Rechtsform und Rape Culture 

Eine marxistisch-feministische Kritik des bürgerlichen Willens und seiner männlichen Gewalt 

Bekanntermaßen können es Frauen im kapitalistischen Patriarchat nicht richtig machen. Sie werden mehr als alle anderen zwischen den bürgerlichen Sphären von Öffentlichem und Privatem aufgerieben. Die bürgerliche Durchsetzung ihres Willens gilt stets entweder als über- oder untertrieben, weswegen ihnen oft nur die Wahl bleibt, als verbissene Karrierefrau verachtet oder als geschätzte, aber nicht ernstzunehmende Harmoniespenderin übergangen zu werden. 

Diese Lose-Lose-Dynamik des Eigenwillens der Frau zeigt sich auch in der Linken und spitzt sich besonders dort zu, wo Frauen und allgemeiner Feminist:innen die sexuelle Gewalt von vor allem Männern kritisieren: Gerade Fans der Kritischen Theorie warten hier als Apologeten des Privaten auf und erklären nur zu gerne, warum das feministische Bestehen darauf, bei Liebe und Sex als autonome Person respektiert zu werden, das Nicht-Identische in der Leidenschaft verderbe. Forderungen nach einer Konsenskultur werden hier vor allem als Unfähigkeit und Unwillen verstanden, »Subjektform, Verantwortung und Kontrollwahn abzustreifen«Thomas Maul/David Schneider, Asexuelle Belästigung. Warum #MeToo ein großangelegter Übergriff auf die Residuen bürgerlicher Zivilisation ist, in: Bahamas 78 (2008), https://t1p.de/a56u0, weniger radikalisiert etwa bei Paulette Gensler, Im Bett mit Habermas, in: Jungle World 2015/52.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen rationalistische Marxisten, wie der Großmeister der Zeitschrift Gegenstandpunkt, Peter Decker, der 2012 auf einer Podiumsdiskussion erklärte, dass Frauen, die in Gewaltbeziehungen blieben, meist selbst schuld seien: »Wenn es keine gesellschaftliche Notwendigkeit und keinen gesellschaftlichen Zwang und keine Objektivität außer den Willen des andern gibt, dann muss man solche Arschlöcher halt meiden. […] Wenn sie blöd genug ist, bei dem Idioten zu bleiben, obwohl sie es gar nicht muss, dann kann man ihr mit Gesellschaftspolitik auch nicht helfen.«Alle Zitate aus: Peter Decker/Michael Heinrich, Klassen-Kämpfe-Kommunismus – Podiumsdiskussion. 2012, Timecode: 08:05–10:30, https://t1p.de/n6g89. 

Es ist also fast egal, ob Frauen nun zu viel oder zu wenig auf ihrem Willen bestehen, genauso wie es egal zu sein scheint, ob männliche Übergriffigkeit als Teil von Leidenschaft romantisiert oder als relativ beliebiges Interesse, dem man sich nur individuell entziehen muss, rationalisiert wird: Am Ende steht immer die Rechtfertigung von männlicher Gewalt und die Leugnung einer Rape Culture, die systematisch die sexuelle Selbstbestimmung von vor allem Frauen untergräbt und angreift.  

Feministische Gesellschaftskritik muss deshalb die Spaltung zwischen öffentlich und privat, Willen und Leidenschaft selbst zum Gegenstand machen, statt nur Ping-Pong zwischen ihr zu spielen.  

Dafür müssen jedoch genau die Fragen beantwortet werden, für die sich der Großteil der linken Theorie gar nicht erst interessiert: Welche Form nehmen Wille (und Leidenschaft) im kapitalistischen Patriarchat eigentlich an, warum besteht ihr Inhalt gerade bei Männern massenhaft in der sexuellen Unterwerfung von Frauen und wie haben diese Männer dabei Staat und Kapital auf ihrer Seite? 

