Perfect Profiles

Die RAF als Gespenst der Seele

Linke Kultur, das ist, wenn der revolutionäre Kampf seinen Ausdruck findet in den Medien, die oberflächlich - und fälschlicherweise - als »unpolitisch« angesehen werden. Wenn das stimmt, werden wir von Linker Kultur zur Zeit geradezu überschwemmt. Jan Delay hippt und hoppt über die Söhne Stammheims, die Tussi Deluxe widmet RAF eine ganze Vierfarb-Hochglanz-Ausgabe, und die Filme zum Thema, die in der Stadtguerilla plötzlich mehr sehen als die Fratze des Terrorismus, lassen sich nicht mehr nur an einer Hand abzählen. Kurz: RAF rockt. Oder poppt sie doch eher?

Alles authentisch

Jan Delay machte vielleicht nicht den Anfang, er gehört aber zweifellos zur »Gründergeneration« des neuen RAF-Chics. Sein Song »Die Söhne Stammheims« wird viel gespielt und wenig diskutiert. Nun ist es zweifellos nicht nötig, das an jedem politischen Song die diskurskritischen Gehirnzentren heißlaufen, auffällig ist aber, welche Akzeptanz der radikale Impetus nicht nur bei Linken erfährt. RAF, Stammheim - politisch? Vielleicht. Vor allem aber authentisch. Und die Authentizität ist es, die über den Marktwert dessen entscheidet, was Subkultur sein will. Damit hat der deutsche HipHop schon immer ein Problem: Denn die authentischste Ghetto-Subkultur, die die brd seit 1990 zu bieten hat, ist wahrscheinlich die in den »national befreiten Zonen«, und die bietet nicht nur wenig Identifikationspotential, sondern vor allem noch weniger Marktwert. Was ist dann der deutsche HipHop, und wie kann er es sein, ohne zu deutsch zu werden? Die Sinnkrise ist tief verankert, und Jan Delay gehört mit seinem neuen Album zu denen, die sie in gewisser Weise am offensten verhandeln.

Authenzität, lernen wir von ihm, war gestern, als es noch echte Kämpfe und klare Fronten gab. Heute ist »Ordnung und Frieden« angesagt. Der Kontrast zwischen den Gezeiten des (Nicht-)Widerstands erscheint bei Jan fast schon nostalgisch - Die Zeit der wahren Kämpfer ist unwiederbringlich dahin, die Gegenwart erschöpft sich in fanatischem Konformismus oder in Gleichgültigkeit. Der deutsche HipHop ist Kind dieses Zeitgeistes, und Jan Delay sagt es ganz offen: So hart, wie East und West Coast noch tun waren wir sowieso nie. Die Antwort auf dieses Dilemma ist das Eingeständnis der unerfüllten Sehnsucht nach Authentizität - und die wird natürlich in der deutschen Vergangenheit gesucht. Da die keine unheimlich konsequenten HipHop-Gründungsväter aufzuweisen hat, müssen andere zutiefst überzeugende Outlaws her.

Das macht Jan Delays Songs nicht unpolitisch, aber es schafft die Grundlange für eine a-historische, entpolitisierende Betrachtung seiner linken Texte.

Zwei Diener zweier Herren

Der semidokumentarische Kinofilm »Black Box BRD«, Ende Mai angelaufen, gehört zu den jüngsten Beiträgen im neuen RAF-Diskurs, der seit gut einem Jahr wider rote Sterne und Maschinengewehre durchs Land geistern lässt. In seiner Inszenierung fernab von Popkultur, nüchtern und ruhig, hat er doch eine entscheidende Gemeinsamkeit mit den aktuellen RAF-Verstylungen: Er sucht nach Charakteren. Gefunden meint das Werk sie nicht nur in Wolfgang Grams zu haben, mutmaßliches RAF-Mitglied, 1993 in Bad Kleinen unter Umständen gestorben, die eine Exekution durch die Polizei vermuten lassen. Auch Alfred Herrhausen, Vorstandschef der Deutschen Bank bis zu seinem Tod ` 89 durch einen gezielten Anschlag der RAF wird zum Gegenstand einer tiefgehenden Ausleuchtung.

In »Black Box BRD« begegnen uns zwei schlüssige, charakterlich konsequente Extremisten: Grams, seit frühester Kindheit getrieben vom inneren Gerechtigkeitssinn, musikalisch, hilfsbereit, nachdenklich, und Herrhausen: Ehrgeizig, realistisch, patriotisch. Grams Diener einer Idee, Herrhausen Diener des Vaterlands. Das in Veiels Film so manches Vorstandsmitglied der deutschen Bank sich vorm geprüften linksradikalen Auge als das Schwein entblößt, für dass mensch es schon immer gehalten hat, macht den Film zuerst einmal sympathisch, ebenso der Umstand, dass die RAF unterm Strich ganz und gar undämonisch bleibt, sogar eher die »menschliche« Seite verkörpert. Linke Kultur also, oder einfach nur eine gute, objektive Dokumentation, die zwangsläufig ihr Körnchen politische Wahrheit enthält?

Seelengeschwister

Der Film wird der Frage nicht gerecht, genauso wenig wie der gesamte RAF-Diskurs, den wir seit der Jahrtausendwende verfolgen können. Der Knackpunkt dabei ist wieder, dass die RAF interessant ist durch ihre Charaktere. Mögen die nun fanatisch, zerbrochen oder hoffnungslos idealistisch erscheinen, sie sind in all dem immer unheimlich konsequent. Und konsequente Charaktere sind kostbare Mangelware geworden in der manchmal etwas zu beliebigen Postmoderne. Zwar will keiner den einfachen Helden nachweinen, Archetypen der Zeit des kalten Krieges, aber die Seelenverwandtschaft mit larger-than-life-Figuren mag doch niemand missen. Im Zeitalter der ungelösten und unlösbaren Widersprüche wird daraus eine Seelenverwandtschaft, die den Widerspruch in sich birgt.

