Mit Marx gegen die SED

Kommunistische Kritik in und an der DDR

Mit Parolen wie »Smash Capitalism!« konnten KommunistInnen in der DDR nicht agieren und doch hatten sie gute Gründe, die herrschenden Verhältnisse in Staat und Gesellschaft ihres Landes zu kritisieren. Diskutieren Linksradikale heute über die DDR, kommt es zu verschiedensten, teilweise denkwürdigen Urteilen. Selten aber wird über die KommunistInnen in der DDR nachgedacht, die mit dem, was der Realsozialismus ihnen bot, nicht einverstanden waren. Dabei wäre es durchaus interessant zu schauen, inwieweit jene, die zumeist mit Marx gegen die SED-Führung argumentierten, die Möglichkeit hatten, in der Gesellschaft zu wirken oder zumindest Fragen an die Verhältnisse zu formulieren. Ich möchte den Blick auf diese KritikerInnen der DDR lenken und der Frage nachgehen, wie und aus welchen Gründen sie ihre Kritik formulierten. Schon, um nicht anmaßend zu wirken, sei angemerkt, dass es hierfür Grenzen gibt.

Die Überwindung der kapitalistischen Zustände in Richtung einer freien Assoziation der Individuen könnte als das – sehr allgemein gehaltene – Ziel der kommunistischen Bewegungen in den kapitalistischen Staaten der Welt definiert werden. Die akute und chronische gesellschaftliche Irrelevanz jener Bewegungen hemmt indes die Diskussion darüber, wie die Begrifflichkeiten »Sozialismus«, »Kommunismus« oder »befreite Gesellschaft« inhaltlich zu füllen sind. Sie lässt sie vermeintlich zu Hirngespinsten verkommen, für die sich neben ihren VorkämpferInnen lediglich panische AntikommunistInnen interessieren, die wacker den Kalten Krieg auch nach seinem Ende weiterführen.

Doch es ist nicht nur die Bedeutungslosigkeit der AnhängerInnen jener Konzepte, sondern auch die historische Bedeutsamkeit, die den sie bezeichnenden Begriffen zukommt, die Fragen aufwerfen. An dem Begriff des Kommunismus festzuhalten bedeutet heute auch, sich seiner stalinistischen Vergangenheit bewusst zu sein und die eigenen Konzepte von den menschenverachtenden und antiemanzipatorischen Projekten abzugrenzen, die sich den gleichen Namen gaben – es wäre zu einfach, hier von einem Zufall oder Missverständnis zu sprechen.

 Auch die KommunistInnen in der DDR, die sich weigerten, sich mit dem zufrieden zu geben, was ihnen in der DDR als Sozialismus und Perspektive auf eine kommunistische Gesellschaft präsentiert wurde, standen vor einem ähnlichen Problem. Sie mussten versuchen, Begriffe, die weitgehend mit der Herrschaft identifiziert wurden, gegen die Herrschaft in Stellung zu bringen. Dass eine solche Disparität existierte, dass also AnhängerInnen der gleichen Idee unterschiedliche Vorstellungen von ihrer Umsetzung hatten, kann in Anbetracht der Verzerrung des Sozialismus in der DDR nicht verwundern. Aber wann trat diese Differenz zutage bzw. warum formierten sich die regimekritischen konspirativen Kreise erst in den späten sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre? Eine gängige Erklärung in der Geschichtswissenschaft ist, dass der Bau der Mauer 1961 die Ausreise verhinderte und so die Menschen in der DDR zwang, sich mit dem System der DDR zu arrangieren oder politisch aktiv zu werden. Detlef Pollack, Politischer Protest: politisch alternative Gruppen in der DDR, Opladen 2000, 66. Für einen Teil der Bürgerbewegung mag das zutreffen, überzeugte KommunistInnen hingegen gaben die Hoffnung, dass in der DDR etwas Besseres aufgebaut würde, nicht so schnell auf und wollten ohnehin bleiben und kritisch mitwirken, statt einfach fort zu gehen. Es brauchte eine Weile, bis sich bei manchen die erste Enttäuschung einstellte.

 Die DDR in ihrer Gründungsphase war bestimmt von der Idee, dass nach der »Leidensprüfung« der deutschen Arbeiterbewegung im »Hitlerfaschismus« nun eine goldene Zukunft auf deutschem Boden entstehen würde. Anstatt die Verbrechen des von der Mehrheit der Deutschen getragenen nationalsozialistischen Regimes aufzuarbeiten, interpretierte man die Nazis als die »schlimmsten Imperialisten«, die »die grausamsten und tierischsten Unterdrücker des eigenen Volkes« und »die schlimmsten Bluthunde gegen die sozialistische Arbeiterbewegung und alle fortschrittlichen Kräfte im eigenen Land« gewesen seien. Anton Ackermann, Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus, in: Einheit, Heft 1 Februar, Berlin 1946, 22–32, 29. In diesem Klima, in dem eine ganze Gesellschaft das Angebot dankend annahm, die Vergangenheit hinter sich lassen zu dürfen, um den Sozialismus aufzubauen, war es schwer, Reflexion einzufordern. Diese wäre jedoch in Hinblick auf Zukunft und Vergangenheit bitter nötig gewesen.

