Wir leben in einer vormals kolonial geprägten Welt des globalisierten Kapitalismus, die von globalen Produktionszusammenhängen, Warenketten und Arbeitsmigration bestimmt ist. Dass diese Verhältnisse kritikwürdig sind, versteht sich innerhalb der Linken von selbst. Die Aufstände gegen das fortbestehende Elend in der inzwischen früher so genannten »Dritten Welt« werden heute jedoch deutlich weniger unterstützt als in den Hochzeiten des Internationalismus, als fast jeder Aufstand als Ausdruck einer antikapitalistisch-revolutionären Subjektivität und Glied in einer Kette gemeinsamer Kämpfe von der radikalen Linken begrüßt wurde. Die noch in früheren Dekaden starke internationale Solidarität mit verschiedenen Befreiungsbewegungen ist in den zurückliegenden Jahren erheblich in den Hintergrund getreten. Auf der einen Seite hat der »internationale Kampf« immer wieder gezeigt, dass man mit den »Anderen« doch viel weniger gemein hatte, als ursprünglich angenommen. Bereits in den siebziger und achtziger Jahren geriet wurde die Solidaritätsbewegung für die unkritische Unterstützung reaktionärer Bewegungen und revolutionsromantische Projektionen kritisiert. Im Zuge der Formulierung einer antinationalen und antideutschen Position hat sich dieser Konflikt noch verschärft. Gerade diese Strömung der Linken will sich nicht mit Bewegungen gemeinmachen, die sich durch ethnisches, nationalistisches und antisemitisches Denken auszeichnen.
Die internationalen Ausbeutungsverhältnisse und Verflechtungen haben sich jedoch keineswegs gemäßigt. Für eine Linke, die den Anspruch auf Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur vor der eigenen Haustür vertritt, wirft die Umsetzung ihres universalistischen Anspruchs bis heute viele ungelöste Probleme auf. Zwischen dem positiven Bezug auf vermeintlich universale Werte, Gleichheitsvorstellungen und Rechte einerseits und dem Eingeständnis eines pluralisierten Partikularismus von Widerstand andererseits fällt es schwer, eine überzeugende politische Perspektive auf die globalen kapitalistischen Verhältnisse zu bestimmen. Diese Schwierigkeiten werden auch in den Theorien explizit, die versuchen, die Ordnung der globalisierten Welt zu fassen: Ist die aus den Kolonialreichen des 20. Jahrhunderts hervorgegangene Welt mit Globalisierung, (Neo-)Imperialismus, Neo- oder Postkolonialismus tatsächlich auf den Begriff gebracht?
Heutzutage ist es die globalisierungskritische Linke, die sich noch am ehesten dem Internationalismus verpflichtet fühlt. Aber auch hier offenbaren die geführten Debatten um globale soziale Rechte die Widersprüchlichkeit partikular gedachter und geforderter Rechtsansprüche mit der universalen Vorstellung der Möglichkeit einer »anderen Welt«. Die Frage, was lateinamerikanische KleinbäuerInnen, die den Marxismus für ein Element des westlichen Kulturimperialismus halten, mit deutschen Großstadtlinken gemeinsam haben, verweist beispielhaft auf die Schwierigkeit, sich globalen Weltordnung gemeinsam zu widersetzen.
In jüngerer Zeit haben sich aber auch Solidaritätsbewegungen entwickelt, die explizit anderen Prämissen folgen. Die Solidarität mit der iranischen Opposition beispielsweise beruht auf der Verteidigung der universellen Werte von Aufklärung, Freiheit und Menschenrechten. Wurde »der Westen« früher häufig als Synonym für Ausbeutung, rücksichtslose Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen oder Installierung verbrecherischer Regime begriffen, repräsentiert er in der Iran-Solidarität ein universales Freiheitsversprechen, an dem trotz seiner bekannten historischen und politischen Bedingtheit festgehalten wird. Nicht erst bezüglich des Iran hat auch die Positionierung gegenüber den Militäreinsätzen des »Westens« hat in diesem Zusammenhang eine deutliche Differenzierung erfahren. Statt einer reflexhaften Abwehr diskutierte man die Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft mit kapitalistischer Wirtschaftsordnung als das vergleichsweise kleinere Übel, und hoffte auf Raum für individuelle Freiheiten in ihrem Windschatten. Andere wiederum möchten sich der Befürwortung von Militäreinsätzen nicht anschließen und verweisen auf die Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft. Wie bereits schon beim klassischen Internationalismus besteht zudem auch die Gefahr, dass die Solidarisierungen dieser Politik in Projektionen umschlagen. Außerhalb des »Westens« findet sich plötzlich das Terrain für politische Auseinandersetzungen sehen, wo die Intervention leichter zu fallen scheint als hierzulande.
