»Marxistisch ausgedrückt, handelt es sich hierbei um einen Mehrwert, der sich jedoch nicht in einfache Marxsche Kategorien fassen lässt« (212). Ein Satz, der durchaus als Beispiel für die begriffliche Konsistenz von Kaushik Sunder Rajans Buch Biokapitalismus stehen kann. Der Unterhaltungswert der akademischen Stilblüten in diesem Buch ist enorm, ihre Zahl hoch, und bereits die Einleitung liest sich streckenweise wie eine Parodie auf den Stil der Methodenkapitel in Doktorarbeiten, ist aber leider ernst gemeint. Der Autor verspricht darin die Erfüllung aller Anforderungen, die heutzutage an eine kritisch neben dem Mainstream liegende wissenschaftliche Arbeit gestellt werden. »Auf theoretischer Ebene« gibt er vor, »für eine Rückkehr zum Marxismus« zu plädieren, mit dem er »epistemische Strukturen analysieren« zu können glaubt (18). Seine Arbeit entspreche dem theoretischen Ideal Lyotards (22), methodisch sei er vor allem von Foucault beeinflusst, usw. usf.
Mit allerlei Methode beseelt gelangt er zu wegweisenden Diagnosen wie dieser: »Dass es möglich ist, den Biokapitalismus in den USA als erlösungsbetont, in Indien jedoch als nationalistisch zu charakterisieren, liegt nicht an einer signifikanten kulturellen Differenz zwischen diesen Ländern. Der Unterschied hat vielmehr historische und materielle Gründe. Zum einen sind diskursive, rituelle und kulthafte Ausdrucksformen ein konstitutives Merkmal der amerikanischen Technowissenschaft und Unternehmenskultur; zum anderen liegt die Bedeutung des Nationalismus in der gegenwärtigen Situation der Globalisierung und der Renaissance des kulturellen Bewußtseins in Indien auf der Hand (193).« Es handelt sich also nicht um kulturelle Differenzen, weil zum einen Wissenschaft und Kultur früher auch schon so waren, und zum anderen ihre Bedeutung klar erkennbar ist. Wer vom Buch theoretische Reflexionen erwartet, wird auf ganzer Linie enttäuscht werden.
Damit ist aber noch lange nicht alles gesagt. Das Interesse an relativ beschränktem soziologischem Spezialwissen genauso vorausgesetzt wie die Bereitschaft, allerlei Unsinn zu überlesen, gibt das Buch durchaus einiges her. Wer etwa ignoriert, dass der politische Horizont des Autors die Globalisierungskritik ist, findet im ersten Kapitel eine durchaus gewinnbringende soziologische Studie, die in die Institutionalisierung der Konflikte zwischen Risikokapitalgebern, privaten und staatlichen Forschungseinrichtungen und Pharmaindustrie einführt. Im Mittelpunkt steht dabei der Konflikt um die Patentierbarkeit der Forschungsergebnisse. Die permanente Gegenüberstellung der Praktiken von und Bedingungen für Forschungseinrichtungen in den USA mit denen in Indien stellt zudem sicher, dass die behandelte Dynamik diejenige des Weltmarkts ist. Sobald es um sein eigentliches Thema geht, ist Sunder Rajan so präzise, dass deutlich wird, dass etwa bioethisch motivierte Empörung über die ökonomischen Interessen innerhalb des ganzen Spektakels als Kritik viel zu kurz greift.
Grundlage des Buches sind ausführliche Interviews mit führenden VertreterInnen der Branche sowie die Erfahrungen, die Sunder Rajan beim Besuch einschlägiger Konferenzen gemacht hat. In seinen Positionen ist daher Rücksicht auf das Personal der analysierten Institutionen spürbar. Diese Nähe dürfte korrespondieren mit seiner immer wieder durchscheinenden Einschätzung, dass die biowissenschaftlichen Wissensformen ihrem Gegenstand im Wesentlichen adäquat sind. Der sozialwissenschaftliche Konstruktivismus des Autors geht bewusst einher mit dem naturwissenschaftlichen Konstruktivismus der Biowissenschaften, und auf dieser Basis kann Verständigung stattfinden. Trotz seiner Rede vom »Genfetischismus« legt er keine wissenschaftskritische Haltung an den Tag. Unter Fetischismus versteht er lediglich die »Verwandlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in ein Ding an sich, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden« (176).
Sunder Rajan beschreibt die Subjekte des Genfetischismus so apsychologisch, wie es die des Warenfetischs tatsächlich sind, womit jede Subjektkritik an der gesellschaftlichen Form derjenigen, die die Versprechen machen, und derjenigen, die das Versprochene wünschen, unmöglich wird. Trotzdem legen seine Beschreibungen eine solche nahe, denn sein Vorgehen legt Einspruch ein; sowohl gegen die Selbstbeweihräucherungen der Branche, als auch gegen die gängigen Beschwörungen kommenden Unheils, denen zufolge bösartig omnipotente Willen permanent unschuldiges Leben unterjochen. Gegen Letztere mehr verdeckt als offen. Beide Positionen kennen keine eigenständige Dynamik der Subjektivität. Die der Branche, weil diese glaubt, technisch über die Substanz »gesunden« menschlichen Lebens verfügen zu können, und die der KritikerInnen, weil deren Panik in der Angst begründet liegt, dass vom technisch völlig beherrschten menschlichen Leben nichts mehr übrig bleiben könnte, was nicht dem Willen der technischen Herrschaft entspricht. Aber der Autor lässt die möglichen gesellschaftskritischen Konsequenzen seiner Darlegungen im Methodenwirrwarr verschwinden, und so bleibt es bei einer Soziologie des Biokapitals wider willen.
~Von JustIn Monday.
Kaushik Sunder Rajan: Biokapitalismus. Werte im postgenomischen Zeitalter, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, € 24,80.