Bereits seit zwei Jahrzehnten stellt Serbien einen »Unfall« auf dem europäischen Kontinent dar. Diese radikale Behauptung wird zum einen durch den Umstand bestätigt, dass sich Serbien bis heute nicht für den Eintritt in die EU und das Schengener Abkommen qualifiziert hat. Das durchschnittliche monatliche Einkommen betrug im Oktober 2008 388 Euro, während die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit bei 14,0 Prozent lag. Zum anderen sind die staatlichen Grenzen undefiniert, wie die aktuellen Probleme im Kosovo zeigen. Die Wurzeln dieser Probleme liegen in der langfristigen historischen Entwicklung Serbiens, vor allem jedoch in der jüngeren Vergangenheit seit Mitte der achtziger Jahre.
Durch eine Reihe von Kriegen zerfiel Jugoslawien, zu dem auch Serbien gehörte, im Zeitraum von 1991 bis 1999. Die Kriege, an denen Serbien sich beteiligte – zunächst in Kroatien, dann Bosnien und Kosovo – prägten die neunziger Jahre auf dem Balkan. Jene Jahre waren geprägt durch eine faschistische »Blut und Boden«-Ideologie, die die EinwohnerInnen des ehemaligen Jugoslawiens in Form der höllischen Kriege erfahren mussten.
Es waren die ersten Kriege auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. In den Jahren vor und während der Kriege wurden faschistische Ideologien wiederbelebt, die auf jugoslawischem Gebiet während des Zweiten Weltkriegs besiegt worden waren. Es mag paradox und absurd erscheinen, aber die Partei des serbischen Präsidenten und Diktators Slobodan Miloševi? hat tatsächlich die Mehrheit der Ideen faschistischer und nationalistischer Gruppierungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs verwirklicht. Dabei lebten nationalistische Ideen serbischer und kroatischer Gruppen bereits in den achtziger Jahren wieder auf, aber erst im Lauf des Krieges nahmen sie faschistische Form an. In dieser Zeit wurde angelegt, was wir heute in der serbischen Gesellschaft beobachten können.
Serbien machte in seiner kurzen Geschichte viele dramatische Entwicklungen durch: Krieg, völliger Zusammenbruch der Volkswirtschaft, Wandel des Wirtschaftssystems vom Sozialismus der Arbeiterselbstverwaltung in die Frühphase des Kapitalismus usw.. Angesichts dessen haben die rechten Ideologien in Serbien im Vergleich zu anderen Ländern einen besonderen Charakter. In Serbien existiert heute eine radikale Rechte des »Mainstreams«, quasi eine »offizielle« radikale Rechte, neben einer radikalen Rechten des »Undergrounds«, die quasi »subkulturell« ist. Diese beiden Muster sind aber nicht völlig voneinander zu trennen. Sie erscheinen vielmehr als zwei Teile eines Organismus.
Die »offizieller« radikale Rechte
Unter »offizieller« radikaler Rechter verstehen wir die gesellschaftlichen Kräfte, die sich auf den Staatsapparat stützen können. Sie sind in der serbischen Gesellschaft so stark, dass sie seit 1991 die offizielle staatliche Politik maßgeblich prägen. Getragen werden sie durch ein Geflecht innerhalb der politischen und intellektuellen Elite, das sich serbisch-nationalistisch positioniert. Diese gesellschaftliche Gruppe entstand im Zuge der Kriegsvorbereitungen und während des Krieges auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens und stellt bis heute die führende geistige, politische und auch wirtschaftliche Kraft in der serbischen Gesellschaft dar. Sie ist in nationalistischen Parteien mit ausgesprochen demagogischer sozialer Programmatik organisiert (in Vojislav Šešeljs Serbischer Radikaler Partei/Srpska Radikalna Stranka sowie Miloševi?s Sozialistischer Partei Serbiens/Socijalisti?ka Partija Srbije, deren Führer wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurden), hat ihre Heimat aber auch in konservativen nationalistischen Parteien, die Elemente des Klerikalismus einbeziehen, (z.B. in der Demokratischen Partei Serbiens/Demokratska Stranka Srbije des ehemaligen Premiers Koštunica), wie auch in einem guten Teil der einflussreichsten geistigen, intellektuellen und wirtschaftlichen Kräfte der serbischen Gesellschaft. Zu Letzteren zählen vor allem die Führung der Serbisch Orthodoxen Kirche (Srpska Pravoslavna Crkva, SPC) und Intellektuelle aus der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Srpska Akademija Nauka i Umetnosti, SANU), der elitärsten staatlichen akademischen Institution, wie auch die neu entstandene ökonomische Eliten, die so genannten Taikune, welche ihr Kapital auf zweifelhafte Weise während des Krieges, der allgemeinen Zerstörung und des Ausverkaufs der serbischen Industrie in den Neunzigern erlangten.
