Sind Femen noch zu retten?

Eine Kritik des populären Event-Feminismus

Während unseres Sommercamps trafen wir auf zwei Spaziergänger_innen. Diese fragten, was das für eine Veranstaltung sei. Als wir mit »Ein feministisches Camp«, antworteten, wusste der ältere Mann* gleich Bescheid: »Ah, seid ihr die, die sich immer ausziehen?«.

Wenn Femen Alice Schwarzer den Rang als Personifizierung »des« Feminismus abzulaufen scheinen und wenn der Begriff »Femen« inzwischen öfter gegoogelt wird als »Feminism« http://www.femen.info/femen-took-over-femenism., sind wir als Feminist_innen gezwungen, uns weiterhin mit dieser Gruppierung zu beschäftigen. Es verletzt, mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. Doch warum ist ihre Bezeichnung als Feminist_innen so frappierend? Es gibt doch heutzutage so viele »Feminismen« – warum sollten diese nicht alle gleichberechtigt nebeneinander stehen und/oder sich ergänzen können?

Möglicherweise sind wir nur neidisch auf ihre wachsende Fangemeinde, ihre Öffentlichkeitsarbeit und damit verknüpfte Einflussmöglichkeiten. Vielleicht auch auf ihren Mut, sich öffentlich auszuziehen. Vielleicht können wir es nicht ertragen, dass es im Grunde kaum einen Unterschied für Femens Erfolg macht, ob wir uns nun mit ihnen solidarisieren oder nicht. Vielleicht kratzt es uns aber auch immer wieder an, gerade durch gewisse Parallelen auch zu unserer politischen Arbeit, wenn sie mal wieder völlig daneben hauen – und dann auch noch unter dem Label »Feminismus«. Die Einsicht, dass der Abgrenzungswille zuweilen umso stärker ist, je mehr Ähnlichkeit besteht, schwingt in der folgenden Darstellung mit.

Bei der Frage um den »feministischen Gehalt« von Femen führt es nicht weit, die jeweilige Selbstbezeichnung »Ich bin Feminist_in« oder Intentionen wie »Ich kämpfe für die Rechte der Frau*« als Anhaltspunkt zu nehmen. Wir sehen entgegen gängiger Verschwörungstheorien keinen Grund daran zu zweifeln, dass diese Intention bei Femen existiert. Man kommt allerdings nicht umhin, über die Intention hinaus zu schauen, soll der Begriff »Feminismus« nicht sinnentleert sein. Will man solcher Beliebigkeit entgegenwirken, muss man um das Label kämpfen. Für uns ist dabei die Messlatte: Inwiefern befördern Femen - tatsächlich oder wenigstens potentiell - die Befreiung der Frau*?

Femen wurde offiziell im April 2008 in Kiew von Alexandra »Sasha« Shevchenko, Oksana Shatchko und Anna Hutsol gegründet. Letztere tritt auch als Leiterin der Gruppe in Erscheinung. Inoffizielles Mastermind und eigentlicher Begründer der Idee »Femen« ist Viktor Swjazkij, Politikberater aus Odessa, der in Chmelnyzkyj (Westukraine) geboren wurde. Er soll nicht nur die Frauen* u.a. nach ihrem Aussehen ausgesucht haben, sondern ihnen Eigenschaften abgewöhnt haben, die nicht vereinbar mit politischem Aktivismus seien.»[Die Frauen*] haben nicht die nötige Charakterstärke. Sie haben nicht einmal den Wunsch, stark zu sein. Stattdessen zeigen sie Unterwürfigkeit, Rückgratlosigkeit, Unpünktlichkeit und viele andere Eigenschaften, die sie davon abhalten, politische Aktivistinnen zu sein. Dies waren die Qualitäten, die ich sie unbedingt lehren musste.« Viktor Swjazkij in dem Dokumentarfilm Die Ukraine ist kein Bordell.  Femen bestreiten seit dem Bekanntwerden der maßgeblichen Rolle Viktors, dass dieser auch heute noch großen Einfluss auf das Agieren Femens hätte und behaupten, sie hätten den Kampf gegen den »Patriarchen« Swjazkij gewonnen. »Dieser Film enthüllt nichts, er zeigt einfach den internen Kampf innerhalb von Femen«, sagte Hutsol. »Der Zuschauer sieht den Kampf von uns Frauen gegen einen Mann, und wir gewinnen diesen Kampf.« Zit. nach: »Putsch der Gedemütigten«, in: Süddeutsche Zeitung vom 5. September 2013. Es scheint jedoch so, als würde Swjazkij sich auch weiterhin im »Dunstkreis Femen« befinden, denn noch Ende Juli 2013 gaben Femen bekannt, dass Swjazkij auf offener Straße zusammengeschlagen wurde.