Nur eine so verstandene marxistisch-feministisch Kritik ist in der Lage, den Zusammenhang des bürgerlichen Rechts mit Rape Culture sowie der kapitalistischen Willenssubjektivität mit ihrer patriarchalen Leidenschaft für männliche Gewalt aufzuklären und die Widersprüche von feministischen Interventionen zu beleuchten, ohne dabei selbst ins Reaktionäre zu kippen.  

 

Marxistische Kritik der Rechtsform 

Nach der bürgerlichen Ideologie haben Menschen von Natur aus Rechte. Staat und Recht verwirklichen demnach nur die gattungsgemäße Freiheit und Gleichheit. Der das Recht garantierende Staat wiederum wird im positiv-harmonischen Sinne als allgemeiner Wille der Einzelwillen vorgestellt. Eine vulgär-marxistische Kritik hingegen denunziert diese Konzepte als schlichte Lüge: Staat und Gesetz wären Instrumente der Klassenherrschaft für die Bourgeoisie und sonst nichts. 

Die marxistische Formkritik des Rechts geht darüber hinaus, kritisiert beide Konzeptionen und birgt so ihren jeweiligen Wahrheitsgehalt: Sie entschlüsselt das Recht als reale Verwirklichung von Gleichheit und Freiheit, nur eben als Freiheit und Gleichheit der Warenbesitzer:innen. Die Wertform stellt die Realabstraktion von Gütern und Arbeiten dar und verwirklicht die gesellschaftliche Verkehrsform des Warentauschs. Die Rechtsform wiederum verwirklicht die Realabstraktion der Subjekte, die diese Waren tauschen und garantiert ihre Verkehrsform, die willentliche Übereinkunft (den Vertrag). 

Die Pointe dabei ist, dass sich gerade dadurch die Klassengesellschaft durchsetzt. Denn »in der gegenseitigen formellen Anerkennung als Eigentümer ist die Anerkennung materieller Ungleichheit immer schon miteingeschlossen. […] Eigentümer und Eigentümerin ist in der kapitalistischen Gesellschaft jeder und jede, nur eben nicht Eigentümer von Produktionsmitteln, sondern Eigentümer von Ware, die es zum Zwecke der Selbsterhaltung zu tauschen gilt – für die überaus größte Anzahl von Menschen ist dies die Ware Arbeitskraft.«Alex Gruber/Tobias Ofenbauer, Der Wert des Souveräns. Zur Staatskritik von Eugen Paschukanis, in: Eugen Paschukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus, Freiburg 2003, 5–23, hier 8.

Die Kapitalist:innen müssen die Lohnabhängigen also nicht unmittelbar betrügen oder direkt unterwerfen, um sie ausbeuten zu können. Der einzige Zwang, den es auf dieser Ebene braucht, ist die Gewalt des Staates. Er sorgt dafür, dass die Eigentumsordnung unangetastet bleibt und die Gewalt der Einzelsubjekte die Bedingungen des freien Tauschs nicht untergraben kann. Das bürgerliche Recht ist also die Einheit der unterschiedlichen Willen unter der Bedingung ihrer strukturellen Trennung in der Konkurrenz. 

So wie die Warenform auf die Rechtsform verweist, weil sich der produzierte Wert nur im willentlichen Austausch der Waren realisieren kann, verweist die Rechtsform auf die Staatsform. Der Staat garantiert den jeweiligen Willen der Einzelnen und steht so tatsächlich für die Allgemeinheit der Einzelwillen. Doch nicht als positiver Akt der Einwilligung, wie es die bürgerliche Ideologie des Gesellschaftsvertrags behauptet, sondern als den Subjekten entzogenes Gewaltverhältnis. Denn um seine Funktion erfüllen zu können, muss der Staat eine gewisse Unabhängigkeit behalten und darf nicht der direkten Kontrolle einzelner Kapitalfraktionen unterliegen. Der Staat ist, nach einer berühmten Formulierung des marxistischen Staatskritikers Johannes Agnoli, nicht der Staat der Kapitalist:innen, sondern der Staat des Kapitals. Schon hier wird also klar, dass die »Objektivität« des Willens in bürgerlichen Verhältnissen mehr ist als ein schlichtes Interesse.  

