Verspannte Frauen, coole Männer

Gleichheitsvorstellungen und Arbeitsteilung in heterosexuellen Paarbeziehungen

Paare aus dem alternativen, urbanen Milieu sind ihrem Selbstverständnis nach egalitär und meinen, Geschlechterrollen und die historisch mit diesen einhergehende Arbeitsteilung überwunden zu haben: Beide sind in der Regel erwerbstätig, wer die Haus- und Sorgearbeit macht, sei kein Thema – man teile sich alles. Doch betrachtet man ihre Praktiken und deren Aushandlung, so zeigt sich, dass paradoxerweise gerade ihre Orientierung auf Gleichheit und ihr Verständnis von Partnerschaftlichkeit zu sehr ungleichen Vereinbarungen führt. Was aber heißt das für eine emanzipatorisch-feministische Analyse und (Alltags-)Praxis? Und was bedeutet eigentlich Egalität?

Die bürgerliche Ernährerehe, die erst im Zuge des Fordismus weitgehend durchgesetzt und in (West-)Deutschland besonders gehegt und gepflegt wurde, war als zentrale Institution für die Aufrechterhaltung der Geschlechterrollen stets Gegenstand der Kritik der Frauenbewegung. Zur Erosion dieses Modells haben vor allem die Senkung des Lohnniveaus und die Abschaffung des »Normalarbeitsverhältnisses«, der Sozialabbau im Zuge der Krisen der letzten Jahrzehnte und nicht zuletzt der Umbau der Erwerbslandschaft hin zu einer sogenannten Dienstleistungsgesellschaft beigetragen.

Was heißt das nun für Geschlechterverhältnisse, für Weiblichkeits- und Männlichkeitsvorstellungen und für Arbeitsteilungen, wenn Männer nicht mehr Ernährer sind? In einer qualitativen Studie haben wir gemeinsam haushaltende heterosexuelle Paare untersucht, in denen die Frauen mehr verdienen als ihre Partner, die prekär beschäftigt oder nicht erwerbstätig sind. Im Forschungsprojekt »Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist…«, das am Institut für Soziologie der TU Darmstadt durchgeführt wurde (Projektleitung: Cornelia Koppetsch), haben wir insgesamt 29 Paare unterschiedlicher sozialer und regionaler Herkunft, Ausbildung und Berufe erst getrennt und dann gemeinsam befragt. Wir wollten wissen, zu welchen Aushandlungen und Arrangements es in solchen Paarbeziehungen kommt. In Deutschland ist inzwischen bei 13 Prozent aller Paare mit Kindern die Frau Hauptverdienende, Tendenz steigend. In anderen Ländern ist die Prozentzahl teilweise auch höher: In den USA sind es etwa 15 Prozent, http://0cn.de/pro9, in Großbritannien, gemäß den erhobenen Daten des Institute for Public Policy Research, bereits ein Drittel. Die Dynamiken und Mikropolitiken von Paaren zu untersuchen, erfordert dabei nicht nur, Selbstverständnisse und Leitbilder zu erfragen, sondern auch, ihre Praktiken und verborgene Spielregeln in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus erscheint es wichtig, unterschiedliche soziale Lagen zu beleuchten: Denn »Mann- oder »Frau-Sein« bedeutet nicht in allen Klassenlagen respektive Sozialmilieus das gleiche. In Folge der kultursoziologischen Wende nach Pierre Bourdieu gab es in der deutschsprachigen Soziologie eine Renaissance des Milieubegriffs. Wir orientieren uns dabei an Ansätzen, in denen die ökonomische Lage weiterhin als zentrales Kriterium sozialer Milieus verstanden wird, darüber hinaus aber auch Fragen der Distinktion durch Lebensstile und Wertorientierungen eine Rolle spielen. Das Geschlechterverhältnis verstehen wir dabei nicht als Variable, das den Milieucharakterisierungen hinzugefügt werden kann – insofern kritisieren wir auch additive Intersektionalitätsansätze –, sondern als linking concept: die Leitbilder und Vorstellungen von Geschlecht unterscheiden sich und sind konstitutiv für die jeweiligen Milieus. Anders gesagt: Es gibt kein vor oder unabhängig von der Klassendifferenzierung bestimmbares Verhältnis von Macht und Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ( Cornelia Koppetsch/Günter Burkart, Die Illusion der Emanzipation. Zur Wirksamkeit latenter Geschlechternormen im Milieuvergleich, Konstanz 1999). Und auch Gerechtigkeitsvorstellungen unterscheiden sich.

