»They say it is love. We say it is unwaged work.«

Diese Losung von Silvia Federici aus dem Jahr 1974 ist bis heute Ausgangspunkt für antikapitalistische feministische Praxis, Politik und Theoriebildung. Sie zielt auf die Trennung von »männlicher«, bezahlter Lohnarbeit und »weiblicher«, unbezahlter gesellschaftlicher Reproduktion im Kapitalismus, die in aktuellen feministischen Streikwellen sichtbar gemacht und kritisiert wird. In diesem Kontext sind jüngst zwei Publikationen erschienen. Drei in den USA lehrende Philosophinnen fordern in einem Manifest ausgehend von einer pessimistischen Gegenwartsanalyse des Neoliberalismus einen antikapitalistischen Feminismus für die 99 %. Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser betonen die Notwendigkeit, feministische Kämpfe mit antirassistischen, antikapitalistischen und ökologischen Anliegen zu verbinden. Sie entwerfen in elf Thesen das Bild eines Feminismus, der in der Zwickmühle zwischen Bündnissen mit autoritären Populismen und liberalen Antworten auf die Frage der Frauenunterdrückung handlungsunfähig geworden ist. Sie analysieren die Frauenunterdrückung als Strukturmerkmal des Kapitalismus und sehen den einzigen Weg aus der Krise in einem antikapitalistischen Aufstand, der gemeinsam mit anderen radikalen Bewegungen den gesellschaftlichen Wandel herbeiführen soll. Neue Formen des Frauenstreiks und breite globale antikapitalistische Bündnisse spielen für sie die zentrale Rolle. 

Das Manifest zeichnet sich durch eine stark zugespitzte Sprache aus, der es gelingt, komplexe Sachverhalte der feministischen Gesellschaftskritik verständlich auszudrücken. Genutzte Sprachbilder und Begriffe, beispielsweise wird von Aufstand und nicht von Revolution gesprochen, könnten dazu führen, dass die antikapitalistische Position der Autorinnen sowohl in einem liberalen Milieu Anklang findet, als auch bei Menschen, die keine Affinitäten zu Theoriedebatten haben. Insbesondere das sachlich verfasste Nachwort, indem der zentrale Begriff der gesellschaftlichen Reproduktion präzise und leicht verständlich definiert und eingeordnet wird, sei jedem als Einstieg zu dem Thema ans Herz gelegt. 

In der emotionalisierten Sprache liegt aber auch die zentrale Schwäche. Die analytische Trennschärfe fällt leider an einigen Stellen einer populistischen Sprache zum Opfer. Besonders wenn die Komplexitätsreduktion so weit geht, dass die kritisierten kapitalistischen Strukturen sprachlich personifiziert werden. So benutzen die Autorinnen beispielsweise das antisemitisch tradierte Bild vom »Tentakel des Finanzwesens« (28) und erklären Israelkritik durch den pinkwashing-Vorwurf zum Bestandteil ihres Feminismus (54). Gerade ein progressiver Feminismus sollte keinen Raum für antisemitische Projektionen lassen und muss ihn als spezifischen Unterdrückungsmechanismus mitdenken. Selbst dann, wenn es die Anschlussfähigkeit der Thesen innerhalb mancher linker Milieus schwächen könnte. 

Das zweite Buch stammt von der argentinischen Aktivistin Andrea D´Atri der feministischen Bewegung Pan y Rosas (Brot und Rosen) in Südamerika, erschien bereits 2004 und liegt nun auf Deutsch vor. Das Buch ist der Versuch einer Standortbestimmung und soll im weit verzweigten und oft auch unüberschaubaren Dickicht der Geschichte des Feminismus Orientierung bieten. Die historische Spurensuche beleuchtet die Rolle von Frauen in den zentralen Kämpfen der Arbeiter*innenbewegung in den letzten 250 Jahren, beschreibt beeindruckende Lebenswege von Aktivistinnen und wirft Schlaglichter auf die Ideengeschichte des Feminismus im allgemeinen und eines antikapitalistischen Feminismus im Besonderen. Dabei werden die Kämpfe bürgerlicher und reformistischer Strömungen nicht nur kritisiert, sondern auch gewürdigt. 

Die sehr gut lesbare Darstellung irritiert an manchen Stellen mit Formulierungen aus der antiimperialistischen Mottenkiste. Das verzeiht man D´Atri allerdings gerne, wenn sie mit ihrer feministischen Tiefenbohrung in der Geschichte beispielsweise Biografien sowjetischer Feministinnen würdigt, die dem stalinistischen Terror zum Opfer fielen. In dem spannenden Wechselspiel aus Ideengeschichte, historischer Darstellung und biografischen Würdigungen, hätte man sich als Leser*in gewünscht, noch mehr über die Geschichte des südamerikanischen Feminismus zu erfahren. 

Sowohl die Überblicksdarstellung als auch das Manifest bieten einfach verständliche Einführungen in die reiche Geschichte feministischer Bewegungen und informieren über den aktuellen Stand in den Debatten über einen antikapitalistischen Feminismus. Beide Bücher sind Teil eines hoffnungsvollen feministischen Aufbruchs, der die enge Verzahnung von Kapitalismus und Patriarchat kritisiert und der Idee eines materialistischen Feminismus zu seiner aktuellen Renaissance verholfen hat.

 

Cornelius de Fallois

 

Andrea D´Atri: Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus. Übersetzung von Lilly Schön, Argument Verlag, Hamburg 2019, 253 S., € 15. 

 

Cinzia Arruzza: Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser: Feminismus für die 99%. Ein Manifest. Übersetzung von Max Henninger, Matthes & Seitz, Berlin 2019, 107 S., € 10,99.