Laut eigener Aussage haben es sich Femen zur Aufgabe gemacht, gegen »das Patriarchat« in Form von »Sexindustrie«, religiösen Institutionen und Diktatur(en) zu kämpfen. http://femen.org/en/about Dabei hat sich ihr Vorgehen im Lauf der letzten fünf Jahre gewandelt. Protestierten sie zuerst noch gemeinsam mit Männern*, durften diese bald nur noch im Hintergrund an Aktionen teilnehmen. Gab es früher noch Flugblätter und Diskussionen mit Passant_innen, schätzen sie diese heute als ineffektiv ein und setzen vorrangig auf gut durchgeplante, pressewirksame Fotoshootings. Wurde zuerst in meist knapper und pinker Kleidung protestiert, sind Femen seit 2010 zum Oben-ohne-Protest übergegangen. Unklar ist, seit wann genau die nationalistischen, traditionellen Blumenkränze ihre Köpfe schmücken. Die Blumenkränze sind ein folkloristisches Symbol der Westukraine. Zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion dienen sie vor allem als Abgrenzung vom sowjetischen Erbe – und vom russisch geprägten Osten des Landes. Vgl. André Eichhofer, Ukrainische Folklore während der EM: Mit Blumenkränzchen in den Kampf, in: Spiegel online, 15. Juni 2012, http://0cn.de/7swu.

Seit 2011 gibt es Femen auch außerhalb der Ukraine. Neben feministischen Themen beschäftigten sie sich bis dahin häufig mit lokalen Problemen wie etwa dem Mangel an Warmwasser und öffentlichen Toiletten in Kiew. Die »neuen Amazonen« sind mittlerweile eine international agierende Gruppe und bezeichnen sich als globale Bewegung des »Feminismus des dritten Jahrtausends«. Femen.org und: http://femen.info/femen-wer-sind-die-nackten-frauen-und-was-wollen- sie/ Besonders aktiv sind Femen in Frankreich, wo sie seit September 2012 als Organisation anerkannt sind, und in Deutschland, wo sie im Juni 2013 als Verein registriert wurden.

Doch wie autonom dürfen die einzelnen Untergruppen tatsächlich agieren? Kürzlich löste sich Femen Belgien auf, weil sie »unterschiedliche Sichtweisen zur internen Organisation der internationalen Bewegung« Belgische Femen-Gruppe löst sich auf, in: diestandart.at, 11. September 2013, http://0cn.de/jc0s. hatten. Inwiefern es Druck von den Femen-Leader_innen gab, ist nicht bekannt. Offensichtlich war es jedoch nicht möglich, trotz dieser unterschiedlichen Sichtweisen auch weiterhin unter dem Femen-Label aktiv zu sein. Die Aktivist_innen würden »den Kampf auf andere Weise fortsetzen« wollen, und fügten hinzu, dass sie nichts bereuten und alle ihre Aktionen aufrichtig durchgeführt hätten.Ebd. Zudem erzeugen bereits die wenigen bekannten Tatsachen über den inneren Aufbau der Femen das Bild einer streng hierarchischen Organisation. Es sprechen immer wieder dieselben Personen wie Inna oder Alexandra Shevchenko im Namen von Femen. Sie reisen an die jeweiligen Orte, um Aktionen zu leiten oder zu kontrollieren und stehen dabei in der ersten Reihe. In zweiter Reihe mitmachen kann jedoch angeblich jede. Im Video »How to become a Femen sextremist« zeigt Inna, wie sich die Frauen* in sogenannten Trainingscamps »physisch und mental« stählen. Mit synchronen Gesichtsausdrücken und antrainiertem Verhalten sollen und wollen sie sich ihre Körper als »Waffe« aneignen und nach außen Einheit und Stärke zeigen - Corporate Design, Corporate Identity. Das Kollektiv ermöglicht ihnen hierbei, extreme Situationen zu meistern, z.B. so lange wie möglich mit schmerzverzerrtem Blick in die Kameras zu brüllen, wenn die Polizei Aktivist_innen wegträgt. Dies sollte nicht damit verwechselt werden, zu lernen, sich als selbstbestimmte Frau* zu wehren oder Vereinbarungen für gemeinsames Handeln zu treffen. Stattdessen ist das System Femen geradezu antiemanzipatorisch. Wer sich anschließen möchte, muss sich und seine individuellen Bedürfnisse bestehenden Inhalten und Vorgehensweisen unterordnen.

Femens Frauen*-Bilder

Die Strategie von Femen ist eine zweigleisige: Erstens geht es darum, knappe, vermeintlich feministische Botschaften so weit wie möglich zu verbreiten und zweitens soll das vermeintlich herrschende Frauen*bild (schwach und hilfsbedürftig) aufgebrochen werden. Beides soll über starke Medienpräsenz realisiert werden.

