Keine soziale oder politische Revolution auf breiter Basis könne durch die Zine-Kultur geschaffen werden, schreibt eine feministische Aktivistin aus den USA in Hot Topic Sonja Eismann, Hot Topic. Popfeminismus heute, Mainz 2007. – der von Sonja Eismann herausgegebenen und viel beachteten Anthologie – jedoch seien diese wichtig, um eine eigene Kultur und positive Repräsentationen zu schaffen, die pockets of resistance ermöglichen. Zines oder grrrl-zines sind Eigenproduktionen von Mädchen oder jungen Frauen mit Interesse an queerer Subkultur und Feminismus. Aus der Wut darüber, die eigenen Erfahrungen in den Medien nicht repräsentiert zu sehen und sich deshalb isoliert und allein zu fühlen, erwächst die Energie für die vielfältigen Projekte, die Sonja Eismann in ihrem Buch als Popfeminismus bezeichnet: Bands, Zines, Radioshows, Klamotten schneidern, künstlerisch tätig sein, Ladyfeste organisieren, Filme machen und Internetsetseiten erstellen. Ein gutes Beispiel für in der Kultur nicht repräsentierte Erfahrungen sind Abtreibungen. Sind diese in Deutschland, wenn auch rechtswidrig, so doch zumindest nicht strafbar, hat mit dieser rechtlichen Möglichkeit die gesellschaftliche Diskriminierung jedoch nicht aufgehört. Filme oder Literatur über Abtreibungen gibt es jenseits der Lebensschützerkampagnen selten. Über die eigene Abtreibung zu reden kann jenseits der Subkultur mittlerweile sogar wieder dazu führen, als Mörderin beschimpft zu werden. Zumindest sollte sie es verheimlichen, wenn sie nicht schief angeguckt werden will. Vor allem Teenager treiben oft nicht ab, weil sie mit dem schlechten Gewissen, »ein Kind getötet zu haben« – wie sie es ausdrücken – nicht leben könnten. Die Autorin arbeitet in einem feministischen Mädchenprojekt und muss regelmäßig solche Diskussionen mit Mädchen zwischen 15 und 20 Jahren führen. Doch auch innerhalb der Szene geht es oftmals nicht wesentlich liberaler zu. In Hot Topic erzählt eine Frau von ihren drei Abtreibungen, die sie lange Zeit selbst ihrem subkulturellen Umfeld verheimlicht hat. Einmal ungewollt schwanger werden kann passieren, aber dreimal? Damit wird frau dem Ideal der Selbstkontrolle, die auch bei der Leidenschaft erwartet wird, nicht gerecht und gilt selbst in aufgeklärten Kreisen als verantwortungslos.
Die Erkenntnis, dass andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben und die gleichen Probleme mit Schuldgefühlen haben, ist tatsächlich genauso befreiend, wie es die Aktivistinnen beschreiben. Zudem ist es durch den Austausch in zines oder blogs möglich, alternative Lösungsmöglichkeiten kennenzulernen oder sich Unterstützung zu holen, was in der Szene networking heißt. So wirkt die Szene wie ein großes Selbsthilfeprojekt, oder auch eine große self-concious-Gruppe aus den Siebzigern.
Die Gruppen in den Siebzigern haben zur Politisierung von Frauen beigetragen, weil die Erfahrungen der Frauen endlich als Ausdruck politischer Verhältnisse gedeutet werden konnten und nicht mehr als individuelle Probleme galten. Eine Praxis, mit der gezeigt wurde, dass das Private politisch ist und die Frauenfrage sich nur in der Überwindung kapitalistischer Verhältnisse wird lösen lassen. So proklamierte Helke Sander im Rahmen des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) 1968 ein Statement, welches in den siebziger Jahren Programm bleiben sollte:
»Die Frauen können die Emanzipation nur erlangen, wenn die ins Private verdrängten gesellschaftlichen Konflikte artikuliert werden, damit sich dadurch die Frauen solidarisieren und politisieren. Die meisten Frauen sind deshalb unpolitisch, weil Politik bisher immer einseitig definiert worden ist und ihre Bedürfnisse nie erfasst wurden. Sie beharrten deshalb nach dem autoritären Ruf im Gesetzgeber, weil sie den systemsprengenden Widerspruch ihrer Forderungen nicht erkannt haben.« Helke Sander, Rede des Aktionsrats zur Befreiung der Frau (1968), In: Lutz Schulenburg: Das Leben ändern, die Welt verändern, 1968 Dokumente und Berichte, Hamburg 1998.