Fifty/fifty

Nehmen wir ein typisches Paar aus dem urbanen Selbstverwirklichungsmilieu: Frank und Lisa leben in Berlin. Sie sind beide Mitte 30 und haben ein gemeinsames knapp einjähriges Kind. Sie ist selbstständige Architektin, er hat das gleiche studiert, fertigt aber freiberuflich in einer kleinen Werkstatt Schilder an. Mit seiner handwerklichen Kreativ-Arbeit verdient er deutlich weniger, das Paar strebt dennoch an, sich die Kosten zu teilen. Auch hinsichtlich der Haus- und Erziehungsarbeit wollen sie halbe/halbe machen. Faktisch führt diese Vereinbarung allerdings dazu, dass Lisas Belastung deutlich höher ist: Die ersten Monate hat sie gestillt und gleichzeitig, von Zuhause aus, einige Projekte weitergeführt, da ihr Einkommen das »sicherere« ist und sie nicht aus dem Job herausfallen wollte. Auch heute noch arbeitet sie an den Tagen, an denen sie bei dem Kind bleibt, das heißt die Hälfte der Werktage, von Zuhause aus. Dadurch ist sie mehr oder minder in Vollzeit erwerbstätig und versucht zugleich, »ihren« Anteil der Sorgearbeit zu übernehmen. Frank hat im Prinzip mehr Zeit zur Verfügung, da er nur unregelmäßig Aufträge hat, aber auch er ist die Hälfte der Woche in seiner Werkstatt. Das Paar erachtet dieses Arrangement als fair, sowohl hinsichtlich des finanziellen Beitrages respektive der Teilung der Kosten, als auch hinsichtlich der Arbeitsteilung. Auf die Frage, ob sie es gerecht fände, wenn Frank mehr Hausarbeit übernehme, da sie mehr verdiene, antwortet Lisa vehement, das habe damit überhaupt nichts zu tun – dafür gebe es im Notfall immer noch das »Prinzip Putzfrau«.

Sehen wir uns noch ein anderes Paar an: Annabella und Thomas, auch aus Berlin, beide Mitte 50. Auch Annabella und Thomas haben ein gemeinsames Kind. Sie arbeitet in der Filmbranche, Thomas ist freiberuflicher Regisseur, und da er nur ein unregelmäßiges Einkommen hat, hat Annabella stets die gemeinsamen Lebensunterhaltskosten getragen. Auch den Alltag hat sie in der Regel gestemmt und die Tochter zeitweilig sogar fast allein großgezogen, weil Thomas projektbedingt oft auf Reisen und Tourneen war. Wenn er da war, sagt Thomas, habe er allerdings darauf geachtet, dass »der Kühlschrank immer voll ist, dass die Küche sauber ist«. Auch dieses Paar versteht die Beziehung als egalitär.

Für dieses Sozialmilieu – in der Regel in Städten lebende Akademiker_innen mit Selbstverwirk-lichungsberufen (Kreative, Geistes- und Sozialwissenschaftler_innen, Freiberufler_innen und Selbstständige, teilweise auch als alternative Handwerker_innen) – sind diese Fallgeschichten typisch. Paare aus diesem »individualisierten« Milieu?Ebd. antworten auf die Frage nach der Aufteilung ihrer Hausarbeit grundsätzlich: fifty/fifty. Der Grund dafür sind die geteilten Normen. Individualisiert sind diese Paare, da die Lebensführung – unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen – ihre Persönlichkeit zum Ausdruck bringen soll, insbesondere auch in der Erwerbsarbeit. Man nimmt für sich in Anspruch, sich von Geschlechterrollen befreit zu haben – weder Männer noch Frauen seien auf eine Sphäre festgeschrieben, und so geben die Paare an, sich die anfallenden Aufgaben im Haushalt zu teilen. Fragt man weiter und nach einzelnen Tätigkeiten, ergibt sich jedoch ein anderes Bild.