Strategie eins funktioniert so: Das Publikum wird über Fotos und Videos auf die nackten Brüste der Protagonistinnen aufmerksam und liest auf die Haut der Aktivistinnen platzierte Botschaften. »Es ist jetzt nicht vielleicht die Sparte, die sich mit feministischen Themen beschäftigt. Und wenn sie dass dann da sehen, dann sehen sie z.B. natürlich die Brüste aber sehen die Message da drauf. Und sie fangen da drüber nachzudenken [...]« Hellen Langhurst in der Talkshow »3nach9« am 14. Juni 2013. Um ihre Aktionen medial verwertbar zu machen, nutzen und reproduzieren Femen die allgemeine Sexualisierung weiblicher* Körper.»Nacktheit sei eine erfolgreiche Strategie, die mediale Aufmerksamkeit schaffe und auf die sich die Gruppe nach einigen politischen Diskussionen geeinigt habe. Sie wollten die Verfügung über entblößte Brüste nicht dem Patriarchat überlassen, das weibliche Nacktheit für den Kapitalismus instrumentalisiere.« Simon Brecht, Peta für Frauen, in: Jungle World vom 21. Februar 2013. Das Einstudieren synchroner Performances führt zwar zu einer gewissen Einflussnahme auf die medial erzeugten Bilder der Stärke und Unbezwingbarkeit, allerdings nicht zur Kontrolle über deren Rezeption.»Wir erobern unsere Körper zurück. Es ist wie bei einer Waffe«, sagt Klara. »Wir nutzen unsere Körper für feministischen Widerstand.« So würden sie immer darauf achten, dass sie stark und gefährlich wirkten, um das Stereotyp der passiven, hilflosen Frau, dessen sich die Werbung gerne bediene, zu zertrümmern. […]» Zit. nach: Brecht, Peta für Frauen. Neben der allgemeinen Reproduktion heteronormativer Schönheitsideale»Dass ihre Selbstinszenierungen stets dem heteronormativen Schönheitsideal entsprechende Frauenbilder reproduzieren, ist jedoch problematisch.« Zit. nach: Brecht, Peta für Frauen. findet sich auch die Reduktion auf »nackte Möpse« in vielen Kommentaren unter ihren Akt(ions)fotos wieder: Ein Beispiel: »[...] ich mag Titten, aber bitte keine Politik mit nackten Möpsen, lauft durch die Straßen, postet eure Fotos, aber ohne Politik.« Niemand wird derzeit eine Aussage darüber treffen können, welchen politisierenden Effekt Femens »störende« Brustbotschaften auf Rezipient_innen haben. Femen bestehen aber darauf, dass dieser wirkmächtiger sei als die strukturell bedingte Reduktion nackter Frauen* auf Sexobjekte. Josephine Witt von Femen ignoriert die Objektivierung von außen: »[…] men will just stare at our boobs and not understand what we’re really doing, and I don’t believe that. Men are way more intelligent than that.« Zit. nach: Louise Flavel, Inside Femen: Interview with Josephine, Femen activist, in. Lip, 18. Juni 2013 http://lipmag.com/culture/inside-femen-interview-with-josephine-femen-activist. Sollte sich tatsächlich mal jemand über die drei bis fünf Worte hinaus mit den Themen beschäftigen wollen, wird er_sie jedoch über Femen selbst nicht fündig, denn sie unterfüttern die kurzen Botschaften nicht mit weiterführenden Inhalten. Dazu müsste dann schließlich eine differenzierte Auseinandersetzung mit feministischen Themen stattfinden. Stattdessen werden diese lediglich öffentlichkeitswirksam oberflächlich adaptiert und instrumentalisiert. Die ehemalige Femen-Frankreich-Selbstverteidigungstrainerin Laura-May sagte in einem Interview: »Was Femen sagen, ist nicht, was sie tun.« Lyse Bonconseil (Pseudonym), ebenfalls ehemaliges Femen-Frankreich Mitglied, schließt sich dieser Äußerung an: »Femen benutzte das schwule Thema in Frankreich, um die Kirche zu attackieren. Aber Femen Mitglieder machten selbst homophobe Witze und diskriminierten Lesben. Als diese Frauen die Gruppe verließen, wurde gesagt, die seien ohnehin fett gewesen.« Conrad Steenkamp: Femen, From enthusiasm to disenchantment, in: Tought Leader (Blog), 26. Juli 2013, http://0cn.de/9btt (Übersetzung Phase 2).

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die weitestmögliche Verbreitung knapper Botschaften (Strategieteil eins) geht für sie ganz gut auf, wobei sowohl deren feministischer Gehalt als auch die von ihnen behauptete Wirkung fraglich sind.

