Das gute Leben für alle. Das dürfte der politische Grundsatz sein, auf den sich linke Positionen über alle Lager hinweg einigen können. Ohne den Anspruch auf die Emanzipation aller bleiben eine Kritik an den Zuständen und die Visionen eines Besseren zu häufig im Bestehenden verfangen. Die revolutionäre Linke vertritt deshalb den Universalismus: Revolution soll »alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«, der Marxismus »ist allmächtig, weil er wahr ist«, die Internationale erkämpft das Menschenrecht und hoch die antinationale Solidarität.
So einfach ist es aber nicht. Lange ließen sich diese Forderungen nicht abseits von Klassenpolitik denken, doch die Solidarität mit den Arbeiter:innen steht inzwischen nicht mehr im Fokus vieler Linker. Stattdessen zeigt sich eine grundlegende Verschiebung linker Koordinaten, die sich am Diskurs um die Identitätspolitik beobachten lässt. Was in den siebziger Jahren bereits als Diskussion um Haupt- und Nebenwiderspruch verhandelt wurde, hat sich seither vielfach differenziert, wobei die Kritik an verschiedenen Formen der Diskriminierung auch von Beginn an abgewehrt wurde: Feminist:innen übten strukturelle Kritik an linker Politik und der Blindheit gegenüber patriarchalen Zusammenhängen – innerlinke Diskussionen führten dagegen Spaltungsvorwürfe ins Feld. Allem Gegenwind zum Trotz setzte sich die notwendige Entwicklung, gegen Diskriminierungen aktiv vorzugehen, durch. Bestärkt durch neue theoretische Fundamente der achtziger und neunziger Jahre um etwa Intersektionalität, die Wirkmacht der Sprache, Butler und Co. entstanden dabei partikulare Geltungsansprüche und schließlich ausdifferenzierte Gruppenzugehörigkeiten, die zu einer Identitätspolitik führten, die inzwischen nicht selten als Reduktion auf persönliche Befindlichkeiten wahrgenommen wird. Das linke Eintreten für den Schutz von Minderheiten wird deshalb als Verlust des Allgemeinen oder als Beschränkung universeller Freiheiten angegriffen. Durchaus hat sich der Betroffenheitsgestus in vielen Diskussionen auf eine Weise verselbstständigt, bei der die Grenzen zwischen berechtigter Kritik an struktureller Diskriminierung und persönlicher Kränkung verschwimmen. Nicht immer ist dabei klar, ob es sich noch um eine ernstzunehmende Kritik handelt oder sich das gekränkte Subjekt in der Diskussion gerade lediglich auf den Claim der Identität zurückzieht, um die eigene Argumentation durchzusetzen und die Diskussionspartner:innen zu disqualifizieren. In solchen Diskurspraktiken geht eine allgemeine Idee von Universalismus dann tatsächlich verloren.
Einigen Positionen ist die Linke aber auch insgesamt zu bürgerlich geworden. Einerseits ist da das Geraune von Sahra Wagenknecht bis Didier Eribon, mit der Identitätspolitik hätte man das linke Kerngeschäft der universalistischen Klassenpolitik aufgegeben. Andererseits gibt es ernstgemeinte Versuche, mit einer neuen Klassenpolitik die sozialistische Bewegung wieder aufzubauen. Während sich für Wagenknecht die Diskussion um Identitäten lediglich als Diskurs der ökonomisch Privilegierten darstellt, der ein gesamtgesellschaftliches Gemeinschaftsgefühl verhindere, proklamiert Eribon in diesem Kontext ein Versagen der Linken, das zu einer Rechtswendung der Wähler:innen führe. Vertreter:innen einer neuen Klassenpolitik geht es dagegen vor allem um die Neudefinition des Solidaritätsbegriffs und die Herausbildung eines politischen Blocks, der dem 21. Jahrhundert gewachsen ist. Unter dem Label der verbindenden Klassenpolitik sollen in diesem Sinne konkrete Vorschläge zur Neuregulierung von Arbeit und demokratischen Arbeitsbeziehungen in den Fokus rücken. All diesen Positionen wohnt dabei der Grundgedanke inne, die Bedeutung der Linken und des Universalismus seien eng miteinander verzahnt.
