Der Fortschritt gehörte einst zum Liberalismus wie das Amen in die Kirche, der Arbeitsstolz zum Klassenkampfmarxismus oder der Polemikvorwurf zu einer bis heute weithin postmodernisierten Mittelschichtslinken. Aber die Zeiten haben sich geändert. Der nunmehr individualisierte und zwangsflexibilisierte Arbeitsstolz bricht sich an dem planetarischen Obsoletwerden der fetischistischen »Substanz des Kapitals« (Marx) und auch der Liberalismus vermag sein Schattendasein mitunter ohne den ehedem so triumphierend vorgetragenen Fortschrittsglauben zu fristen. Als beispielhaft für dieses Syndrom eines Krisenliberalismus kann die sogenannte »Postwachstumsbewegung« gelten, zumindest die Schriften einiger ihrer prominentesten VertreterInnen.
Das Grundmotiv dieser Bewegung, einen Kapitalismus ohne Wachstum herbeizuführen, bedarf angesichts seines offenkundig beißenden Selbstwiderspruchs durchaus einer eingehenderen Untersuchung. Bekanntlich ist in der Postmoderne alles möglich: ob Mann und Frau, postsexuell, asexuell oder doch lieber Hund und Katze zugleich, wichtig nur, dass man/frau sich auf nichts festlegt. So reiht sich schon der Habitus dieser relativ jungen Bewegung, die für den Kapitalismus und simultan gegen sein Wachstum anzutreten vermeint, in den allgegenwärtigen Irrsinn postmoderner Besinnungslosigkeit ein, indem sie sich gegen jeden noch so frappanten Selbstwiderspruch immunisiert.
Liberalismus und Zirkulationsideologie
Dass es sich bei bestimmten Segmenten der »Postwachstumsbewegung« um liberale Denkformen und -inhalte handelt, darauf verweist bereits die bevorzugte Referenz, auf die sich vor allem Niko Paech und Angelika Zahrnt immer wieder beziehen. Als theoretisches Grundmodell gilt ihnen die Zinskritik Silvio Gesells, der in seinem Hauptwerk Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld keinen Zweifel an seiner erzliberalen Gesinnung lässt und offen für einen »Manchesterkapitalismus« eintritt. So enthusiastisch der Bezug auf Gesell von Seiten Paechs und Zahrnts auch sein mag, zumindest hinsichtlich des wachstumskritischen Paradigmas mag er doch überraschen: Gesell hält ohne Zweideutigkeiten am Wachstumscredo des Liberalismus fest. Darin zeigt sich nicht zuletzt, dass in dem Phantasma eines Kapitalismus ohne Wachstum ein spezifisches Krisenmoment zum Vorschein kommt, dessen ideologische Qualität sich an manchen Stellen unverhohlen artikuliert (wie noch zu zeigen sein wird).
Um diese kriseninduzierte Irrationalität der »Postwachstumsbewegung« in ihrer inneren Begründungsstruktur zu rekonstruieren, ist es notwendig, überhaupt erst einen Begriff davon zu gewinnen, auf welchen erkenntnistheoretischen Setzungen das liberale Verständnis von Kapitalismus eigentlich beruht. Gesells Schrift ist in dieser Hinsicht typisch liberal, nicht nur was den Wachstumsfetischismus betrifft, sondern auch in Bezug auf die zentralen Kategorien seiner Theorie, dem »Wert« bzw. »Preis«. Bereits in diesen basalen Kategorien macht sich eine epistemologische Setzung geltend, die völlig unbegründet bleibt: Wenn Gesell den Preis als eine »Schätzung« der Geldbesitzer über die am Markt zirkulierenden Waren definiert, identifiziert er im Sinne der liberalen Doktrin den Wert mit der sogenannten »Zirkulationssphäre«. Der Wert als Preis bildet sich durch die gedanklichen Verhältnisbestimmungen der Geldbesitzer in Bezug auf die am Markt zirkulierenden Waren. Verfolgt man/frau die Ausführungen Gesells über den Wert quer durch seine Schrift, so akzentuiert er den scheinbar freien und gleichen Äquivalententausch als Keimform von Kultur, Fortschritt, ja Gesellschaft an sich.
