No Angels

Wie der Terror als „Kriegsmaschine“ auf die Existenz von Todesengeln im Empire verweist.

Wenn von Krieg die Rede ist, und im Moment ist permanent die Rede von Krieg, kann man fast sicher sein, dass eine paradoxe Diskursfigur entsteht: was den einen das ewige Mittel zum Zweck der Konservierung der Ordnung der Dinge ist, ist den anderen der beste Weg zur Zerstörung derselben. Der Krieg - ob heilig oder nicht - erscheint jedoch in beiden Perspektiven meist als ein der Geschichte enthobenes Zwischenreich - als Ausnahmesituation. Unter dem Druck der aktuellen Ereignisse mehren sich jedoch die Stimmen, die den Krieg auf die Gesamtheit der gesellschaftlichen Vorgänge ausweiten: Krieg als Normalität. Vom Standpunkt einer auf Emanzipation(1) ausgerichteten Gesellschaftstheorie, ergeben sich daraus erhebliche Schwierigkeiten. Das lässt sich sehr gut an einem theoretischen Entwurf demonstrieren, der in Punkto Emphase nicht gerade geizt. Die Rede ist von Antonio Negris und Michael Hardts Empire(2).

Man wird das Gefühl einfach nicht los, dass der Text, wenn es um die revolutionären Möglichkeiten der Multitude und um das Gegen-Empire geht, in einem Sumpf aus Immanenzkitsch, Pathos und schlechter Liebeslyrik versinkt. Da tröstet der Hinweis auf die offensichtlich dahinter stehende diskursive Strategie, Emphase allererst produzieren zu wollen, nur wenig. Der Konstruktion des Buchs entsprechend besteht zwischen der Beschreibung des Empire, das sich „unmittelbar vor unseren Augen materialisiert“, und der Multitude als Kraft radikaler Veränderung ein Ungleichgewicht. Dieses Gefälle ergibt sich nicht nur aus der Evidenz eines global existierenden Kapitalismus, sondern betrifft wesentlich die Begriffe und Bilder, mit denen in Empire hantiert wird. Die eigentliche Erfindung von Empire ist der Begriff selbst. Die Überlegungen, die darunter gefasst werden, sind für sich gesehen nicht neu. Dass sie jedoch in dieser Form als Empire konzeptualisiert werden, schon. Auch wenn Negri/Hardt darauf insistieren, dass Marx von der Geschichte nicht widerlegt wurde und Kommunismus eine Option bleibt, scheint mir ihre Berufung auf Deleuze/Guattari(3) in Bezug auf die Bedeutung des Krieges weitreichender. Wenn in Empire explizit der Anspruch erhoben wird, die theoretischen Grenzen von Tausend Plateaus zu überwinden, lässt sich am Begriff der Kriegsmaschine (4) zeigen, dass das nicht ohne Weiteres gelingt. Die Kriegsmaschine taucht in Tausend Plateaus im Zusammenhang mit der Entstehung und Funktionsweise von Staaten als Vereinnahmungsapparaten auf. Die weitreichenden Konsequenzen, die sich aus dieser Perspektive ergeben, werden von Negri/Hardt vollständig übernommen, jedoch nicht ohne eine entscheidende Akzentverschiebung vorzunehmen. Anstatt sich auf die Kriegsmaschine zu konzentrieren, ist Empire ganz und gar an der Multitude interessiert und entwickelt eine immanente Betrachtung des Kapitalismus, die aus der Perspektive der Widerstände gegen bestimmte Produktionsverhältnisse entwickelt wird (Sabotage, Migration, Streik). Dass die Kriegsmaschine in Empire rudimentär bleibt, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie das immanente Zusammenspiel von Produktion, Macht und Widerstand nicht nur verkompliziert, sondern darüber hinaus auf ein Außen bezieht. Die Relation von Empire und Multitude stellt sich aus der Perspektive der Kriegsmaschine in einem anderen Licht dar, ohne dass das Konzept damit obsolet würde. Um diese anderen Färbungen geht es hier.