Doch auch die Klage, der Verlust des Universalismus sei gleichbedeutend mit der eigenen Bedeutungslosigkeit, führt am Problem vorbei. Denn der Universalismus ist nun einmal im Kern liberal. So ist es gerade das formale Recht, das Herzstück des Liberalismus, das dem Anspruch eines Universalismus am nächsten kommt. Die Einwände sind an dieser Stelle nicht wegzuwischen, denn mit einem formalen Recht ist eben nicht alles geregelt. Doch auch, wenn das universalistische Versprechen, etwa in Bezug auf die Menschenrechte, in der Praxis nicht erfüllt wird, so ist dennoch der Anspruch richtig und zudem seither ein Motor für Emanzipationsbewegungen gewesen. Es zeigt sich, dass es hier keine Schwarz-Weiß-Bilder geben kann, denn nur weil das universalistische Versprechen nicht erfüllt ist, heißt es im Umkehrschluss nicht, dass die Idee deswegen per se falsch oder rassistisch wäre. Universelle Gleichheit gibt es nur auf der Abstraktionsstufe über den individuellen Eigenheiten; Freiheit muss unbestimmt bleiben, wenn jeder sie haben soll. Der Reflex also, den ungenügenden Ergebnissen eines liberalen Universalismus nun illiberale Forderungen entgegenzusetzen, ist so falsch wie gefährlich.
Universalismus ist nicht widerspruchsfrei zu haben. Aber anstatt daraus zu schließen, dass man ihn entweder lieber gar nicht oder in einer ideologisch geglätteten Version haben will, sollte ein linker Impuls doch gerade sein, diesem Problem auf den Grund zu gehen. Der Widerspruch zwischen Universalismus und Partikularismus, zwischen Besonderem und Allgemeinem und zwischen Individuum und Gesellschaft ist kein Naturgesetz. Im Gegenteil: die ganze Auseinandersetzung damit ist historisch und spitzt sich in der Moderne zu. Erst mit der Aufklärung tauchte das Problem auf, dass die allgemeine Emanzipation der Menschheit nur als Universalismus denkbar, dieser aber zugleich immer nur als falsche Verallgemeinerung einer partikularen Perspektive zu haben ist. Warum waren Frauen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nicht mitgemeint? Warum hat Hegel nicht Partei für die Revolution der Versklavten in Haiti eingenommen, wenn er doch von Weltgeist und Freiheit sprach? Wie kann jemand wie Kant Rassist gewesen sein? Zum linken Anspruch auf allgemeine Emanzipation gehört daher notwendigerweise die Universalismuskritik dazu: Feministische Kämpfe haben den patriarchalen Universalismus gebrochen, abolitionistische Kämpfe die Verallgemeinerung der bloß weißen Aufklärung zum humanistischen Universalismus durchkreuzt und als Eurozentrismus zurückgewiesen. So richtig der Impuls ist, als abstrakter Reflex wird er falsch. Wenn Universalismuskritik jeden Begriff des Allgemeinen notwendig als Lüge versteht, ist das selbst eine schlechte Verallgemeinerung. Auch der zynischste liberale Relativismus oder radikalste Anti-Essenzialismus der poststrukturalistischen Universalismuskritik kann nicht leugnen, dass wir in ganz realen Universalismen leben: Eine global durchkapitalisierte Gesellschaft, vergeschlechtlichte Herrschaft. Mehr noch: Sind nicht Kapitalismus und Patriarchat die einzigen durchgesetzten Universalismen, die wir kennen?
