»Abgesehen von wenigen Ausnahmen« existiere keine Literatur, »die das Thema Elternschaft in eine gesellschaftskritische Perspektive« setze, konstatieren Herausgeberin und Herausgeber der Anthologie mit dem etwas uninspirierten Titel The Mamas and the Papas: Reproduktion, Pop & widerspenstige Verhältnisse im Klappentext.
Eine These, die zumindest fraglich erscheinen kann – ist doch, seit eine Kritik der bürgerlichen Gesellschaft formuliert wird, immer auch die Familie als ihre apostrophierte »Keimzelle« im Visier derer gewesen, die das Gemeinwesen in emanzipatorischer Absicht zu ändern gedachten. Auch der Aspekt »Elternschaft« war – gerade im Zuge der 68er Revolte – dezidiert Thema einer Debatte, die, wie verkürzt oder verworren auch immer, letztlich auf die Abschaffung der bürgerlichen Kleinfamilie abzielte. In The Mamas and the Papas hingegen scheint der gesellschaftliche Rahmen gesetzt. »Elternschaft« beschreibt hier zumeist die Alltagsrealität in bestehenden Familienstrukturen – was angesichts der momentanen Perspektivlosigkeit bezüglich eines gesellschaftlichen Umbruchs auch in gewisser Weise nachvollziehbar ist: Wie können fortschrittlich denkende Menschen angesichts überall lauernder Widersprüche überhaupt Eltern sein?
Auf 284 Seiten wird diese Frage aus mehreren Richtungen umstellt – und zwar mit allerlei leichtem und schwerem Gerät, das gerade in der undogmatischen Linken Konjunktur hat. Beiträge mit im weitesten Sinne queer-aktivistischen Überlegungen zu Schwangerschaft, Stillen oder Adoption stehen neben historischen Abhandlungen zur Genese von Muttermythos, bürgerlicher Kleinfamilie oder postfaschistischer Sexualmoral. Essays mit Bezug auf die kritische Theorie, etwa zum Utopikum kindlichen Glücks bei Bloch, komplettieren die Sammlung. Es wurde sich bemüht, der Heterogenität des Materials durch Aufteilung in die Themenfelder Reproduktion, Revolution, Familie, Pop und Widerspenstigkeiten Herr zu werden. Die Artikel kommen mal persönlich, mal akademisch, im Interviewformat oder als Buchtipps für den Nachwuchs linker Eltern daher.
Es findet sich durchaus Lesenswertes darunter. Zum Beispiel stellt Sonja Eismann in ihrer Abhandlung Was fangen wir nur mit diesen schwangeren Körpern und nervigen Kindern an? im Untertitel die programmatische Frage, warum es so schwer falle, queer-feministisch über das Kinderkriegen nachzudenken. Schwangerschaft bedeute in der nach wie vor patriarchalen Gesellschaft nicht nur, mit einem breiten Katalog von Zuschreibungen und Zugriffen konfrontiert zu sein, die die betroffenen Subjekte fortwährend belagern, auch versage die queere Community häufig theoretisch wie praktisch, Fortpflanzung anders als ein Suspendieren widerständiger, »offen-spielerischer« Strategien zu begreifen. Die physische Realität der Schwangerschaft passe schlicht nicht in das Bild der Performativität von Geschlecht. Dagegen fordert die Autorin, in der feministischen Debatte ums Gebären und Kinderaufziehen Biologisierungen trotz des fundamental biologischen Charakters von Schwangerschaft und Geburt zu vermeiden und mit der Queertheoretikerin Judith Jack Halberstam den Umstand zu gewahren, dass sowohl Transmänner Mütter, als auch Dykes Väter würden – mithin nicht nur die allgemeine Konstruiertheit von Geschlecht, sondern auch die von Elternschaft zu erkennen, um sich perspektivisch von der klassischen Vater-Mutter-Kind-Figuration zu verabschieden.
Bevor Nicole Tomasek in ihrem Artikel Eltern, Kinder und die radikale Linke, leger die Unversöhnlichkeiten von linksradikalem Politalltag und Elterndasein illustriert – das Angeführte ist nicht nur ziemlich wahr, sondern auch ziemlich witzig – kommt sie auf ein grundsätzliches Dilemma zu sprechen, das allen AkteurInnen der Szene mit Nachwuchs bekannt sein dürfte: »Fast noch schlimmer als Atomkrieg schien es, andere Menschen durch eigene Reproduktion dazu zu zwingen, in einer Welt zu leben, in der so etwas wie Atomkrieg überhaupt möglich ist, abgesehen von den ganzen anderen Unzumutbarkeiten«. Und an anderer Stelle steht die Frage zu Gebot, sofern nicht durch einen Migrationshintergrund entlastet, »wie sie oder er es verantworten kann, Deutschland nicht aussterben zu lassen.« Schade, dass sie den LeserInnen die Antwort auf die Frage schuldig bleibt, warum sich Linksradikale trotz alledem fortpflanzen. Muss wohl Masochismus sein.
Im letzten, mit Widerspenstigkeiten betitelten Themenbereich entwirft Martin Dornis anhand von sieben Paragrafen ein »Minimalprogramm in Zeiten des Überwinterns der Kritik« entlang von Adornos »Erziehung zur Mündigkeit« unter der Prämisse, dass das Thema Erziehung »prinzipiell eines der Anwälte des Bestehenden« sei, »die die Individuen ins Räderwerk von Herrschaft und Ausbeutung hineinzupressen gedenken«. Dabei stelle sich die Frage, ob es besser sei, »in diese Höllenmaschinerie wohlig umsorgt und in Freiheit hineinzuwachsen oder doch lieber mit der Peitsche hineingetrieben zu werden.« Damit bringt er das ganze Dilemma? – ?auch das des vorliegenden Bandes? – ?auf den Punkt.
Jörg Pohl
Lukas Böckmann / Annika Mecklenbrauck (Hrsg.): The Mamas and the Papas: Reproduktion, Pop & widerspenstige Verhältnisse. Ventil Verlag, Mainz 2013, 284 S., 14,90 €.