Die postkoloniale Theoriebildung hat dagegen die Vorstellung eines universalistischen Anspruchs von Emanzipation – auch in Form des klassischen Marxismus – grundsätzlich als »westlich« standortgebundene kritisiert und die Frage nach Möglichkeiten der widerständigen Repräsentation der Subalternen gestellt. Kann es dann aber überhaupt so etwas wie eine gemeinsame Entwicklung einer die unterschiedlichen Situationen im globalen Kapitalismus verbindenden Emanzipationsperspektive jenseits der kolonialen Muster von Repräsentation, geben? Die postkoloniale Theorie stellt in diesem Zusammenhang durchaus relevante Fragen nach den Möglichkeiten politischer Subjektivierung und politischer Repräsentanz sowie der Bedingtheit des Universalismus, die nicht einfach übergangen werden können. Gleichzeitig ist
es problematisch, wenn ihre Antworten als neo-imperialistische Parteinahme für »den Anderen« oder ein relativistisches Beharren auf der Eigentümlichkeit so genannter »fremder Kulturen« und ihrer Unversöhnlichkeit mit »dem Westen«. Von marxistischer Seite wird ihr zudem vorgehalten, letztendlich einer politisch-analytischen Entschärfung der globalen ökonomischen und politischen Abhängigkeitsverhältnisse das Wort zu reden.
Der Schwerpunkt der Phase 2 betrachtet Formen internationaler und postkolonialer Praxis nach dem Internationalismus. Nicht nur die dahinterstehende Analyse und die Ziele der Interventionen sollen diskutiert werden, sondern auch ihr theoretisches Bezugssystem. Obwohl die Zeit klassischer Solidaritätsarbeit hierzulande vorbei zu sein scheint, richten sich implizit doch noch immer ähnliche Fragen an diese Formen politischer Praxis. Wie entwickeln die jeweiligen Politiken eine gemeinsame Perspektive, ohne eigene Ansprüche aufzugeben und ohne hegemoniale und (post)koloniale Verhältnisse zu reproduzieren oder in Kulturalismus zu verfallen? Auf welchem Selbstbild fußen sie und wie sieht heute die Wechselwirkung zwischen der politischen Aktion »hier« und »dort« aus?
Manuela Bauche zeichnet in ihrem Beitrag »Postkolonialer Aktivismus und die Erinnerung an deutschen Kolonialismus« die Interventionen gegen den herrschenden Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte nach, und betrachtet dabei auch den Wandel des deutschen (Selbst-)bildes, mit dem eine solche Politik sich auseinander zu setzen hat. Sie schließt mit der kritischen postkolonialen Frage an den postkolonialen Aktivismus, wie mit den Schwierigkeiten von Repräsentationspolitik in den eigene Reihen umzugehen sei.
Im Anschluss geben VertreterInnen dreier Gruppen aus Deutschland und Österreich Auskunft über ihr Verständnis von Internationalismus, ihre Aktivitäten und die Einschätzung der Bedeutung internationaler Zusammenarbeit für die Linke heute. Olaf Bernau, der in den Gruppen NoLager und transact! aktiv ist, berichtet über die bewegte Geschichte des Internationalismus und die Folgen für die heutige Praxis. Simone Dinah Hartmann ist Mitbegründerin der Kampagne Stop the Bomb, die sich vor allem auf den Iran und seine deutsch-österreichischen Kollaborateure konzentriert. Für sie ist diese politische Arbeit die Fortführung eines Antifaschismus bester Tradition. Die AG Internationale Solidarität der Gruppe FelS ist eher in einem globalisierungskritischen Spektrum zu verorten und erklärt, wie der Schwenk von der klassischen Solidaritätsarbeit zu Fragen der Migration erfolgte.