Die Theorie des Empire, als Theorie vom Aufziehen einer neuen transnationalen, globalen Souveränität, die unmittelbar dem maschinellen Gefüge des kapitalistischen Weltmarkts korrespondiert und in einen postkolonialen Raum eingebettet ist, hat inzwischen radikal an Evidenz gewonnen. Dabei geht es nicht so sehr um die Verifikation jeder einzelnen These, sondern um die seltsame Korrelation zwischen dem Empire-Szenario und dem, was täglich massenmedial an Worten und Bildern gesendet wird. Ein Beispiel aus Empire: „Jeder imperiale Krieg ist ein Bürgerkrieg, eine Polizeiaktion - von Los Angeles und Grenada bis nach Mogadischu und Sarajewo. Und so verliert sich denn auch die einst strikte Aufgabentrennung zwischen äußeren und innerem Arm der Macht (Zwischen Armee und Polizei, zwischen CIA und FBI) immer mehr im Vagen und Unbestimmten.“ Genau diese Unbestimmtheit will das Bush-Regime nach dem 11. September in einem „Superministerium für Heimatschutz“ konzentrieren um der „neuen Bedrohung“ Herr zu werden, ohne jedoch die Unbestimmtheit einfach in Souveränität überführen zu können: „Heute tun sich die Ideologen der Vereinigten Staaten unheimlich schwer, einen einzelnen, einheitlichen Feind zu benennen; statt dessen scheint es überall kleine und schwer bestimmbare Feinde zu geben. Das Ende der Krise der Moderne hat zu einer Ausbreitung kleiner und unbestimmter Krisen oder, wie wir sagen würden, zu einer Omni-Krise geführt.“ An diesem Punkt berührt sich die Darstellung von Negri/ Hardt mit der Kriegsmaschine. Das Empire koexistiert mit einem Außen, nicht als Gegenteil von Innen, sondern als einer anderen Art, Räume zu besetzten. Deleuze/Guattari lokalisieren die Kriegsmaschine in ihren Ursprüngen bei den Nomaden der asiatischen Steppe (Dschingis Khan). Die Nomaden, anders als die Sesshaften, definieren sich nicht dadurch, dass sie Territorien einnehmen und zwischen ihnen herumziehen, sondern dass sie die Wüste (glatter Raum) nicht verlassen, indem sie auf der Stelle reisen. Passend zu diesem Bestreben ist die Kriegsmaschine, anders als der Krieg, kein Instrument um andere kulturelle Räume zu erobern oder den eigenen zu verteidigen, sondern eine reine Auflösungsbewegung, die sich in Zusammenstößen mit Staatsapparaten und imperialen Reichen herausgebildet und transformiert hat. Auf diesem Weg verbindet sich die Kriegsmaschine unter anderem mit dem Islam und wird vom Okzident mit dem Orient identifiziert: „Das ist die Religion als Bestandteil der Kriegsmaschine und die Idee des heiligen Krieges als Motor dieser Maschine. Der Prophet, der sich gegen die staatliche Person des Königs und die religiöse Person des Priesters stellt, schreibt die Bewegung vor, durch die eine Religion zur Kriegsmaschine wird oder auf die Seite einer solchen Maschine übergeht. Es ist häufig gesagt worden, dass der Islam und der Prophet Mohammed eine solche Umwandlung der Religion vollzogen und einen wirklichen Korpsgeist geschaffen haben(...) Eben darauf bezieht sich der Westen, um seine Antipathie gegenüber dem Islam zu rechtfertigen. Zumal die Kreuzzüge ein im eigentlichen Sinne christliches Abenteuer dieser Art waren.“ In diesen Sätzen aus Tausend Plateaus zeigt sich die gesamte Ambivalenz des Orientalismus: heute kann jeder Reaktionär im Westen die Frauenverachtung der Taliban als Kriegslegitimation anführen und gleichzeitig die Schuld für die NY-Attentate den verdorbenen Früchten der Emanzipation in die Schuhe schieben. Die erstaunliche Nähe zwischen der Darstellung der Kriegsmaschine und der neuen Feindbestimmung nach dem 11. September liegt auf der Hand. In der Selbststilisierung Bin Ladens per Videoclip mit Turban und Kalaschnikow lässt sich leicht die Figur des „Propheten“ sowie seine Konstruktion als islamistischen Fundamentalisten und Topterroristen durch den Westen wieder erkennen. Und auch wenn Bushs Rede von „Kreuzzügen gegen das Böse“ als geschichtslose Geschmacklosigkeit belächelt wird, gewinnt sie vor dem Hintergrund dieser Beschreibungen handfeste Déjà-vu-Qualitäten. Wie in einem Delirium vermischen sich auf den medialen Oberflächen Archaismen und High-Tech-Futurismus zu einer komplexen Figur der Gleichzeitigkeit von scheinbar Vergangenem und Zukunft. Diese Vorgänge als pure Ideologie abzutun, ist zu wenig. Einmal mehr bewahrheitet sich die Feststellung von Deleuze/Guattari aus dem Anti-Ödipus, dass durch die deterritorialisierende Dynamik des Kapitalismus scheinbar überwundene historische Formen (Nationalismus, Faschismus etc.) als Fragmente wieder generiert werden, um sich in einer Gleichzeitigkeit unter völlig veränderten Bedingungen in die Aktualität wieder einzuschreiben. Den daraus entstehenden Spannungen versuchen die Autoren mit dem Konzept der Kriegsmaschine ein materialistisch/politisches Gesicht zu geben, das eben nicht der naturalisierte „Kampf der Kulturen“ ist. Deshalb betonen sie immer wieder, dass Krieg im staatlichen Sinne nicht das Ziel der Kriegsmaschine ist, jedoch in dem Maße dazu werden kann, in dem sich die Logik der Staatsapparate universalisiert. Dabei wird die Kriegsmaschine in dem Umfang zu reiner Destruktion, in dem die Staaten selber eine, deren Methoden imitierende, Kriegsmaschine in Gang setzen (molekulare Kriegsführung, High-Tech-Guerilla, etc). Deleuze/ Guattari geben dieser Dynamik einen eigenen Spin: „Es scheint indessen schwierig zu sein, die Kriegsmaschine bei der allgemeinen ›Behandlung‹ von Minderheiten einzusetzen, ohne einen absoluten Krieg auszulösen, den sie gerade verhindern soll. Auch hat man gesehen, dass die Kriegsmaschine quantitative und qualitative Prozesse von Verkleinerung und Anpassung in Gang setzt, die es ihr ermöglichen, ihre Attacken oder Gegenschläge je nach Art des ›beliebigen Feindes‹ (Individuum, Gruppe, Völker, Nationen...) abzustufen. Aber unter diesen Bedingungen produziert und reproduziert die kapitalistische Axiomatik unaufhörlich das, was ihre Kriegsmaschine zu beseitigen versucht.“ In diesem Sinne kann man sagen, dass sich mit dem Empire zwangsläufig auch eine omnipräsente Kriegsmaschine „vor unseren Augen materialisiert“ und dass das erhebliche Probleme für die Multitude mit sich bringt. Diese materialisiert sich nämlich nicht so ohne Weiteres vor unseren Augen, und hier wird das Verhältnis von Empire zu Tausend Plateaus interessant. Der Dualismus zwischen Multitude als politisches Subjekt und Akteur der Geschichte und Empire als globaler Kapitalismus, der kein Außen mehr kennt, ist am 11. September mitten in NY wie aus dem Nichts grundsätzlich in Frage gestellt worden. Als vor meinen Augen das WTC in sich zusammenbrach und aus allen Kanälen das Wort Terror und Krieg auf die Welt abgefeuert wurde, kam mir schlagartig der Begriff Kriegsmaschine in den Sinn: das war weder das Empire oder CIA/FBI noch die Multitude oder die Mafia, sondern die Kriegsmaschine, von der in Tausend Plateaus die Rede ist. Als sich das allgemeine Rätselraten in der scheinbaren Gewissheit beruhigte, dass es sich um „Bin Laden und sein Terror-Netzwerk“ handelt, war die Konfrontation ausgerufen: Zivilisation gegen Barbaren (Terroristen).