Die Tätigkeit der SPC richtet sich hauptsächlich auf die Auslöschung des säkularen Charakters des Staates und die Schaffung einer starken Position der Kirche im politischen System Serbiens. Das zeigt sich in der Propagierung der orthodoxen Religion als der einzig richtigen politischen Positionen zu verschiedenen gesellschaftlich-politischen Themen, in der Verherrlichung von pro-nazistischen Priestern aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs (Nikolaj Velimirovic, Justin Popovic), wie auch im Streben nach der so genannten obersten geistig-moralischen Autorität in der serbischen Gesellschaft. Derartige Bemühungen mögen zwar nicht problematischer als ähnliche Aktivitäten anderer Kirchen weltweit sein, im Zusammenspiel mit der staatlichen Haltung gegenüber der SPC aber ergibt sich ein erhebliches Problem. Denn der Staat hat der Kirche in den letzten zwei Jahrzehnten eine Immunität gegen jede Kritik gesichert, weshalb Kritik an dieser Institution mittlerweile gesellschaftlich prinzipiell als inakzeptabel angesehen wird.
Auf der anderen Seite wurden jene Teile der intellektuellen Elite, die sich in der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste sammelten, während der Kriegsvorbereitungen beauftragt, die Ideologie des serbischen Nationalismus auszubauen. Dieser fand seinen offiziellen Ausdruck nicht zuletzt im SANU-Memorandum, in dem die Ausweitung des serbischen Territoriums auf andere (ex-)jugoslawische Republiken mit serbischem Bevölkerungsanteil, also die Idee eines Groß-Serbiens, propagiert wird. Mit den blutigen Kriegen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens von 1991 bis zum Kosovokrieg 1999 wurde versucht, diesen Plan zu verwirklichen.
Die Mehrheit der am SANU-Memorandum beteiligten Intellektuellen (beispielsweise Dobrica Cosic, Mihail Markovic, Ljubomir Tadic) konvertierte Ende der achtziger Jahre von glühenden Verfechtern des Marxismus (oder, genauer gesagt, einer pervertierten, dogmatischen stalinistischen Version des Marxismus) zu Ideologen des lokalen Nationalismus und Antikommunismus. Der Begriff »intellektuelle Beamte« beschreibt diese Gruppe wohl am besten, denn diese Intellektuellen erwiesen sich für jede Regierung als tüchtig und konnten somit ihre gesellschaftliche Stellung erhalten – selbst angesichts radikaler Wechsel an der Machtspitze oder des politischen Systems in Serbien.
Zu guter Letzt unterstützt die neu entstandene Wirtschaftselite rechte Akteure in Serbien um jenen nationalistischen Status quo zu erhalten, der ihnen eine Monopolposition auf dem serbischen Markt garantiert.
Die Ideologie des serbischen Nationalismus vereint alle Kräfte der »offiziellen« radikalen Rechten in Serbien, was sich zum einen in der Verachtung gegenüber den ex-jugoslawischen Nachbarvölkern ausdrückt, zum anderen im starken Widerstand gegen die Modernisierung Serbiens und Werte der westlichen Zivilisation. All seine Gruppierungen – von rechten politischen Parteien, über die Kirche, Intellektuelle bis hin zu den Taikunen – finden ihren gemeinsamen Nenner durch die Tätigkeiten der serbischen Sicherheits- und Informations-Agentur (BIA), früher unter dem Namen UDBA oder DB bekannt, unterstützt.
Teile dieser Agentur und vor allem ihre Spitze spielen eine logistische Rolle in der serbischen radikalen Rechten. Sie erhalten dessen Akteure am Leben und sind permanent damit beschäftigt, die Modernisierung des Landes und die Annäherung an die EU zu behindern, damit die Mächtigsten unter Irreführung der Öffentlichkeit durch die nationalistische Ideologie ihre Machtposition erhalten können. Natürlich ist eine solche Behauptung nur sehr schwer zu belegen. Allerdings wird sie durch Beweise gegen hohe Funktionäre und Mitarbeiter der BIA wegen Beihilfe zum Mord am pro-europäischen Premier Serbiens Zoran Cincic? gestützt. Demnach führten nachweislich Teile der Agentur den Mord an Cincic, wie auch an zahlreichen Zeugen, die im Miloševic-Prozess vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal zur Rolle der Agentur im Krieg aussagen sollten, aus.
