Im Kontext der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 erlangte auch das Thema Prostitution eine verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland. Nichtregierungsorganisationen wie Terre des Femmes nutzten das Großereignis, um insbesondere die Themen Frauenhandel und Zwangsprostitution öffentlich zu skandalisieren und engagiertes staatliches Handeln einzufordern.
Doch wie sieht behördliches Handeln im Konkreten aus? Dieser Frage widmen sich Rebecca Pates und Daniel Schmidt in ihrer vergleichenden Studie Die Verwaltung der Prostitution. Am Beispiel deutscher, polnischer und tschechischer Kommunen nehmen sie unterschiedliche VerwaltungsakteurInnen in den Blick: Polizeibehörden, Gewerbe- und Ordnungsämter, aber auch SozialarbeiterInnen und NGOs. In leitfadengestützten Interviews wurden die VerwalterInnen befragt nach ihren Situations- und Problemdefinitionen, wie sie ihren administrativen Spielraum interpretieren und ihr Handeln beschreiben.
Ähnlich wie bei der NGO-Kampagne geht es den Verwaltungen erst einmal weniger um Prostitution, als um die in ihrem Kontext stattfindende Kriminalität und Gewalt, aber auch um andere als problematisch wahrgenommene Phänomene wie Ordnungswidrigkeiten oder Gesundheitsgefährdungen. Prostitution an sich ist in allen drei untersuchten Ländern nicht strafbar. Sie ist jedoch in der Regel unerwünscht und unterliegt zahlreichen Regulierungen und Beschränkungen in Bezug auf ihre Formen, Orte und Begleiterscheinungen.
In der vorliegenden Studie stehen die rechtlichen Regelungen nicht im Mittelpunkt. Die AutorInnen folgen einem staatsethnografischen Ansatz, der davon ausgeht, dass sich der Staat und staatliche Politik erst in den tatsächlichen Regulierungsbemühungen unterschiedlicher Verwaltungen manifestieren. Der staatsethnografische Ansatz besagt zudem, dass staatliche Ordnungen nicht hierarchisch und zentralistisch organisiert sind, sondern polyzentrisch und vor allem lokal. Dabei stellen staatliche Behörden nur eine Art der relevanten Akteure dar.
Solcherlei eingeschränkte Souveränitätsvorstellungen werden gewöhnlich nur bei Ländern vorgebracht, in denen jeglicher staatlicher Einfluss zusammengebrochen ist. Wie die Studie zeigt, kann er jedoch auch gewinnbringend auf »funktionierende« Staaten angewandt werden.
Die Interviews mit lokalen VerwaltungsakteurInnen lassen in allen drei Ländern erhebliche Verwaltungsspielräume erkennen. Die Differenz zwischen geschriebenem Recht, dem »law in the books«, und der tatsächlichen Ausübung, dem »law in action«, ist erheblich. Zudem unterscheiden sich die Problemdefinitionen und Handlungsweisen von Kommune zu Kommune, manchmal sogar von Stadtteil zu Stadtteil. Lokales Verwaltungshandeln beruht laut AutorInnen auf einer Melange aus institutionellem Aufgabengebiet, lokalen politischen und kulturellen Verhältnissen und in besonderem Maße auf persönlichen Einstellungen der AkteurInnen.
Ein gutes Beispiel für den Einfluss lokaler Faktoren auf Verwaltungshandeln ist die Durchsetzung der Leipziger Sperrgebietsverordnung. Die Verordnung verbietet Prostitution in weiten Teilen des Stadtgebietes. Die in einem Stadtviertel innerhalb dieses Bereichs stattfindende Straßenprostitution wurde jedoch erst als Problem durch die städtischen Behörden wahrgenommen, nachdem es zu AnwohnerInnenprotesten kam. Anschließend nutzten Polizei und Ordnungsbehörden in äußerst kreativer Weise die mediale Öffentlichkeit ebenso wie zahlreiche verkehrs- und ordnungspolitische Maßnahmen.
Besonders interessant ist die Frage nach den Wissensbeständen, die die Vorstellungen und das Handeln der Interviewten begründen. Pates und Schmidt gehen von einem hybriden Verwaltungswissen aus, das sich aus unterschiedlichen Quellen speist. Am Beispiel des Themas Menschenhandel wird auf mediale Standard-Narrationen verwiesen, die von den AkteurInnen aufgenommen werden. An ihnen wird festgehalten, obwohl sie weder den rechtlichen Klassifikationen von Menschenhandel sowie Tätern und Opfern entsprechen, noch mit den eigenen Arbeitserfahrungen zur Deckung gebracht werden können. Dies gilt beispielsweise für sächsische NGO-VertreterInnen, Polizei und Staatsanwaltschaften, die alle von zahlreichen Opfern von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung ausgehen, sie in ihrer Alltagspraxis jedoch nicht finden können. Die Zuschreibungen, Erwartungen und Problemdefinitionen scheinen zu eng, um fündig werden zu können.
Wer an dieser Stelle Antworten darüber erwartet, ob oder wo und wie die »Opfer« zu finden wären, wird allerdings enttäuscht. Die Qualität der Studie liegt in der Darstellung der verwaltungsinternen Diskurse und ihrer Widersprüche und Probleme. Es werden Leerstellen benannt, wie beispielsweise die einseitige Fokussierung auf Frauen als Prostituierte oder Opfer von Menschenhandel unter Ausblendung von Männern und Transgendern oder die nahezu vollständige Vernachlässigung von Geschlechterverhältnissen in den Überlegungen der VerwaltungsakteurInnen. Der Reiz der Studie liegt zudem in den Interviewpassagen, sind doch Einblicke in behördliches Tun und Aussagen der VerwalterInnen in der Öffentlichkeit selten.
~Von Lilly Bosch.
Rebecca Pates, Daniel Schmidt: Die Verwaltung der Pro-
stitution. Eine vergleichende Studie am Beispiel deutscher,
polnischer und tschechischer Kommunen,
transcript Verlag, Bielefeld 2009; 234 S., € 24,80.