Mit dem Ineinsfallen von Vergesellschaftung und sogenannter Zirkulation geht jene Reduktion des Wertbegriffs auf eine gedankliche Verhältnisbestimmung der Geldbesitzer in Bezug auf die am Markt zirkulierenden Waren einher. Und genau diese epistemologische Fundierung liberaler Vernunft findet sich auch bei Niko Paech, dem spiritus rector der »Postwachstumsbewegung«. In seinem Buch Befreiung vom Überfluss heißt es: »Kein Wunder, dass der Terminus ›Produktion‹ längst dem allgemeinen Begriff der ›Wertschöpfung‹ gewichen ist. Denn ökonomische Werte (...) entstehen längst nicht mehr durch menschliche Verrichtungen im physischen Sinne, sondern eher als Resultat symbolischer Handlungen, denen (...) schlicht ein monetärer Wert zugewiesen wird.«? Niko Paech, Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München 2012, 43.
Auch Paech reduziert den Wertbegriff somit auf die Zirkulation und ebenso wie Gesell fasst er ihn lediglich als eine gedankliche Verhältnisbestimmung (»Wert zuweisen«), wenngleich postmodern überformt (»symbolische Handlungen«). Dass die »Wert-Zuweisung« sich dabei ungleich willkürlicher vollzieht als bei Gesell, verweist darauf, dass die gesellschaftliche Implosion der »objektiven Gedanken- und Daseinsformen« (Marx) sich im Begriff befindet, in die blanke Willkür des Krisensubjekts abzugleiten. Die wertabspaltungskritische Theorie versucht theoretisch zu begründen, warum der Kapitalismus seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts an seine »innere Schranke« (Marx) gestoßen ist. Dieser objektive Selbstwiderspruch drängt dabei die Subjekte in die paradoxe Situation, dass sie, um weiterhin als solche agieren zu können, die objektive Krisenhaftigkeit verdrängen müssen. Das postmoderne Subjekt ist nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf sozialpsychologischer Ebene die Manifestation dieses prekären Zustands. Davon kann auch der Liberalismus nicht verschont bleiben.
Liberale Zirkulationsideologie und struktureller Antisemitismus bei der »Postwachstumsbewegung«
Aus der ökonomietheoretischen Verkürzung des Wertbegriffs auf die Sphäre des Austausches ergeben sich zwangsläufig zwei Konsequenzen für ein derart strukturiertes Bewusstsein: Erstens können Wachstum und Fortschritt ausschließlich auf der Ebene der sogenannten Zirkulation erreicht werden, und nicht innerhalb der kapitalistischen Produktion selbst, da diese mit Gesellschaft an sich identifiziert wird. Zweitens kann die Sphäre der Produktion, der »abstrakten Arbeit« (Marx), vor diesem Hintergrund ausschließlich als etwas Ungesellschaftliches, ja eigentlich »Natürliches« aufgefasst werden.
Bei Gesell nun mündet diese erste Konsequenz in einer Aufspaltung von Ware und Geld, die letztlich in seiner Theorie des »Freigelds« zum Ausdruck kommt: Der epistemologischen Beschrän- kung auf die sogenannte Zirkulation folgt eine einseitige Bestimmung von Ware und Geld. Denn in der Ware, so Gesell, konkretisiere sich ein stoffliches Bedürfnis und damit ein Wert, auf den sich die Urteile der Geldbesitzer beziehen. Dem Geld als unstoffliche Entität hingegen komme kein Wert zu, es sei im ökonomische Sinne wertlos, figuriere im Tausch gewissermaßen als Anti-Wert. Da Gesells Natürliche Wirtschaftsordnung unter den Vorzeichen der Weltwirtschaftskrise geschrieben wurde, kann er am kapitalistischen Wachstum nur festhalten, indem die wachstumshemmenden Institutionen der Gesellschaft eliminiert werden. Und weil Gesellschaft und Zirkulation in eins fallen, der Wert als quasi-natürliche Kategorie sich aber alleine in der Stofflichkeit der ?Waren manifestiere, muss die sich anbahnende Krise am Geld und seinen wachstumskonterkarierenden Funktionen dingfest gemacht werden.