Schien in „Genua“ die Multitude eine neue Qualität zu erreichen und sich vor unseren Augen unter den Knüppeln der Polizei wenigsten ein bisschen zu materialisieren, wurde dieses „zarte Pflänzchen“ unter dem WTC mit begraben. In der Tat dauert es nur wenige Stunden, bis die ersten Texte zirkulierten, die „Genua“, wie die Flugzeuge, vom Terror entführt sahen. Auch Antonio Negri hat in einem Thesenpapier sehr schnell den Terrorismus auf die Seite des Empire verbucht: Bin Laden als Kopf der Al-Qaida Inc., ein global agierender Kapitalist, der mit Terror handelt, naturgemäß ein Gegner der Multitude. Die geheime Komplizenschaft zwischen dem Bush-Imperium und dem Bin-Laden-Imperium wurde zur Standardformel des Mainstream. Aber auch das Gros der Intellektuellen (Baudrillard, Virillio, Theweleit, Zizek) sah eine „Autoimmunreaktion“ am Werk. Dass Negri/ Hardt in diesem Zusammenhang weder schriftlich noch in Interviews eine Linie vom Terror zur Kriegsmaschine gezogen haben, ist kein Zufall, sondern hat Gründe, die ins Zentrum der Konzeption von Empire reichen, denn Negri sieht in Tausend Plateaus „die Renaissance eines historischen Materialismus, der auf der Höhe der Zeit ist. Er wartet nur, bewahrheitet, d.h. im Ereignis der Revolution vollbracht zu werden.“ Umso erstaunlicher, dass der zentrale Begriff der Kriegsmaschine umgangen wird, zumal ein Großteil des Begriffsapparats aus Tausend Plateaus in verwandelter Form in Empire wieder auftaucht. Warum also dieser blinde Fleck genau in dem Moment, wo sich die Kriegsmaschine als reine Zerstörung vor unseren Augen in dem Maße materialisiert, wie sich die Multitude als „revolutionäres Subjekt“ scheinbar dematerialisiert? Die Antwort liegt genau in dieser Verbindung. Negri ist gegenüber der Kriegsmaschine als politischem Konzept immer schon skeptisch gewesen, weil er wohl ahnte, dass es der fröhlichen Losung „Mit der Multitude zum Kommunismus“ zwangsläufig in die Quere kommt. Allein die Tatsache, dass im Rahmen der neuen „Patriotengesetze“ in den USA Terror, Drogenhandel und jede Art von Dissidenz ins selbe Feindschema passen, bestätigt diese Sorge. Konservative Politiker haben in den USA gerade ein Gesetz eingebracht, das es erlauben würde, Veranstalter von Raves unter generelle Mordanklage zu stellen, weil potentiell jemand an Drogenkonsum sterben könnte - sozusagen ein innenpolitischer Präventivschlag gegen die Subkultur im Namen der nationalen Souveränität nach dem Modell der neuen außenpolitischen Doktrin. Diese Paranoia hat natürlich nicht nur die USA befallen, sondern gehört zur virtuellen Grundausstattung jedes Staatsapparates. Auch wenn in Empire exzessiv mit der Vermischung von Grenzen gearbeitet wird, bleibt die Multitude, die als militant charakterisiert wird, von all dem unberührt und seltsam rein. Ein kleiner Engel, der, obwohl er sich mitten drin befindet, seine Unschuld nicht verliert. Die Kriegsmaschine ist suspekt.

