In Abgrenzung zur im Sommer der Migration kurzfristig inszenierten Helferkultur haben sich aktivistische Gruppen formiert, die sich kontinuierlich der Unterstützung von Geflüchteten annehmen. Eine Auseinandersetzung mit diesem Engagement zeigt, dass dessen genuin politischer Anspruch—der Anti-Rassismus—mit seiner Entpolitisierung durchgesetzt wird. Dies geschieht vermittels kultur-relativistischer Konzepte, die in einer unbestimmten Kritik und letztlich der Affirmation des Kapitalismus resultieren. Als eine polit-ökonomische Produktionsweise, die sich gegen die eigenen historischen Voraussetzungen verselbstständigt hat und nunmehr ihre Existenzbedingungen aus immanenten Strukturgesetzen heraus reproduziert, assimiliert er noch Formen des politischen Widerstands seinem Funktionszusammenhang.
Refugee Support untersteht, auch als emanzipativ intendierte Praxis, im Kapitalverhältnis der Umstrukturierung (wohlfahrts-)staatlicher Politik, in der das Potenzial unbezahlter Arbeit jenseits der Familie an Bedeutung gewinnt. Im Zuge dessen wird ehrenamtliches Engagement gezielt in Dienst genommen und in Wert gesetzt. Zu kurz greift eine Kritik, die an den desaströsen Bedingungen, unter denen Geflüchtete zum untätigen Warten auf ihren Asylbescheid gezwungen sind, ein Versagen des Sozialstaates festmacht. Darüber hinaus ist die positive Steuerungsfunktion der Unterversorgung von Geflüchteten bei gleichzeitiger Beschwörung des Ausnahmezustands »Flüchtlingskrise« zu begreifen: So werden sich selbst ausbeutende EhrenamtlerInnen mobilisiert. Deren Einsatz zur Sicherstellung einer halbwegs würdigen Unterstützung von Geflüchteten ist zwar unbedingt geboten, doch zugleich wird der durch die forcierte Unterversorgung von Geflüchteten erzeugte Gewissenszwang unverhohlen instrumentalisiert. Dies ist mitnichten ein Rückzug des Staates, sondern Ausdruck einer sozialstaatlichen Steuerungslogik, in der Geflüchtete nicht mehr als TrägerInnen von Rechten betrachtet werden, sondern als zur Eigenverantwortung Verpflichtete gelten.Silke van Dyk/Elène Misbach, Zur politischen Ökonomie des Helfens. Flüchtlingspolitik und Engagement im flexiblen Kapitalismus, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 46 (2016), 205-227, 209.
Während der Sozialstaat seit Jahrzehnten beständig abgebaut wird, reflektiert die anti-rassistische Linke ihre Privilegien gegenüber Geflüchteten. Durch das Innewerden der eigenen bevorzugten Stellung in der Gesellschaft, die nicht zufällig diskursiv statt ökonomisch gefasst wird, soll eine Umgangsform mit Geflüchteten gefunden werden, die hierarchische Differenzen allmählich überwindet. Entsprechend begreifen sich SupporterInnen in ihrer Arbeit häufig als Ressourcen. Solche Metaphorik affirmiert vorab die Selbstpreisgabe der Subjekte für heteronome Zwecke, insofern Ressourcen etwas sind, über das schlichtweg verfügt wird. Die Privilegienreflexion erweist sich geradewegs als Kultivierung staatlich erwünschter Ermäßigung. Sie verrät die Verinnerlichung struktureller Zwänge, deren Verdrängung vergessen lässt, wie sehr man mit dem eigenen politischen Engagement in die forciert-chaotische Betriebsamkeit des Staates verflochten und »vom Souverän der Zwecklosigkeit, vom Selbstzweck des Kapitals, längst engagiert ist«.Gerhard Scheit, Zur Kritik des politischen Engagements, Freiburg/Wien 2016, 375.