Inwiefern das Aufbrechen herrschender Frauen*bilder (Strategieteil zwei) funktionieren kann, ist schon allein deswegen unklar, weil Femens Idee der Leitbilder eben diese verkennt.Im Gegensatz beispielsweise zu Aktionen von Pussy Riot werden hegemoniale Weiblichkeitsbilder nicht gebrochen, sondern tendenziell verstärkt. Femen, die sich selbst als »normale Frauen*« beschreiben, wollen sich mit Performances, die Stärke suggerieren, dem »allgemeinen« Bild der Frau* entziehen, das sie als »unterwürfig« und »hilfsbedürftig« wahrnimmt.»Die Gesellschaft will schöne Frauen sehen, die unterwürfig sind und nur hochsexualisiert dargestellt     werden und hilfsbedürftig sind. Das sind wir aber nicht.« Femen-Mitglied Zana, zit. nach: Iulia Mitzner, Auch Femen-Aktivistinnen haben Cellulite und Hängetitten, vice.com, http://0cn.de/q891. In Wahrheit aber bestärken sie mit ihrer Inszenierung von »Weiblichkeit« die Anforderungen, die an Frauen* heute oft ohnehin schon gestellt werden: stark, selbstständig, eigenverantwortlich und sexy zu sein und trotz Mehrfachbelastung in Beruf, Alltag und Familie alles managen zu können. Sie kämpfen gegen ein zumindest in Westeuropa tendenziell veraltetes Frauen*bild an. Auch wenn sich die Lebensrealitäten von Frauen* in der Ukraine von westeuropäischen unterscheiden, wirken dennoch dieselben (medialen) Bilder, an denen sich ausgerichtet wird.

Die Situation von Frauen* in der Ukraine war für Femen laut eigener Aussagen der Grund, warum die Wahl auf genau diese Aktionsform fiel. Femen sagen, es wäre in der Ukraine nicht möglich, als Frau* gehört zu werden bzw. feministische Politik zu machen, ohne sich auszuziehen.»Many criticize us for our methods, calling them too extravagant and immoral«, says FEMEN activist Galina Sozanskaya, »But we understand that this is the only way to be heard in this country. If we staged simple protests with banners, then our claims would not have been noticed«. Zit. nach: Ukraine is not a bordello, rt.com, 14.Dezember 2009, 0cn.de/utmq. Allerdings gibt es sehr wohl andere Herangehensweisen an feministischen Protest, auch in der Ukraine, wie z.B. die Gruppe Feminist Ofensyva zeigt. Vgl. das interessante Interview mit Anna Khvyl »Es geht darum, nicht nur zu reagieren«. In: Jungle World Nr.16, 18. April 2013. Die Vertreterin von Feminist Ofensyva spricht auch über Femen: »Es kam nur einmal zu einem Treffen mit Femen. Wir hatten die Gruppe zu einer unserer Konferenzen eingeladen. Eine Vertreterin erschien dann wirklich zur Diskussion, verschwand allerdings nach fünf Minuten wieder, ohne ein Wort zu sagen. Die Beziehung zu Femen ist zwiespältig, weil sie den Kontakt mit uns und anderen feministischen Organisationen im Land meiden. Ich persönlich halte es für problematisch, dass sie sich zwar hin und wieder selbst als Feministinnen bezeichnen, einen Austausch über ihre Arbeit oder ihre Standpunkte aber blockieren und sich dadurch einer fachlichen Debatte entziehen. [..]« Weiterhin existiert das ChCGI (Institut für Gender Studies in Charkov), in dessen Zeitschrift ein sehr guter Artikel über FEMEN erschien: Marija Dmitrieva: Radikal'nyj eksgibicionizm [Radikaler Exhibitionismus], in: Gendernye Issledovanija, Nr. 20/21 (2010), 394-409. 0cn.de/ayq3.

Das Frauen*bild, das Femen durch ihre populistische Argumentation sowie durch ihre Inhaltslosigkeit und Kritikresistenz in der breiten Öffentlichkeit schaffen, ist leider eher ein Image von Frauen*, die zwar mutig und stark, aber nicht klug und scharfsinnig sein können.

Femen in Aktion

Eine u.a von uns öffentlich stark kritisierte Aktion fand am 26. Januar 2013 im Hamburger Rotlichtviertel statt. e*vibes, Offener Brief an Femen Germany, 29. Januar 2013, 0cn.de/ytx1. Mit Slogans wie »Arbeit macht frei«, »Stop Sex Slavery« und Fackeln protestierten sie an den Bedürfnissen und Interessen von Sexarbeiter_innen vorbei. Eine Sexarbeiterin kommentierte die Aktion folgendermaßen: »Ich bin freiwillig hier. Die prostituieren sich doch selber.« Steffi Fetz, Femen-Aufschrei in der Herbertstraße, Die Zeit vom 26. Januar 2013.