In einem Interview, dass Negri im Frühjahr 1990 für die erste Ausgabe von „Futur antérieur“ mit Deleuze gemacht hat, gibt er diesem Unbehagen konkret Ausdruck: „Mir scheint, dass Tausend Plateaus, das ich als ein großes philosophisches Werk betrachte, auch ein Katalog ungelöster Fragen ist, vor allem im Bereich der politischen Philosophie. (...) alles bleibt nicht nur immer offen, sondern wird auch immer wieder geöffnet, mit einem unerhörten theoretischen Willen und einer Gewalt, die an den Ton der Ketzerei erinnert. Ich habe nichts gegen eine solche Subversion, ganz im Gegenteil ... Aber manchmal glaube ich eine tragische Note zu hören, da, wo man nicht weiß, wohin die Kriegsmaschine führt.“ Worauf ihm Deleuze, nachdem er die Grundbewegung von Tausend Plateaus skizziert hat, antwortet: „Und schließlich eine dritte Richtung, die in der Suche danach besteht, welchen Status die Kriegsmaschinen besitzen, die sich überhaupt nicht durch den Krieg definieren, sondern durch eine bestimmte Weise, den Zeit-Raum zu besetzen, auszufüllen, oder neue Zeit-Räume zu erfinden: solche Kriegsmaschinen sind revolutionäre Bewegungen (man berücksichtigt zum Beispiel nicht genügend, dass die PLO einen Zeit-Raum in der arabischen Welt erfinden musste) aber auch künstlerische Bewegungen.“ Die Nähe, die hier zwischen Befreiungsbewegungen und Kriegsmaschinen hergestellt wird, stellt sich natürlich aus heutiger Sicht anders dar; denn sie ist radikal durch den 11. Sepember als Terror übercodiert und Bestandteil herrschender Ideologie geworden. So kreist der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern permanent um diese Ununterscheidbarkeit. Je nach Blickwinkel ist die Kriegsmaschine Terror oder Befreiungskampf. Und Deleuze/ Guattari arbeiten sowohl die faschistoide Kriegsmaschine - „Faschismus gibt es dann, wenn in jedem Loch, in jeder Nische eine Kriegsmaschine installiert wird“ (Taliban)- als auch die revolutionäre Kriegsmaschine, die die herrschenden Machtformen zum Fliehen bringt, heraus. Neben Antisemitismus, Rassismus und Fanatismus, ist es der Circulus vitiosus ungleicher Kriegslogiken der diesen Konflikt antreibt. Aber darüber hinaus definiert sich die Kriegsmaschine über ein anderes Funktionieren, dem Erfinden eines anderen Verhältnisses zu Raum und Zeit: Sie ist bewegungslos und unsichtbar, um sich dann schlagartig zu entladen (Sleeper). Sie unterläuft die molare Ethik des Staates, weil sie plötzlich von Außen zuschlägt. All das tut die Multitude nicht, denn sie ist, auch wenn sie Widerstand leistet und das Kapital permanent zwingt die Produktionsverhältnisse umzustrukturieren, dennoch Teil des geschichtlichen Telos. Darum ist Deleuze im besagten Interview auch skeptisch, als ihm Negri sein Konzept eines „Kommunismus á venir“ unterbreitet. So gesehen waren die „Todesengel“ aus Teppichmesser-Boeing-Al-Qaida eine Kriegsmaschine par excellence. Eine Attacke aus dem Nichts, die nur eine totale Auflösung zum Ziel hat und die bindenden, durch Arbeit kristallisierten Kräfte des Staates als Selbstzweck pulverisiert. Und diese „faschistoide“ Variante bestimmt gerade die Spielregeln - auch der Medien. Bis in die homophoben Witze von Harald Schmidt hinein (Bin Laden hat so schöne Augen!), wurde allerorten die Kriegsmaschine exakt in den Kategorien beschworen, wie sie in Tausend Plateaus entfaltet werden: List, Clans, Frau-werden, Tier-werden, Nomaden, Wüsten, Waffen als Schmuck, blindwütige Affekte, High Society als Guerilla, Güte und Feigheit...