 

Feministische Rechtskritik 

Der historische Ausschluss von Frauen aus den bürgerlichen Menschenrechten wurde damit begründet, dass sie zwar prinzipiell zu Vernunft und Willen fähig, aber nicht in der Lage seien, diese aktiv und autonom zu verwirklichen. Es ist deshalb kein Zufall, dass die bürgerliche Philosophie von Anfang an eine bedeutende Ausnahme der willentlichen Verfügung über sich selbst kannte: die »Geschlechtsgemeinschaft«. In der Metaphysik der Sitten definiert Immanuel Kant sie als »den wechselseitigen Gebrauch, den ein Mensch von eines anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht [...]. In diesem Akt macht sich ein Mensch selbst zur Sache, welches dem Rechte der Menschheit an seiner Person widerstreitet.«Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, Berlin 2013, §§ 24 u. 25.

Sex und im erweiterten Sinne Ehe werden also gerade nicht als wechselseitiger Willensakt im bürgerliche Sinne verstanden. Die Rechtsperson und ihr Wille werden hier ausgesetzt, nicht verwirklicht. Denkt man daran, dass es gerade das bürgerliche Wesen der Frau sein soll, diesen aktiven Willen gar nicht zu haben, wird offensichtlich, dass das wechselseitige Aussetzen des Willens nicht ihre Gleichheit im Privaten verwirklicht, sondern ihre Unterwerfung. Diese bei Kant noch implizite Bedeutung wurde von anderen Naturrechtlern wie dem deutschesten aller Idealisten, Johann Gottlieb Fichte, auch direkt zur Forderung erhoben. In der Grundlage des Naturrechts schreibt dieser zur Ehe: »Der Mann tritt ganz an ihre Stelle; sie ist durch ihre Verheiratung für den Staat ganz vernichtet, zufolge ihres eigenen notwendigen Willens, den der Staat garantiert hat.«Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, Hamburg 1991, 320. Der Wille der Frau wird Fichte zufolge durch den Staat verwirklicht, gerade dadurch, dass sie als Person vernichtet und dem Mann unterstellt wird. Fichte benennt damit die besondere Form des nicht-aktiven, nicht-selbstbestimmten Willens der Frau: den Willen zur Willenlosigkeit. 

Der Gegenstand dieses Willens ist nicht zufällig vorrangig ihr (Geschlechts-)Körper. Denn die erste Bedingung, um im Kapitalismus als Subjekt gelten und handeln zu können, ist es, sich selbst und den eigenen Körper zu besitzen, also willentlich kontrollieren zu können. Prägnant formuliert: Der Körper ist Eigentum vor jedem Eigentum, der Wille Gesetz vor jedem Gesetz. In der klassisch-liberalen Rechtsphilosophie ist es deshalb verboten, den Körper eines anderen Menschen zu verletzen oder auch nur zu nutzen. Das wäre gleichbedeutend mit einem Angriff auf die Substanz des Willens und eine unmittelbare Verletzung der Person.  

Da Frauen aber historisch und heute noch idealtypisch ebenjenes willentliche Recht an sich selbst abgesprochen wird, gehört ihr Körper ihnen nicht selbst. Stattdessen wird er zu einer Art prinzipiellen Allgemeingut für den Staat und einzelne Männer, die den Status der Frau als Person einschränken oder gleich ganz ignorieren dürfen.  