Das Problem war hier allerdings nicht nur ihr mangelndes Interesse an »ihren« politischen Subjekten, sondern auch ihre Verharmlosung von Faschismus und Schoah. Trotz der massiven Kritik war Alexandra Shevchenko im Nachhinein überzeugt: »Gerade die Deutschen müssten verstehen, dass Prostitution und Faschismus gleichzusetzen sind.« Wer FEMEN nicht braucht: Betroffene von Menschenhandel und Sexarbeiter_innen, Menschenhandel heute, in: Kritisches Onlinemagazin gegen Ausbeutung, 31. Januar 2013, 0cn.de/0f82.

Weitere schwerwiegende Fehler sind der unkorrekte Gebrauch der Begriffe »Prostitution« und »Sklaverei« sowie die unzulässige Gleichsetzung von Sexarbeit mit Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. »Zwangsprostitution« ist ein Verbrechen, Sexarbeit ein Beruf, der in Deutschland erst 2002 legalisiert wurde. Inwiefern dies zu einer Verbesserung der Situation von Sexarbeiter_innen und einer Bekämpfung des sogenannten Hurenstigmas Hierzu Hydra e.V.: »[Wir treten dafür ein] dass jede/r sich freiwillig dazu entscheiden kann, ob sie/er in der Sexarbeit tätig sein will oder nicht und wann sie/er wieder damit aufhören will. Dazu gehört vor allem die Beseitigung des gesellschaftlichen Hurenstigmas. Denn dieses Stigma macht es Frauen und Männern, die einmal in der Sexarbeit gearbeitet haben, schwer, in einen anderen Beruf einzusteigen, da Sexarbeit nicht als qualifizierte, qualifizierende und wertvolle Tätigkeit gesehen wird. Vielmehr ist Sexarbeit im Lebenslauf ein Hindernis für eine Karriere in anderen Branchen.« www.hydra-berlin.de/ueber_uns/ziele_von_hydra/. geführt hat oder nicht, muss diskutiert werden. Femen ignorieren die Stimmen von Sexarbeiter_innen, die als handlungs- und entscheidungsfähige Subjekte ihr Leben selbst gestalten und aller gesellschaftlichen Umstände zum Trotz von »Freiwilligkeit ihrer Berufswahl« sprechen.»Prostitution ist ein Beruf, etwas Freiwilliges. Wenn es nicht freiwillig ist, dann ist es keine Prostitution, sondern ein Verbrechen.« Sexarbeiterin Marleen, in: taz vom 15. Dezember 2012, http://www.taz.de/!107465/. Betroffene von Menschenhandel, die sexuell ausgebeutet werden, »prostituieren sich« nicht, sondern werden zu gewerblichen Zwecken massenvergewaltigt. Betroffenenorganisationen schlagen vor, den Begriff »Zwangsprostitution« deshalb nicht mehr zu verwenden. Menschenhandel und Prostitution sind nach aktueller, auch europaweiter rechtlicher Lage, nicht als Synonyme zu betrachten. Insbesondere für Deutschland gilt, dass Prostitution (ProstG) und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung (StGB §232) sehr unterschiedliche Sachverhalte und Handlungen darstellen. Vgl. Wer FEMEN nicht braucht: Betroffene von Menschenhandel und Sexarbeiter_innen, in: Menschenhandel heute, 31. Januar 2013. Alexandra Shevchenko jedoch lehnt den Begriff »Sexarbeit« ab und stellt undifferenziert fest: »Prostitution ist keine Arbeit«. Zit. nach Brecht, Peta für Frauen.

Selbst ihrer eigenen Logik folgen Femen nicht - sie fordern weder ein Aufenthaltsrecht für Betroffene von Menschenhandel oder einen menschenwürdigen Betroffenenschutz, noch vernetzen sie sich mit ihnen und Unterstützenden.»Deshalb brauchen Sexarbeiter*innen FEMEN nicht, weil FEMEN Sexarbeiter*innen entmündigt, sie als Objekte und Eigentum beschreibt anstatt sie als Bürger*innen mit Rechten und berechtigten politischen Forderungen zu sehen [...] für FEMEN ist auch die Selbstorganisation von Sexarbeiter*innen nicht berechtigt, denn diese vertreten ja angeblich auch die ›faschistische Sexindustrie‹.« Wer FEMEN nicht braucht: Betroffene von Menschenhandel und Sexarbeiter_innen.