Als wachstumshemmend gilt für Gesell deshalb der Zins, der aus dem Anti-Wert des Geldes entspringe. Während der Warenbesitzer ob der stofflichen Vergänglichkeit seines Produkts gezwungen sei, dieses unmittelbar zu verkaufen und es ihm dadurch an einem freien Willen im Tauschakt ermangele, vermöge es demgegenüber der Geldbesitzer, seinen Anti-Wert am Markt aus freiem Willen zurückzuhalten, da sein bloßer Papierzettel keinem Vergänglichkeitsprozess unterliege. Der Zins erscheint für Gesell somit als nichts anderes, als jener Aufpreis des Geldbesitzers, den er dem Warenbesitzer durch diese spezifische Eigenschaft des Geldes aufzwinge: »Die Ware befiehlt, duldet keinen Widerspruch; der Wille des Warenbesitzers ist so machtlos, daß wir ihn füglich unberücksichtigt lassen können. Bei der Nachfrage dagegen kommt der Wille des Geldbesitzers zur Geltung; das Geld ist gefügiger Diener seines Herrn.«? Silvio Gesell, Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Lauf 1949, 180f. Diese gewissermaßen künstliche (»nicht stoffliche«) Entartung des Geldes müsse zurückgenommen werden, denn nur auf diese Weise könne die Wirtschaftsordnung wieder auf ihre natürliche Grundlage zurückgeführt werden. Die »Freigeldtheorie« Gesells läuft auf das Fazit hinaus, dass dem scheinbaren Anti-Wert des Geldes die Werteigenschaft der Waren, also ihre stoffliche Vergänglichkeit, aufgezwungen werden müsse, sodass auch der freie Wille des Geldbesitzers durch das Wertgesetz gebrochen werde: »Geld, das wie eine Zeitung veraltet, wie Kartoffeln fault, wie Eisen rostet, wie Äther sich verflüchtigt, kann allein sich als Tauschmittel von Kartoffeln, Zeitungen, Eisen und Äther bewähren.«? Ebd., 240.
An dieser Vorstellung eines »Frei- oder Schwundgelds« setzt auch Niko Paech, an; allerdings mit der entscheidenden Wendung, das Wachstum nicht mehr herstellen, sondern zurücknehmen zu wollen. Für ihn besitzt die Krise ihren Ursprung nämlich in sich verselbstständigenden Wachstumstreibern, denen Einhalt geboten werden müsse, damit die Individuen wieder ihrem »menschlichen Maß«?Paech, Befreiung vom Überfluss, 56. entsprechend zu produzieren in der Lage seien. Dabei differenziert Paech zwischen »ökonomischen« und »symbolischen« Wachstumstreibern, wobei beide Ebenen in seiner Theorie letztlich konvergieren. Als ökonomischer Wachstumstreiber gilt ihm im Sinne Gesells zuvorderst der Zins. Dem postmodernen Anti-Objektivismus und Anti-Essentialismus entsprechend, desavouiert sich Paech schließlich als Positivist durch und durch: Um den Zins als primären ökonomischen Wachstumstreiber auszugeben, veranschaulicht er das Problem an »ein[em] extrem schlichte[n] Zahlenbeispiel«?Ebd., 105. : Dafür konstruiert er im Sinne des methodologischen Individualismus eine »Mini-Ökonomie«, bestehend aus einer KonsumgüterproduzentIn, einer unbestimmten Anzahl an ArbeiterInnen sowie »Anbietern weiterer Inputfaktoren«, wie beispielsweise Kapital. Weil die Angebotsseite (KonsumgüterproduzentIn) einen Gewinn erwirtschaften müsse, fehle auf der Nachfrageseite (Lohn der ArbeiterInnen als Konsum) ein gewisser Betrag, um die Konsumgüter zu kaufen.
Das bedeute jedoch, dass der/die KonsumgüterproduzentIn in der folgenden Produktionsperiode noch mehr Kapital investieren müsse. Mit der dann logischen Konsequenz, dass der Differenzbetrag zwischen Angebot und Nachfrage nur noch größer würde, bleibe der Gewinn immer noch notwendige Voraussetzung auch der neuen Produktionsperiode. Weil für Paech der Gewinn indes hauptsächlich im Zins besteht, entstehe durch die sich ausweitende Kluft zwischen Angebot und Nachfrage eine durch Kredit- und Zinsketten induzierte Spirale exponentiellen Wachstums, da der Differenzbetrag auf beiden Seiten (KonsumgüterproduzentInnen und KonsumentInnen) »durch Fremdkapital finanziert werden« muss, »für das Zinsen zu entrichten sind.«? Ebd., 107.
