Ungleichheit und Intervention

Eine Verortung im zeitgenössischen feministischen Feld erfordert, so scheint es zumindest, eine Entscheidung entweder für sozio-ökonomische oder symbolisch-kulturelle Ansätze. Postrukturalistische feministische Positionen stehen im Konflikt mit feministischer Kritischer Theorie, es wird ein Kampf um Deutungshoheit ausgefochten, die Lager sind gespalten. Über die Notwendigkeit jedoch, in Bezug auf die Kategorie Geschlecht widerständig handeln zu müssen, besteht angesichts von Phänomenen wie Sexismus, Heterosexismus, struktureller und sexualisierter Gewalt Einigkeit. Melanie Groß nimmt in Geschlecht und Widerstand nun die Perspektive ein, dass dieser Streit um Hegemonie ein Dilemma produziere, das aufgrund jeweils verschiedener Prämissen und jeweils unterschiedlich fokussierter gesellschaftlicher Verhältnisse nicht völlig lösbar sei, ebenfalls aber nicht zwingend ein Entweder-Oder produzieren müsse. Ihre Leitfrage ist daher, wie komplexe und paradox erscheinende Macht- und Herrschaftsformen überhaupt angegriffen werden können. Groß widmet sich beim empirischen Teil ihrer Arbeit der aktivistisch orientierten feministischen Szene innerhalb des linken Autonomen Spektrums einer mittelgroßen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Mithilfe dreier Gruppendiskussionen und dem Kodierparadigma der Grounded Theory zeichnet sie ein ausdifferenziertes Bild der Szene, in welchem die verschiedenen politischen Strategien und die damit verbundenen miteinander konkurrierenden Definitionen, Vorstellungen, Angriffsziele und Selbstverständnisse systematisiert herausgearbeitet sind. Zusammengefasst als ein Ganzes im Begriff der post-/queer-/linksradikal-feministischen Szene wird die spezifische Macht- und Herrschaftskonfiguration deutlich, die diese Szene durch ihre Widerstandsformen angreift und spiegelt. Drei zentrale Elemente sind: erstens normative Wahrheitsansprüche, zweitens identitäre Prozesse der Subjektivierung und drittens verfestigte strukturelle Ungleichheitsverhältnisse. Diesen verschiedenen Ebenen der symbolischen und strukturellen Ungleichheit wird mit dem Einsatz dreier Interventionsarten begegnet: mit Interventionen auf der Ebene der Repräsentation, mit Interventionen durch Skandalisierung und Sichtbarmachung und mit Interventionen durch Information und Aufklärung. Die paradoxen Effekte des Zusammenspiels dieser drei Interventionsarten und die damit verbundene Konflikthaftigkeit haben permanente Auseinandersetzungen zur Folge, die durch die verschiedenen Konzeptionen von Widerstand sichtbar werden. Komplexe Macht- und Herrschaftsverhältnisse können weder theoretisch noch politisch aus einer Position heraus umfassend ermittelt oder angegriffen werden. Groß plädiert dagegen, eine feministische Theorie zu entwickeln, die alle Unterordnungsverhältnisse analysiert. Vielmehr solle die selbstreflexive Debatte als Anstachelung und Provokation verstanden werden, die Kritik anderer feministischer Ansätze aufzunehmen, zu prüfen und damit zumindest den Versuch zu wagen, diese theoretisch einzubinden. In ihrem Text Feministischer Widerstand aus post-/queer-/linksradikal-feministischer Perspektive aus dem ebenfalls von Groß in Zusammenarbeit mit Gabriele Winker herausgegebenen Sammelband Queer-/Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse, der die Ergebnisse oben besprochener Dissertation prägnant zusammenfasst, fordert Groß: »Jede Form des Widerstandes erzeugt durch die Fixierung Ausschlüsse und muss genau deshalb stets umkämpft bleiben. Die Differenzen zwischen den Gruppen brauchen innerhalb der Szene ihren Platz. Es kann nicht darum gehen, Konsense zu erzwingen, sondern vielmehr ist der konflikthafte Charakter der Auseinandersetzungen die Möglichkeit, plurale und unentscheidbare Werte zu verhandeln, zu schärfen und zu präzisieren. In dieser Perspektive wird der Kampf um Bedeutungen nicht zu einem Phänomen, das konsensuell gelöst werden kann, sondern vielmehr drückt er die Anerkennung der Unlösbarkeit von Bedeutungskämpfen aus«. Was bleibt dem noch hinzuzufügen?

Melanie Groß: Geschlecht und Widerstand. post.. / queer.. / linksradikal..,Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Taunus 2008, 249 S., € 19,90.

KODU MIZUTA