Die Verbindung von individuellen Erfahrungen mit politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen wird in popfeministischen Zusammenhängen herzustellen versucht. Sie beschränkt sich jedoch in der Regel auf die Medien und die Kultur, die eine bestimmte normierte Sichtweise über die Geschlechter produzieren würden, der es alternative Medien und selbstproduzierte Musik oder Kunst entgegen zu setzen gilt. Den »systemsprengenden Widerspruch« erkennen jedoch nur wenige, und da überwiegen die resignativen Stimmen. »Im Kapitalismus sterben würde man sicherlich«, zitiert Sonja Eismann zustimmend die bekannte Vertreterin der deutschen Popkultur Mercedes Bunz, auch wenn sie die damit einhergehende Systemaffirmation ablehne. Eine Wissenschaftlerin der Gender Studies, die in Hot Topic über das Feministinwerden schreibt, verortet ihre revolutionäre Phase in ihrer Studentenzeit: Jetzt fände sie es erstaunlich genug, dass sie in ihrem Nahbereich (Familie) etwas bewirken könne – das Projekt, die Welt im Ganzen zu verändern, hätte sich jedoch als zu groß herausgestellt, obwohl sie das manchmal unglaublich wütend mache. Gerne würde man das große Ganze verändern, aber da dies nicht gehe, versuche man es eben mit der Politik im Kleinen. Das hört sich schon fast so resignativ an, wie viele 68erinnen heute, die die Revolutionshoffnungen ihrer Jugend verworfen haben und Esoterikerinnen oder »Die Linke«-Politikerinnen geworden sind. Ist aber die Resignation der 68er-Frauen das Ergebnis des Scheiterns der Revolte, steht bei den Pop-Feministinnen, die gerade erst eine Bewegung werden wollen, die Resignation schon zu Beginn. Damit wird für die Frauen, die sich im subkulturellen, queeren Kontext politisieren, die Möglichkeit versperrt, ihre Forderung und Wünsche als im Widerspruch mit der kapitalistischen Gesellschaft zu begreifen. Dies macht es ihnen unmöglich, eine wirklich relevante Bewegung zu werden.
Die Wiederkehr des Immergleichen oder die vergessene Geschichte
Für einige der Protagonistinnen der sich neu formierenden popfeministischen Bewegung ist die Überwindung kapitalistisch-bürgerlicher Herrschaft ohnehin außerhalb ihres Blickwinkels. Dies drückt sich zum Beispiel dadurch aus, dass sie die zweite Frauenbewegung allein als Frauenrechtsbewegung begreifen, ohne jene Traditionen mit einzubeziehen, die wie Helke Sander eine revolutionäre Veränderung für notwendig hielten, um das Geschlechterverhältnis zu überwinden. Diese Frauenbewegung, so die hier gängige Interpretation, hatte zwar einige rechtliche Erfolge vorzuweisen, aber auf kultureller und gesellschaftlicher Ebene stehe der Kampf noch aus. Die rechtliche Gleichheit habe also immer noch nicht zu einer realen Gleichheit geführt, und das solle mit den neuen Strategien, die an der Kritik der populären Kultur ansetzen, geändert werden. Jetzt endlich, weil man selbst nach dem x-ten Versuch immer noch daran glaubt, dass in dieser Gesellschaft die Gleichberechtigung zu erreichen ist, soll die wahre Gleichheit erkämpft werden. Jetzt jedoch mit Glamourfaktor, dafür aber prekär!
Die alte Frauenbewegung als eine Rechtsbewegung zu begreifen, entspricht jedoch nur der halben Wahrheit. Denn auch wenn die Ergebnisse der zweiten Frauenbewegung mit ihren Institutionen wie den Frauenbeauftragten und der Frauenquote, der selbsternannten Gallionsfigur Alice Schwarzer, die bei der »Du-bist-Deutschland«-Kampagne mitmacht, sowie der feministischen Sozialarbeit, durchaus staatstragend geworden sind, so sind diese Ergebnisse doch Ausdruck eines Prozesses, den die Frauenbewegung Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre durchgemacht hat. Dieser etablierte Feminismus wird von jüngeren Frauen berechtigterweise als etwas bieder und langweilig empfunden, mit den ewig gleichen Formeln von »gleichem Lohn für gleiche Arbeit« und dem dauernden Lamentieren, dass Berufsarbeit mit Familie vereinbar sein muss. Die Frauenbewegung hat sich durch die Institutionalisierung in Luft aufgelöst.