Wer mehr putzt ist selbst schuld

Dabei fällt bei näherer Betrachtung die ungleiche Bewertung von Tätigkeiten in den Erzählungen auf: So sagt etwa Annabella, Thomas koche »super und wunderbar und kann wunderbar Gäste und Freunde einladen und dann toller Gastgeber sein«. Sein aufwendiges – und außeralltägliches – Kochen, gerne auch für und vor anderen, wird besonders betont. Der Rest, all die hochrepetitiven kleinen Tätigkeiten des Alltags, wie etwa die Wäsche, die »eigentlich ja die Maschine« erledige, wird heruntergespielt: Das passiere so »auf Zuruf«. Historisch ging mit der Abwertung der Hausfrauenrolle auch eine Entwertung ihrer Tätigkeiten einher. »Hausarbeit finden wir nicht so wichtig«, ist ein oft gehörter Satz bei Paaren aus diesem Milieu, das sich genau dadurch von anderen abgrenzen möchte. Entsprechend ist sie auch nicht der Rede wert. Das Kochen, das gern als Form des »savoir vivre« und Ort der kreativen Entäußerung betrachtet wird, stellt typischerweise die Ausnahme dar. Dass Männer sich dieser Tätigkeit inzwischen vielfach angenommen haben, erscheint nicht zufällig.

Dennoch muss auch die andere Hausarbeit gemacht werden, meist von derjenigen, die es aufgrund routinierter Praktiken »eben schnell« macht und deren »Sauberkeitsschwelle einfach ein bisschen niedriger ist« – sagt auch Annabella von sich. Die Notwendigkeit alltäglicher Reproduktion wird somit charakterlichen Eigenarten zugerechnet: Wer einen Sauberkeitsspleen habe, sei selbst schuld und müsse halt mehr putzen. Fast scheint es, als müssten sich die Frauen, die (in der Regel) mehr Hausarbeit übernehmen, dafür rechtfertigen. Einen gemeinsamen höheren Standard durchzusetzen, kommt offenbar nicht in Frage. Sich über Hausarbeit zu streiten, gilt als spießig und unsexy – lieber lässt man das Aufrechnen bei diesen Tätigkeiten gleich sein und entscheidet sich, eine Hausarbeiterin anzustellen, nicht zuletzt, um Konflikte zu vermeiden. Das weiß auch die Zeitschrift Glamour (11/2013), die im Sinne der Beziehungsstabilität empfiehlt, statt genau rumzurechnen (was ein Liebeskiller sei) lieber »den Besen an eine Putzhilfe abzugeben« und mehr zu »küssen, weniger [zu] meckern«.

Das »Prinzip Putzfrau« hatte auch Lisa genannt: Es komme überhaupt nicht in Frage, dass ihr Partner, wenn sie mehr Aufträge habe, mehr Hausarbeit übernehme. Warum eigentlich nicht? Die Vorstellung von Gleichheit, die dieses Milieu hat, birgt die Gerechtigkeitsannahme einer vermeintlich objektivierten symmetrischen Reziprozität: Beide sollen die Hälfte der anfallenden Lasten – der gemeinsamen Kosten und der Hausarbeit – übernehmen. Das Paar würde sich also nicht mehr als egalitär verstehen, wenn Frank einen Tag mehr zu Hause bliebe und die anfallende Sorgearbeit übernähme. Gleichheit meint in diesem Milieu berufliche Gleichheit: Beide sollen die Möglichkeit haben, sich selbst zu verwirklichen – das heißt in der Regel, in der Erwerbsarbeit. Die private Sphäre gilt nicht als der Ort, an dem das möglich ist. Hausarbeit ist und bleibt das abgewertete Feld partnerschaftlicher Beziehungen. Zeitlich, das heißt in der Belastung, bedeutet dies allerdings eine beträchtliche Ungleichheit – insbesondere bei Paaren wie den vorgestellten, in denen Frauen für das regelmäßige Einkommen sorgen.

Lässige (Um-)Wertungen

Interessanterweise hörten wir bei unseren Interviews in diesem Milieu ebenso häufig wie das wörtliche fifty/fifty, dass die Männer ihre Partnerinnen »runterbringen« würden. So bezeichnet sich Frank als den »Ruhepol« der Beziehung, und Tom, ein anderer Interviewpartner, formuliert hinsichtlich seines Beitrages in der Beziehung, dass er »die Sache« beruhige und antwortet auf die Frage, was seine Freundin Maike an ihm attraktiv finde, dass sie seine Ausgeglichenheit schätze. Die Partnerinnen gelten umgekehrt – auch in ihrem Selbstverständnis – als anspruchsvoll, ehrgeizig und eher unentspannt.

