Der Sammelband Urbane Differenzen. Disparitäten innerhalb und zwischen Städten tritt an, ungleiche Entwicklungen in urbanen Räumen zu analysieren und daraus Schlüsse für »soziale Bewegungen« zu ziehen. Die AutorInnen bleiben dabei, so die Selbstdarstellung, nicht bei der Beschreibung und Verurteilung von räumlicher Segregation stehen, sondern beleuchten die Rolle von Staat und Gesellschaft, die durch Diskriminierung, Illegalisierung und Verdrängung die Segregation und Ausgrenzung überhaupt erst produzieren. Mit der Offenlegung von gesellschaftlichen Machtstrukturen erhoffen sich die AutorInnen einen Abbau dieser hegemonialen Zustände und bilden damit zumindest Anknüpfungspunkte für eine radikale Kritik. Dafür wird ein großer Bogen gespannt und versucht, sowohl Ansätze zur Analyse der Disparitäten innerhalb als auch zwischen den Städten abzubilden. Einen guten Einstieg liefert Hans-Joachim Bürkner, der die politische Dimension von Diskursen über »Problemquartiere« beleuchtet und die homogenisierenden und entmündigenden Auswirkungen aufzeigt, die mit der Beschreibung als ethnisch-segregiertes Gebiet auftreten. Er skizziert damit die grundlegende Problematik, die dem Diskurs über ungleiche Räume innewohnt. Davon ausgehend werden in verschiedenen Beiträgen Ansätze aufgezeigt, die ungleiche Entwicklungen innerhalb von Städten als Folge der Veränderung der Produktion durch Globalisierung, Lokalisierung und Ökonomisierung sehen. Durch die Analyse und Auswertung von kommunalen Politiken, beispielsweise in Bezug auf die Verteilung von städtischem Freiraum oder Sozialtransferleistungen, werden Möglichkeiten gesucht, Benachteiligungen entgegen zu steuern.
Einen Beitrag zur Analyse des Wettbewerbs zwischen Städten liefert Christof Parnreiter, der der Frage nachgeht, warum sich einige Städte zu wichtigen Knoten der Weltwirtschaft entwickeln können und andere nicht. Städte, so Parnreiter, besitzen unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten zur Monopolisierung und Spezialisierung von Produktionsprozessen und entwickeln sich entsprechend ihrer Stellung in den Warenketten. Darüber hinausgehende Ansätze zur Beschreibung von Disparitäten zwischen Städten sucht man jedoch vergeblich. André Holm und Carsten Keller beschreiben später zwar, inwieweit kommunale Politik Auswirkungen auf ungleiche Wohnraumversorgung und sozialen Protest im europäischen und globalen Vergleich haben; Aufschluss über die divergierenden Bewegungen zwischen den Städten geben diese Artikel jedoch nicht.
In Bezug auf aktuelle Debatten zur Bekämpfung von »ExtremistInnen« in Sachsen und gegen die »Wohlfühlpolitik« für DrogenkonsumentInnen in Leipzig erweist sich der Text von Bernd Belina Disparitäten in der Stadt mittels Strafrecht regieren: governing through crime through space für eine gesellschaftskritische Auseinandersetzung als fruchtbar. Er geht der Frage nach, mit welchen Mitteln über staatlich legitimierte Herrschaft abstrakte Gefahren verräumlicht und die sich darin aufhaltenden Menschen kriminalisiert werden. Sein Fazit: Regierungen fungieren nur noch als »reine Verwaltung der von neoliberal entfesselten Kapital überflüssig Gemachten«. Er beleuchtet in seiner Analyse auch die Konstellationen, in denen die Kriminalisierungen verhindert werden konnten und macht sich für Kämpfe im bürgerrechtlichen Sinn stark. Belina vergisst dabei nicht die notwendige Rückbindung an soziale Kämpfe gegen »Armut, Rassismus oder polit-ökonomisch produzierte Disparitäten in der Stadt«. Das diese demokratischen Kämpfe, so die These im Beitrag von Wolfgang Müller und Detlev Sträter, im neoliberal geprägten Abbau von lokaler Demokratie deutlich erschwert werden, schließt daran an: Die Aufwertung der Verwaltungsstruktur gegenüber den gewählten VertreterInnen und der dadurch ausgelöste Verlust von Entscheidungsmöglichkeiten wird von ihnen als eine Erklärung dafür herangezogen, dass Mitbestimmung in Bezug auf den Umgang mit ungleichen Räumen in Städten immer schwieriger wird.
Insgesamt lässt sich trotz mangelnder Beteiligung von Frauen – nur zwei von vierzehn AutorInnen sind weiblich – ein positives Fazit ziehen. Die Idee, die widersprüchlichen Entwicklungen im urbanen Raum gesellschaftstheoretisch begreifbar und für städtische und emanzipatorische Bewegungen anwendbar zu machen, wird weitgehend umgesetzt. Das Sichtbarmachen von gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten, die über diejenigen der kapitalistischen Verwertungslogik hinaus gehen, wird zwar ausdrücklich gewünscht, die entsprechenden »Grenzüberschreitungen« vermisst man jedoch an einigen Stellen. Beispielhaft steht hierfür der Beitrag von Josiane Maier u.a. Schöne bunte Arbeitswelt. Die AutorInnen beginnen mit einer Debatte um das »Ende der Arbeitsgesellschaft«, verlieren im Verlauf des Artikels jedoch große Teile ihres progressiven Ansatzes. Wenn es im Fazit dann einzig darum geht, wie und inwieweit Kommunen mit dem Wandel umgehen und sich in der Konkurrenzsituation bestmöglich behaupten können, dann werden die Grundsätze der kapitalistischen Logik nicht angegriffen, sondern reproduziert.
SOPHIE PERTHUS
Bernd Belina/Norbert Gestring/Wolfgang Müller/Detlev Sträter (Hrsg.): Urbane Differenzen. Disparitäten innerhalb und zwischen Städten, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2011, 251 S., € 25,90.