Ein weiteres großes Thema für Femen ist ihr Kampf gegen das Patriarchat in Form religiöser Institutionen. Wir möchten als Beispiel dafür ihre Aktivitäten zur »Befreiung« der Muslima von traditionellen Rollen(-zuschreibungen) und Moralvorstellungen anführen. Nachdem die tunesische Femen-Aktivistin Amina Tyler ein Oben-Ohne-Selbstporträt auf der Facebookseite »Femen Tunisia« veröffentlicht hatte und später verhaftet wurde, starteten Femen eine Offensive gegen den Islam. Aktionen wie der »Topless Jihad Day« und der Nacktprotest vor dem Justizpalast in Tunis mit der Forderung nach Befreiung von Amina Tyler riefen neben viel Solidarität mit den Inhaftierten weltweit eine große Welle an Kritik hervor. Feminist_innen unterschiedlicher Hintergründe machten darauf aufmerksam, dass Femen nicht für sie sprechen sollten und könnten. Sie protestierten u.a. in sozialen Netzwerken Auf Twitter mit dem Hashtag MuslimahPride und in der Facebookgruppe »Muslim Women Against Femen«. gegen Femen und kritisierten sie als beleidigend, imperialistisch, kolonial, rassistisch, islamophob und paternalistisch sowie als zu wenig komplex in der Darstellung der vielen unterschiedlichen Situationen, in denen sich Frauen* in islamisch geprägten Ländern befinden könnten - die koloniale feministische Rhetorik von Femen stelle Muslima pauschal als von Kultur und Religion unterdrückte Frauen* dar. Das Recht auf Nacktheit, so Femenkritiker_innen auf #MuslimahPride, sei keine Garantie für Freiheit und Frauen*rechte.

Femen blieben bei ihrer Position und formulierten sogar noch drastischer, muslimische Kopftuchträgerinnen seien Sklavinnen, die befreit werden müssten; das Kopftuch sei vergleichbar mit einem Konzentrationslager Cigdem Akyol, »Du brauchst mich nicht zu befreien.« in: taz vom 24. April 2013, http://www.taz.de/!115330., ihre muslimischen Kritiker_innen würden den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit nicht kennen und am Stockholm-Syndrom Dies., »Wir verzeihen ihr«. Femen-Gründerin über Aminas Austritt, Interview mit Alexandra Shevhenko, in: taz vom 21. August 2013, http://www.taz.de/Femen-Gruenderin-ueber-Aminas-Austritt/!122270/. leiden.

Eine Kritik an über den Islam legitimierter sexistischer Unterdrückung ist nicht pauschal als »islamophob« vom Tisch zu fegen. Zweifellos ist es wichtig, aus feministischer Perspektive Religionskritik, auch am Islam, zu üben, sich mit Themen wie dem Kopftuch auseinanderzusetzen und religiöse Zwänge vehement zu bekämpfen. Dies geschieht, zumindest in der deutschsprachigen Linken, oft zu vorsichtig oder lieber gar nicht, weil z.T. nicht zwischen notwendiger Kritik und »Islamophobie«, antimuslimischem Ressentiment bzw. Rassismus differenziert wird. Femens Aktionen fielen damit gewissermaßen in ein islamophobie-phobisches Vakuum. Dennoch sind Femens bisherige Aktionen bzw. Aussagen zu diesen Themen, die muslimische Frauen* als pathologisch unfrei und als unmündig darstellten, berechtigterweise harsch kritisiert worden. Frauen* aufzufordern, ihr Kopftuch abzunehmen und ihnen bei Nichtbefolgung vorzuwerfen, sie würden ihre Unterdrückung gutheißen, ist zudem weit entfernt von einer fundierten Religionskritik, die die gesellschaftliche Funktion von Religion und darüber begründete Herrschaftsstrukturen zu verstehen sowie dadurch bedingtes Verhalten zu erklären hätte.

Femens Aktionen aus o.g. Gründen abzulehnen, bedeutet für uns nicht automatisch, sich kulturrelativistisch zurückzulehnen. Es ist uns wichtig, solidarisch mit Frauen* in islami(sti)sch geprägten Staaten zu sein, die u.a. ihre Religion oder Kultur als frauen*feindlich kritisieren, für die öffentliches Zeigen von Nacktheit emanzipierend ist und/oder die sozialen Verhältnisse ändern wollen. Ihr Kampf um Menschenrechte muss unterstützt werden. Diese Unterstützung funktioniert nur, wenn diese mit Sensibilität hinsichtlich paternalistischem und/oder postkolonialem Verhalten, mit Wertschätzung der lokalen feministischen Kämpfe sowie der Bedürfnisse der jeweiligen Frauen* einhergeht. Femen hätten sich selbst und »ihrem« politischen Subjekt einen Gefallen getan, wenn sie vor ihren Aktionen breitere lokale Netzwerke gefragt hätten, wie sie diesen nützen könnten. So aber muss man von einer nicht solidarischen Haltung gegenüber Betroffenen ihrer angeblichen Solidarität sprechen.»Their activism shows often a lack of knowledge or even worse: a lack of interest in the subjects they want to speak up for.« EXit FEMEN über FEMEN auf ihrer Facebookseite, http://0cn.de/gopg.

