Sir David Attenborough hat schon viel Inspirierendes über die Natur gesagt. Zum Beispiel, dass sie die »größte Quelle der Schönheit« und »so vieler Dinge, die das Leben lebenswert machen« sei. Seit einem halben Jahrhundert dokumentierte er für die BBC diese Schönheit des Lebens auf der Erde; kaum einer, der nicht schon durch seine Augen über den blauen Planeten und seine Wunder staunte. Einmal versunken in die Erhabenheit, die der ritterliche Naturforscher in diesen unzähligen Conscious Documentaries bewiesen hat, kann man von den blöden Menschen und ihrer Überheblichkeit gegenüber Mutter Erde nur schlecht denken. »Wir sind eine Plage auf der Erde«, sprach also der demütige Weise so vielen armen Seelen aus dem Herzen. Wer kennt ihn nicht, den Affekt von Selbsthass und Zivilisationsverachtung, wenn wieder einmal ein Bulldozer den Regenwald rodet, die Müllteppiche den Ozean bedecken und die rauchenden Schlote den Himmel verdüstern?
Nach der Verdrängung ist Selbsthass ein paradoxer, aber konsequenter Schritt der Schuldabwehr. Dieses Muster erinnert an eine Depression. Dabei wird eine Konfrontation, die eine traumatische Destabilisierung des Ichs zur Folge hätte, insofern abgewehrt, als dass der Angriff vorauseilend selbst ausgeführt wird. Das Leiden ohne Ursache, so seltsam es anmutet, ist besser als die Realitätsprüfung. Und die überbordende Selbstanklage lässt einen intakter bleiben als die Einsicht in das wirkliche Verhängnis. Die gesellschaftlich durchschnittlichen Naturzerstörungsbewegten sind daher in erster Linie Heuchler:innen. Mit ihnen resonierte Altmeister Attenborough auf der Weltklimakonferenz 2018 in Katowice in seiner Mahnung: »[F]alls wir nicht handeln, so steht der Zusammenbruch unserer Zivilisationen und das Aussterben eines Großteils der natürlichen Welt bevor«.
Nun sind »unsere Zivilisationen« und die »natürliche Welt« eben zwei verschiedene paar Schuhe – was überhaupt erst die Grundlage dafür ist, zweiteres gegen ersteres in Stellung zu bringen, also zu dem Gedanken zu kommen, dass die Rettung der Natur eigentlich nur über zivilisatorische Demut gelingen kann. Dass aus dieser Überzeugung tendenziell Fanatismus wächst, macht die Heuchlerei fast schon zu einem kleineren Übel. Eindrucksvoll haben Extinction Rebellion und Letzte Generation gezeigt, wie die Ohnmacht gegenüber dem Bestehenden schnell auf dumme Gedanken bringt. Weltuntergangssekten und Selbstopfer im Notstand sind keine guten Ratgeber, wenn man es mit einer gesellschaftlichen Einrichtung zu tun bekommt, die den Einzelnen schon immer gegen die Gesellschaft ausgespielt hat.
Der Widerspruch zwischen Zivilisation und Natur macht nun aber tatsächlich ohnmächtig und vielleicht hat deshalb eine radikale Linke bis hierhin kaum einen tragfähigen Beitrag zu dieser »Katastrophe von globalem Ausmaß, unserer größten Bedrohung seit Tausenden von Jahren« anzubieten. Ein bemerkenswertes Zögern, das sich nicht nur mit dem Grundgefühl erklären lässt, man habe doch schon längst alles zum Verhängnis des Kapitalismus gesagt und es brauche eben eine Revolution. Vor der Naturdemut und Zivilisationsverachtung machen Linke aus Gründen halt, aber ebenso wenig lässt sich die Bedrohung der Grundlage jener Zivilisation leugnen. Weder kann es weiter so gehen, noch steht ein Ausweg zur Debatte, der nicht selbst schon wieder zivilisatorische Errungenschaften untergräbt. Opfern wir die Zivilisation, damit die Natur überleben kann? Oder gibt es für den Menschen sowieso nichts zu bewahren, wenn die Zivilisation – die Freiheit, die die Naturbeherrschung verwirklichen sollte – wirklich untergeht?