Der radikale Gestus von AktivistInnen steht allzu häufig nicht im Widerspruch zu dieser konformistischen Form des Engagements. Vermittelst postmoderner Theoriekonstruktionen hat sich eine weltanschauliche Form des Anti-Rassismus verbreitet und zum einheitsstiftenden Moment vor allem feministischer, queer-politischer und migrantischer Gruppen entwickelt. Dieser Anti-Rassismus verkennt den gesellschaftlichen Charakter der »Flüchtlingskrise« und regrediert in bloße Elendsverwaltung, insofern auf Herrschaftsphänomene lediglich reagiert wird. Im Falle von auf Minderheiten unter Geflüchteten bezogenem Aktivismus, wie dem Queer Refugee Support, konterkariert Identitätspolitik die ohnehin von allen Seiten gehemmte Emanzipation queerer Geflüchteter. Sie stellt mithin eine falsche Bewältigung des unpersönlichen Charakters der kapitalistischen Herrschaftsform und der damit einhergehenden politischen Ohnmachtserfahrungen dar. Notwendig ist daher die Kritik der identitätspolitischen Verewigung der Situation von Geflüchteten—und gegen sie daran zu erinnern, dass »Flüchtlingspolitik […] weder eine an sich neutrale Sache [ist], die nur von den falschen Leuten betrieben wird, noch ein ›neutraler‹ Politikbereich, der gut oder schlecht sein kann—sie ist an sich schon Index des Falschen«.Leo Elser, Kritik der Flüchtlingspolitik, in: sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik 8 (2016), 12-19, 12.
Politische Ökonomie des Helfens und Identitätspolitik
Mit der Mobilisierung des schlechten Gewissens geraten AktivistInnen in moralisches Standpunktdenken, dessen Konsequenz die verhängnisvolle Alternative von Rassismus oder Willkommenskultur ist. Spaltet man die Situation von Geflüchteten von ihren gesellschaftlichen Bedingungen ab, erscheinen sie als Opfer eines »blinden Naturgeschehens«. So erkennt man zwar die Notwendigkeit der Hilfe, antizipiert jedoch keinen Zustand mehr, in dem diese Not selbst aufgehoben ist. »Frei wäre erst, wer keinen Alternativen sich beugen müsste, und im Bestehenden ist es eine Spur von Freiheit, ihnen sich zu verweigern. Freiheit meint Kritik und Veränderung der Situationen, nicht deren Bestätigung durch Entscheidung inmitten ihres Zwangsgefüges.«Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, in: Gesammelte Schriften (GS) 6, Frankfurt a. M. 2009, 111-149, 115. Alle aufrichtigen Bestrebungen, die Emanzipation von Geflüchteten in politischen Gruppen voranzutreiben, müssen zwangsweise scheitern, solange die rechtliche und ökonomische Situation von Menschen ungesichert bleibt und die Kontingenz ihrer Geburt darüber entscheidet, ob sie in relativer Freiheit und Sicherheit leben dürfen oder Verfolgung und Armut ausgesetzt bleiben. Die permanente Drohung der Abschiebung erlaubt schwerlich die Konstituierung von Gruppen, deren Ziele über den Selbsterhalt der Einzelnen hinausweisen.
Die Erfahrung bestätigt, dass die Bedürfnisse von Menschen, die geflüchtet sind, zumeist immer noch das Gröbste betreffen: Schutz des eigenen Lebens und der Gesundheit, ökonomische Unabhängigkeit durch einen Arbeitsplatz, sicherer Wohn- und Lebensraum. Und es ist richtig, sich für die Gewährleistung dieser ersten Bedingungen privaten Glücks zu engagieren. Dennoch ist die Fatalität einzubeziehen, dass man so unweigerlich daran mitwirkt, sie in das Kapitalverhältnis zu integrieren. Wenn alle Morddrohungen und Verfolgung in seinem Herkunftsland kein Grund sind, um einem schwulen Kenianer in Hannover Asyl zu gewähren, eine Ausbildung zum Gebäudereiniger in der niedersächsischen Provinz ihn letztlich aber vor der Abschiebung bewahrt, dann bestätigt sich, dass ein Mensch, der sich nicht dem Verwertungszwang unterwirft, im Kapitalverhältnis nichts zählt.