Die Identifikation mit der RAF setzt weder das Einverständnis mit ihren politischen Zielen noch mit ihren Handlungen voraus. Die RAFler werden nicht mehr pathologisiert: Wahnsinnig, geschädigt, besessen. Ihre Verhaltensweisen werden plötzlich zum Ausdruck einer tiefen Innerlichkeit. Und diese Innerlichkeit ist es, die - ganz wertfrei - angeboten wird in der Betrachtung des neu entdeckten Stadtguerilla-Chics. Großes Brüderchen Zlatko hat in weiser Naivität den Wahlspruch der Jahrtausend-Identitäten ausgegeben: Wer auch immer du bist, sei ganz du selbst. Und eines nimmt den man den RAF-Kämpfern mit Sicherheit ab: das sie ihr ganzes Leben lang ganz sie selbst waren. Ihr politischer Aktivismus ist dabei nur ein Ausdruck einer ganz besonderen Inneren Beschaffenheit und steht somit gleichberechtigt neben der Wahl von Frisur und Schuhmode, eine Stilfrage und damit beileibe keine Nebensache.

Be yourself, whatever they say?

Zu einer Randerscheinung wird dabei der politische Kontext, der den bewaffneten Kampf hervorbrachte - deutlich beispielsweise bei den Literaturangaben zur RAF in der Tussi Deluxe, die von ID-Archiv-Bänden bis zu Augstein einfach alles biet en. Sicher wurde die RAF maß geblich von Individuen ausgemacht, die beschlossen hatten, den bewaffneten Kampf aufzunehmen. Eine Betrachtungsweise, die Stil und Innerlichkeit dieser Individuen in den Mittelpunkt rü ckt, interessiert sich aber wenig für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Widerstand nötig machen, ermöglichen und hervorbringen. Die Betrachtung dieser Rahmenbedingungen ist aber Vorraussetzung, um explizit politisch Stellung zu nehmen. Alles andere ist Geschmackssache. Sympathisiert wird eben nicht mit der RAF in ihrem politischen Kontext, sondern mit der RAF als ein Ausdruck der Befindlichkeit ihrer Mitglieder. Diese waren/sind »sie selbst«, ganz unabhängig vom Rest der Gesellschaft. Zu philosophischen Höhenflügen zu diesem Thema schwingt sich die Tussi Deluxe auf, wenn sie feststellt, dass in einer Geschichte, die nur noch ihre eigene Wiederholung kennt, die Gewalt der RAF einfach der Ausdruck des Wunsches war, als Person Geschichtsmächtigkeit zu erlangen. Menschen, die sich nach individueller Bedeutung sehnen, kämpfen also verzweifelt gegen das Ende der Geschichte. Ferner kann man einer Betrachtungsweise gesellschaftlicher Entwicklungen, wie sie der RAF entsprechen würde, kaum stehen.

Alles Essenz oder was?

Das Identifikationsangebot mit der RAF ist also vorerst kein politisches. Der politische Kampf erscheint als Ausdruck einer schwer ergründbaren Innerlichkeit, die Größe ahnen lässt. Das politische Haltungen und Handlungen als Oberflächlichkeit von etwas seelisch-innerem begriffen werden, ist ein geradezu mystischer Essentialismus, der sich immer wieder neuer Beliebtheit erfreut. Ein »Black Box BRD«-Zuschauer mag sich durchaus mit Grams und Herrhausen zugleich identifizieren. Seelenverwandtschaft muss schließlich keinen gleichen Ausdruck finden, sie erscheint dem Handeln vorgelagert. Mit einer linksradikalen Sichtweise, die bewusst macht, das Identität und politisches Handeln Ausdruck gesellschaftlicher Kontexte ebenso wie persönlicher Entscheidungen sind, hat das wenig zu tun.

Ist der neue RAF-Diskurs also als Entpolitisierungs-Attacke zu verstehen? Che, Baader, Meinhoff? Allzu oft schon hat die radikale Linke gequengelt, dass der Mainstream ihre Codes und Symbole stiehlt, weitergebracht hat sie das nicht. Also die Sektkorken knallen lassen, weil die RAF endlich mal wieder in aller Munde ist? Bisher scheint weder Jubel noch Resignation angebracht: Der Diskurs ist noch offen, die Chancen, ihn um eine politische Facette zu erweitern, stehen nicht schlecht. Das Kaum alle Tussi-Leser den bewaffneten Kampf aufnehmen werden, steht ja ohnehin fest. Fest steht aber auch, dass ein Verweis auf die RAF zur Zeit noch nicht denkbar ist, ohne auch den politischen Kontext zu berücksichtigen. Von linksradikaler Weise in den Diskurs eingreifen bedeutet, diesen Kontext in den Vordergrund zu rücken, also nicht: Meine Meinhoff deine Meinhoff (Worauf die Popkultur in jedem Sinne entwaffnend zu antworten weiß: Meinhoff ist für uns alle da!). Nicht der eigene Anspruch auf seelische und emotionale Nähe ist geltend zu machen, sondern der eigene Anspruch an politisches Handeln: Dass es nämlich mehr ist als eine Facette eines interessanten, schillernden Individuums.

Phase 2 Berlin