Endlich Unterwerfung
Am Ende ihres Buchs Unruhig bleiben präsentierte die Neue Materialistin Donna Haraway das Ergebnis eines offenen Gedankenexperiments, eine Zukunftsvision, die sich von der Katastrophe abwendet. Verwandtschaft zwischen den Arten müsse hergestellt werden, Kinder, die Patenschaften für Insekten übernehmen und natürlich: die Reduktion des Wachstums der Population hin zu kleinen Kompostiergemeinschaften, die so sehr im Einklang mit der Natur existieren könnten, dass es dem ganzen Irrsinn einer staatlichen Organisation nicht mehr bedürfe. Nach all den Cyborgmanifesten und Transhumanismusfantasien steht der Mensch also wieder da, wo er eigentlich hingehört: im naturreligiösen Tribalismus, reduziert auf biologische Masse.
Haraway hat freilich nur assoziiert. Aber der kurze Weg zeigt umso deutlicher, wie schnell die Vordenker:innen der Zivilisationskritik bei dem Wunsch nach Unschuld landen. Man kann es der modernen Gesellschaft einfach nicht verzeihen, dass ihre Freiheit mit Schuld einhergeht. Schon Sigmund Freud hatte darauf verwiesen, dass die Religion diesen Zusammenhang zumindest noch ahnte, wohingegen die aufgeklärte Welt Schuld auf das vermeintlich befreite Individuum abschiebt, das sich schließlich lieber dem Massenwahn an den Hals schmiss, als Verantwortung für die Geschichte zu übernehmen. Jetzt wird gefordert, Verantwortung für das Schicksal zu übernehmen, und zwar, indem man sich fügt. Und ja, diese uralte Verschlungenheit von Herrschaft und Freiheit, dieses Verhängnis der Dialektik der Aufklärung, es macht den Wunsch nachvollziehbar, sich radikal davon befreien zu wollen. Aber die Übersprungshandlung, die Unschuld daraufhin in der Unfreiheit zu suchen, ist mindestens ein genauso alter Teil der ganzen Geschichte.
Der Tendenz nach ist dieser Übersprung das Modell gegenwärtig populärer linker Zukunftsvisionen, und zwar in zwei Varianten der Externalisierung von Schuld: Einerseits als Schuldzuweisung an das Monster Kapitalismus und dessen unersättlichen Expansions- und Wachstumszwang, der die Alternative einer Postwachstumsökonomie nahelegt – oder gleich den Notstand der ökoleninistischen Diktatur. Andererseits wird die Schuld noch fundamentaler oder »radikaler« bemessen, als Anklage an die Aufklärung, etwa in den Visionen der Propheten des Anthropozäns. Der Postkolonialismusvorreiter Dipesh Chakrabarty plädierte etwa angesichts des alles erschütternden Klimawandels für eine planetarische Perspektive, die den Menschen bewusst dezentrieren soll. Den Planeten als ein eigenständiges Subjekt zu begreifen, ist auch die Pointe von Bruno Latours Interpretation der Gaia-Hypothese. Während wir in der naturbeherrschenden Zivilisation immer nur über die Natur geredet hätten, tauche sie jetzt als eigenmächtiges »Wesen, das schwierig zu bestimmen ist« auf.
Wie bequem, dass die Verantwortung nun also bei einer fremden Macht liegen kann, die wir gar nicht mehr verstehen wollen oder können. Von da aus kann Naturdemut zur Unterwürfigkeit werden und es ist dann auch gar nicht mehr so weit, die Existenz derjenigen in Zweifel zu ziehen, die sich der Naturnotwendigkeit nicht fügen.
Trostpflaster Marxismus
Unterwürfigkeit ist damit die Kehrseite der Suche nach einem Schuldigen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Katastrophenszenarien, die zum Naturgötzendienst tendieren, ihre Ergänzung in einem Revival des Marxismus finden. Das, was man gemeinhin als marxistische Theorie bezeichnet, erfährt in der Tat eine kleine Hochkonjunktur. Nach der Selbsterschöpfung postmoderner Theorieproduktion, unendlicher Ausdifferenzierung und immer radikalerer Bestimmung gesellschaftlicher Unbestimmtheit sind nicht nur die großen Fragen nach Kapitalismus und der Gesellschaft als Ganzer erneut auf dem Tisch. Wir können heute wieder zu allen möglichen Fragen Marx konsultieren, die Bücher liegen im Überfluss vor und breiten mit Nachdruck die Feststellung aus, dass im Kapitalismus eben alles sehr notwendig miteinander zusammenhängt.