Dergleichen Integrationsarbeit bezieht sich nicht auf den Menschen als Individuum, sondern auf seine Austauschbarkeit. Ob ein Asylantrag bewilligt wird, erscheint in Anbetracht der Funktionsweise des Verwaltungsapparats als großer Zufall. Dessen Getriebe aber steht, entsprechend der Logik der Selbstverwertung des Werts, nicht still, solange es Geflüchtete gibt. So verfängt sich die Unterstützungsarbeit notwendig in einem niemals endenden Kreislauf von Asylanträgen, Ablehnungsbescheiden und Klagen. In diesem Zirkel geraten die Individuen gleichfalls zu austauschbaren »Objekten des Helfens«. Immerhin: Die Anmeldung spezifischer Bedarfe, in die besondere Bedürfnisse umgedeutet werden, ermöglicht dann die Akquise von Geldmitteln für die erneute Unterstützung der Geflüchteten—lebendige Menschen als verwertbares Material in der politischen Ökonomie des Helfens.
Da Geflüchteten-Support kontinuierlich auf Geld angewiesen ist, muss er sich, sind die Erträge aus Soli-Partys einmal aufgebraucht, in die Konkurrenz der innovativen Projekte um Fördermittel begeben und sich deren Logik unterwerfen. Wer sich der Verstrickungen des eigenen Engagements bis hierher nicht bewusst war, weiß es spätestens, wenn das Logo des hiesigen Integrationsmanagements auf die eigenen subversiven Flyer gedruckt werden muss. Nun lautet aber die Herausforderung dieses staatlich geförderten und letztlich zur sozialdemokratischen Partizipation eingedampften Engagements nicht, gegen die Institutionalisierung von Geflüchtetenhilfe und ihre Förderung per se zu opponieren. Zu reflektieren wäre vielmehr, in welchem prinzipiellen Verhältnis der Staat zu jenen Bedingungen steht, die vermeintlich bekämpft werden. Denn anders als in aktuellen Bestrebungen zur Aufhebung von Duldung und Illegalität erhofft, gehen die Menschenrechte nicht »dem Staat voraus«,Zit. n. https://www.petition-bleiberecht.de/petition/begruendung/. sondern sind nur unter einem sie garantierenden staatlichen Souverän vorhanden. Noch wo aktivistische Forderungen auf Grundsätzliches zielen, wird verdrängt, dass das Kapital jenes Konkurrenzverhältnis zwischen den Staaten stiftet, das immer wieder Millionen von Menschen durch Kriege und Hunger zur Flucht zwingt oder aus politischen und religiösen Gründen flüchtende Menschen zu ortlosen, aus der Menschheit ausgeschlossenen Individuen macht. Bei dieser Verdrängung des tatsächlichen Charakters staatlicher Gewalt spielen postmoderne Konzepte eine wesentliche Rolle, die die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht als historische Konstitutionsbedingungen des Rassismus zu erkennen vermögen, sondern auf der Erscheinungsebene verweilen.
Das endlose Repetieren von Rassismusvorwürfen gegenüber BeamtInnen in den Asylbehörden wird dadurch nicht falsch, aber sie sind zugleich Ausdruck einer Ohnmacht gegenüber strukturellen Verhältnissen. Auch zeitigt konkrete Unterstützungsarbeit immer wieder Erfolge: Sie verhindert Abschiebungen und rettet dadurch Leben, bringt lesbische Geflüchtete aus dem Dorf in die Stadt oder vermittelt Transsexuellen eine gute Beratung in Sachen Transition. Sie treibt spezialisierte AnwältInnen auf, hilft im Schriftverkehr oder ermöglicht Schutz vor Gewalt. Weil solche Unterstützung als moralischer Imperativ aber eigentlich keiner Begründung bedarf, muss die Frage gestellt werden, was es bedeutet, dass linke AktivistInnen aus ihrer Hilfsbereitschaft ein Selbstverständnis speisen. Die Not, aus der heraus alle Beteiligten agieren, wird durch das Bestreben, Geflüchtete als Geflüchtete zu ›empowern‹, identitätspolitisch verklärt. Ihre Leidensgeschichte soll nicht überwunden, sondern zu einer positiven Identität kondensiert und dann zum Konstituens politischer Gruppen werden, in denen die Individuen einem Kollektiv subsumiert werden, dem sie in keiner Weise freiwillig angehören. In identitätspolitischer Begründung bestätigt das erklärte Ziel sich selbst organisierender und von ›Kartoffeln‹ befreiter Geflüchtetengruppen vollends, dass diese Form des politischen Engagements sich analog zu der Innovation immer neuer Support-Projekte aus der Kontinuität von Flucht speist. Die Forderung zu deren Überwindung ist zum bloßen Bekenntnis depotenziert.