Die Bedeutung des »Prager Frühlings« 1968

Schon in den fünfziger und den frühen sechziger Jahren kritisierten einzelne Intellektuelle wie Robert Havemann, der daraufhin 1964 aus der SED ausgeschlossen wurde, das pseudosozialistische Regime. Es war später nicht zuletzt der Umgang der SED mit ihren KritikerInnen, der diesen UnterstützerInnen verschaffte. Der Hausarrest für Havemann 1976, die Ausweisung Wolf Biermanns im selben Jahr – das waren Momente, in denen vielen klar wurde, dass die Führungsriege der DDR teils nicht willens und teils nicht fähig war, ihre anfangs verkündeten Ideale zu erfüllen und auf Interventionen nur mit Repression reagierte.

Die Repression hatte zwar einen Verstärkereffekt für die sich formierende linke Opposition, jedoch schon vorher, insbesondere im Zuge und Nachklang des Jahres 1968, hatten sich um die Regimekritiker wie Havemann und Biermann bereits Freundeskreise und lose Gruppierungen gebildet. Hier lässt sich zwischen der DDR und der Bundesrepublik eine Parallele ziehen. Denn in beiden postnationalsozialistischen Staaten war es erst die Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder, die begann, Dinge in Frage zu stellen – auch wenn die Motivationen in West und Ost sehr unterschiedliche waren.

 Das »Schlüsseljahr« 1968 weckt in erster Linie Assoziationen zur Revolte linker Studierender in der BRD und den anderen westeuropäischen Staaten. Aus kommunistischer Perspektive wäre es hingegen möglicherweise sinnvoll, den Fokus auf die als »Prager Frühling« bekannten Ereignisse in der Tschechoslowakei in diesem Jahr zu richten, also den von der Sowjetunion und den anderen Staaten des Warschauer Paktes militärisch unterdrückte Versuch Alexander Dub?eks und seiner UnterstützerInnen, den Sozialismus in seinem Land zu reformieren und gesellschaftliche Freiheiten und Rechte zu etablieren. Dass die Truppen der NVA kurzerhand zurückgepfiffen wurden, weil die sowjetische Führung doch Skrupel hatte, erneut deutsche Truppen in die Tschechoslowakei einmarschieren zu lassen, wurde der Bevölkerung der DDR verheimlicht. Den Machthabern schien dieser »Vorfall«, der für sie eine Einschränkung der Souveränität ihres Staates bedeutete, eine eher peinliche Angelegenheit zu sein. Für viele Menschen in der DDR, vor allem für die Jüngeren, die mehr von den Ereignissen in Prag mitbekamen als die SED-Führung es sich gewünscht hätte, war dieser Frühling ein kleiner Hoffnungsschimmer. Die militärische Intervention, an der sich vermeintlich auch die Truppen ihres Landes beteiligt hatten, stieß deshalb bei nicht wenigen auf starke Ablehnung. Tatsächlich kam es zu vereinzelten Protesten – auch wenn es in Relation zu den Ereignissen in der BRD und Westberlin marginal erscheinen mag, das Jahr 1968 war auch im Osten ein politisch ereignis- und folgenreiches. Immerhin wurden in einem Staat, der seinen BürgerInnen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit verweigerte, Flugschriften verteilt, politische Parolen an Wände gesprüht und die Schriften aus der Tschechoslowakei in marxistischen Zirkeln an Universitäten verbreitet und gelesen. An der Grenze zwischen DDR und ?SSR wurden, in dem Glauben, dass die NVA am »Einmarsch« in das Nachbarland beteiligt wäre, Gerhard Faul, Das gewaltsame Ende des Prager Frühlings, Zeitungsartikel abgedruckt u.a. in Märkische Oderzeitung, zit. n. http://www.medienladen-ev.de/filme/zeitung2.pdf, 5. Transparente mit Aufschriften wie »1938 Hitler – 1968 Ulbricht« aufgehängt. Einigermaßen berühmt wurde der Umstand, dass an den Protesten gegen die Sowjetunion und die DDR auch Kinder hoher SED-Funktionäre, wie der Sohn des stellvertretenden DDR-Kulturministers, beteiligt waren und auch verhaftet wurden. Insgesamt wurden in den ersten sechs Wochen nach dem Einmarsch in Prag 10487 »Hetzschriften« vom Ministerium für Staatssicherheit sichergestellt und 1742 Anzeigen, die zum Teil in Haftstrafen von bis zu drei Jahren resultierten, wurden gegen Menschen erstattet, die sich an den Protesten beteiligt hatten. Ebd. Im Zentrum der Wandparolen, selbst gebastelten Plakate und Flugblätter stand die Solidarität mit Dub?ek und den Menschen in der ?SSR. Immer wieder wurde aber auch zum Ausdruck gebracht, dass die Vorgänge im Nachbarland ein Vorbild für alle anderen Staaten des Warschauer Paktes seien, und der Abzug der Truppen gefordert. Nicht zuletzt hatte sich die USSR innerhalb kurzer Zeit zu einem Refugium entwickelt. Junge Menschen aus der DDR konnten hier beispielsweise Platten von MusikerInnen aus dem »feindlichen Westen« kaufen und wollten nicht, dass ihre LandesnachbarInnen oder sie selbst diese Freiheiten wieder verlieren. Dass die Reaktionen auf die Niederschlagung des Prager Frühlings eine Art Startpunkt für die Entwicklung einer linken Opposition war, lässt sich auch daran erkennen, dass es zwar verhältnismäßig viel Protest gab, aber immer nur sehr vereinzelt. In den meisten Fällen waren es Einzelpersonen oder kleinere Gruppen von Studierenden, SchülerInnen, Auszubildenden oder jungen ArbeiterInnen, die mit einfachsten Mitteln und äußerst spontan ihren Protest organisierten. In einem Bericht des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wird über eine Demonstration in Lübbenau mit ca. 50 jugendlichen TeilnehmerInnen berichtet, größere Proteste konnten aber offenbar noch nicht koordiniert werden. Organisierte Strukturen entwickelten sich erst in den folgenden Jahren. Viele der Flugblätter beschränkten sich zudem auf kurze Parolen, was darauf schließen lässt, dass sich viele der jungen Menschen, die protestierten, zuvor noch keine gefestigten Standpunkte erarbeitet hatten, die sie jetzt hätten verbreiten können und wollen.