Vor knappen zwei Jahren landete der dänische Nachwuchsmarxist Søren Mau mit seiner Analyse der ökonomischen Macht im Kapitalismus einen internationalen Erfolg. Der Stumme Zwang halte also die heterogene Gesellschaft im Inneren zusammen. Die Feminismusikone und marxistische Gesellschaftstheoretikerin Nancy Fraser präsentierte jüngst den Allesfresser Kapitalismus, der den verschiedenen gesellschaftlichen Leiden von Sexismus bis Kolonialismus als System zugrunde liege. Fanatiker wie Andreas Malm machen aus der globalen Krise zwischen Klimawandel, gesellschaftlicher Regression und Wirtschaftskrisen gleich den Übersprung zum Notstand, der zur ökoleninistischen Tat drängt. Dabei rechnet er gerne auch mal vor, wie viele Tote man in Kauf nehmen könne im Kampf gegen das tödliche Monster Kapitalismus. Schließlich wurden die Arbeiten des japanischen Philosophen Kohei Saito zu Marx’ Ökologie und Degrowth Communism zum Bestseller, 250.000 Mal verkaufte sich sein Buch Marx in the Anthropocene binnen kurzer Zeit, sein auf Bahnhofsbuchhandelniveau reduziertes Sachbuch Systemsturz begeistert das deutsche Feuilleton.
Die Eindeutigkeit, mit der Kapitalismus als das Problem benannt wird, kommt allerdings nicht aus analytischer Klarheit. Was ist denn aus dem letzten Jahrhundert marxistischer Selbstkritik geworden, die den ökonomischen Reduktionismus verwarf und sich in komplexesten Diskussionen über die Schwierigkeit verlor, wie sich Gesellschaft als ein kapitalistisches Ganzes überhaupt begreifen ließe? Entweder werden diese Debatten einfach ignoriert, weil sie sich lange genug schon so sehr ins Abseits manövriert hatten, dass man nun mit einem frischen Aufguss marxistischer Trivialitäten gewinnen kann. Oder aber es geht bei diesen Kapitalismuskritiken nicht um Erkenntnis, sondern um Not. Die Not nämlich, das man nicht weiß, wohin mit der Verantwortung für eine menschliche Geschichte, die sich selbst den Garaus macht. Während manche die Schuld im ökologisch korrekten Konsum überkompensieren, trösten sich andere eben daran, dass Marx schon immer Recht hatte – und sie das zumindest wussten.
Geschichte und Klimabewusstsein
Ein intakter Marxismus, wie er angesichts der Klimakatastrophe den klassischen Klassenkampf empfiehlt, ist daher eher die Fantasie einer Entlastungserzählung. Darüber stritt man sich schon im letzten Jahrhundert, zur Zeit jener großen Krise des Marxismus. Vor ziemlich genau 100 Jahren fielen die Genoss:innen der Ersten Marxistischen Arbeitswoche von der Diskussion über die Weltrevolution in das Sommerloch der postrevolutionären Depression, oder zumindest der Vorform dessen. Die große Erkenntnis zu den damaligen »Behandlungsarten der gegenwärtigen Krise« war, dass die ausbleibende Revolution vor allem ein Problem des fehlenden Klassenbewussstseins darstelle. Ist das nicht schon eine schöne Brücke in die Gegenwart, in der es aller Ortens am nötigen Klimabewusstsein zu mangeln scheint?