Ohnmachtserfahrung und Moralisierung von Kritik
Konzepte wie intersektionale Perspektiven, critical whiteness und nicht zuletzt ein unhistorischer Rassismusbegriff erweisen sich als funktional, die reale Abschottung von Geflüchteten vom gesellschaftlichen Leben weltanschaulich zu fundieren. Sie erfassen Rassismus voluntaristisch als Komplex von Einstellungen und Vorurteilen, beugen diese aber nicht auf die polit-ökonomischen Verhältnisse zurück, in denen »Privilegierte« von der kontinuierlichen sozialen Angst bestimmt werden, einmal selbst als unbrauchbar aussortiert zu werden. Unter dieser Erfahrung erscheinen den Subjekten Geflüchtete als Bedrohung, die zur Abwehr eine rassistische Gegenidentifikation erfordert. Wo aber jene Konzepte Rassismus nicht bloß als subjektives Phänomen betrachten, gelangen sie nicht weiter als zu der mystifizierten Vorstellung einer von den Absichten der einzelnen Subjekte unabhängigen, allem vorgeordneten Struktur. Damit wird festgestellt, dass sich Rassismus fortwährend reproduziert, doch es kann wegen der Abstraktion von seinen historisch-spezifischen Formen kein Erklärungsgrund dafür angegeben werden. Am Ende wird das rassistische Weltbild von alle Zeiten überdauernden, wesentlichen Differenzen zwischen den Kulturen unter negativen Vorzeichen reproduziert. Weil das Denken an der Realabstraktion des Kapitals abprallt, entsteht das Bedürfnis, einen Repräsentanten der repressiven gesellschaftlichen Ordnung zu finden: den weißen, heterosexuellen, privilegierten Mann.
Solche Personalisierung domestiziert Kritik an der Gesellschaft zu einer moralischen Empörung, die eine klare Grenze zwischen Gut und Böse impliziert—ein Rückfall hinter den bürgerlichen Moralbegriff, der sich über den Kampf der in Interessensgemeinschaften aufgelösten Individuen hinaus noch auf den Begriff einer allgemeinen Vernunft bezog, und an dem insofern gegen die ideologische Moralisierung festzuhalten ist.
In diesem Vernunftbegriff artikuliert sich der Anspruch der formellen Gleichheit aller, auf deren Grundlage individuelles Streben nach Glück überhaupt erst antizipiert werden kann. Deshalb mündete er in der Idee der Menschenrechte, deren Entstehung Ausdruck der Emanzipation der Menschheit von jenem ewigen Werden und Vergehen der Natur ist—ihrer Konstitution als Subjekt von Geschichte.
Im Kapitalverhältnis wird das universalistisch intendierte Asylrecht indes nur selektiv angewendet. Zwar wird es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beschrieben, allerdings nur als Recht des Menschen, darum zu ersuchen, und nicht als Pflicht der Staaten, es zu gewähren. Ungezählten Geflüchteten wird dieses Recht gar nicht oder nur nach zermürbenden Klagewegen zuerkannt. Support-Gruppen delegieren die rechtliche Unterstützung von Geflüchteten also aus guten Gründen an AnwältInnen. Während deren Kampf für die Person aber auf die Resistenzkraft des Rechts insistiert, bleiben an die politische Klasse gerichtete Forderungen schlecht abstrakt. Die dominierende Diskussion um deren moralische Verpflichtung, mehr Geflüchtete aufzunehmen, verabschiedet stillschweigend das Asyl als ein der Diskussion gerade enthobener rechtlicher Anspruch.Leo Elser, Flüchtlingspolitik, 14.
Diese Regression ist nicht durch den Verweis auf das Mitleid als Motiv des politischen Handelns zu relativieren. Der Insistenz auf den Anspruch Geflüchteter auf Glück, ohne nach einer Begründung oder Rechtfertigung dafür zu fragen, wohnt zwar ein idiosynkratisches Moment inne, dass keine Umwege vor Hilfeleistung erlaubt. Gleichwohl ist jenes Moment nicht abzuspalten und als unmittelbare Forderung der Vernunft entgegenzustellen. Mitleid nährt sich von der Position, Subjekt, nicht Objekt der »Flüchtlingsfrage« sein zu können.