Die materialistisch-feministische Staatstheoretikerin Brigit Sauer bestimmt in diesem Sinne das Verhältnis von Staats- und Männergewalt als ursprünglich aufeinander bezogen: »Das physische Gewaltmonopol des Staates machte Halt vor der personalisierten Männergewalt im staatsfrei konzipierten Raum von Intimität, Liebe, Ehe und Familie. […] Der subjektlosen Gewalt des modernen Staates war also (legitimierte) personalisierte Geschlechtergewalt von Anbeginn an inhärent.«Birgit Sauer, Materialistisch-feministische Staatstheorie. Kritische Perspektiven auf Gewalt gegen Frauen, in: Ulrich Brand/Christoph Görg (Hrsg.), Zur Aktualität der Staatsform, Baden-Baden 2018, 115–136, hier 124 u. 128.

Carole Patemen nennt dies in ihrem gleichnamigen Buch den Sexual Contract: die geschlechtliche Schattenseite des bürgerlichen Gesellschaftsvertrags. Nach Patemen etabliert sich neben dem Recht auf Gewaltfreiheit ein patriarchales Sonderrecht auf Gewalt, das sie Male Sex Right nennt und als direkt-verbriefte Verfügungsgewalt des Mannes über Frauen in einer Quasi-Leibeigenschaft versteht. Eine Zuspitzung, die sich oft nicht (mehr) mit der Realität deckt. Besonders die heutige Institution der Ehe etabliert keine direkten, sondern vor allem ökonomisch-strukturelle Umstände, die Frauen der Dominanz und Gewalt von Männern aussetzen, etwa die »soziale Einbettung in vergeschlechtlichte Arbeitsmärkte, Sozialstaatsregime und die Aufteilung von unbezahlten Arbeiten«Nancy Fraser, Beyond the Master/Subject Model: Reflections on Carole Pateman’s Sexual Contract, in: Social Text 37 (1993), 173–181, hier 175..  

Gleichzeitig gibt es gerade bei der Ehe genug Beispiele aus der Rechtssprechung, auf die die These eines Male Sex Right schlicht zutrifft: Der Bundesgerichtshof verurteilte noch 1966 eine Frau dafür, dass sie ihrem Ehemann den Beischlaf verweigerte. Dabei stellte das Gericht heraus, dass Frauen sich aktiv unterwerfen müssen, die Frau also »ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit [genügt], daß sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen läßt«BGH, 02.11.1966 – IV ZR 239/65, https://t1p.de/vwejk.. Ein ähnliches Urteil wurde noch 2019 in Frankreich gesprochen.Rudolf Bamler, »Eheliche Pflicht« zum Sex, in: TAZ vom 18.03.2021. Doch auch außerhalb des vertraglichen Sonderfalls der Ehe und Patemens Zuspitzung des Male Sex Right tut sich das bürgerliche Recht äußerst schwer damit, sexuelle Gewalt zu verurteilen oder überhaupt zu erfassen: Vor 2016 kannte das deutsche Recht den Willen einer Person nicht als Kriterium für den Straftatbestand der sexuellen Nötigung. Wer vergewaltigte, ohne dabei weitere direkte Gewalt auszuüben, hatte sich in der Regel nichts zuschulden kommen lassen – eine Logik, die in der konkreten Gerichtspraxis noch bis heute zum Tragen kommt. Vor dem Hintergrund einer feministischen Rechtskritik kann dies aber nicht als Versäumnis des bürgerlichen Rechts erscheinen, sondern ist seiner inneren Logik nach nur konsequent. 

 

Wille und Leidenschaft 

Den Willen ausüben kann also nur, wer den eigenen Körper willentlich beherrscht. Doch woher kommt die Fähigkeit zum Willen selbst? Karina Korecky hat herausgearbeitet, dass es das Geschlechterverhältnis ist, an dem sich das bürgerliche Subjekt und seine Fähigkeit zum Willen reproduziert. Die geschlechtliche Spaltung und Arbeitsteilung des kapitalistischen Patriarchats soll nicht nur die vernutzte Arbeitskraft, sondern ebenso die Warenbesitzer-Subjektivität wiederherstellen, die zum konkurrenzfähigen Durchsetzen des eigenen Willens in der Lage ist. 