Wie bei Gesell erscheint der Wertbegriff bei Paech auf der Oberflächenbewegung von Kauf und Verkauf als bloßes gedankliches Urteil der Warenbesitzer, das an seiner Realisierung vom Willen der Geldbesitzer behindert werde, die auf ihre spezifische Ware einen Aufpreis (Zins) erzwingen würden. Allerdings kristallisiert sich im Vergleich zur Gesell’schen Zinskritik bei Paech eine entscheidende Differenz heraus: Stand bei Gesell der Zins einem Wachstum des Kapitalismus noch im Weg, fungiert er im Sinne Paechs gerade im Gegenteil als »Wachstumstreiber«. Im Zeitalter der Fundamentalkrise sieht sich der Liberalismus gezwungen, seine ureigene ideologische Grundlage, die Voraussetzung gesellschaftlichen Fortschritts und kapitalistischen Wachstums, fallen zu lassen, um noch bei sich bleiben zu können. Dabei handelt es sich um eine kriseninduzierte Widerspruchskonstellation, deren schreiende Unversöhnlichkeit das postmoderne Zerfallssubjekt nur mehr zu leugnen vermag, weshalb der realgesellschaftliche Widerspruch schiedlich-friedlich in seinem Kopf fortwest. Hinter der Vorstellung einer Rücknahme des kapitalistischen Wachstums in genossenschaftliche Produktion und Subsistenzwirtschaft durch »Geldpfuschereien« (Marx) an der hypostasierten Zirkulation, wie sie die Postwachstumsbewegung als Ganze durchzieht, steht die panische Angst des Mittelschichtssubjekts, noch die letzten Pfründe zu verlieren – eine Angst, die der Kleinbürgerutopie eines Schrebergartenliberalismus bedrohliche Implikationen verleiht.
Natürlich wissen die AutorInnen der Postwachstumsbewegung von dem tradierten Zusammenhang von Zinskritik und antisemitischer Ideologiebildung, der bereits bei Gesell sichtbar ist. Nicht zuletzt, weil sie in diesem Punkt bereits einer Kritik unterzogen wurden. Unter anderem Jutta Ditfurth, Peter Bierl und Robert Kurz kritisierten das Umfeld der späteren Postwachstumsbewegung ob seiner Verharmlosung strukturell antisemitischer Ideologiebildung, worauf Paech sogleich reagierte. In seiner »Replik auf Vorwürfe gegen das Archiv der Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung« ist er darauf bedacht, die Kategorie des strukturellen Antisemitismus in den Gegensatz von »wissenschaftlichem Gehalt« der Theorie Gesells einerseits und dessen persönlicher »Gesinnung« andererseits aufzuspalten. Die Unfähigkeit, die Vermittlung zwischen ökonomischer und sozialpsychologischer Dimension des Antisemitismus zu leisten, gründet in Paechs postmodernen Prämissen, die erstere in letztere auflösen. Dadurch wird das strukturelle Moment antisemitischer Denkformen notwendigerweise verfehlt: Die ökonomische Verkehrung der Fundamentalkrise in eine zinsinduzierte Verschuldungskrise, die in Wahrheit wesentlich auf einer Krise der Produktions- und Lebensweise selbst beruht und auf der Oberfläche von Marktprozessen lediglich als Finanzkrise erscheint, ist erstens theoretisch völlig falsch und zweitens alles andere als eine neutrale Frage der »Kritik der politischen Ökonomie«.