Als Reaktion auf die Erfahrung der Sinnlosigkeit des »blinden Zufalls«, muss Mitleid mit Max Horkheimer reflexiv auf eine um ihr materielles Korrelat ergänzte Moral, d. h. die historisch gegebenen besseren Möglichkeiten bezogen werden. Anderes bedient links-idealistische Moralisierungen, die an dem als schicksalhaft imaginierten Kampf von partikularem und allgemeinem Interesse laborieren: »Es entsteht eine unendliche Reflexion und fortwährende Bekümmerung, die grundsätzlich nicht zu überwinden ist.«Max Horkheimer, Materialismus und Moral, in: Gesammelte Schriften (GS) 3, Frankfurt a. M. 2009, 111-149, 115. Gegen die kränkende Erfahrung, dass sich durch eigenes Engagement nichts Wesentliches verändert, ist undialektisch daran festzuhalten, dass das Verhängnis der Kapitalgesellschaft ein vom konkreten Handeln der Menschen perpetuiertes und insofern aufzuhebendes ist. Für auf Emanzipation gerichtete Politik folgt daraus, auf die Forderungen der Aufklärung zu insistieren und Tendenzen zu bekämpfen, die sich auf zurückliegende Stufen der Gesellschaft beziehen, auf denen alles durch Instinkt, Tradition, Gehorsam vermittelt war. Der Solidarität mit Geflüchteten ergibt sich eine Nötigung zur Parteinahme für den Westen und seine relativen Freiheiten. Linken Anti-RassistInnen muss Gesellschaftskritik deshalb notwendig als eurozentrischer Rassismus erscheinen.
Regression in Vergemeinschaftung
In der Konstituierung einer moralisch höherwertigen politischen Identität im anti-rassistischen Aktivismus manifestiert sich ein autoritäres Bedürfnis. Der Personalisierung gesellschaftlicher Konflikte ist entgegenzuhalten, dass die abstrakte Herrschaft des Kapitals »tendenziell personengebundene Herrschaftsformen auflöst und deren Wiederkehr und Persistenz damit gerade als Reaktionsbildung auf diesen Auflösungsprozess verstanden werden müsste, als Projektionsmechanismen, die in sekundäre Formen personengebundener Herrschaft und also immer wieder in Gewalt münden«.Gerhard Scheit, Kritik, 197f. Gegen einen Anti-Rassismus, der Gewalt als unmittelbares Verhältnis zwischen Unterdrückern und Unterdrückten betrachtet, ist diese in ihrer gesellschaftlichen Vermittlung zu begreifen und zugleich die Wendung aufs Subjekt zu vollziehen. Insofern sich Gewalt wesentlich auf der subjektiven Ebene verinnerlichter Herrschaft abspielt, ist den Subjekten ihr Rassismus vollends anzulasten. Das Argument ist nicht, dass Rassismus aus dem Kapitalverhältnis abzuleiten wäre. Zur Kritik steht ein das Kapital fetischisierendes kritisches Bewusstsein von Anti-RassistInnen. Dieses abstrahiert von sozialen Differenzen und will ein autoritäres Verhältnis zu Geflüchteten allein durch Gewissensprüfung überwinden. Gleichzeitig eskamotiert es die Idee bürgerlicher Gleichheit, die Voraussetzung für die historische Entfaltung der auf abstrakt menschliche Arbeit zielenden Kapitalverwertung ist, und verharrt in einer bornierten Kritik, die rassistische Weltanschauungen negativ reproduziert: Ethnopluralismus, die Vorstellung ursprünglicher Kulturkreise und damit einhergehender Kollektividentitäten, Werterelativismus, letztlich der Einspruch gegen eine alle kulturelle Differenz vermeintlich egalisierende Moderne und für die Restitution vorkapitalistischen Zwangs.
Das aus diesen Prämissen abgeleitete politische Programm, alles Partikulare gegen jene Egalisierung zu unterstützen, endet in der Identifikation mit dem Angreifer. Vom Rassismus Betroffene werden als Teil von Kollektiven wahrgenommen und auf all das reduziert, was auf konservative Formen der Vergemeinschaftung verweist: Herkunft, kulturelle Tradition, Religion. So komplettiert sich das Bild von Geflüchteten als Opfern, an denen all die Momente als zu bewahren verteidigt werden, die keine Wesensbestimmung der Individuen ausmachen, sondern veränderbar sind. Die Ressourcen unterwerfen sich damit zugleich partikularen Handlungsmaximen, die aus den tatsächlichen oder imaginierten Bedürfnissen von als kollektiv unterstellten Identitäten abgeleitet werden.