Gemeint war aber nicht nur die fehlende Aufklärung, respektive Agitation, um den Leuten endlich die Augen für das große Übel Kapitalismus zu öffnen. Schon damals stellte diese Sichtweise mehr ein Problem als eine Lösung dar, denn sie setzte voraus, dass jene richtige Erkenntnis vorliegen würde, mit denen den Menschen ihr falsches Bewusstsein ausgetrieben werden konnte. Dem muss man nicht den Relativismus entgegenhalten, niemand würde jemals über eine objektive Wahrheit verfügen. Die angemessenere Frage ist stattdessen: Was bedeutet es eigentlich für unsere Erkenntnis des bösen Kapitalismus, wenn diese unter denselben gesellschaftlichen Bedingungen zustande gekommen ist, wie das falsche Bewusstsein der anderen? Eine solche Selbstreflexion gewinnt natürlich weder einen Preis im unmittelbaren Kampf um die Revolution noch im scheinbaren Überlebenskampf der Menschheit gegen den Untergang ihrer Lebensgrundlagen. Dass das so ist, war aber seit jeher Teil des Verhängnisses, aus dem sich bis heute alle mit Radikalität befreien wollen – aber eben nicht in der nötigen Konsequenz.
Wenn also der Marxismus gut und richtig ist, muss die Schuld ja irgendwo anders liegen. Entsprechend tendiert der Mythos vom Marxismus zu jener Radikalität, dass das eigene Leben gänzlich dem Dienst an der Sache unterstellt werden müsse, unterlegt mit der Notstandsrhetorik des »Jetzt oder Nie«. Die kämpferischen Marxist:innen jener Zeit müssen wohl Tag und Nacht umgetrieben gewesen sein von ihrer historischen Mission, opferbereit und, naja, fanatisch eben. Was aber, wenn das Nachdenken über die Notwendigkeit, die universelle Klasse müsse endlich zu sich selbst kommen, zu jener Zeit ähnlich unspektakulär verlief wie die heutige politische Apathie gegenüber der drohenden Katastrophe? Waren sie damals von der Diskussion über Korschs Erneuerung des Marxismus durch ein Zurück zu Marx und Lukács’ Klassenbewusstseinsfragen direkt in den Sommerurlaub gefahren? Fand das Ringen um die gerade noch so greifbare Aussicht auf eine proletarische Weltrevolution inmitten der Organisation von Lohnarbeit, Kindern und Familienbesuchen, den Sorgen um steigende Mieten, Energiepreise und Hyperinflation statt?
Wer hat Schuld?
Aus diesem Umstand hat der britische Historiker Perry Anderson 1976 einer ganzen Generation von »westlichen Marxisten« einen Strick gedreht. Ihre Verbürgerlichung habe sie die Revolution verraten lassen. Hätten sie, die theoretische Avantgarde, mehr an die Sache geglaubt, wären der Bewegung treu geblieben und hätten entsprechend mehr Opfer gebracht, vielleicht wäre es ja dann was geworden mit der Revolution. Dass es nichts geworden ist, beweise ja zumindest, dass sie etwas falsch gemacht haben.
Diese Vorstellung, die sich bei aller Seltsamkeit übrigens bis in die neuen Sozialismen von heute gehalten hat, hat eine gewisse Strukturanalogie zum Umweltsau-Vorwurf und der ständigen Empörung darüber, wie wir denn angesichts der offensichtlichen Klimakatastrophe nur so weiter machen könnten wie bisher. Die vermeintliche Radikalität ist hier noch bürgerlicher, sprich idealistischer, als ihr imaginierter Revolutionsverrat. Denn sie holt nicht nur die Verantwortung auf die Ebene des Individuums und dessen Entscheidungen herunter, sondern entfaltet das geradezu religiöse Argument, dass Glaube eine Kraft sei, die Berge versetzen könnte.
Anders gesagt: Dass man inmitten der Katastrophe – und viele bemühen ja das Bonmot Walter Benjamins, dass die Katastrophe eben ist, dass es weitergeht wie bisher – noch ein bürgerliches Leben leben muss, sprich lohnarbeitet, Kinder versorgt, Freizeit genießt oder Urlaub macht, sich um die Karriere sorgt etc., ist Ausdruck einer Schuld. Aber hier taucht sie verdreht auf: als Fantasie gegen die gesellschaftliche Ohnmacht, die Rechte etwa in ihrem Souveräntitätsfetisch kompensieren. Schuld bedeutet dann, dass es doch einen Handlungsspielraum gäbe, eine Restmöglichkeit zum »richtigen Leben im Falschen«, paradoxerweise also Hoffnung.