Das Verhältnis von Willen und Leidenschaft existiert hier in doppelter Form und Richtung: Erstens als Tätigkeit des (männlichen) Subjekts am (weiblichen) Objekt. Dafür muss die Leidenschaft nicht nur unterdrückt, sondern ein integrierter Antrieb der Selbstbestimmung werden. Das von den Epigonen der Kritischen Theorie hochgehaltene »Abstreifen« der Subjektform in der Leidenschaft war schon immer fester Bestandteil seiner Reproduktion. Das heißt, das Subjekt kann und soll sich ruhig in Liebe und Begehren verlieren, weil es erst dort wieder wirklich zu sich selbst findet. »Die durch die Vernunft gezügelten Leidenschaften des Mannes sind dabei gleichzeitig Voraussetzung der Vernunft […] ohne Leidenschaft keine Festigkeit des Willens und kein Primat der Selbsterhaltung.«Karina Korecky, Geschlechtslose Liebe, in: Phase 2.54 (2017). Und Zweitens natürlich als Liebe und Sorge spendende Hingabe der weiblichen Nicht-Subjekte, die damit ihren Willen zur Willenlosigkeit verwirklichen. 

Trotz aller bürgerlichen Ideologie und der entsprechenden Zurichtung der Menschen, die Frauen sein sollen, ist, sich Männern hinzugeben und für ihre Subjektivität zu leben, nichts, was stets gern und freiwillig verrichtet wird. Deshalb reicht die einmalige Errichtung des Privaten nie aus. Frauen müssen dort hineingedrängt und gehalten werden – notfalls mit Gewalt. 

Der Staat, der ein allgemeines Interesse an der Aufrechterhaltung dieses Privaten hat – namentlich möglichst billige Reproduktionsbedingungen für die Ware Arbeitskraft sowie die Vermehrung des Staatsvolks – braucht kein Ministerium für den Erhalt des Patriarchats oder eine Abteilung für männliche Gewalt. Es reicht hier wieder, dass Staat und Recht lediglich die Rahmenbedingungen der Willensdurchsetzung der Einzelsubjekte sicherstellen, während diese Einzelsubjekte wiederum mit der Durchsetzung ihres Einzelwillens (hier: ihrer patriarchalen Gewalt) das allgemeine Gesellschaftsverhältnis verwirklichen. Diesmal jedoch nicht in der Form des bürgerlichen Willens und seinem gleichen Tausch unter Ungleichen, sondern in der Form der leidenschaftlichen Unterwerfung von vor allem Frauen durch vor allem Männer zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Geschlechtsgemeinschaft. 

Für Staat und Recht stellt sich männliche Gewalt meist gar nicht erst als Gewalt dar, weil hier der Form nach kein Willen einen anderen Willen verletzt hat. Wenn Männer überhaupt vom Recht belangt werden, erscheinen sie vielmehr als Opfer ihrer Leidenschaften, wie ein viel zitiertes Urteil des Bundesgerichtshofs von 2008 über einen Femizid bebildert. Die ausgesprochen milde Strafe für den misogynen Mörder wurde damit begründet, dass »die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will«BGH, 29.10.2008 – 2 StR 349/08, https://t1p.de/i99xj.

Wenn man die feministische Subjektkritik hier zuspitzt, lässt sich zusammenfassen: Das männliche Subjekt muss Leidenschaft und Disziplin in sich vereinen, um Subjekt sein und bleiben zu können. Am Liebesobjekt Frau wird aber nicht nur Leidenschaft so exerziert, dass sie sich disziplinierend nach innen richtet und den selbstbestimmten Willen des Mannes stärkt. Sondern Leidenschaft muss sich nach außen richten, um Frauen so zu disziplinieren, dass sie ihrer Rolle als Spenderin von Glück und Subjektivität nachkommen. Für das männliche Subjekt ist die Unterwerfung von Frauen bzw. Weiblichkeit mit einem Ausmaß an Gewalt, das dem Subjekt selbst nicht schadet, eine im bürgerlichen Sinne »geglückte« Integration von Willen und Leidenschaft. 