Sich zu Geflüchteten in ein nicht-paternalistisches Verhältnis zu setzen, bedeutete dagegen, ihre Beschädigungen durch Herrschaft und Flucht ernst zu nehmen. Um ihre Emanzipation zu mündigen Individuen zu befördern, ist es erforderlich sich kritisch aufeinander zu beziehen. Häufig ist eine dazu gegenläufige Infantilisierung der Geflüchteten zu beobachten. Werde ihrer marginalisierten Stimme Raum verschafft, sei dies, gleichgültig was sie zu sagen haben, immer schon empowernd. Damit wird linker Antiintellektualismus verlängert, dessen Begriffslosigkeit es fast so einfach macht, Anti-RassistIn, wie RassistIn zu sein.
Antirassismus gerät hier zum Reflex einer Weltanschauung, der man sich dort unterwirft, wo man auf die Thematisierung des politischen Islams und des Antisemitismus verzichtet, und mit der man dort autoritär auftrumpft, wo das Recht der Stärkeren als Recht der Schwächeren rehabilitiert werden soll.
Geflüchtete und queere Geflüchtete
Weltweit leben etwa 175 Millionen Menschen, die schwul, lesbisch oder transsexuell sind gleichzeitig in Verhältnissen, in denen sie verfolgt würden, sobald ihre sexuelle Orientierung öffentlich bekannt wird. In keinem Verhältnis dazu stehen jene 2.500 Menschen, denen aufgrund von Verfolgung oder Diskriminierung ein rechtlicher Status zuerkannt wird—nur sehr wenige Staaten erkennen diesen Asylgrund an—, und die Millionen, die aus ökonomischen und geografischen Gründen gar nicht erst flüchten können.Tjark Kunstreich, Dialektik der Abweichung. Über das Unbehagen in der homosexuellen Emanzipation, Hamburg 2015, 24.
Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität ist in manchen europäischen Staaten legaler Asylgrund. Aber während weltweit Millionen von Homo- und Transsexuellen in ihren Herkunftsländern der Verfolgung schutz- und hilflos ausgeliefert bleiben, operieren die Regierungen in ihrer Asylpolitik mit der Unterstellung, Homosexualität sei häufig ein bloßer Vorwand, um sich die Anerkennung der Asylberechtigung zu erschleichen. Die Direktive der Flüchtlingspolitik ist entsprechend, die Geflüchteten zu schikanieren, indem deren Angaben über die eigene sexuelle Orientierung infrage gestellt oder diese in erniedrigenden Befragungen abgeprüft wird. Die Beispiele sind hinlänglich bekannt, bei denen Geflüchteten ihre Homosexualität in Abrede gestellt wird, weil auf ihren Smartphones keine schwulen Pornos zu finden sind oder sie sich nicht hinreichend effeminiert verhalten.
Es ist die Frage für den Queer Refugee Support, wie auf die Repression der Sexualität zu antworten wäre. Wo queer jedoch inflationär verwendet wird, als beruhe es auf nichts anderem als einer Selbstdefinition abseits der Norm und Sexualität mit beliebigen Merkmalen oder Eigenschaften als Differenzkriterien angeführt wird, wird das Subjekt als Kompositum von frei gewählten Identitätsangeboten gefasst und das Kontingente an der sexuellen Orientierung geleugnet. In diesem für das postmoderne Denken typischen Versuch, Herrschaftsverhältnisse diskursiv zu bewältigen, ist die Homosexualität nicht ohne weiteres integrierbar, da sie immer an Geschlechtlichkeit gebunden bleibt. Dem Wesen nach ist Sexualität als Triebschicksal zudem ein individuierender Faktor und somit schwerlich eine Grundlage politischer Bündnisse. Anders gesagt sind die in das Reservat queer Genötigten de facto Individuen und bringen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit, sowohl was ihre eigene Sexualität als auch ihre politischen Überzeugungen betrifft.