Seit dem 18. Jahrhundert und der aufklärungsideologischen Theorie bildete sich die verkürzte Kritik eines bornierten Warenstandpunkts gleichursprünglich mit der antisemitischen Konnotation des Geldes heraus, Daniel Späth, Das Elend der Aufklärung: Antisemitismus/ Antizionismus, Rassismus und Antiziganismus bei Immanuel Kant, Berlin 2012, 209–233. wobei der Antisemitismus den Kulminationspunkt jener regressiv verarbeiteten Leiden am »warenproduzierenden Patriarchat« (Roswitha Scholz) darstellt. Wenn auch nicht jeder Zinskritiker manifester Antisemit sein muss, verbindet doch jeder manifeste Antisemit den Zins (bzw. das Finanzkapital) mit der »jüdischen Weltverschwörung«. Die akademische Operationalisierung einer »neutralen Wissenschaft«, die sich einer unlauteren »Gesinnung« gegenübersieht, ist somit als antijüdische Rationalisierung zu dechiffrieren. Jedes Kokettieren mit einer strukturell antisemitischen Zins- und Finanzmarktkritik verbietet sich für radikale Gesellschaftskritik von Grund auf. Dass der alte wertkritische Objektivismus mittlerweile in solch trüben Gewässern fischt, verweist nur auf dessen ideologische Zersetzung, die sich allerdings bereits in der Ablehnung von Wert-Abspaltungs-Kritik und der damit einhergehenden Subjekt-kritik andeutete. So der Streifzüge-Autor Exner, der sich im Sammelband »Ausgewachsen!« (Rätz/Egan-Krieger (Hsg.), Hamburg 2011, 18 – 31) im Sumpf der ZinskritikerInnen tummelt.
Liberale Zirkulationsideologie und Sozialdarwinismus bei der »Postwachstumsbewegung«
Die zweite Konsequenz jener liberalen Epistemo-logie, die Naturalisierung der Produktion, bildet sich in ihren Verlaufsformen gewissermaßen komplementär zu ersten. Wenn die Produktion, die in Wahrheit eine genuin gesellschaftliche Tätigkeit ist und die »abstrakte Arbeit« (Marx) hervorbringt, naturalisiert wird, kommt ein Recht auf die eigene Natürlichkeit logischerweise nur denjenigen zu, die an dieser Produktion partizipieren können. Die Wiederherstellung der »Natürlichen Wirtschaftsordnung« geht mit der sozialdarwinistischen Denunziation all derjenigen einher, die aus der »Verwertung des Werts« (Marx) herausfallen, sofern sie sich den Wert nicht als Naturmoment aneignen können. Erneut kommt hier ein wichtiger Unterschied zwischen Gesell und Paech zum Tragen: Berief sich Gesell noch positiv auf einen naturalisierten Wertbegriff als Apologie der Waren?– gegen die Geldbesitzer (Rückführung der Ökonomie auf die menschliche Natur qua »Freiland und Freigeld«), gelingt dies dem Subjekt in der Fundamentalkrise nicht mehr, da seine naturalisierte Verdinglichung als Subjekt der Wert-Abspaltungs-Vergesellschaftung auf die innere historische Schranke dieser scheinbaren »Natur« trifft.
Oder anders ausgedrückt: Erblickte Gesells Natürliche Wirtschaftsordnung in der Zurückführung der Ökonomie auf die »Natur des Menschen« durch die Abschaffung des Zinses noch die Bedingung der Möglichkeit zu erweiterter Akkumulation, suspendiert die Fundamentalkrise eine derartige Option. Deshalb kann das Festhalten an Wachstum unter heutigen Bedingung durchaus mit dem Postulat einer wachstumslosen Gesellschaft konform gehen. So gehen Paech und Zahrnt weiterhin davon aus, dass die peripheren Staaten wachsen werden, bis sie das Niveau der westlichen Industriestaaten erreicht haben. Während Gesell sich noch auf die Seite des Warenbesitzers schlagen konnte, ist Paech jeder Boden unter den Füßen abhanden gekommen. Der ökonomische Wachstumstreiber des Zinses wird von dem kulturellen Wachstumstreiber auf der Nachfrageseite ergänzt, dem Konsum, der die Zinsabhängigkeit zusätzlich forciere.