In diesem Sinne kennt das sich materialisierende Empire sehr wohl ein Außen. Denn auch wenn die Kriegsmaschine in ihrer aktuellen reaktionären Form unmittelbar mit dem Mega-Vereinnahmungsapparat verschmilzt, indem sie die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, markiert sie nicht nur den äußerst fragilen Rand der Souveränität des Empire, sondern schießt auch darüber hinaus. Sie bildet einen klandestinen Raum, eine permanente Unsicherheit in mitten der Immanenz von Empire und Multitude, die sich jeder Zeit als globaler Bürgerkrieg oder Terror entladen kann - die ganze Logik von blindwütigen Attacken, Gegenschlägen und Niederlagen. Gleichzeitig aber besteht die Kriegsmaschine aus „Fluchtlinien“, die die Immanenz permanent offen halten. Die gesamten, von der kapitalistischen Dynamik freigesetzten subjektiven und kollektiven Deterritorialisierungen der Moderne, die wiederum die postmodernen „Fundamentalisten“ jeder Couleur auf den Plan ruft. Die Multitude, sollte es sie geben, wird sich aus der Umklammerung der produktiven Dynamik des Empire nicht lösen können, ohne sich emanzipative Aspekte der Kriegsmaschine anzueignen, auch auf die Gefahr hin, selber als „Terrorist“ behandelt zu werden.

