Pop ist aus den gegenwärtigen politischen Diskursen nicht mehr wegzudenken. Dieser Satz wurde schon so oft wiederholt, dass er schon beinah tautologisch wirkt. Pop war zudem bereits mal links, mal rechts, mal tot, mal reaktionär, mal emanzipatorisch. Was unter Pop allerdings zu verstehen sei, ist einerseits diffus und andererseits schon fast aufdringlich selbsterklärend. Dies ist wohl ein Grund, warum das Thema Pop innerhalb des akademischen Betriebes nur am Rande vorkommt – genauer genommen eigentlich nur dann, wenn popkulturelle Einzelphänomene bearbeitet werden. Pop als Ganzes zu betrachten, blieb bisher dem Dunstkreis des Ventil Verlages vorbehalten.
Aus diesem Hause erschien 2010 der Band Pop Kultur Diskurs: Zum Verhältnis von Gesellschaft, Kulturindustrie und Wissenschaft, ein Sammelband, der aus einer 2009 von der Hans-Böckler-Stiftung veranstalteten Tagung hervorgegangen ist.
Die Grundfrage des Bandes lautet, inwiefern die Beschäftigung mit Pop die ausdifferenzierten Einzelwissenschaften bereichern kann. Tatsächlich ist die Aufstellung der AutorInnen sehr weit gefächert; von Sportwissenschaft über Erziehungswissenschaft bis zu den bei diesem Thema üblichen Verdächtigen (Kultur-, Politik-, Sozialwissenschaft) ist alles vertreten.
Das Artwork des Buches zeigt Adorno als DJ am Plattenspieler. Das mag etwas gewagt sein, ist aber auch als Verweis auf dessen Beitrag zum Positivismusstreit auffassbar. Der Beitrag wird in der Tat an zahlreichen Stellen gesampelt, die sich mit den theoretischen Grundvoraussetzungen der Analyse von Pop beschäftigen. Das wird vor allem dann deutlich, wenn es (a) um die Notwendigkeit der Analyse von sozialen Einzelphänomenen innerhalb der gesellschaftlichen Totalität und (b), um die Frage nach der Werturteilsfreiheit der/s Theoretikerin bzw. des Theoretikers geht.
So wird der Band nach einem kurzen Vorwort mit dem Text Traditionelle und kritische Poptheorie von Roger Behrens eingeleitet. Am Beispiel der Behandlung von Pop als schon fast mystisches Wesen zeigt Behrens die Grenzen der traditionellen Theorie auf. Der Umgang mit Pop als »definierte Undefinierbarkeit« sorgt dort für unendliche Ketten an theoretischen Konstruktionen. Da die traditionelle Poptheorie aber schlicht nicht in der Lage ist, sich als Ganzes, als Totalität, zu denken, bleibt ihr auch nichts anderes übrig. Daher bleibt sie dabei, das Gegebene lediglich immer wieder neu zu interpretieren und auszuwerten, ohne nach seinen Grundbedingungen – oder gar nach der »Bedingung der Möglichkeit der Emanzipation« zu fragen. Dies kann wiederum nur eine kritische Poptheorie leisten.
Diese methodische Verankerung ist das Fundament für den Rest des Bandes. Die Debatte um Werturteilsfreiheit ist ein weiteres Narrativ. Auch diese Ausarbeitungen sind notwendiger Bestandteil einer Reflexion über die wissenschaftliche Aufarbeitung von Pop, schließlich sind auch WissenschaftlerInnen nicht fernab jeder Zivilisation aufgewachsen und können somit nicht völlig objektiv und wertneutral auf Popphänomene schauen (Adam, Engelmann). Gleichzeitig lässt sich diese Problemstellung allgemein auf das wissenschaftliche Arbeiten beziehen und wird im Beitrag von Babenhauserheide ganz wunderbar am Vergleich von kindlichem und wissenschaftlichem Lesen vollzogen.
Dazwischen findet sich eine große Themenfalt im Bezug auf einzelne Popfelder: Die Verankerung von Nation und Pop (Aydin, Büsser, Witte), die Aufarbeitung von Pop als identitätsstiftendes Moment (Rauch, Cetin, Schröder) und Sport als Pop (Haut) werden genauso besprochen, wie die Bedeutung von Popkultur für die Stadtentwicklung (Werner). Letzterer wirkt durch seinen starken Fokus auf Realpolitik fast deplatziert, allerdings gehört es auch zu den Stärken des Bandes, dass tatsächlich nicht nur Beiträge aus dem Bereich der kritischen Theorie anzutreffen sind, sondern sich daneben auch Arbeitsergebnisse aus empirischen Einzelwissenschaften finden.
Insgesamt zeigt der Band, wie sehr doch die Beschäftigung mit Pop auch dazu genutzt werden kann, einen Zugang zur kritischen Theorie zu erleichtern. Oder genauer gesagt: überhaupt zu ermöglichen. Allerdings darf Pop nicht allein auf sein partizipatorisches Potential innerhalb der Konsumption von Popartikeln beschränkt werden. Erst die Frage nach den gesellschaftlichen Voraussetzungen der Popsphäre ermöglicht so etwas wie einen Einstieg in das kritisch-systematische Denken. Den eigenen Anspruch, Pop für wissenschaftliche Diskurse brauchbar zu machen, erfüllt der Band jedenfalls: Er ist eine sehr gelungene Basis – von hier aus kann man weiterarbeiten.
MAX UPRAVITELEV
Holger Adam/Yasar Aydin/Zülfukar Cetin/Mustafa Doymus/Jonas Engelmann/Astrid Henning/Sonja Witte (Hrsg.): Pop Kultur Diskurs. Zum Verhältnis von Gesellschaft, Kulturindustrie und Wissenschaft, Ventil Verlag, Mainz 2010, 288 S., € 14,90.