieser Zeit mit ihrem Pessimismus, ihrer Esoterik und Selbstreferenzialität, ihrem Hang zur Laschheit, war sowas wie ein fahler Nachgeschmack der radikalen Aufbrüche der sechziger Jahre. Ein Schlüsselerlebnis war für mich 1978 ein Auftritt der Londoner Anarcho-Punk-Band The Charge, die komischerweise bei einem Soli-Konzert für den antiautoritären Kinderladen in München auftraten. Meine Mutter, die diesen Kinderladen mal gegründet hatte, nahm mich dahin mit. Ich war wohl 13 oder 14 Jahre alt. Das war für die Leute aus dieser ökomäßig angehauchten Alternativszene in ihren Wollpullovern ein ziemlicher Schock. Die ganze Körperlichkeit, die kurzen Stachelhaare, diese zackigen Bewegungen, das Pogo-Tanzen von diesen vielleicht 20 Punks, die wie auf den Fotos aus der Bravo aussahen – all das wurde von dieser Szene als beängstigend, aggromäßig und auch machistisch wahrgenommen. An diesem Abend wurde mir klar, dass etwas Neues begonnen hatte, was einen totalen ästhetischen Bruch zum Vorherigen setzte. 

 

Phase 2: Ökologie und Umwelt spielten in der Punk-Bewegung also gar keine Rolle? 

Ted Gaier: Ich würde sagen nein. By the way, wenn ich es richtig erinnere, haben wir damals auch den Begriff der Bewegung abgelehnt. Irgendwie waren Ökothemen von eben dieser Alternativkultur besetzt, und irgendwann waren die für uns mit ihrem peaseigen Gehabe unglaubwürdig geworden. Ich glaube, unbewusst war Punk vor allem in Deutschland auch eine Reaktion auf dieses Langhaarigen-Milieu, das die Schulen, Universitäten, Szenekneipen und Jugendzentren dominierte und sich in so einem Authentischsein mit dem Guten, Friedlichen im Bunde wähnte und jede Form der Aggression verbannte.  

Nehmen wir zum Beispiel Petra Kelly, wie die so geredet hat, insbesondere das christlich Erleuchtete und Moralistische, das war einfach kitschig. Wobei man sie gegen grüne Politiker:innen von heute schon fast wieder in Schutz nehmen muss, aber das ist eine andere Sache. Jedenfalls wird auch immer vergessen, dass Punk anfangs nicht automatisch links war. Punk wollte nicht decodierbar sein, vor allem nicht für linke Sozialarbeiter:innen, die in uns fehlgeleitete Opfer einer kalten, entfremdeten Welt sahen. Es ging auch um Geheimwissen gegenüber den Erwachsenen. Aber natürlich waren wir gegen Atomkraft. Ich habe erst über die Jahre gelernt, dass die verlässlichsten Genoss:innen manchmal nicht die stilsichersten Klamotten tragen oder den besten Musikgeschmack haben. Aber ich muss ja nicht mit ihnen zusammenwohnen oder feiern.  

Das komplizierte Zeichensystem einer Subkultur, wo Geheimwissen und Ausschluss sehr wichtig sind, ist das genaue Gegenteil zu der Idee einer politischen Bewegung, die möglichst viele Menschen mobilisieren möchte. 

 

Phase 2: Was denkst Du über Fridays for Future im Vergleich zu Punk? 

Ted Gaier: Ich denke, das kann man gar nicht vergleichen, weil Punk vor allem eine sehr wichtige ästhetische Rebellion war und Fridays for Future eine politische Bewegung sein will. Das Neue und Geile an Punk war eben der spielerische Umgang mit Codes. Bei der Wahl der Ausdrucksform ging es nicht wie bei Subkulturen zuvor um eine authentisch zur Schau gestellte, scheinbar widerspruchslose Identität, sondern um einen strategischen Umgang mit Zeichen. Mit welchen Mitteln kann ich die größtmögliche Schockwirkung erzielen oder auch meine Verweigerung zeigen? Ohne dazu eine Theorie zu haben, wählte Punk instinktiv tabuisierte Zeichen. Das konnte eine kurze Zeit lang das Hakenkreuz sein, das RAF-Zeichen, geklaute umgehängte Mercedessterne, eine Ratte auf der Schulter oder auch Fetischklamotten, die für »den Spießer« und »die Spießerin« zugleich Anziehung und Abstoßung auslösen konnten. Solange Punk unberechenbar war, funktionierte es wie ein Spiegel für das Unterbewusste der Gesellschaft. Und es funktionierte auch nur so lange, wie man sich dieses alienhafte Geheimwissen bewahren konnte. Daher wurde für mich diese äußere Form – Lederjacke, Springerstiefel, bunte Haare – langweilig, als hundeliebende Punks zum kalkulierbaren Teil deutscher Fußgängerzonen wurden. Ich würde mal sagen, das war spätestens gegen 1983. 

Bei Fridays for Future geht es um was ganz anderes. Die Demos, die ich so mitgekriegt habe, erinnern mich mit ihrem unironischen Alarmismus stark an die Stimmung in den alternativen Milieus Ende der siebziger, Anfang der achziger Jahre. Aber wer bin ich, da Stilkritik zu üben? Die Sache ist ja auch viel ernster als damals. Da finde ich eine Person wie Greta Thunberg schon sehr genial und passend, weil sie in ihrer Rolle als Prophetin die ganze Tradition des Abendlandes bedient. Es ist irre, wie sie in der Lage ist, eindrucksvolle und hyperaufgeladene Bilder zu erschaffen. Spontan würde ich sagen, sowas hat seit Che Guevara oder Martin Luther King schon länger niemand mehr hingekriegt. Ihr Gespür für die Rolle als die ultimative moralische Autorität, die Politiker:innen in der UNO zusammenscheißt, ist irgendwie beispiellos. 