Der bedauernde Ton des zitierten Urteils oder die mediale Berichterstattung über »Beziehungsdramen« deuten darauf hin, dass dies sehr wohl im patriarchalen Sinne tragisch enden kann – aber lediglich in zwei Fällen. Entweder wenn das Subjekt sich doch zu sehr in der Leidenschaft verliert und sich so selbst untergräbt oder wenn die Gewalt so weit geht, dass Frauen als prinzipielles Allgemeingut für den Staat und andere Männer vernichtet werden.  

Spätestens beim männlichen »Wenn ich sie nicht haben kann, soll sie keiner haben dürfen!« muss der Staat einschreiten, um die materielle Basis des allgemeinen Gesellschafts- und Geschlechterverhältnis abzusichern. Agnolis Rede vom Staat des Kapitals lässt sich hier auf das Geschlechterverhältnis übertragen: Der Staat fungiert nicht unmittelbar als Staat der Patriarchen, sondern als Staat des Patriarchats. 

 

Rechtslogik gegen Rechtsform?! 

Hinzu kommt, dass dieses kapitalistische Patriarchat mittlerweile in den hiesigen Verhältnissen Frauen (und andere Geschlechter) ebenfalls in die bürgerliche Subjektform integriert hat, Frauen und andere Geschlechter also zunehmend doppelt vergesellschaftet sind. Die lächerlich kleinen, aber realen staatlichen Investitionen in Gewaltschutz und -prävention müssen deshalb zumindest nicht immer gegen den Staat erkämpft werden. Als bürgerliche Subjekte, die sich und ihren Körper besitzen sollen und müssen, haben auch Frauen und andere Geschlechter einen realen Anspruch auf Gewaltfreiheit. 

Reformistische Bestrebungen setzen genau hier an und klagen buchstäblich ein, dass Staat und Recht eigentlich dagegen vorgehen müssten, wenn der Einzelwille von Subjekten gebrochen wird. Die feministischen Errungenschaften im Sexualstrafrecht zum Beispiel zeigen, wie die Rechtsform dafür nicht verlassen werden muss, sondern erweitert werden kann: Die Substanz der Rechtsperson wurde um das schützenswerte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung ergänzt. 

Das ist einerseits richtig und notwendig, anderseits werden diese Veränderungen nie etwas Grundsätzliches am instabilen Subjektstatus der Frau ändern. Die marxistisch-feministische Kritik der Rechtsform zeigt, dass es vor allem Männern im kapitalistischen Patriarchat von der Tendenz her und im Zweifelsfall immer möglich sein wird, staatlich relativ geduldet den Willen von Nicht-Männern, vor allem von Frauen, für die Aufrechterhaltung bürgerlicher Subjektivität und der damit einhergehenden Aufrechterhaltung von Männlichkeit zu brechen. 

Dieser Widerspruch zeigt sich nicht nur auf der Seite des öffentlichen Rechts, sondern auch im Privaten. Auch hier versuchen feministische Interventionen oft die bürgerliche Rechtslogik auszuweiten, um die patriarchalen Angriffe auf den Status von Frauen als Personen abzuwehren. Konzepte wie Konsensmoral für Sexualität oder der Fokus auf das Aushandeln von Bedürfnissen in alternativen Beziehungsmodellen orientieren sich an der Willens- und Tauschsubjektivität der Öffentlichkeit und übertragen diese in den Bereich der Privatheit und Leidenschaft.  

Auch das ist nachvollziehbar und zweifellos notwendig in Verhältnissen, in denen Männern aus guten Gründen nicht vertraut werden kann. Schließlich fallen Hingabe und Liebe im Patriarchat oft mit geschlechtlicher Unterwerfung und Gewalt zusammen.  