Daraus ergibt sich die unliebsame Frage, wie eigentlich eine Linke mit dem Widerspruch umgeht, dass sie eine Herrschaftsform kritisiert, von der sie zugleich ihre zentralste Kategorie übernommen hat. Nicht umsonst gibt es innerhalb linker und marxistischer Theorien eine lange Tradition, die darauf hinweist, dass der Widerspruch zwischen dem Besonderen und Allgemeinen kein metaphysisches Problem ist, sondern der Ausdruck einer spezifischen Einrichtung der Gesellschaft, nämlich der sogenannten Herrschaft des Abstrakt-Allgemeinen. Diese Analyse sollte die Grundbedingung bieten, nicht immer nur die eine oder andere schlechte Alternative zu wählen. Statt abstrakt vom Universalismus zu reden oder ihn ebenso abstrakt zu negieren, wollte die Theorie die falsche Wahl an sich zurückweisen. Die Anerkennung, dass man es in der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft mit Widersprüchen zu tun bekommt, wurde in der ideologiekritischen Tradition selbst oft zur Ausrede, nicht weiter nach Erklärungen zu suchen. Dann gibt es wohl keinen richtigen Universalismus im falschen Allgemeinen, keine Möglichkeit eines Kompromisses zwischen ein bisschen allgemein und ein bisschen konkret. Oder ließe sich auf diesem Boden dafür argumentieren, dass es einen Universalismus braucht, der sich im Klaren darüber ist, dass er nicht überall gilt?
Weil die politischen Probleme nicht gelöst sind, bleibt die Frage nach Notwendigkeit und Kritik des Universalismus bestehen. Die Phase 2 hat dazu eine entschiedene Position: Universalismus, drunter machen wir es nicht. Wie ansonsten irgendwas gemacht wird, darüber braucht es eine Diskussion, der sich dieser Schwerpunkt widmet. Universalismus wird darin erst einmal negativ bestimmt, in der Kritik sowohl des liberalen bürgerlichen Zustands als auch in der Kritik des linken Anti-Universalismus, der sich oft genug daraus ergeben hat. Ersterem widmet sich explizit Heiko Beyers Beitrag Utopie ohne Hoffnung und seine Diagnose einer Dialektik des Universalismus, die er anhand der wohl prominentesten Erscheinungsform des bürgerlichen Universalismus vornimmt: den Menschenrechten. Er kritisiert die Konzeption der Menschenrechte dafür, sich mit ihren eigenen Widersprüchen schlicht abgefunden zu haben und daher hinter dem radikal-emanzipatorischen Potential zurückzubleiben. Dem hält er entgegen, dass sich der utopische Gehalt der Menschenrechte nicht in ihrer positiven Gestalt, sondern erst in ihrer Kritik entfalten lasse. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Andrea Trumann in ihrer feministischen Kritik der Menschenrechte, die diese weder affirmieren noch unkritisch entsorgen will. Einer postkolonialen Universalismuskritik gesteht sie dabei ihr Recht zu, zeigt aber auch deren Grenzen auf: Zwar ist die rechtliche Gleichheit immer auch der Garant einer ungleichen Eigentumsordnung, in der vor allem der Mann als Sinnbild eines handelnden Individuums auftaucht. Aber deshalb sei nicht der Umkehrschluss richtig, den liberalen Universalismus zum bösen Imperialismus und zur Regression zu erklären.
Einer solchen Zurückweisung des linken Anti-Universalismus, der eine berechtigte Kritik zur falschen Abstraktion verkommen lässt, schließt sich auch Richard Schuberth an. Er zeigt in seiner Polemik über Die Deutschen als First People of Color, wie wenig die Forderung nach einer Anerkennung des Anderen eigentlich trägt. Indem er die postkolonialen Kategorien auf den Tiroler Volksaufstand und die deutsche Romantik zurückprojiziert, kann er sie von dort aus ad absurdum führen und zeigen, dass das zugrundeliegende Problem im Streit um den Postkolonialismus eher verschütt zu gehen droht. Auch Ewgeniy Kasakow weiß in Drei Lieder (nicht nur) über Lenin davon zu berichten, wie wenig Neuigkeitswert und daher auch Erkenntnisfortschritt in den Debatten um Identitätspolitik und Cancel Culture steckt, die es in ähnlicher Form schon in im letzten Jahrhundert in der Sowjetunion gegeben habe.