Die »subkulturelle« radikale Rechte
Auf der anderen Seite des rechten politischen Spektrums in Serbien findet sich die »subkulturelle« radikale Rechte. Wird von den jeweiligen lokalen Besonderheiten abgesehen, finden sich hier Gruppen wie in allen westeuropäischen Gesellschaften: Krv i Cast Srbija (Blood & Honour Serbia), Nacionalni Stroj (Nationale Front) sind Gruppen, die aus der Subkultur hervorgingen, Obraz (Ehre) und Pokret 1389 (Bewegung 1389) rekrutieren dagegen ihre Mitglieder vor allem unter Studierenden. Darüber hinaus besteht noch eine Vielzahl weitgehend einflussloser Gruppierungen.
Blood & Honour Serbien entstand in der ersten Hälfte der neunziger Jahre aus der Nazi-Skinhead Subkultur. Man kann sagen, dass die Angehörigen dieser Gruppe (die eher als informelle Gruppe und als Organisation existiert) sich als faschistischer Straßentruppe verstehen, mit dem Ziel ethnische Minderheiten (vor allem Roma und Chinesen), Homosexuelle, Linke und AntifaschistInnen anzugreifen. Nacionalni Stroj ging aus Blood & Honour hervor, versucht sich jedoch als politische Organisation mit dem Anspruch eines legitimen politischen Akteurs in der serbischen Gesellschaft zu formieren. Entsprechend ist Nacionalni Stroj breiter und bindet verschiedene rechtsorientierte Teile der Bevölkerung ein. Neben Obraz ist Nacionalni Stroj die aktivste faschistische Gruppierung in der serbischen Öffentlichkeit. Ihre AnhängerInnen bezeichnen sich als Nazis, ihr Programm ist vom ersten bis zum letzten Punkt nazistisch, ihr Motto ist »Nationale Freiheit – soziale Gerechtigkeit – Rassenidentität«. Im Sinne einer stärkeren öffentlichen Akzeptanz bezeichnet sich Nacionalni Stroj als »patriotisch«, mit Bezug auf die ungebrochene Popularität des Patriotismus in der serbischen Gesellschaft. Nacionalni Stroj strebt auch den Übergang in eine politische Partei unter der Bezeichnung Novi Srpski Program (Neues Serbisches Programm) an, allerdings bislang ohne Erfolg.
Pokret 1389 und Obraz sind zwei Bewegungen, die sich vor allem an Studierende richten und ihre ideelle Begründung im christlich-orthodoxen Fundamentalismus finden. Pokret 1389 ist eine an der Kosovo-Frage orientierte Organisation. Sie war während der Unruhen in Serbien nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos aktiv. Ihr Name bezieht sich auf das Jahr 1389, in dem serbische und ottomanische Truppen aufeinander stießen und Serbien unter eine fünfhundertjährige türkische Herrschaft fiel.
Obraz ist wahrscheinlich die größte und einflussreichste der Organisationen des »Undergrounds«. In sehr breiten gesellschaftlichen Schichten etabliert, vertritt sie die spezifische Ideologie des Klerikalfaschismus, obwohl sie sich öffentlich nicht auf diese Weise bezeichnet. Sie verfügt über die Unterstützung sehr einflussreicher Schichten der Serbischen Orthodoxen Kirche und einiger politischer Parteien, insbesondere der DSS des ehemaligen serbischen Premiers Koštunica. Zuweilen agiert Obraz auch als eine Art »orthodoxer Miliz«, die Versammlungen und öffentliche Diskussionen von liberalen und linksorientierten Intellektuellen sprengt.
Verbindende Elemente der Gruppen des »Undergrounds« sind die patriotische Selbstdarstellung, die Verachtung der ex-jugoslawischen Nachbarvölkern sowie von nationalen, ethnischen und sexuellen Minderheiten (Roma, Chinesen und Homosexuelle) und ein starker Widerstand gegen die Modernisierung Serbiens sowie den Beitritt des Landes zur EU.