Die Schuldfrage – ob der Kapitalismus, die Aufklärung oder die Einzelnen – ist damit, wie man so schön sagt, in Ideologie übergegangen. Einzig aus dem Grund, weil hier nicht aufgehoben ist, wie Schuld und Ohnmacht zur selben Bewegung gehören. Ohnmacht tendiert zur Schuldzuweisung, Schuld zu Verdrängung und Apathie, eine Spirale, die sich bis zur Destruktion winden kann – und wenn es nicht die Zerstörung der Naturgrundlage ist, dann eben die der Zivilisation. Die Entlastungs- respektive Befreiungsfantasien, und seien sie noch so radikal, sind Ausdruck dieses Zusammenhangs, nicht deren Überwindung. Ein altes und, man könnte meinen, altbekanntes Phänomen, das man eben Ideologie nennt und das, je unauflöslicher man in ihr verstrickt ist, eher noch zum Hass auf die Freiheit verleitet, aus der die unerträgliche Schuld sich ergibt.
Emanzipatorischer Mindestabstand
Nun wirkt dieses Einmaleins der Ideologiekritik wie aus der Zeit gefallen, unangebracht gegenüber den wirklichen Herausforderungen, den herbeischnellenden Kipppunkten, Dürren, Hitzen, Überschwemmungen, dem ganzen Leid, das jetzt schon von der dystopischen Prophezeiung in die Gegenwart katapultiert wurde. Wo angesichts der Katastrophe jeder gute Rat teuer ist, wer wird da noch den wenigen Rezepten in die Suppe spucken wollen? Vielleicht ist es eben die einzige und damit beste Hoffnung, dass den Menschen ihre Abhängigkeit von der unbelebten Umwelt zur Spiritualität gerät, ein Bewusstsein davon, dass die verknappten Ressourcen und schwindenden bewohnbaren Erdteile mit einer Rationalität der »Einsicht in die Notwendigkeit« verwalten lässt.
In solch einer Welt ist die kritische Distanz zu sich selbst dann wie ein Urlaubsflug, Plastikstrohhalm und Kinderkriegen: eine Dekadenz, die wir uns im Notstand nicht mehr leisten können. Vom Meckern über den Verzicht, wie jüngst Magnus Klaue über den Verlust des Plastikeislöffels jammerte, unterscheidet sich die Selbstkritik allerdings. Sie ist wirklich das Element, welches eine menschliche Gesellschaft vom Leben in der bloßen Naturnotwendigkeit unterscheidet, die Grundlage des Verhängnisses von Freiheit und Naturbeherrschung, jene »Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, [die…] in der Distanz zur Sache [gründet], die der Herr durch den Beherrschten gewinnt«, wie es in der Dialektik der Aufklärung heißt.
Sie ist der Moment der Entfremdung, die ja für alles Unheil von der rechten Arbeiterschaft bis zum naturzerstörerischen Kapitalismus herhalten muss, aber zugleich das einzige, was das spontane Bewusstsein vom bloß organischen Produkt jener Verhältnisse unterscheiden kann, die ja offensichtlich das Ganze des Verhängnisses bilden. Wenn es also eine zivilisatorische Errungenschaft gibt, die kein Nachdenken über mögliche Zukünfte in und über die kommenden Katastrophen hinaus verwerfen darf, dann ist es die Fähigkeit sich zu fragen: Wie hängt meine eigene Sicht auf die Welt – auf ihre Schlechtigkeit und Probleme, in marxistischer oder religiöser Grammatik, mit Klassenkampfhoffnung oder Klimaangst, in ärgster Bedrängnis oder dekadenter Distanz – mit jenem Ganzen zusammen?
Und es meint nicht einmal jenen selbstgerechten Pessimismus, der der Ideologiekritik immer vorgehalten wird, nicht die Selbstsabotage, dass man im Schlechten ja ach so unausweichlich verfangen sei. Es meint die Reflexion darauf, welche Momente dieses Verhängnisses, aus dem man sich am liebsten radikal freikämpfen will, überhaupt erst die Grundlage dafür sind, dass man leidend und fühlend sich eine bessere Welt wünschen kann. Damit ist freilich noch nichts gewonnen, aber ohne diese Selbstkritik ist alles verloren.
Alex Struwe
Der Autor macht Gesellschaftstheorie und Kulturkritik, allein deshalb will er die Zivilisation erhalten.