Es ist keine Beleidigung, wenn man vemutet, der Suhrkamp-Verlag halte sich Dietmar Dath (wie vor ihm die FAZ) in erster Linie als Hofnarren. Einen anderen Broterwerb sehen die derzeitigen Verhältnisse für einen solchen Autoren nun mal nicht vor. Dementsprechend wohlanständig heißt es im Klappentext von Maschinenwinter:
»Daths literarischer, politischer, polemischer und spekulativer Essay zeigt Fehlentwicklungen auf«. Als wollte der Verlag einem vorsorglich versichern, dass es hier keinesfalls ums Ganze geht, sondern nur um ein paar kritische Einlassungen so eines Kulturtypen zu politischen Themen.
Glücklicherweise hat dieser Eindruck herzlich wenig mit Daths Streitschrift über »Wissen, Technik, Sozialismus« zu tun. In Maschinenwinter geht es sehr wohl ums Ganze, nämlich das Projekt einer emanzipatorischen Anthropologie. Die Erkenntnisparadigmen dafür sind Marxismus und Darwinismus, der Anspruch ist kein Geringerer, als für eine vernünftige Einrichtung gesellschaftlicher Verhältnisse zu streiten.
Dafür nimmt der Autor erst einmal eine Reihe Setzungen vor. Das Gattungswesen der Menschheit bestimmt er über ihre Geschichtlichkeit: Der Mensch sei das Tier, das über die eigenen Bedürfnisse hinaus stofflichen Reichtum erschaffen kann und das mit den Resultaten seiner Arbeit wiederum Arbeitsvoraussetzungen für die kommenden Generationen schafft. Damit werden Arbeit und Sozialität zu den zentralen Aspekten des Menschheitsbegriffs, und damit sind auch die Grundvoraussetzungen für die Diskussion über eine vernünftige Einrichtung der Verhältnisse abgesteckt. Vernünftig wäre sie nämlich dann, wenn die Individuen die menschlichen Potentiale auf einem den gesellschaftlichen Produktivkräften entsprechenden Niveau entfalten können, wozu sie nicht den Zumutungen von Herrschaft und Ausbeutung ausgesetzt sein dürfen.
Auf den ersten Blick klingt das schwer nach einer naturalistischen Argumentationsstrategie, die auf anthropologischer Grundlage behaupten will, der Kommunismus sei letztlich doch die dem Menschen angemessene Gesellschaftsform – umso mehr, da Dath immer wieder Passagen einschiebt, in denen der Darwinismus als übergeordnetes theoretisches Modell beworben wird. Allerdings unternimmt der Autor einige Anstrengungen, um sein Konzept als antinaturalistisch auszuweisen: Die Menschheit sei eher etwas zu Realisierendes als etwas bereits Gegebenes – eine Zukunftserwartung, die überhaupt nur aufgrund der menschlichen Eigenheit des reflexiven Handelns möglich ist. Einer solchen Zukunftserwartung hafte gerade keine natürliche Zwangsläufigkeit an, sie beinhalte definitionsgemäß die Möglichkeit des Scheiterns. Der in Maschinenwinter artikulierte Gattungsbegriff steht dem der Kritischen Theorie damit durchaus nahe. Von selbiger wiederum distanziert Dath sich explizit, insofern er ihre Kritik der instrumentellen Vernunft zurückweist und erklärt, dass es ihm sehr wohl um die instrumentelle Verfügbarmachung der Welt, um Organisation von Produktion und gesellschaftlichem Handeln geht.
Ob die Differenz zur Kritischen Theorie hier wirklich so grundlegend ist, bleibt fraglich. Deutlich wird jedenfalls eine starke leninistische Tendenz in Maschinenwinter. Dath weist immer wieder darauf hin, dass der Umsturz der Verhältnisse die eine oder andere Art von Organisation verlangt. Der Gefahr des Autoritarismus sei dabei vor allem durch eine wissenschaftliche Ethik zu begegnen: Wissenschaftlichkeit nämlich, so Dath, bestimmt sich über eine Praxis, die ihre eigenen Grundlagen immer wieder auf höherer Ebene überprüft und korrigiert.
All das ist nun nicht als theoretischer Entwurf oder als politisches Manifest ausgearbeitet. Maschinenwinter ist ein Essay, der weniger darauf abzielt, mit detailgenauen Thesen am Prozess linker Theoriebildung teilzuhaben, und mehr darauf, sich über die Grundvoraussetzungen politischen Handelns zu verständigen. Daths Thesen sind zwar transparent dargestellt, die jeweiligen Traditionslinien, aus denen sie sich speisen, benannt, aber sie bleiben weitgehend apodiktisch. Gerade in Bezug auf den Darwinismus stellt sich dazu auch eine gewisse Unschärfe ein. Die entsprechenden Passagen sind zum Teil in Form von Dialogen abgefasst, in denen Dath sich mit einer Biologin unterhält und sich dabei eher die Rolle des ehrfürchtig Lernenden gibt. An diesen Stellen entsteht der Eindruck, dass der Autor die Evolutionstheorie zwar als unabdingbaren Bestandteil einer universalistisch-emanzipatorischen Perspektive auffasst, die Verbindung mit einem marxistischen Gesellschaftsverständnis aber nicht wirklich konsistent herstellen kann.
Wenn es dieser Streitschrift gelingt, einen Streit vom Zaun zu brechen, was zweifellos wünschenswert wäre, dann müsste dieser sich um das Verhältnis von Wissenschaftlichkeit und emanzipatorischem Handeln drehen. Maschinenwinter liefert dafür eine – wenn auch lückenhafte – Grundlage auf hohem Niveau.
Dietmar Dath: Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift. Edition Unseld im Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2008, 144 S., € 10,00.
JAKOB SCHMIDT