 

Phase 2: Welche Rolle spielt Ästhetik für Fridays for Future? 

Ted Gaier: Ich würde mal vermuten, da gibt es keinen ausgeprägten Diskurs. Aber irgendwie waren sie sehr effizient mit der Behauptung der Purheit ihrer Empörung, das traf auch einen bestimmten Vibe der jungen Leute. Die Frage ist ja eher, wie das weitergehen kann, weil Bewegungen nicht ewig ihre Unschuld bewahren können. Eine Institutionalisierung hat auch schon länger eingesetzt. So jemand wie Luisa Neubauer redet wie eine abgeklärte alte Polithäsin. Das ging bei Fridays for Future viel schneller als zum Beispiel in der Zeit der Anti-AKW-Bewegung.  

Mein Problem mit großen, populären Bewegungen war immer dieses Ding mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dieser Wille, alle mitzunehmen, führt automatisch zum Leugnen von Widersprüchen, zu unterkomplexen Parolen und oft zu lahmarschigen performativen Mitteln. Daher schätze ich die Autonomie, die ich mit einer Band wie den Goldenen Zitronen habe, zum Beispiel, wenn ich in Texten versuche, Zustände zu beschreiben. Gute Texte macht man nicht, wenn man Manifeste vertont. 

 

Phase 2: Kannst Du politisch mit Fridays for Future sympathisieren, wenn schon nicht ästhetisch? 

Ted Gaier: Klar, zumal es ja auch wirklich der Kampf derer ist, die mit dieser Welt weiterleben müssen. Allein deswegen sind sie sowieso im Recht. Was ich aber bemerke und was eigentlich für fast alle irgendwie progressiven Bewegungen gilt, die ich so erlebt habe, ist das Problem, dass Fridays for Future – trotz aller Anstrengungen sich zu öffnen – eine durch die white middleclass geprägte Bewegung ist. Ich kann das auch gut daran sehen, wie sich die Schulkamerad:innen meines jetzt 18-jährigen Sohns verhalten haben. Wer auf die großen Demos gegangen ist, wer sich von der Rhetorik angesprochen fühlte und wer nicht. Da gibt es einen großen Gap zwischen der sogenannten migrantischen working class und der Mittelschicht. 

Was ich aber in der Diskussion von Fridays for Future richtig gut auf den Punkt gebracht finde, ist der Vorwurf gegenüber dem linken Reformismus der Grünen. Die Behauptung, dass die Welt besser wäre, würden wir nur alle Teslas fahren, ist einfach schwachsinnig. Dadurch, dass es gelungen ist, das Thema der globalen Gerechtigkeit mit der Klimakatastrophe zu verknüpfen, wird es immer schwieriger, den zerstörerischen Charakter des Kapitalismus zu leugnen. Das ist schon ein großer Erfolg. Davon haben Generationen von K-Gruppen und Autonomen geträumt. 

Irgendwie bizarr ist für mich natürlich die Tatsache, dass Leute sich des zivilen Ungehorsames bedienen und sich Festkleben, um von der Regierung die Durchsetzung ihres eigenen Regierungsprogramms zu fordern, und dann von irgendwelchen Arschgeigen-Politikern mit der Roten Armee Fraktion verglichen werden. Da denke ich schon: Man, es ist echt lange her, dass Politiker:innen um ihr Leben fürchten mussten. Stell Dir vor, die RAF hätte Leute entführt, um die Regierung daran zu erinnern, das von ihr selbst beschlossene Programm durchzuführen. Was für ein Witz! 

 

Phase 2: Was hältst Du denn von den Klebeaktionen oder den Angriffen auf Kunstwerke? 

Ted Gaier: Beim Festkleben als Aktion fehlt mir etwas die Ambivalenz oder auch der Humor, aber das ist ja auch gar nicht gewünscht. Auch hier gehts um das Prophetische, wie mir scheint. Mich wundert nur, dass die Propaganda es schafft, dass die sogenannte arbeitende Bevölkerung sich als Opfer versteht. Es gibt doch keine bessere Ausrede zu spät ins Büro zu kommen, als zu sagen: Da haben sich wieder welche von der Letzten Generation festgeklebt. 

Bei den Aktionen in den Museen fand ich eine Weile lang die Diskussionen im Feuilleton recht interessant, weil auch hier der Aktivismus nicht Ernst gemacht hat, sondern lediglich so tat als ob – und dann irgendwie Unklarheit herrschte, wie das zu bewerten ist. Die Rhetorik dieser Aktionen ist ja recht simpel. Man holt die moralische Keule raus und sagt: »Seht, Ihr regt euch auf, wenn ein van Gogh-Bild beschmutzt wird, das angeblich zum Wertvollsten gehört, was die westliche Welt hervorgebracht hat. Aber das Schicksal von Milliarden Menschen, die unter der Klimakatastrophe leiden, ist Euch egal.« Und hinterher ist da nur Erbsensuppe auf dem Schutzglas. Anders als bei militanten Aktionen der siebziger oder achtziger Jahre ist weder irgendwas abgefackelt worden noch jemand gestorben. 

Phase 2: …was ja auch irgendwie ein Fortschritt ist. Verbleiben wir also dabei. Vielen Dank für das Interview, Ted!