Neben den serbischen Gruppierungen des »Undergrounds« ist auf dem Gebiet der nördlichen Vojvodina auch die ungarische faschistische Jugendbewegung Pokret 64 županije (Bewegung der 64 Landkreise) aktiv. Diese Organisation setzt sich für die Annexion von Gebieten mit ungarischem Bevölkerungsanteil in Ungarns Nachbarstaaten ein. Pokret 64 županije ist auch in Rumänien und der Slowakei aktiv. In der Vojvodina ist sie nur in Orten mit ungarischem Bevölkerungsanteil präsent.
Insgesamt ist die radikale Rechte in Serbien nach wie vor gefährlich. Vor allem die Akteure im »Mainstream« stellen eine so entscheidende Kraft im gesellschaftlich-politischen Leben dar, dass sie nach jeder der künftigen Wahlen die Macht auf demokratischem Wege übernehmen können. Diesen Kräften spielt die kapitalistische Transformation Serbiens in die Hände, insbesondere das Wachsen einer Schicht von »Modernisierungsverlierern«, d.h. Menschen, die durch zweifelhafte Privatisierungen öffentlicher Unternehmen arbeitslos wurden und somit ein passendes Ziel für die soziale Demagogie der Rechten sind. Mit ihrer xenophoben Rhetorik, die sich gegen die Modernisierung des Landes und seinen Beitritt zur EU richtet, werden diese Kräfte sicher noch lange eine wahrnehmbare Rolle im politischen Leben Serbiens spielen.
Die Delegitimation des Antifaschismus
Die damit für Serbien beschriebene Normalisierung des Nationalismus prägte in den neunziger Jahren alle Gesellschaften des westlichen Balkans. Sie ist Teil einer allgemeinen Rechtsbewegung, die seit dem Zusammenbruch des europäischen Sozialismus und der allgemeinen Schwächung der Linken zu beobachten ist. Für Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten hieß das konkret, dass seit dem Beginn ihrer Transformation in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre die symbolische Umwandlung des Arbeiters der Selbstverwaltung zum nationalistischen Krieger stattfand.
Damit einher ging auch eine spezifische Abrechnung mit der eigenen antifaschistischen Vergangenheit zugunsten der neuen nationalen Zukunftsvision. Die antifaschistische Tradition wird seitdem schamlos verfälscht und mit nationalistischen Vorzeichen versehen. Insbesondere werden die Rollen von Opfern und TäterInnen vertauscht. Dabei wurde einer Faschisierung und Barbarisierung Raum gegeben, die sich besonders in einem zerstörerischen Chauvinismus und seinen blutigen Ausformungen wie Genozid und ethnischen Säuberungen zeigte. Die akademische und politische Elite Serbiens vollzog schließlich die Transformation des Antifaschismus zum Antikommunismus.
Mit Beginn der neunziger Jahre wurde Antifaschismus in der serbischen Gesellschaft und in allen anderen ehemals jugoslawischen Republiken nicht länger als langfristige zivilisatorische Errungenschaft oder allgemeiner moralisch-politischer Standard verstanden. Entweder wurde er als Mittel der Manipulation oder als Relikt der kommunistischen Vergangenheit und Spukgespenst des totalitären, sozialistischen Systems beschrieben. Die Transformation und Vernichtung antifaschistischer Errungenschaften geschah im Zuge der Durchsetzung einer neuen post-sozialistischen Kollektivität. Nach der Zerstörung des sozialistischen Systems sollte so das entstandene Wertevakuum gefüllt werden. Antikommunismus wurde der neue, allgemein erwünschte moralische und politische Standard, während bezüglich der Vergangenheit zwischen der – aus Sicht der politisch-ökonomischen Elite – erwünschten und einer unerwünschten Erinnerung unterschieden wird.
Als typische Beispiele der beschriebenen Transformation lassen sich das kroatische und serbische Modell der Geschichtsrevision unterscheiden, die hinsichtlich ihres Verhältnisses zum (Anti-)Faschismus sowie der neuen ideell-moralischen Matrix des Anti-Antifaschismus verschieden sind. Die Entwicklung beider Modelle ist eng mit dem Kontext der Auflösung Jugoslawiens verbunden.
