The final Insult

ein neues Buch der Gruppe „Offene Rechnungen“ bilanziert kritisch die deutsche „Entschädigungsstiftung“.

Beinahe täglich lassen sich Schreckensmeldungen aus der Praxis der deutschen „Entschädigungsstiftung“ „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ lesen. Die Arroganz, mit der die Deutschen den wenigen Überlebenden ein Almosen gewährten, setzt sich fort in immer neuen Torturen, denen die zu Antrags- und damit Bittstellern Degradierten unterworfen werden. Gerade hat ein deutsches Gericht Entschädigungsansprüche slowakischer jüdischer Organisationen zurückgewiesen. Ob den bisher Anspruchsberechtigten die volle Summe ausgezahlt wird, steht in den Sternen. Zum richtigen Zeitpunkt kommt daher das Buch „The final Insult - Das Diktat gegen die Überlebenden“ von der Berliner gruppe offene rechnungen über „Deutsche Erinnerungsabwehr und Nichtentschädigung der NS-Sklavenarbeit“. Im Zentrum des Buches, das auf eine Veranstaltungsreihe mit dem selben Titel 2001 in Berlin zurückgeht, stehen Gespräche und Erinnerungen von drei überlebenden Sklavenarbeitern: Rudy Kennedy aus London, Ludwik Krasucki aus Warschau und Felix Kolmer aus Prag. Sie berichten sowohl über ihre Erfahrungen als Sklavenarbeiter für deutsche Firmen in Auschwitz-Monowitz, Stutthoff und anderen Lagern, als auch über den Umgang der deutschen Delegation mit den Länderdelegationen und den Vertretern der Überlebenden bei den sogenannten Entschädigungsverhandlungen. Eindrucksvoll schildern sie die Probleme des Fonds, die Strategien der Deutschen und ihre Arroganz sowie ihre Einschätzungen der Zukunft. Dabei bleibt die Frage, wie die Erinnerung an Auschwitz weitergetragen werden kann, zentral.
Die Gespräche und Berichte stehen im Kontext mehrerer Aufsätze, die Aspekte der Geschichte und Gegenwart deutscher Entschädigungsverweigerung und Erinnerungsabwehr beleuchten. Dabei wird, wie im Artikel von Johanna Mueller und Tobias Ebbrecht versucht, zwischen dem notwendigen theoretischen Herangehen und dem Anspruch, die Überlebenden auch hier ins Zentrum zu rücken, eine Brücke zu schlagen, was stellenweise zwangsläufig scheitern muss. Mit oft erstaunlicher Detailkenntnis wird jedoch in den Artikeln zur Geschichte der deutschen Nichtentschädigung von Jörg Rensmann und zu den Klagen der Opfer von Distomo aus Griechenland von Rolf Surmann Hintergrundwissen geliefert, das Ausmaß und Bedeutung deutscher Entschädigungsabwehr verdeutlicht. Lars Rensmann arbeitet in seinem Aufsatz über „alte“ und „neue“ Formen des Antisemitismus vor dem aktuellen Hintergrund dessen Anstiegs in Deutschland seit dem 11. September heraus, welche Rolle die antisemitischen Enthemmungen im Zuge des Schlussstriches unter alle Forderungen von Überlebenden spielen.
Dorothee Wein geht in ihrem Aufsatz über „die Verlassenheit der Kritiker“ nicht mehr explizit auf die Entschädigungsfrage ein, sie zeigt aber die Ignoranz der deutschen Linken anhand der (fehlenden) Reaktionen u.a. auf Kritik vonseiten Jean Amérys, Henryk Broders, Moishe Postones und Eike Geisels. So erinnert sie sowohl an deren Positionen, als auch an die Geschichte der Nichtauseinandersetzung der Linken mit Antisemitismus und Antizionismus. Auch Tobias Ebbrecht und Timo Reinfrank lösen an einigen Stellen ihres Aufsatzes zur deutschen Schuldabwehr den eigenen Anspruch ein, besonders bei der Analyse der „Walser-Debatte“ vor dem Hintergrund des nach Gershom Scholem gescheiterten „deutsch-jüdischen Dialogs“ oder in der Kritik der deutschen historisierenden Geschichtswissenschaft. Allerdings bleiben nicht nur hier viele Fragen nur angerissen. Die Geschichte der DDR und der Ausgrenzung der Entschädigungsbefürworter um Paul Merker kommt leider nur am Rande vor. Doch die HerausgeberInnen zeigen die Notwendigkeit, dieses Thema nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade die Bezüge zu den revanchistischen Forderungen Deutschlands gegen Tschechien und die Welle des Antisemitismus in der sogenannten Kritik an Israel zeigen komplexe Zusammenhänge, die zentrale Fragen einer linken Kritik sind. Das Buch „The final Insult“ liefert dafür einen wichtigen Beitrag. Sich mit den Erfahrungen und der Kritik von Überlebenden zu konfrontieren, ist dafür möglicherweise unabdingbar.


gruppe offene rechnungen (Hrsg.):
The final Insult. Das Diktat gegen die Überlebenden. Deutsche Erinnerungsabwehr und Nichtentschädigung der NS-Sklavenarbeit. Ab März im Unrast-Verlag, Münster 2003, ca. 300 Seiten, 14,- Euro.

Phase 2 Berlin