Auf die Kritik an den falschen Auflösungen des Widerspruchs folgt die Frage, wie man es denn nun mit dem Universalismus halten müsse. Braucht es einen linken Universalismus? Und wie kann dieser überhaupt aussehen? Darauf gibt es in der Ausgabe mehrere Antworten, die zum Teil selbst wieder in einem Streit zueinanderstehen. Hendrik Wallat etwa verteidigt die Vorstellung eines europäischen Universalismus mit aller Vehemenz. Wer die Entfaltung von Freiheit und Autonomie auf kapitalistische Ausbeutung und Eurozentrismus reduziere, habe nichts davon begriffen. Eine Linke müsse daher auf die Erhaltung und Verwirklichung dieses Erbes hinwirken. Bedeutet das dann aber ein Eintreten für eine individualisierte Identitätspolitik? Oder doch den Klassenkampf zur Überwindung aller bestehenden Ungleichheiten? Im Streit darum nehmen Alexandra Colligs und Jakob Hayner unterschiedliche Positionen ein. Hayner positioniert sich in seiner Polemik zum Streiten deutlich auf der Strukturseite: Ihm zufolge lenken die Diskussionen über Cancel Culture und Identitätspolitik nur davon ab, worum es in linker Politik eigentlich gehen müsste, nämlich die Beseitigung gesellschaftlichen Unrechts. Ohne diesen Anspruch bleibe die Diskussion hohl und führe im schlimmsten Fall zu einer Affirmation des Bestehenden. Colligs hingegen unternimmt eine materialistische Umdeutung der Identitätspolitik und deren theoretischen Grundlagen wie etwa bei Judith Butler. Demzufolge müsse es im Dilemma zwischen Identität und ökonomischer Struktur um eine dialektische Vermittlung über die gesellschaftliche Arbeitsteilung gehen, die sie skizzenhaft entwirft.
Einem solchen Gang durch die Widersprüche hindurch kann sich auch Franziska Haug anschließen, die die Notwendigkeit eines neuen Universalismus postuliert und dessen Möglichkeitsbedingungen in einer materialistischen Gesellschaftstheorie nachspürt. Über den Begriff der Solidarität kommt sie zu einer universellen Gleichheit, die nicht nur eine bürgerliche Idee, sondern Ausdruck der realen Verhältnisse der Menschen sein soll. Auf diese Vision der Solidarität antwortet Alex Struwe in seiner Kritik der Solidarität. Wie man es drehe und wende, das Dilemma der Solidarität zwischen abstraktem Humanismus oder exklusiver Volksgemeinschaft lasse sich nur idealistisch auflösen, also als Ideologie. Das selbst sei wiederum der Hinweis darauf, dass es nicht immer wieder neue und bessere Ideen von Emanzipation brauche, sondern eine materialistische Kritik jener Gesellschaft, in der Emanzipation nur als Idee existieren kann. Damit stellt sich die Frage, ob denn Universalismus überhaupt als linke Kategorie taugt. Florian Geisler merkt an, dass die Suche nach einem linken Universalismus selbst Teil des Problems ist. Statt die zutiefst bürgerliche Vorstellung eines Universalismus immer weiter als eine möglichst radikale Idee verkaufen zu wollen, sollte sich die Linke lieber ein klares Bild von der Konstellation machen, in der sie ein bürgerliches Projekt verfolgt, das zudem bereits historisch überholt ist.
Es wäre zu einfach, wenn es am Ende nur ein Bekenntnis bräuchte, um die Fragen von Wahrheit, Wirklichkeit und einer menschlichen Gesellschaft zu klären. Bis zu dieser Versöhnung ist es noch ein ganzes Stück Arbeit und die Phase 2 ruht sich bis zur nächsten Ausgabe erst einmal darauf aus, mit der Diskussion um den Universalismus einen Beitrag zur praktischen Überwindung des falschen Universellen geleistet zu haben.
Phase 2