Was bedeutet diese wiederkehrende charakterliche Gegenüberstellung? Haben wir es mit einer Umkehrung klassischer Geschlechterrollen zu tun – sind es bei beruflichen erfolgreichen und gestressten Frauen nun ihre männlichen Partner, die sie zu Hause trösten und beruhigen? Vielleicht. Doch unsere Interviews legen primär eine andere Deutung nahe. Denn mit eben diesen charakterlichen Zuschreibungen geht die Inszenierung einer coolen Attitüde einher, die als neue Variante von Männlichkeit verstanden werden kann. Die gelassenen und entspannten Männer grenzen sich nämlich nicht nur von der angeblichen Verspanntheit ihrer Partnerinnen ab, sondern zugleich auch von gesellschaftlich hegemonialen Leistungs- und Erfolgsnormen – die im Kern der klassischen Konstruktion »hegemonialer Männlichkeit« (Connell) stehen?Cornelia Koppetsch/Sarah Speck, Coolness als Strategie männlichen Statuserhalts in individualisierten Paarbeziehungen, in: Cornelia Behnke u.a. (Hrsg.), Wissen – Methode – Geschlecht: Erfassen des fraglos Gegebenen, Wiesbaden 2014. . So betont Frank, dass er sich kaum um Aufträge bemühe, Interessenten vielmehr zu ihm kämen, und dass es ihm nicht darum gehe, viele Kunden zu haben, sondern Qualitätsarbeit abzuliefern. Seine coole Art impliziert dabei emotionale Distanz und damit eine affektive Überlegenheit und Beherrschtheit. Sie steht aber auch für Karriereabstinenz und damit für eine höhere Form der Authentizität. Seine kreative Arbeit gilt gewissermaßen als nicht-entfremdet, an der Sache orientiert und steht dem beruflichen »Ehrgeiz« seiner Partnerin Lisa gegenüber. Damit erhält allerdings auch ihr finanzieller Beitrag eine andere Bedeutung: Ihr Geld wird zum Ausdruck einer Charaktereigenschaft – und kann somit aus der partnerschaftlichen Ökonomie herausgerechnet werden. Der umgekehrte Fall wäre schwer vorstellbar und auch bisherige empirische Studien zu Paaren, in denen die Konstellation des Mehrverdienstes andersherum, also »klassisch« ist, zeigen – auch für dieses Milieu –, dass ein höheres Einkommen des Mannes in aller Regel nicht abgewertet wird.  Wer mehr verdient, ist ebenfalls selbst schuld. Entsprechend stellen sich auch die regelmäßigen Konflikte um Geld aus Franks Perspektive dar: Lisa könne finanzielle Angelegenheiten nicht einfach mal »vor sich hinlaufen« lassen, sie müsse immer wieder dieses Geldthema aufmachen. Interessanterweise teilt Lisa die Grundkonstruktion seiner Deutung: Sie findet es toll, dass Frank nicht so »geldgeil« sei und grenzt sich von »Leuten« ab, die aufgrund ihrer Orientierung auf Wohlstand nicht »leben« könnten. Über Geld zu reden oder gar zu streiten ist in diesem postmaterialistischen Milieu ebenso wenig attraktiv wie der Haushalt. Sich als ökonomische Einheit zu begreifen, zerstört die in diesem Milieu besonders gepflegte Romantik, in der es vor allem um die Individualität des Anderen geht, und die Illusion einer egalitären Partnerschaft, deren Gleichheit sich über Autonomie bestimmt: Angeblich ist keine(r) auf den oder die andere(n) angewiesen.

Liberté, Egalité... Authenticité

Obwohl Lisa sich mit der finanziellen Situation unsicher fühlt, insbesondere, da sie sich ein zweites Kind wünscht, und überlegt, ob Frank seine Schilder nicht als »Hobby« von zu Hause aus herstellen könnte, damit so zumindest die Werkstattmiete gespart werden könnte, fordert sie genau das letztlich nicht ein. Denn auch sie möchte einen Partner, der beruflich »sein Ding« macht. Die Idee partnerschaftlicher Gleichheit ist nicht nur mit der Vorstellung von Autonomie, sondern auch mit Authentizität verknüpft: Individuelle Selbstverwirklichung wird bei Ignorierung der Aufgaben, die anfallen (etwa die Fürsorge der Kinder), in diesem Milieu zur Pflicht. Die Kehrseite davon – nicht »sein Ding« zu finden – ist, so zeigt unser Material, die Depression, die obwohl sie kulturgeschichtlich eine »weibliche« Krankheit ist, im Kreativmilieu zunehmend auch bei Männern (selbst-)diagnostiziert wird.