Hinter dem Naturbegriff der Postwachstumsbewegung lauert also die Natur des ökonomischen Krisensubjekts, seine schiere Leiblichkeit als Arbeitskraftbehälter, wobei selbst diese mit dem Entwertungsprozess der gesamtgesellschaftlichen Wertsubstanz so überflüssig zu werden droht wie jene: »nacktes Leben« (Giorgio Agamben), dysfunktional geworden und in diesem Sinne »tötbar, aber nicht opferbar«. Was sich bei Paech in Zurückführung des ökonomischen (Zins) und kulturell-symbolisch definierten Werts (Konsum als Statussymbol) auf die »Natürlichkeit« des Menschen andeutet, ist ein Umschlagspunkt, vor dem der postmoderne Kulturalismus an sich in keiner Weise gefeit ist: Das Umkippen des kulturellen Happenings in den ausgeblendeten komplementären Pol der Naturalisierung. Die Dialektik »gesellschaftlicher Naturverhältnisse« lässt sich nicht einfach dekonstruieren. »Gesundschrumpfen« ist demnach ganz wörtlich gemeint; es geht der Postwachstumsbewegung in der Tat um Leib und Leben. Da der Rückkehr zur Natürlichkeit die ?Wiederherstellung von »Souveränität« und »Eigenverantwortung« korrespondiert, ist es in dieser negativen Utopie um all diejenigen, die sich dazu nicht in der Lage sehen, schlecht bestellt. Sofern das überflüssige »nackte Leben« im Entwertungsprozess weiter an Gewicht gewinnen dürfte, macht sich im (linken) Mittelschichtsbewusstsein ein unterdessen gar nicht mehr stillschweigender Konsens darüber breit, wer zu allererst vom »Überfluss befreit« zu werden hat.
Besonders unverhohlen geriert sich diesbezüglich der von Angelika Zahrnt und Irmga Seidel herausgegebene Sammelband Postwachstumsgesellschaft: Neue Konzepte für die Zukunft. Vor allem Hans-Peter Studers Beitrag »Gesundheitswesen als kosteneffizientes Solidarsystem mit Eigenverantwortung« durchbricht in dieser Hinsicht jede Hemmschwelle. Bezüglich der Kostenfrage von Medikamenten und Krebsbehandlung formuliert Studer einen eigenartigen, aber nicht weniger eindeutigen Vergleich: »Der medizintechnische Fortschritt eröffnet (...) laufend neue Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten im Interesse der Gesundheit und Lebensqualität vieler Patientinnen und Patienten. Er hat jedoch nicht nur direkt, sondern auch indirekt seinen hohen Preis: Manche der medizintechnischen Errungenschaften inklusive neuer Medikamente bringen bei genauerem Hinsehen nur geringfügige oder gar keine Fortschritte mit sich. Sie erlauben zum Beispiel exaktere Diagnosen, ohne dass aber entsprechende Therapiemöglichkeiten vorhanden sind; oder eine Therapie zur Krebsbehandlung bringt lediglich einen kleinen Zugewinn an Lebensmonaten, kostet jedoch Unsummen. Dennoch werden diese neuen Methoden und Verfahren (...) in einem Ausmaß eingesetzt, das manchem Patienten nicht wirklich nützt, sondern lediglich die Kosten in die Höhe treibt .«? Hans-Peter Studer, Gesundheitswesen als kosteneffizientes Solidarsystem mit Eigenverantwortung, in: Zahrnt/Seidl (Hsg.), Postwachstumsgesellschaft: Konzepte für die Zukunft, Marburg 2012, 65?–?75. Was bedeutet ein kleiner Zugewinn an Lebensmonaten schon angesichts der fehlenden Kohle?
Mit dieser Grundsatzentscheidung weist sich Studer als ausgemachter Lebens- bzw. Todesphilosoph aus, der die Frage nach Krankheit und Gesundheit mit dialektischer Raffinesse zu beantworten vermag. Schwarz gehört zu weiß, Licht zu Schatten und Krankheit könnte doch auch als Weg zur Gesundung betrachtet werden: »Einen wichtigen Ansatzpunkt hierfür stellt die Bildung dar. In Elternkursen (...) sowie an Bildungstagen für Erwerbslose und in Integrationskursen für Ausländerinnen und Ausländer sind in Theorie und Praxis die vielfältigen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie die eigene Gesundheit aktiv gefördert werden kann. (...) Wichtig ist (...) zu erkennen, dass auch Krankheiten zum Leben gehören und dass sie sogar – wie im Falle von Fieber – dazu beitragen können, die Gesundheit zu stärken.« Und die Moral von der Geschicht’ dieses liberalen Paternalismus mit rassistischen Anklängen? »Eine andere Einstellung zu Leben und Tod wird, wenn sie sich in der Bevölkerung verbreitet, ebenfalls dazu beitragen, die Gesundheitsleistungen und die damit verbundenen Kosten zu senken.«? Ebd.