Alle gegen Femen? Kritik an der Kritik an Femen

Inzwischen ist ein gemeinschaftliches Femen-Bashing entstanden, wodurch es diversen Kritiker_innen (wie uns) möglich wird, jegliche Selbstkritik auszublenden. So können unsere Unstimmigkeiten in Anbetracht des gemeinsamen Feindes Femen in den Hintergrund rücken. Die feministische Szene sollte es sich nicht so einfach machen. Oft ist zu hören, »wir Frauen*« bzw. »wir Feminist_innen« sollten uns doch nicht untereinander zerfleischen, sondern uns auf den gemeinsamen Feind, das Patriarchat, konzentrieren. Aber wir wollen nicht alle dasselbe, weder im Dafür noch im Dagegen.

Gerade auch außerhalb feministischer Kreise gab und gibt es Anti-Femen-Protesthandlungen sowie Anfeindungen. Sowohl sexistische und rassistische Kommentare unter ihren Fotos als auch tätliche Übergriffe lehnen wir entschieden ab. Die sind teilweise so scheiße, dass wir uns fragen, ob es noch verhältnismäßig ist, sich mit Femen-Aktivist_innen pauschal zu entsolidarisieren - wenn zum Beispiel deren Trainingscenter abbrennt oder sie auf der Straße zusammengeschlagen werden.

Was man Femen zugutehalten kann, ist das Einbringen »feministischer« Themen in die breite, öffentliche Wahrnehmung. So konnten und können andere, feministische Gruppierungen von dieser Aufmerksamkeit profitieren und eigene Inhalte in die Öffentlichkeit transportieren – man denke z.B. an die Verbreitung kritischer Texte bezüglich Femens Aktionen, die auch von Femen-Fans rezipiert werden. Auch der Bekanntheitsgrad unserer Gruppe stieg durch die Auseinandersetzung mit Femen.

Zudem sollte bei der Kritik an Femen der lokale Ausgangspunkt der Organisation mitgedacht werden, was zuweilen nicht der Fall ist. In einem Klima des Backlashs konservativer Geschlechterrollen in der postsowjetischen Ukraine ergab es für die Gründer_innen vielleicht Sinn, an Diskurse der zweiten Welle des Feminismus anzuknüpfen. Beim Export in andere Regionen hätte es allerdings einer Anpassung bedurft. Ihre Ursprünge in der europäischen Peripherie wären auch bei der Kritik an bspw. ihrem »Ethnozentrismus« zu berücksichtigen. Maßstab der Kritik sollten trotzdem ihre Aussagen und nicht ihre »Herkunft« sein.

Ein weiterer Punkt, der aus feministischer Perspektive bezüglich der Kritik an Femen als fragwürdig einzuschätzen ist, ist, dass es sich bei Kritik an Femen oft vorrangig um eine Auseinandersetzung mit Femens Reproduktion der gängigen Schönheitsideale handelt. Da werden Körpermaße bewertet, was das Zeug hält. Wir geben zu bedenken, dass es sich bei Femen-Aktivistinnen wie auch ihren Kritiker_innen um Menschen handelt, die in einer Gesellschaft leben, in der schmerzliche Normierungsprozesse wirken. Ist es ein Verbrechen, eben jenen Schönheitsidealen zu entsprechen und dies zu nutzen? Wären es noch Normen, wenn sich nicht alle – wenn auch ablehnend – an ihnen auszurichten hätten? Das Problem ist nicht die Tatsache, dass einige Menschen über Bilder starkes öffentliches Interesse erregen (und erst recht nicht das Aussehen dieser Menschen selbst), sondern dass dies nicht allen auf diese Weise möglich ist. Durch die Fokussierung auf das Aussehen der Körper von Femen-Mitgliedern werden bestehende Gesellschaftsstrukturen auch in der Kritik an ihnen deutlich und manifestiert. Unserer Meinung nach sollte Kritik an Femen eher den Charakter einer inhaltlichen Auseinandersetzung haben.

Und was machen wir jetzt damit?

