Der Vorsitz im EG-Ministerrat ist durchaus mehr als bloße Formalie. Die jeweils zuständigen Mitgliedsstaaten nutzen das halbe Jahr, um politische Initiativen in der Gemeinschaft anzuschieben. Die konservative spanische Regierung, die diese Funktion derzeit ausfüllt, sieht die oberste Priorität im „Kampf gegen den Terrorismus" - ein Anliegen, das sie nach dem 11. September mit allen anderen Staaten teilt. So reiht sich auch die von Spanien und
Großbritannien vorgeschlagene Terrorismus-Defintion für die EU nahtlos in die derzeitige Sicherheitspolitik ein. Nach dieser soll u.a. die „unerlaubte Besitznahme öffentlicher Einrichtungen, öffentlicher Transportmittel, von Infrastrukturen, öffentlicher Orte oder Güter" usw. als terroristisch gelten. Eine derart weit gefasste Definition, die jeden Gewerkschaftsaktivisten als Terroristen durchgehen lässt, wird in den meisten anderen EG-Staaten wohl kaum auf Widerstand stoßen. Derartige Vorstöße, die der allgemeinen Entwicklung geschuldet sind, könnten jedoch gerade der spanischen Regierung selbst zunutze sein. Denn diese kann nun verstärkt auf internationale
Hilfe bei der Bekämpfung der baskischen Separatistenorganisation ETA zählen – und diese nimmt immer neue Ausmaße an.
So kann die Aussage des spanischen Ministerpräsidenten Aznar, dass jeder für den Terrorismus sei, der sich nicht ausdrücklich davon distanziert hätte, als das genommen werden, was sie tatsächlich ist: als Drohung gegen die gesamte Linke, die im Zuge der Antiterror-Hysterie immer stärker mit Repression überzogen wird. Standen Verbote von baskischen Organisationen und Zeitungen schon länger an der Tagesordnung, so geraten seit einiger Zeit sämtliche soziale Bewegungen ins Schussfeld von Ermittlern. Während jüngst StudentInnen, die gegen die neoliberale Umstrukturierung von Hochschulen protestierten, mit Anti-Terror-Gesetzen konfrontiert wurden, weil sie eine Tür aufbrachen, kämpft vor allem die BesetzerInnenbewegung in Barcelona seit gut einem halben Jahr gegen Kriminalisierung wegen angeblicher ETA-Unterstützung an. So wurden im Sommer vergangenen Jahres mehrere BesetzerInnen festgenommen, weil sie Angeblich mit dem ETA-Kommando „Barcelona" in Verbindung gestanden haben sollen. In diesem Zusammenhang erfolgte auch die Festnahme von Juan Ramon Rodriguez, Antifaschist und Sänger der linksradikalen Band KOP, am 16. Januar 2002 in Holland. Laut einer Aussage, die – wie in Spanien noch immer üblich – unter Folter gegeben wurde, soll „ein Junge von 35 Jahren, lang, mager, intelligent und mit blonden Haaren, irgendwo zwischen Barcelona und Girona wohnend" diesem Kommando Adressen von spanischen Faschisten übergeben haben und sich so an der Planung eines Mordes schuldig gemacht haben. Obwohl die Aussage mittlerweile wieder zurückgezogen wurde und die Adressen ohnehin öffentlich bekannt sind, sitzt Juanra seither im niederländischen Vught ein und muss seine baldige Auslieferung befürchten. Die spanischen Behörden fordern für den gesuchten „Topterroristen" 22 Jahre Knast und haben, ohne dass sich an der Indizienlage etwas geändert hätte, die Anklage von Unterstützung auf Mitgliedschaft in der ETA erhöht.
Beweise gibt es also keine, währenddessen beschränken sich Polizei und Medien darauf, Juanras politische Vergangenheit zu zitieren, um seine angebliche „Gefährlichkeit" zu demonstrieren: Da werden Texte von „KOP" zitiert, deren Autor Juanra ist, die u.a. von Widerstand und der Nichtanerkennung des (spanischen) Staates handeln, seine Rolle als Sprecher des besetzten Hauses „Kasa de la Muntanya", das vorübergehend geräumt wurde, hervorgehoben, und sein antifaschistisches Engagement genannt. Tatsächlich bewegte sich Juanra im Umfeld politischer Gruppen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die faschistischen Kontinuitäten im spanischen Staat anzugreifen, die bislang zu keiner größeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung geführt haben.
So wird hinter den (wort)gewaltigen Vorwürfen vor allem eines deutlich: Der Verfolgungswille des spanischen Staates, der allein im letzten Jahr 140 Menschen unter dem Terrorismusverdacht festnehmen ließ und knapp 600 politische Gefangene in seinen Knästen zum Schweigen bringen will. Tatsächlich steht die Isolation aktiver politischer Bewegungen mit auf der Tagesordnung dieser sogenannten Terrorbekämpfung. Die öffentliche Stimmungsmache trägt das ihrige dazu bei, den außerparlamentarischen Protest immer stärker unter Druck zu setzen und somit jegliche Auseinandersetzung mit einem faktischen Diskussionsverbot zu ersticken.
Dass diesem repressiven Rundumschlag, der die Bedingungen linksradikaler Politik immer weiter verschlechtert, Aufmerksamkeit gebührt, kann nicht damit abgetan werden, dass „ETA ohnehin reaktionär" ist oder die spanische Linke hierzulande kaum Anhaltspunkte liefert. Eine derartige Ignoranz führt bestenfalls dazu, die Lage falsch einzuschätzen. Zumal die Konsequenzen, die auf staatlicher Ebene gezogen werden, eben nicht mehr nur national gelten. Neben der eingangs erwähnten Terrorismus-Definition wurden auf EU-Ebene weitere Schritte unternommen, wie etwa die Einrichtung einer Anti-Terror-Abteilung bei Europol, die in einem vor kurzem veröffentlichtem Bericht auf sogenannten „Anarcho-Terrorismus" aufmerksam machte. Konkret ist vom „Black Block" die Rede, die Informationen stützen sich vor allem auf Angaben von Italien und Spanien. Juanra selbst hatte das Nachrüsten in Sachen Terrorbekämpfung auf EU-Ebene zu spüren bekommen: Seine Festnahme wurde in der spanischen Presse als erster Erfolg des EUROJUST-Abkommens gefeiert, das am 1. Januar 2002 in Kraft trat. Diese Stelle zur verbesserten Bekämpfung organisierter Kriminalität besteht aus Richtern, Staatsanwälten oder Polizeibeamten, die von den Mitgliedsstaaten der EU entsandt werden. Für wen diese Stellen Interesse entwickeln, ist dann schließlich Sache der Definition.
weitere Infos unter:
Phase 2 Göttingen