Insofern Sexualität mehr ist als ein soziales Konstrukt, vermag Homosexualität nicht in dem fluiden und gerade dadurch identitären Konzept queer aufzugehen, das die Verwandtschaft der Minderheiten nicht allein auf historische Unterdrückung zurückführt, sondern die Individuen intersektional als Bündel von Diskriminierungsformen fasst und sie zur Identität verdinglicht. Damit das funktioniert, muss von aller konkrete Erfahrung abstrahiert und ihr Leid zur wesentlichen Bestimmung jener Kollektividentität verkehrt werden—womit jegliche Kommunikation über konkrete Erfahrungen vorab kanalisiert ist. Damit ist es das verdrängte Verhältnis zur Sexualität, das beständig das Versprechen der Emanzipation revoziert. Diejenigen Residuen, in denen sie teilweise gelungen ist, werden angegriffen und die in ihnen symbolisierte Gleichheit als Leugnung der Differenz denunziert—so gelten queeren TheoretikerInnen emanzipierte Schwule häufig bereits als zu privilegiert.
Die queere Ideologie dient sich damit der gesellschaftlichen Repression von Sexualität im anti-rassistischen Gewand an und antwortet gerade nicht auf die spezifische Situation queerer Geflüchteter. Jüngst kritisierte Gladt e. V., eine queere Berliner Selbstorganisation zur Bekämpfung von Diskriminierung, das Ausstellen von Weltkarten mit Hervorhebung der Homosexualität kriminalisierenden Staaten als rassistisch. Unter queeren AktivistInnen, denen Geflüchtete gerade noch die ewigen Opfer waren, ist es überhaupt verbreiteter Konsens, auf die Kritik der Zustände in deren Herkunftsländern zu verzichten—schließlich gilt es dem Verdacht auszuweichen, islamophob zu sein. Dem Angriff auf Homosexualität kommt aber gerade in den Ideologien des konservativen Mehrheitsislams und der Neuen Rechten eine besondere Aufmerksamkeit zu, wird in ihrer Loslösung von der Fortpflanzung und vom familialen Verhältnis doch jene Freiheit ohne Verantwortung gesehen, die sonst nur dem Kapital zukommt. Hieraus wäre zu schließen, dass Homosexuellenfeindlichkeit, als wesentlich anti-moderne Einstellung, dem Antisemitismus weitaus nähersteht als dem Rassismus.
Es ist kein Zufall, dass neben emanzipierten schwulen Männern auch Israel im queeren Aktivismus ständig als Feindbild erscheint.Dokumentiert in: Vojin Saša Vukadinović (Hrsg.), Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik, Berlin 2018. Wenn etwa die niederländische Queer Refugee-Gruppe Sehaq neben Misogynen und RassistInnen auch »Zionisten« von ihren Veranstaltungen ausschließt und dezidierte Veranstaltungen gegen das vermeintliche Pinkwashing Israels ausrichtet, dann ist dies keine vulgäre Form des queeren Aktivismus, sondern die letzte Konsequenz seiner Kategorien.
Es gilt, einen Anti-Rassismus zu überwinden, der unter Vereinnahmung von menschlicher Not das Ziel gesamtgesellschaftlicher Emanzipation hintertreibt und Kritik des Antisemitismus und des Rassismus gegeneinander ausspielt. Dies erfordert nicht zuletzt ideologiekritische Arbeit, die—dieser Widerspruch ist auszuhalten—nicht unmittelbar der materiellen und leiblichen Situation von Geflüchteten begegnen, noch die Helfenden direkt anweisen kann. Doch dass keine Geflüchteten in der Identität aufgehen, die der queere Aktivismus von ihnen entwirft, erfordert ohnehin, die freie Assoziation und die Überwindung bornierter Perspektiven als Ziel aller progressiver politischen Gruppen anzuvisieren. Erst die Aufhebung der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse würde eine widerspruchslose Vermittlung von Theorie und Praxis ermöglichen. Bis dahin wird sich Kritik von der Lüge nur durch das Bewusstsein unterscheiden, »dass sie gezwungen ist, sich selber eine Kraft zuzuschreiben, die kein Einzelner besitzen kann«.Gerhard Scheit, Kritik, 263.
Steffen Stolzenberger
Der Autor war 2016 Mitbegründer und ist seither aktiv in der Gruppe Queer Refugees Hannover. Der Text geht auf einen Vortrag bei der Konferenz des Drift-Bündnisses Feministische Allianzen. Gegen völkische Rechte & Islamismus im November 2018 in Marburg zurück.