Feminismus und Ökonomie: Zwischen feministischem Ökologismus und queerer Dekonstruktion
Bisher konzentrierte sich die immanente Rekonstruktion des Naturbegriffs im Sinne der Postwachstumstheorie auf die ontologisierte »Wertnatur« des Zirkulationssubjekts, um deren paradoxe Zinskritik als Affirmation des Marktsubjekts zu desavouieren. Dessen konstitutive Voraussetzungen werden ausblendet, nämlich die Produktion und Verwertung »abstrakter Arbeit«. Damit beharrte die Analyse allerdings ausschließlich auf der Ebene der »Kritik der politischen Ökonomie«, also innerhalb einer androzentrischen Denkform. Wie der gesellschaftlich männlich besetzte Wert jedoch nur durch die Abspaltung des inferior gesetzten Weiblichen zu bestehen vermag – vermittels einer gleichursprünglichen und auf derselben Abstraktionshöhe sich vollziehenden gesamtgesellschaftliche Dialektik –, kann sich auch die androzentrische Denkform alleinig durch die Abspaltung der »weiblichen Natur« als schlechthin rationale erhalten. Wenn Paech die »Souveränität des Individuums« beschwört, das in Schrebergärten und handwerklicher Selbstversorgung seine wahre Stärke zurückzugewinnen habe, klingt das androzentrische Selbstverständnis an, das die »Postwachstumsbewegung« beinahe in Gänze durchzieht. Bis auf eine Ausnahme ist die feministische Kritik der Postwachstumsbewegung deswegen Anathema. Rudolf/Heide/Lemmle (Hsg.), Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren, Hamburg 2013.
Abermals reiht sich die Postwachstumsbewegung dadurch in eine liberale Tradition ein, deren Naturbegriff auf der Beherrschung derselben beruht. Die zwanghafte Herrschaft über Natur ist mit einem abgespaltenen weiblich codierten Naturbegriff kategorial vermittelt, dessen »Unbezähmbarkeit« und »Irrationalität« auf seinen projektiven und verdrängten Charakter verweist. So fügt sich z.B. der scheinbar geschlechtsneutrale Naturbegriff der kantischen Transzendentalphilosophie in die sexistischen Attacken des Aufklärers ein, Daniel Späth, Sexismus bei Immanuel Kant, in: Exit! 9 (2012), 160ff. ja ist ohne jene gar nicht zu verstehen. Auch die Wiederherstellung der Natur des Wertsubjekts durch »Freigeld« und Zinsverbot bei Gesell korreliert mit der Reduktion von Frauen auf reine Gebärmaschinen, deren Lebensunterhalt durch eine staatliche Rente gesichert werde. Wenngleich derartige Sexismen in der Postwachstumsliteratur nicht auftreten, verweist die Vernachlässigung der Reproduktion und die wertförmige Verkürzung des Naturbegriffs dennoch auf ihren naturbeherrschenden und androzentrischen Unterbau. Dieser Umstand wurde von besagter Ausnahme einer Kritik unterzogen, ein Sammelband der AG Gender Attac, der den Titel Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren trägt. Wenngleich die Texte dieses Bandes sowohl die Ausblendung des Reproduktionsbereichs als auch die Subjektvorstellung eines »lonely heroes« kritisieren, wie er der Konsumkritik nicht selten zugrunde liegt, bleibt ihr Gehalt in Bezug auf eine »feministische Ökonomie« größtenteils unklar. Der aus einer Tagung hervorgegangene Band kombiniert Interviews, Darstellungen künstlerisch gestalteter Tagungspunkte, Gedichte und Podiumsdiskussionen. Mit dieser gleichsam selbstverständlichen Geste soll der Heterogenität und Vielfalt der TeilnehmerInnen gewissermaßen performativ Rechnung getragen werden. Diese Formvielfalt reflektiert sich auch in der Bandbreite der Ansätze, die von ökologischem Feminismus (u.a. bei Christa Wichterich) über Queer-Feministinnen bis hin zu an »critical whiteness« orientierten Feministinnen reicht. Schon die Form des Sammelbandes konterkariert somit das Bestreben einer theoretischen Analyse und reiht sich damit in das »Abstraktionstabu im Feminismus« (Roswitha Scholz) ein, dessen weithin postmoderne Durchsetzung auch im Linksradikalismus weiter um sich greift.