Oliver M. Piecha stellt in seinem Artikel »In Unschuld gewaschene Hände« die Frage, wie sich die Linke zwischen Universalismus und Partikularismus zu verhalten habe – wem soll die tatkräftige Solidarität gelten, wenn die VerfechterInnen der Menschenrechte in den Verdacht geraten, diese weltweit für eigene Machtinteressen zu instrumentalisieren? Wie reagieren, wenn die, die sich als Anti-ImperialistInnen gerieren, offensichtlich nur so lange etwas gegen Unterdrückung haben, wie sie die eigene brutale Herrschaft gefährdet? Vielleicht, so Piecha, müsse man zugleich weniger und viel mehr wollen: Nicht eine abstrakte Freiheit und abstrakte Solidarität, sondern tatsächliche, mühsam zu erkämpfende Handlungsspielräume.
Inka Sauter widmet sich in ihrem Beitrag »Ein Universalismus ohne westliche Werte« zwei Ikonen des Anti- bzw. des Postkolonialismus. Während bei Fanon noch die Spannung zwischen westlichem Universalismus und partikularen Kämpfen spürbar ist, verschiebt sich bei Said der Akzent auf das Recht auf Kultur und die Absage an universelle Werte. Die Probleme, die sich in der Analyse ihres Werks ergeben, korrespondieren mit der Kritik, wie sie am klassischen Internationalismus und am heutigen Postkolonialismus geäußert wurde. Ersterer – so der Vorwurf – bejubelte die Revolte per se, letzterer zieht sich auf die Partikularität einzelner Kulturen zurück.
Der Iran ist einer der Schauplätze, der zumindest hierzulande in letzter Zeit große Beachtung in linken Debatten fand. Sieht man von Kompagnen wie Stop the Bomb einmal ab, blieben praktische Solidarisierungen mit den RegimegegnerInnen, Unterstützung gar, die Ausnahme. Carl Melchers untersucht in »Nieder mit dem Diktator!«, die Reaktion der Linken Iran und in welchem Verhältnis diese Praxis mit früherem Engagement steht.
Nicht nur in der Linken breit diskutiert wurde darüber hinaus der Fall Afghanistan. Hier scheint eine Positionierung deutlich schwerer zu fallen. Jörn Schulz widmet sich in »Die Suche nach dem guten Taliban« den aktuellen Verhältnissen in Afghanistan und der Ratlosigkeit sowohl der staatlichen AkteurInnen als auch der Linken. Wie Melchers fordert er eine offensive Solidarisierung mit den zaghaften Kämpfen um bürgerliche Freiheiten, auch von Seiten der Linken.
Wie aber steht es mit der so genannten Entwicklungshilfe, der Interaktionsform zwischen dem reichem Norden und dem arm gemachtem Süden? Neben staatlichen AkteurInnen gibt es auch Gruppen mit kritischem Anspruch, die z.B. in Afrika beim Aufbau von Infrastruktur helfen oder Bildungsarbeit betreiben. Was wird dort heute getan und wie unterscheiden sich Arbeit und Anspruch der NGOs von staatlichen Projekten? Jule Pickenbrock kommentiert am Ende des Schwerpunkts in ihrem Beitrag »Feuer ins Öl« die derzeitigen Verhältnisse in der Entwicklungshilfe. Dabei kommt sie zu einem pessimistischen, wenn nicht gar fatalistischen Schluss.
Die in diesem Schwerpunkt der Phase 2 versammelten Beiträge geben ein Eindruck, wie heute globale Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse kritisiert werden können. Auch wenn das große theorie-politische Bezugssystem des Internationalismus in den Hintergrund getreten ist, so verschwinden keinesfalls die Praxen, die in – je unterschiedlicher Weise – an ihn anschließen. Ihre Reichweite und möglicherweise auch ihre Fallstrick sind Gegenstand einer Diskussion, zu der dieser Schwerpunkt einen Beitrag liefern möchte.
Phase~2, Berlin