 

Fußnoten:

(1) Mit Emanzipation ist hier nicht gesellschaftlicher Fortschritt im Sinne der Moderne gemeint, sondern vielmehr die Gesamtheit der gesellschaftlichen Kräfte, die in einem existierenden Machtdispositiv nicht aufgehen (Fluchtlinien im Sinne von Deleuze/ Guattari). Es ist lächerlich anzunehmen, dass Emanzipation nur in einem bestimmten westlichen Typ von kapitalistischer Demokratie realisiert wird. Eine Vorstellung, die - bei allen Unterschieden - Marx und der Liberalismus im Prinzip teilen.

(2) Antonio Negri und Michael Hardt, Empire, Frankfurt/M. 2002.

(3) Vgl. Gilles Deleuze und Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Bd. 2, Berlin 1992.

(4) Der Begriff der Kriegsmaschine, den Deleuze/ Guattari in „Tausend Plateaus“ ausarbeiten, ist essentieller Bestandteil ihrer „Nomadologie“. Grob gesagt versuchen die Autoren einen nicht-linearen geschichtlichen Raum zu entwerfen, in dem sich unterschiedliche Gesellschaftsformen nicht in einem evolutionären oder revolutionären Verlauf ablösen, sondern sich in Teilen erhalten, weitertransportieren und in der Aktualität vermischen. Dazu konstruieren sie eine nicht-dialektische Konfrontation zwischen der Entwicklung der Staaten und den nicht-staatlichen Existenzweisen. Staaten, die als Vereinnahmungsapparate gedacht werden, verfügen nach Deleuze/Guattari historisch gesehen über keine Kriegsmaschinerie. Erst im Zusammenstoß mit den Kriegsmaschinen der Nomaden bilden sie im Laufe der Zeit selber bewaffnete Armen aus. Im globalen System des Kapitalismus, der die Staaten selber einer permanenten Veränderung aussetzt - das Kapital tritt als eine fluide Kriegsmaschine auf -, haben sich die Funktionsweisen der Staatsapparate und die Kriegsmaschinen bis zur Unkenntlichkeit vermischt. Dadurch wird die Konfrontation zwischen dem Staat und seinem Außen zu einer immanenten Spannung. Vor diesem Hintergrund verliert das Projekt der Emanzipation nicht nur seine einheitliche Form, sondern auch sein geschichtliches Ziel.

Nicolas Siepen