Trennt man/frau die wenigen Beiträge, die dem Titel des Bandes gerecht werden, von den existenzialistisch-alltagsfetischisierenden und performativ-künstlerischen, so zeigt sich in ihnen die prinzipielle Schwierigkeit des Geschlechtsfetischismus. Sein Formprinzip ist auf der Erscheinungsebene nicht unmittelbar dingfest zu machen ist, sondern es erfährt eine Modifikation durch die empirische Oberfläche hindurch: Erscheint der Wert tatsächlich als das Allgemeine (auf der materiellen Ebene die »abstrakte Arbeit« und die Staatsform), demgegenüber die Abspaltung (auf der materiellen Ebene die abgespaltenen Reproduktionstätigkeiten) als lediglich sekundäres, partikulares Substrat zum Vorschein kommt, dann gilt es gerade, den Prozess der »Wert-Abspaltung« zu rekonstruieren. Nur auf diese Weise kann die konstitutive Verdrängung der Abspaltung als dynamische Vorbedingung jener scheinbar geschlechtsneutralen Allgemeinheit des Kapitals dechiffriert werden, die in Wahrheit eine androzentrische ist.
Sofern die Trennung von Produktion und Reproduktion als ein Ableitungszusammenhang begriffen wird – wie dies in besagten Beiträgen durchweg der Fall ist –, kann die Aufwertung der abgespaltenen Tätigkeiten nur auf zweierlei Wegen geschehen. Beide verweisen aufeinander und bleiben defizitär, da sie die Gleichursprünglichkeit von »Wert« und »Abspaltung« verfehlen. Entweder die Reproduktionstätigkeiten werden selbst durch wertimmanente Kategorien ausgedrückt, z.B. indem sie als eine »Steuer« bestimmt werden, die Frauen zusätzlich zur Lohnarbeit zu leisten haben, was zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen den Geschlechtern führe. Dieselbe Logik greift, wenn sie statt Steuer als »Ersparnis« gefasst werden, die innovationshemmend wirke, da sie Frauen von der Lohnarbeit und damit dem Konsum abhalte. Oder aber die Reproduktionstätigkeiten fungieren in Form eines kontingenten Nicht-Identischen als emanzipatorischer Gegenpol zum Wert, wie Christa Wichterlich bei der Podiumsdiskussion anklingen lässt. Hier wie dort wird die »Wert-Abspaltungs-Form« als Ableitungszusammenhang aufgefasst, wodurch sie dem androzentrischen Formprinzip verhaftet bleibt.
Dabei mag es vor allem an dem unverkennbaren Bestreben liegen, eine dem Alltagsverstand adäquate Publikation vorzulegen, dass die diversen Beiträge nicht nur von Optimismus nur so strotzen. Darüber hinaus schmiegen sie sich einer gesamtgesellschaftlichen Tendenz an, die der »Verwilderung des Patriarchats in der Postmoderne« (Roswitha Scholz) entgegenkommt. So werten verschiedene Autorinnen die Frauenquote als immanenten Fortschritt der Emanzipation, ohne dass dieses durchaus konservative Instrumentarium in seinen realgeschichtlichen Zusammenhang eingeordnet wird. Dieser würde nahelegen, dass die androzentrisch oktroyierte Quotierung von Frauen in der Lohnarbeit nicht zufällig gerade in Zeiten fundamentaler Krise salonfähig wurde. Die dadurch induzierte Intensivierung der »doppelten Vergesellschaftung« (Becker-Schmidt) von Frauen ist der erste Schritt zur Delegation der Krise an sie. Als »eierlegende Wollmilchsäue« sollen sie sowohl die Erosion der Produktions- als auch der Reproduktionstätigkeiten schultern. Die schwarze Utopie der Postwachstumsbewegung stellt sich somit auch hinsichtlich feministischer Kritik als allzu realitätsgerecht heraus – als Antizipation der Krisenverwaltung seitens der abfallenden Mittelschicht.
Daniel Späth
Der Autor ist Teil der Exit!-Redaktion und Mitbegründer des AK Linke Irrwege in Tübingen. Seine Publikationen und Vorträge befassen sich v.a. mit den Themen Auf-klärungs- und Subjektkritik, feministische Kritik, Psychoanalyse und Staatskritik.