Das Scheitern der interethnischen Toleranz
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Formierung der Sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien (SFRJ) verschwand die vormalige interethnische Intoleranz unter der Parole »Brüderlichkeit und Einigkeit« allmählich. Das neu geschaffene System führte erfolgreich das Prinzip der sub-nationalen Gemeinschaften ein, das zu großen Teilen dank der »charismatischen Mission von Partei und Führer (voca)« sowie der Hervorhebung des Anteils aller Nationen am Befreiungskrieg und am antifaschistischen Kampf funktionierte. Gleichwohl verschwand die interethnische Intoleranz nie ganz. Spätestens mit der Wirtschaftskrise der siebziger Jahre wurde klar, dass es sich um eine langlebige Struktur handelte. Die interethnischen Spannungen erwiesen sich als ein gefährlicher und zäher Gegner für die ihnen nicht angemessenen bürokratisierten Strukturen der Arbeiterselbstverwaltung. Zumal die Ideologie der »Brüderlichkeit und Einigkeit« von oben herab verordnet und, im Lichte der charismatischen Herrschaft Josip Broz Titos, vom »arbeitenden« jugoslawischen Volk nie wirklich aufgenommen wurde, wie die Krise der Gemeinschaft nach Titos Tod nur allzu deutlich zeigte.
Da der bürokratische Apparat nach ethnisch-nationalem Proporz aufgeteilt war, entwickelte sich die Krise nach Titos Tod zu einer nationalen Krise und offenen Machtverteilungskonflikten entlang ethnischer Linien. Die gleichzeitige Schwächung des sozialistischen Blocks in Europa begünstigte diese Entwicklung und letztlich die Zerstörung Jugoslawiens.
Die Krise der Gemeinschaft zeigte sich auf zweierlei Weise. Die »östliche« Seite (Serbien) identifizierte den »Staatsfeind« mit den AnhängerInnen der Verfassungsreformen von 1974. Diese gaben den Republiken mehr Vollmachten und ermöglichten die Dezentralisierung und damit den Übergang von der föderalistischen zur konföderalistischen Ordnung. Die »westlichen« (kroatischen und slowenischen) ProtagonistInnen griffen dagegen das bürokratisch, etatistische, zentralistische Modell an, das die serbische politisch-ökonomische Elite vorschlug.
Der Krisenhöhepunkt wurde erreicht, als mit der Einführung des Mehrparteiensystems im Jahr 1990 in allen Teilrepubliken nationalistische Parteien an die Macht kamen. Mit dem Sieg der Kroatische Demokratische Gemeinschaft (Hrvatska Demokratska Zajednica, HDZ) wurde der bereits laufenden Nazifizierung Raum gegeben, was seinen Ausdruck in einer starken antijugoslawischen Propaganda und offenen Spannungen gegenüber dem Belgrader Machtzentrum fand. In Serbien, wiederum, dominierte Miloševics Sozialistische Partei Serbiens sämtliche Medien sowie das politische und öffentliche Leben. Unter dem Vorwand, die staatliche Einheit Jugoslawiens zu erhalten, bediente sich Miloševic sämtlicher Hebel staatlicher Macht mit dem Ziel, die eigenen imperialen nationalistischen Interessen zu verwirklichen. Die noch frischen Erinnerungen an cie interethnischen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs unterstützten die nationalistische Mobilisierung der Massen des ehemals »arbeiter-selbstverwalteten« Volkes. Die gesamte Idee interethnischer Toleranz und des Miteinanders, die ihren Ausdruck in der antifaschistischen Tradition fand, erwies sich als oberflächlich. Auf die historische Bühne traten erneut die Relikte der nationalistischen Vergangenheit.
Die Rehabilitierung des historischen Faschismus
Im Zuge der Abkehr Kroatiens von Jugoslawien erneuerte sich dort der Bezug auf die faschistischen Strukturen während des Zweiten Weltkriegs, den Unabhängigen Staat Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska, NDH) und das Ustaša-Regime. Die Relativierung des faschistischen NDH-Regimes wurde durch die neuen nationalistischen Eliten in Kroatien gezielt eingesetzt. So beschwor Tudjman den »ewigen Kampf des kroatischen Volkes um Unabhängigkeit«. Damit sollte der ideologische Raum für eine Loslösung von der Idee der Brüderlichkeit und Einigkeit hin zum Nationalismus vorbereitet werden. Die antifaschistische Tradition wurde abrupt abgebrochen und aus Perspektive des Antijugoslawismus neu interpretiert. Somit drängte auf theoretischer Ebene die kroatische Führung erfolgreich die jugoslawische Identität zurück und proklamierte stattdessen die neue kroatische.