Es ist interessant, sich die Frauenprojektebene aus den Siebzigern anzuschauen, weil diese dem heutigen Popfeminismus in vielfacher Hinsicht ähnelt, obwohl natürlich alle Beteiligten meinen, das Rad neu erfunden zu haben. Das mag mit der ausgesprochenen Geschichtslosigkeit der Linken zu tun haben und damit, dass die Geschichte sich immer so zurechtgelegt wird, wie sie für das eigene Programm passt. Aber sicherlich auch damit, dass man innerhalb des Bestehenden sowieso nicht so wahnsinnig viele Möglichkeiten hat und immer wieder an dieselben Grenzen stößt: Wie soll die Alltagsorganisation, die damit verbundende Notwendigkeit des Gelderwerbs und eventuell der Aufzug von Kindern mit der politischen oder kulturellen Arbeit vereinbart werden, die in der Regel kaum bezahlt wird?
Die Frauen standen damals an einem Scheideweg und mussten sich fragen, ob sie sich etablieren wollten, um wenigstens begrenzt Geld, Anerkennung und Einfluss auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zu haben, oder ob sie sich in den vielfältigen Projekten der Sozialarbeiterin, den Landkommunen, Buchläden und Zeitschriftenprojekten selbst ausbeuten wollten. Als die Frauen Mitte der Siebziger die Diskrepanz zwischen der patriarchal-kapitalistischen Arbeitswelt und den neu entwickelten Verhaltens- und Verkehrsformen der Frauenbewegung kaum mehr aushielten, wurden Überlegungen angestellt, wie man beides miteinander vereinbaren kann. Man machte sich auf die Suche nach nicht-deformierter, nicht-entfremdeter Arbeit und entwickelte daraufhin die Frauenprojektarbeit. Es sollte ein feministisches Gegenmilieu geschaffen werden, das nicht auf Konkurrenz und Leistung, sondern auf Liebe und Identifikation mit dem Produkt basieren sollte. Dies war jedoch nicht durchzuhalten, sobald die Frauen marktfähig sein wollten, was oft als moralisches Versagen der jeweils Einzelnen gewertet wurde. Gleiches geschah mit der Sozialarbeit, die in den neu aufgebauten Frauenhäusern und Notrufen geleistet werden sollte, und wo es doch auf die Dauer unbefriedigend blieb, diese unentgeltlich zu leisten und folglich Anträge beim Staat gestellt wurden. Dies bedeutete i. d. R., dass die Maßgaben des Staates einzuhalten sind und waren. Und so geschah die Institutionalisierung der zweiten Frauenbewegung aufgrund von kapitalismusimmanenten Gesetzen, die die Integration auch sich autonom denkender Bewegungen fördern, wenn man sie nicht zur Kenntnis nimmt.
Die Tragik der Subkultur
Sonja Eismanns Ziel ist es, mit ihren Publikationen wie Hot Topic und dem neu gegründeten Missy Magazine das queere, feministische, subkulturelle Milieu einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen und Frauen für den Feminismus zu begeistern, die Alice Schwarzer oder Gleichstellungsbeauftragte lahm finden. Mit der Gründung eines Hochglanzmagazins wie Missy erfolgte auch eine Anpassung an dieses Format durch kurze peppige Artikel, in denen z.B. Künstler wie Rocko Schamoni, die es geschafft haben, der prekären subkulturellen Welt zu entkommen, abgefeiert werden. »Rocko, du rockst unsere Welt« (Missy 01/09) Eine inhaltliche Auseinandersetzung sucht man jedoch vergebens. Für das Dossier zur Finanzkrise hat die Zeitschrift es gerade mal geschafft, ein Sammelsurium von Begriffen aus der feministischen Ökonomiekritik wie »feministische Wertabspaltung« oder »Doppelte Vergesellschaftung« in konsumfreundliche Häppchen nebeneinander zu stellen, ohne jedoch zu fragen, ob diese Begriffe taugen oder im Gegensatz zueinander stehen. Geschweige denn, was aus diesen Erkenntnissen für Schlüsse zu ziehen wären.
So scheint auch im queeren, subkulturellen Milieu die Frage aufzutauchen, ob durch Anpassung mehr Einfluss gewonnen wird oder man weiterhin in der Subkultur prekär und relativ wirkungslos herumwurschteln soll.