Femen sind ein Paradebeispiel, um die negativen Folgen eines Aktionismus zu verdeutlichen, der ähnlich auch in linken bzw. linksradikalen und/oder feministischen Kreisen herrscht. Femen erliegen einer unablässigen Betriebsamkeit, die eher wirkt wie der wahnhafte Versuch, beschäftigt zu sein, um sich die Frage nach der tatsächlichen Wirksamkeit der eigenen Aktivität für einen gesetzten Zweck, Fragen nach dessen genauer Bestimmung oder seiner Berechtigung nicht stellen zu müssen. Eine Aktion folgt der anderen, die Aufmerksamkeit darf nicht abreißen. Die Strategie ist wichtiger als das Ziel, gleichzeitig aber ist das unklare zu erreichende Ziel Rechtfertigung für die Strategie. Anders ausgedrückt: Der Zweck heiligt die Mittel und die Mittel sind der Zweck. Eine solche selbstzweckhafte Praxis muss misslingen. Sie kann sich Fragen nach dem Besonderen jeder spezifischen Situation und der geeigneten Mittel zu deren Verbesserung nicht erlauben.

Ein solcher Aktionismus ist Ausdruck der Verzweiflung darüber, dass alles schrecklich ist, aber man nicht weiß, was man tun kann. Der Kontakt mit dem Objekt der Kritik geht verloren. Man nimmt sich selbst und den eigenen Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen allzu wichtig, während deren Einfluss auf das eigene Denken und Handeln unterschätzt wird. Hier kann nur reagiert werden mit der Aufforderung an sich selbst, die »fast unlösbare Aufgabe« ernst zu nehmen, »weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.« (Adorno)

Bei allem bisher Geschriebenen schwingt zudem die Frage mit, ob es nicht schlimmer ist, Populismus à la Femen zu verbreiten, als bestimmte Sachverhalte gar nicht zu thematisieren. In der Bewertung der bisherigen Femen-Aktionen muss hier eine negative Bilanz gezogen werden. Traditionell feministische Themen werden zwar – irgendwie – in den öffentlichen Raum geworfen, jedoch werden, wie dargestellt, emanzipatorischen Bestrebungen eher Steine in den Weg gelegt.

In dem Zusammenhang sollten wir uns allerdings auch die Frage stellen, wie korrekt und wie durchdacht etwas sein muss, bevor sich öffentlich feministisch engagiert werden darf. Oder: wie kurze, leicht verständliche Aussagen getroffen werden können, ohne verkürzt zu sein. Kritik an Femens verkürzten Aussagen heißt nicht, die Möglichkeit kurzer prägnanter medienwirksamer Aussagen grundsätzlich auszuschließen. Femen selbst zeigen: Es geht auch anders: Anfang 2013 protestierten Femen auf dem Petersplatz u.a. mit der Aufschrift: »in gay we trust«»In Gay We Trust«: Women Go Topless in Front of the Pope in Gay Rights Protest, in: The Blaze vom 13. Januar 2013, http://0cn.de/i1tk. gegen homophobe Äußerungen des damaligen Papstes. Obwohl wir die Auswirkungen auf die Schwulenrechte eher gering einschätzen und wir auch bei dieser Aktion die allgemeinen Kritikpunkte an Femens Aktionen nicht außer Acht lassen, scheint sie uns zumindest keinen größeren Schaden angerichtet zu haben.

Zusammengefasst kritisieren wir wie dargestellt u.a. Femens mangelnde inhaltliche Auseinandersetzung mit feministischen Themen, das Fehlen einer fundierten Gesellschaftskritik, ihre Instrumentalisierung feministischer Themen für unklare Ziele bzw. Zwecke sowie ihre interne hierarchische Struktur. Dies alles wäre halb so schlimm (weil veränderbar, entwicklungsfähig), wäre da nicht ihre unsägliche Ignoranz gegenüber Kritik. Femen wirken aus unserer Sicht dadurch nicht nur unfeministisch, sie wirken gar emanzipatorischen Bestrebungen entgegen und blockieren diese. In Bezug auf die Frage »Sind Femen noch zu retten?« kann also festgehalten werden, dass es nicht auszuschließen ist, dass Femen in Zukunft zu einer emanzipatorischen Praxis beitragen können. Allerdings wären dazu sinnvolle Reaktionen auf Kritik, also auch grundlegende Veränderungen ihrer Praxis nötig, die möglicherweise schon durch die hierarchischen Strukturen immer wieder verhindert werden. Wir setzen weiter auf die Individuen, die ihre Scheuklappen abnehmen, auf die Dissident_innen, denen die Reihen an der Femen-Front dann doch zu geschlossen sind.

e*vibes

e*vibes ist eine feministische, sexismuskritische Gruppe aus Dresden, die im Juni 2013 das »e*camp - gegen kapitalismus und sein geschlechterverhältnis« veranstaltete und es nun tatsächlich geschafft hat, sich mit sieben Leuten auf eine Endfassung dieses Textes zu einigen.