Viele Paare scheinen unter ihrem Gleichheitsanspruch, so lässt sich zumindest aus unserem Material folgern, beträchtlich zu leiden. Die Einhaltung der Gleichheitsnorm erhält dogmatischen Charakter; man will sich nicht als Partnerschaft delegitimieren. Dies spiegelt sich auch in gängigen Finanzarrangements. Individualisierte Paare haben in der Regel getrennte Kassen und Konten. Der Gleichheitsanspruch ist meist auch hier fifty/fifty. Allerdings können die von uns befragten prekär beschäftigen Männer ihren Anteil der Kosten in der Regel nicht tragen. Anstatt dass dies zu einem neuen Arrangement führen würde, gibt es regelmäßige Transaktionen: Leihgaben, Einladungen zum Urlaub etc. – alles, um das Selbstbild einer egalitären Partnerschaft nicht zu beschädigen und den Mehrverdienst der Frau zu verbergen, der ja primär Ausdruck ihres Charakters sei. Doch anders als die Paare meinen, bedeutet dieses Finanzarrangement, das die Unabhängigkeit beider durch getrennte Kassen bezeugen soll, ein erhebliches Machtpotential. Denn diejenige, die die Transaktionen vornimmt, kann auch über die Spielregeln entscheiden, also darüber, wann das Geld zurück gefordert oder zumindest daran erinnert und insofern ein Regelbruch der Gleichheit inszeniert wird, oder wann das geliehene Geld »vergessen« und damit latent geschenkt wird. Wiederum ein anderes Paar: Kerstin möchte Rüdiger einen

gemeinsamen Spanisch-Sprachkurs zum Geschenk machen. Dieser besteht jedoch darauf, sich das Geld für den Sprachkurs von ihr zu leihen. Nach einem halben Jahr fordert sie den Betrag zurück. Als er das Geld nicht zurückzahlen kann, kommt es zum Konflikt. Kerstin besteht durch die Forderung nach Rückzahlung auf der ursprünglichen Definition der »Leihgabe«, führt ihm durch die Inszenierung eines »Vertragsbruchs« seine Abhängigkeit vor Augen und zeigt zugleich, dass sie die Spielregeln durchsetzt.

 Hierin besteht bei den von uns befragten Paaren die Gegenmacht der Frauen zur Abwertung ihres Geldes durch den Karrierewurf und zur Unsichtbarmachung ihrer Position im partnerschaftlichen Gefüge: der Ernährerinnen, die sie faktisch sind, aber nicht sein dürfen.

Solidarität als Grundlage anderer Ökonomien

Tatsächlich gibt es in wertkonservativen Milieus Arrangements bei Familienernährerinnen-Konstellationen, die sich als weniger ungleich erweisen. Im »familistischen« Milieu?Koppetsch/Burkart, Illusion der Emanzipation. – dem sozialstrukturell typischerweise mittlere Angestellte, Beamte sowie häufig Menschen mit Sozialberufen und christlicher Wertorientierung zuzuordnen sind – ermöglicht die Orientierung auf Familie und Gemeinschaft einen anderen Umgang mit zeitlichen Belastungen. Die normative Grundlage des partnerschaftlichen Leitbildes ist hier nicht Gleichheit (qua Autonomie und Selbstverwirklichung), sondern Solidarität. Den Alltag am Laufen zu halten, die Kinder, die in diesem Milieu eine Selbstverständlichkeit sind, gut zu versorgen und die gemeinsame Zeit in der Familie haben hier einen gleichen, wenn nicht einen höheren Wert als die berufliche Sphäre. Erwerbs- und Hausarbeit gelten gleichermaßen als Beitrag zum Gemeinsamen. Dies drückt sich auch im »Zusammenwerfen« des Geldes aus, durch das – wie bei anderen Modellen gemeinschaftlicher Ökonomien, etwa Finanz-koops – auch die finanzielle Prekarität abgefedert wird. Während berufliche Selbstverwirklichung im individualisierten Milieu derart zentral ist, dass man noch so schlecht bezahlte Kreativ-Projekte, Lehraufträge etc. macht, lächelt man hier genau darüber: Lohnarbeit gilt eher als Notwendigkeit, um das Familienleben aufrecht zu erhalten. Die private Sphäre ist nicht abgewertet – im Gegenteil. Auf dieser Basis gelingt das, war für egalitätsorientierte Akademiker_innenpaare nicht in Frage käme, vergleichsweise unproblematisch: Männer übernehmen – so zeigen unsere empirischen Ergebnisse?–  hier mehr Haus- und Sorgearbeit als ihre in der Erwerbsarbeit stärker belasteten Frauen.