Diese Frage ist nicht nur eine der politischen Praxis, sondern auch eine der aktuellen Lebensrealität. So muss sich nach dem Studium - die Subkultur ist weitestgehend studentisch geprägt – entschieden werden, inwieweit das bisherige Leben mit Ausgehen, Partys, nächtelangem Diskutieren, Ausschlafen und politischer oder künstlerischer Arbeit weiter fortgeführt werden, dafür aber eine prekäre Existenz mit Jobs, staatlicher Hilfe oder Halbtagstätigkeiten in Kauf genommen werden soll, oder ob mit Vollzeitjobs und vielleicht sogar Kind eine halbwegs ökonomisch gesicherte Existenz angestrebt werden soll, in der kaum Zeit für die Freunde und die Subkultur bleibt. Wohl dem, der diese Entscheidung überhaupt hat. Denn viele proletarische Menschen leben ohnehin von Hartz IV oder von schlecht bezahlten Jobs und haben nie eine Idee davon gewinnen können, wie sie sich selbst verwirklichen wollen - außer als Frau die Mutterschaft der Chancenlosigkeit in der Arbeitswelt vorzuziehen, wie es mit steigender Tendenz sogar Jugendliche praktizieren.
Das prekäre, selbstbestimmte Leben scheint ohnehin nur so lang attraktiv zu sein, wie es zumindest den Schein von Freiheit bewahren kann, auch wenn sich die Wahl als eine zwischen Pest und Cholera erweist. Doch die Wahlfreiheit ist auch für cultural oder gender studies-Absolventen nur begrenzt vorhanden. Sich für eine Karriere zu entscheiden, ist bei dem engen Arbeitmarkt oftmals gar nicht erst möglich. Natürlich gibt es auch die paar Glücklichen, die aus ihrem subkulturellen Wissen Kapital schlagen können, wenn es wahrscheinlich auch selten besonders hoch ist. So ist Sonja Eismann recht erfolgreich mit der Herausgabe des Missy Magazins und als Journalistin für die Intro. Aber die meisten müssen mit den Tipps auskommen, die die für subkulturelle Verhältnisse erfolgreiche Christiane Rösinger – sie spielte bei den Lassie Singers, bei Britta und schreibt für bürgerliche Zeitungen – in Hot Topic gibt:
»Dieser Jobcocktail sollte sich zusammensetzen aus 50% künstlerischer, also unbezahlter Arbeit , wie etwa die eigene Band, die Trilogie, Ahnenforschung, Lesegruppe, oder sonst eine unrentable Firma, aus 35% freiberuflicher kaum vergüteter Tätigkeit bei einer kulturellen Institution, und, um den Anschluss ans wahre Leben nicht zu verlieren, aus 15% tatsächlich bezahlter Arbeit – den so genannten Brotjobs. Idealerweise im bohèmistisch-alternativen-popkulturellen Umfeld: Tippen, Kinokarten verkaufen, Gästelisten überwachen, Türstehen, Getränke verkaufen.« Christiane Rösinger, in: Sonja Eismann, Hot Topic, 144.
Wobei man sich dann doch fragt, wie man von 15 Prozent Brotjobs leben kann, wenn 100 Prozent nicht bedeuten sollen, dass man Tag und Nacht arbeitet. Christiane Rösinger gibt die Antwort gleich selbst: Bei denen, die scheinbar sehr locker in den Tag leben, steckt oftmals doch eine Sicherheit in Form elterlicher Zuwendungen oder Immobilien dahinter. Diese ermöglichen nicht nur denjenigen die unbezahlte Arbeit in Form von Praktika im Kulturbetrieb, die es doch irgendwann mal schaffen, in irgendeinen spannenden, gut bezahlten Job hineinzukommen, wenn sie dann auch meist ihre Ideale verraten müssen. Sie erlauben auch das Durchwurschteln in Bohemia, wobei man den Vorteil hat, moralisch integer zu bleiben, jedoch um den Preis, dass die Existenzangst im Nacken sitzt. Da die Frauen mit ihrer Popfeminismusbewegung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt kommen, da die meisten Jobs im Kulturbereich ohnehin prekär sind, werden sie sich wohl mit der Durchwurschtelei begnügen müssen.