Ein ähnlicher Ansatz der Rehabilitierung extrem nationalistischer Bewegungen wurde in Serbien verfolgt. Im Unterschied zur kroatischen politischen Führung wurde unter Slobodan Miloševic, der sich selbst als wahren Kämpfer für die Erhaltung der SFRJ bezeichnete, die Erinnerung an das antifaschistische Erbe aufrechterhalten. Der Antifaschismus wurde in diesem Fall in Einklang mit höheren »imperial-nationalistischen« Interessen missbraucht, sodass er zur Form ohne Inhalt wurde. Mit dem Ziel der allgemeinen Mobilisierung des »Serbentums« (auch außerhalb Serbiens) wurde auch die ?etnik-Bewegung unter Dragoljub Mihajlovic rehabilitiert und ihr ein antifaschistisches Vorzeichen gegeben. Im Unterschied zu Kroatien war hier ein einzigartiges Bündnis zwischen der »Linken« unter Miloševic und sämtlichen nationalistischen Politikern (Vojislav Šešelj, Vuk Draškovic) am Werk. Nachdem jedoch Miloševics »all-serbisches« Projekt scheiterte, wendeten sich seine bisherigen Freunde von ihm ab. Im Zuge neuer Anforderungen wurde erneut Geschichte verfälscht – diesmal wurde der geistig-ideelle Raum vom Antifaschismus gesäubert und in Richtung Antikommunismus, Antijugoslawismus und Anti-Antifaschismus ausgerichtet.
Daher werden heute AntifaschistInnen in Serbien häufig als KommunistInnen bezeichnet, die eine »verbrecherische und im Kern anti-serbische Ideologie« unterstützten oder als Feinde der eigenen Nation (»VaterlandsverräterInnen«). Ihnen wird vorgeworfen, die Existenz des Faschismus in Serbien erfunden zu haben, um damit eine »Hexenjagd« zu betreiben.
Diese Phrasen dominieren in Serbien die gesamte politische und mediale Öffentlichkeit. Man kann sie in denselben Parlamentsdebatten hören, in denen auch behauptet wird, dass in Serbien Faschismus nicht existieren könne, da Faschismus in Serbien nie existiert habe. Oder auch: Dass die Kollaboration mit den Achsenmächten ein in Wirklichkeit weiser politischer Schachzug war, um die »biologischen Substanz des serbischen Volkes« zu erhalten. Die im Namen des Deutschen Reiches begangenen Verbrechen seien in Wirklichkeit durch Partisanen-Banditen provoziert worden. Die Politik der norwegischen Quisling-Regierung und der serbischen ?etnik-Verbänden wäre die einzig angemessene gewesen, d.h. die Zusammenarbeit mit den Besatzern und der gemeinsame Kampf gegen antifaschistische Partisanenverbände.
Dies ist nicht nur Rhetorik einzelner extrem rechter Parteien. Vielmehr hat das serbische Parlament im Jahr 2004 ein Gesetz erlassen, wonach den Angehörigen der Ravnogorski Bewegung, d.h. ?etniks, die gleichen Rechte wie den Kämpfern des antifaschistischen Volksbefreiungskampfes eingeräumt werden. Damit wurde die ?etnik-Bewegung auch durch das Rechtssystem für antifaschistisch erklärt und ihre chauvinistische, groß-serbische Ideologie legalisiert. Eine Rehabilitationskampagne erklärte den Präsidenten der Kollaborationsregierung Milan Nedic zu den einhundert bedeutendsten Serben, sein Foto ist ohnehin bereits in den Amtsstuben des serbischen Staates zu finden. Skandalös war auch die Initiative »angesehener« Intellektueller zur Rehabilitation Dimitrij Ljoti?s. Vojislav Koštunica, bis vor kurzem Ministerpräsident Serbiens, relativierte in seinen öffentlichen Auftritten den Faschismus Dimitrij Ljotics und bezeichnete die serbische Geschichte von 1945–2000 als nicht authentische Periode. Mit dem Sturz Miloševics und den Neuwahlen im Jahr 2000 sei die seit 1941 unterbrochene nationale Kontinuität wiederhergestellt worden. Die Erinnerung an die antifaschistische Vergangenheit wird jedoch auch auf symbolischer Ebene ausgelöscht: Straßennamen und Gedenktage mit antifaschistischer Konnotation verschwinden, während in einer einzigartigen Verdrehung der antifaschistischen Idee und der mit ihr verbundenen radikalen Kritik des Nationalismus die Geschichte der antifaschistischen Bewegung umgeschrieben wird.
~Von Željko Klaric & Miloš Perovic. Aus dem Serbo-Kroatischen übersetzt von Timm Köhler.