Dieses wertkonservative Milieu erweist sich also in dem Sinne als fortschrittlicher, als dass Männlichkeit und Weiblichkeit hier tatsächlich weniger an die traditionellen Sphären gebunden sind. Die sich als avantgardistisch verstehenden Selbstverwirklichungspaare, die glauben, gerade dadurch gleichberechtigt zu sein, dass beide ganz authentisch »ihr Ding« machen und vollkommen autonom, wenn nicht autark, sind, bleiben latent eher einer geschlechtlichen Rollentrennung verhaftet. Frauen machen typischerweise alltäglich routiniert mehr Care Arbeit, dürfen dies aufgrund der Abwertung dieser Tätigkeiten jedoch nicht thematisieren. Männer bleiben der Anforderung an berufliche Selbstverwirklichung verhaftet.

Zur Kritik des hysterischen Materialismus

Die politisch emanzipatorische Schlussfolgerung daraus kann sicherlich nicht sein, sich wieder an dieser Art von heterosexuellem Kleinfamilienmodell und einer Trennung von Sphären zu orientieren. Aber ein Blick auf die Implikationen der unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen sollte zu denken geben. Die normative Orientierung großstädtischer, individualisierter Paare auf Autonomie, Authentizität und Gleichheit bezieht sich letztlich auf die Erwerbssphäre. Autonomie meint finanzielle Unabhängigkeit und drückt sich in getrennten Kassen aus. Dass jede_r für sich selbst verantwortlich sein solle, bestätigt letztlich die (Anerkennungs-)Logik des Marktes unter Ignorierung unterschiedlicher Entlohnung. Der Zwang zur Autarkie und beruflichen Selbstverwirklichung verhindert Arrangements (und es müssen ja nicht immer Zweierarrangements sein), in denen man sich solidarisch auffangen kann – monetär oder zeitlich. Anstatt eine Angewiesenheit einzugestehen, wird eher im Sinne der postmaterialistischen Norm behauptet, dass Geld keine Rolle spiele. Dass dies (leider) nicht stimmt, muss wohl kaum hervorgehoben werden. Unter den gegebenen kapitalistischen Bedingungen, in denen fast alle ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um überleben zu können, Erwerbsarbeit aber sehr unterschiedlich und Sorgearbeit zum großen Teil gar nicht entlohnt wird und »so nebenher« passieren soll, können eine fifty/fifty-Regel und das Postulat von Autonomie für private Lebensformen keine gute Idee sein. Es würde sich also lohnen, andere Modelle der Arbeitsteilung zu aktualisieren, in denen Belastungen anders und kollektiv – und tatsächlich jenseits der Geschlechterrollen – aufgefangen werden können.

Die Demonstration von Unabhängigkeit – nicht nur finanzieller, sondern auch emotionaler – fällt dabei männlich subjektivierten Personen zweifelsohne leichter. Eva Illouz, Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung, Berlin 2011. Die Errichtung eines coolen Habitus auf Basis von Autonomie und Authentizität (»ich brauch nicht viel und eigentlich niemanden und mache außerdem das, was ich will«) ist dabei jedoch nicht nur als (in diesem Sinne auch sympathischer) männlicher Gegenentwurf zu bestehenden Leistungs- und Erfolgsnormen zu verstehen, sondern auch als abermalige Abwertung historisch als weiblich konnotierter Arbeiten und Werte – und in gewisser Weise, zumindest im Falle unserer Paarbeziehungen, auch als verlängerter Hysterievorwurf: an die nun nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen unangemessen aufgeregte Frau.

Sarah Speck

Die Autorin ist Mitglied des Herausgeber_innen-Kollektivs Kitchen Politics – Queerfeministische Interventionen und der Naturfreunde Berlin.