Ziemlich genau zwei Jahre hat man auf die zweite Nummer der für dezidiert linksradikale Verhältnisse erstaunlich gut rezipierten Berliner Zeitschrift Kosmoprolet warten müssen. Dafür scheint die herausgebende Gruppe Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft einem in ihren 28 Thesen formulierten Ziel zumindest auf den ersten Blick ein Stück näher gekommen zu sein: der »Bildung eines sozialrevolutionären Pols«. Denn der Herausgeberkreis konnte in diesem Zeitraum um immerhin drei Gruppen – Eiszeit aus Zürich, K-21 aus Frankfurt a.M. und La Banda Vaga aus Freiburg – erweitert werden.
Ein genauerer Blick ins nun vorliegende Heft relativiert diesen Eindruck allerdings. Denn außer den Freundinnen, die immerhin drei Texte beisteuern, haben lediglich die Züricher überhaupt noch einen schriftlichen Beitrag für das Heft verfasst. Die Texte des Kosmoproleten stellen vor allem eines dar: Materialien der Verständigung eines Milieus zwischen alter und neuer Arbeiterbewegungsdissidenz, inspiriert irgendwo zwischen deutsch-holländischer Linke, Rätekommunismus, Socialisme ou Barbarie und natürlich der Situationistischen Internationale, an die auch der Stil der Zeitschrift am meisten angedockt zu sein scheint.
Wenn lediglich vier Texte aus der Feder der Herausgeber stammen, so ist klar, dass die über 200 Seiten der Nummer vor allem von anderen Gruppen zu füllen waren. In der Mehrzahl handelt es sich dabei um übersetzte Artikel nahe stehender Zirkel aus verschiedenen Ländern, etwa der ausgesprochen lesenswerte Bericht der situationistisch/rätekommunistischen Gruppe TPTG aus Griechenland über die Revolte dort oder eine Beschreibung des Aufstands in Oaxaca durch das US-amerikansche Collective Reinventions. Die Kriterien der Auswahl dieser Texte erschließen sich dem Leser aber ebenso wenig, wie eine Klammer des Heftes dadurch ersichtlich wird.
Bleiben also die Herausgeberbeiträge selbst. Neben einer die erste Nummer ergänzenden Kritik des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« des Hugo Chavez und einer des iranischen Regimes samt der Illusionen der Protestbewegung in den grünen statt des schwarzen Islam im Iran, stehen zwei programmatische Texte im Zentrum des Heftes. Zunächst der von Eiszeit, die sich am Leninismus abgearbeitet haben. Hilfreich für alle, die die rätekommunistische Kritik an den jakobinischen Wurzeln des Leninismus noch nicht kannten, wird hier die Bindung der Vorstellung der Ideenwelt des ehemaligen »ersten Mannes der Weltrevolution« an die russischen Verhältnisse, der Zwitterrevolution zwischen revolutionärer proletarischer Welle im Ersten Weltkrieg und den Notwendigkeiten einer Bündnisstruktur der russischen Revolution und die anschließende stalinistische Kanonisierung für den »Aufbau des Sozialismus in einem Lande« in orthodoxer Manier souverän vorgetragen. Leider wird die zu Beginn gestellte Frage, warum die Parteispielerei insbesondere in den Zeiten des Niedergangs auch in sozialrevolutionären Milieus sich außerordentlicher Beliebtheit erfreut, was also die Formation von Revolutionären jenseits der kommunisierenden Tätigkeit der Proletarisierten nahe legt, nicht weiter verfolgt. Gerade hier hätten Debatten um die Synthetisierung und Repräsentation einer Kritik der Gesellschaft, die keiner hören will, beginnen können und das Auseinanderfallen des Kommunismus als Bewegung und des Willens zur revolutionären Veränderung durch (übrig gebliebene) Minderheiten eine kritische Aufarbeitung erfahren können. Gerade im Hinblick auf den »sozialrevolutionären Pol« ist die Chance hier vertan worden, auch weil kein ernsthafter Teil des angesprochenen Milieus am Aufbau der »Partei neuen Typs« arbeiten will und man so manchmal das Gefühl hat, es sei auf Pappkameraden gefeuert worden.
Bleiben als Grundlage der Selbstverständigung derer, »die die gute alte Losung der Selbstabschaffung des Proletariats« sich auf die Fahnen geschrieben haben, vor allem die »Thesen zur Krise«, die der alte Herausgeberkreis verfasst hat. Entgegen manchen Spöttereien in den diversen linken Blogs bestätigen die Freundinnen wie schon in der Startnummer erneut ihre Gegnerschaft zu operaistischen Ansätzen. Die Krise wird »objektivistisch« als Überakkumulation von Kapital analysiert. Den zwei Seiten falscher Vergesellschaftung, Markt und Staat, werden gleichermaßen Absagen nicht nur im Sinne dauerhafter Stabilität, sondern auch in ihrem Emanzipationspotential erteilt. Man mag dies für banal halten, immerhin aber ist dies ein Ruf in die Wüste in Zeiten, in denen selbst einer der letzten sozialrevolutionären Intellektuellen wie Karl Heinz Roth beginnt, mit keynesianisch inspirierten Ideologemen zu flirten. Und noch eines findet sich in den Thesen: Die, wenn auch vorsichtige, Abkehr von der rätekommunistischen Weltformel »Revolution durch Krise«. Dennoch formulieren die Autoren zumindest eine kleine Hoffnung, dass die Krise »die Kluft zwischen Wirklichen und Möglichem« vertiefen könnte. Dem abschließenden Auftrag, dazu beizutragen, »dass die sozialen Konflikte zu Klassenkämpfen eskalieren und die Commune in ihnen Gestalt annimmt«, ist man aber trotz eines der gelungeneren Krisenbeiträge der radikalen Linken nicht viel näher gekommen.
~Von Peter Jonas.
Kosmoprolet 2. Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft u.a. (Hrsg.). Berlin 2009 kann unter www.klassenlos.tk für 4 Euro bestellt werden.