Eine wirkliche Lösung des Problems ist hier dennoch nicht zu finden, besonders wenn nicht geteilte Verletzlich- und Verantwortlichkeit, sondern ausdrückliche Willensbekundungen in den Fokus gerückt werden. Wie die Radikalfeministin und Anwältin Catharine MacKinnon angemerkt hat, war das Konzept Konsens nie als Zivilverhältnis gedacht, sondern beschreibt traditionell die Zustimmung der Regierten zur Regierung. In unfreien Verhältnissen muss das Versprechen auf befreite Sexualität allein durch willentliche Zustimmung eine Täuschung bleiben, weil die reale Ungleichheit der Geschlechter und ihre extrem unterschiedlichen subjektiven und gesellschaftlichen Voraussetzungen nur in eine pseudo-egalitäre Form gegossen werden. Wie sie in einem Vortrag vor dem Nordiskt Forum 2015 zusammenfasste, ist Konsens »in other words, doing what you are told to do«.  

Die Anfangs zitierte Äußerung von Peter Decker zeigt dabei, wie eine konsequente Verallgemeinerung der bürgerlichen Willenssubjektivität direkt zu Verharmlosung und Rechtfertigung von männlicher Gewalt führen kann. Da die Form des bürgerlichen Willens abstrakt und damit leer ist, muss man sich nicht für seinen Inhalt interessieren. Und so wie es für den Willen des Warenbesitzers egal ist, ob Lebensmittel, Arbeitskraft oder Kriegswaffen getauscht werden, weil alles gleich und frei erscheint, kann es Decker egal sein, ob Männer Frauen zum gemeinsamen Mau-Mau-Spiel verpflichten oder ob sie sie dazu zwingen wollen, sich ihren patriarchalen Ansprüchen zu unterwerfen. Frauen, die er als voraussetzungslos gleiche Willenssubjekte begreift, könnten sich in beiden Fällen einfach frei dagegen entscheiden, sich das männliche Interesse zu eigen zu machen, woraus Decker konsequenterweise folgert, dass sie selbst schuld sind, wenn die Gewalt bzw. die Beziehung nach der Anmaßung des Mannes weitergeht. Weibliche Subjektivität, der die Durchsetzungsfähigkeit und Abgrenzung des bürgerlichen Willenssubjekts, besonders gegenüber den Ansprüchen von Männern, nicht (voll) zugestanden wird, erscheint ihm deshalb folgerichtig nur noch als Dummheit der Frauen, die ohne Not gegen ihr eigenes Interesse handeln. Dass der willenlose Wille des verweiblichten Nicht-Subjekts erst von Staat und Kapital konstituiert, durch Gesetze, ökonomische Strukturen und ständige Zurichtung begünstigt sowie von männlicher Gewalt systematisch erzwungen wird, kann und will sein rationalistischer Marxismus nicht begreifen. 

 

Subjektkritik muss konkret werden  

Männliche Gewalt und Rape Culture zeigen sich als notwendiger Teil der hier besprochenen Formen von Ware, Staat, Recht, Subjekt, Willen und Leidenschaft, weshalb es alle Verhältnisse umzuwerfen gilt, die diese hervorbringen. Gleichzeitig sollte dabei nicht aus den Augen verloren werden, dass die Täter dieser Gewalt stets konkrete sind und nicht unmittelbar aus materieller Notwendigkeit handeln, sondern vielmehr aus persönlicher misogyner Leidenschaft. Denn es ist nicht die bürgerliche Subjektform, die massenhaft und systematisch grapscht, bedrängt, manipuliert, schlägt und vergewaltigt, sondern in der Regel (hetero-cis) Männer. Und diese müssen als solche entmachtet und bekämpft werden. Subjektkritik muss deshalb immer auch konkrete Männlichkeitskritik und den Kampf gegen männliche Gewalt beinhalten. 

 

Kim Posster  

Der Autor ist organisiert bei KeineMehr-Leipzig, sein Buch Männlichkeit verraten! erschien im Juli 2023.