So ist die Zugehörigkeit zur Bohéme tatsächlich eine Klassenfrage, die jedoch oftmals als moralische Frage nach der Korrumpierbarkeit daherkommt. Die Armut wird hier nicht als schreiende Ungerechtigkeit empfunden, gegen die angekämpft werden muss, sondern als Zeichen für die moralische Unversehrtheit, die glamourös aufgewertet wird. So sagt Pauline Boudry von Rhythm King and her Friends, einer Queer-Band aus Berlin, dass es für sie auch Luxus bedeutet, »an einem Projekt zu arbeiten, bei dem viele Friends beteiligt sind« (Hot Topic). Das sei der wahre Reichtum. Das Problem ist dabei nicht, dass man sich entscheidet, nicht mitmachen zu wollen und versucht, mit wenig Geld auszukommen, um die Dinge zu machen, die Spaß machen oder die man wichtig findet. Das Problem liegt allein in der Verherrlichung dieses Zustandes als glamourös und cool. So kann der Eindruck gewonnen werden, dass das Ziel des Lebens darin liegt, Teil der Subkultur zu sein, und somit zu einem reichlich selbstrefentiellen Haufen zu gehören. Dieser Eindruck verstärkt sich noch dadurch, dass die Szene sich stets gegenseitig abfeiert und außer von einer Djane mit Kind die Widersprüche in der Szene kaum thematisiert werden.
So ist der Lebensstil der nun als Popfeminismus hochstilisierten Subkultur die glamourös getarnte Variante dessen, wie ohnehin alle gerade gezwungen sind zu leben: ohne feste Arbeitsverhältnisse, in aufgelösten Familien und mit flexibilisierten Geschlechtsidentitäten. Der gesellschaftliche Zwang wird so nicht einfach nur nachvollzogen, sondern er wird uns als Freiheit präsentiert.
Die Überwindung der Subkultur kann sich dagegen innerhalb der Szene nur als Anpassung an die herrschende Kultur vorgestellt werden, nicht aber durch Überwindung derselben. Eine wirkliche Kritik der Popkultur würde nicht die feministische Variante davon sein, sondern würde die eigene Überflüssigkeit reflektieren, die durch die kapitalistische Gesellschaft hervorgebracht wird. Dieser Pop würde die Hoffnung auf die eigene Abschaffung in sich tragen und auf diese hinarbeiten.
Do-it-yourself als revolutionäre Praxis
Sonja Eismann schreibt jedoch zu Recht, dass ihre KritikerInnen oft nicht mehr zu bieten haben, als die abstrakte Abschaffung des Kapitalismus und des Pop zu fordern. Doch die Überwindung des Kapitalismus ist tatsächlich schwer von heute auf morgen vorstellbar und bedarf des Experimentierens bereits im Hier und Jetzt, wie es im subkulturellen Milieu schon vollzogen wird. So kann hier schon einmal erprobt werden, wie jenseits von Zweierbeziehungen und heterosexuellen Normierungen gelebt werden kann, aber auch, wie eine Produktion aussehen könnte, die nicht mehr auf Hierarchien angelegt ist. Wirkt die do-it-yourself-Praxis zwar meistens eher wie eine regressive Praxis, die den Fortschritt der Automation rückgängig machen will, so kann daraus durchaus die notwendige Erkenntnis erwachsen, dass es nicht vollkommen unmöglich ist, die Produktion in die eigenen Hände zu legen, wie immer diese dann auch aussehen mag. Der Roboterworkshop auf dem Ladyfest in Wien zeigte zum Beispiel, dass digitale Technik und Automation von jedem und jeder erlernbar sind und nicht erst ein vollständiges Informatikstudium erforderlich ist. Diese Praxen können jedoch nur dann auf eine andere Gesellschaft verweisen, wenn sie sich innerhalb einer revolutionären Bewegung befinden, was bisher jedoch mitnichten der Fall ist. Ansonsten werden sie ebenso integriert wie ihre Vorgängerinnen, wenn auch wahrscheinlich nicht auf einem ähnlich hohen Niveau. Die queere Subkultur mit ihrem Ansatz, das Private zum Ausgangspolitik der politischen Praxis zu machen und schon im Hier und Jetzt andere Verhaltensweisen zu erproben, könnte dann die Vorhut einer echten revolutionären Bewegung sein, wenn sie sich mit den versprengten Grüppchen zusammen tut, die zumindest abstrakt an einer radikalen Kapitalismuskritik festhalten.
~Von Andrea Trumann. Die Autorin veröffentlichte zuletzt Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektivierung im Spätkapitalismus und schreibt u.a. in der Jungle World.