Subalterne kommunistische KritikerInnen und politischer Protest

 Wichtiger als die wütenden Reaktionen auf die Niederschlagung der Reformbemühungen war aber das veränderte Bewusstsein Einiger. Die Impressionen, die der Prager Frühling bei unzufriedenen KommunistInnen in den Ländern des real existierenden Sozialismus, also auch in der DDR, zurückließ, waren ambivalent. Zum einen hatte sich gezeigt, dass es ein Potential zur Veränderung gab. Dass ein Reformkommunist wie Dub?ek Erster Sekretär der KP eines sozialistischen Staates im Ostblock hatte werden können und gesellschaftlich großen Rückhalt erfuhr, weckte einerseits Hoffnung. Wie schnell aber die sowjetische Staatsmacht diesen potentiellen Fortschritt stoppte, führte teils zu Frustration, teils zu der Einsicht, dass erfolgreiche Veränderungen nicht einfach zu haben sein würden. In Bezug auf den fehlgeschlagenen Reformversuch in der ?SSR schrieb der ehemalige DDR-Oppositionelle Klaus Wolfram retrospektiv zur damaligen Einschätzung: »Die Restaurationsfähigkeit der stalinistischen Parteien war jedoch so groß, daß die kommenden Brüche aktiv vorbereitet werden sollten.« Klaus Wolfram, DDR-Opposition vor 1989, in: Bernd Gehrke/ Wolfgang Rüddenklau (Hrsg.): …das war doch nicht unsere Alternative – DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende, Münster 1999, 24–43. Es musste zum einen eine politische Strategie entwickelt und zum anderen ein Diskurs entfacht werden. Letzteres war in der Gesellschaft der DDR nicht einfach möglich und zwang die kommunistischen KritikerInnen der DDR in die Subalternität.

 Politischer Protest wurde in der DDR nicht geduldet, aber selbst die politische Meinungsbildung war nur im Verborgenen möglich. Viele der gelesenen Bücher und AutorInnen waren unerwünscht oder verboten. Sich in Gruppen zu treffen und Trotzki, Havemann, Bahro, Bücher der EurokommunistInnen oder George Orwell zu lesen, Diese Titel werden beispielhaft in der Ausstellung »Der kurze Herbst der Utopie 1989« genannt: Zit. n. http://www.hausderdemokratie.de/herbstderutopie/pdfs2/tafel_1_02.pdf war bereits der erste Schritt in die Illegalität. Wurden konspirative Zirkel aufgedeckt oder gingen sie von sich aus an die Öffentlichkeit, zog das massive Strafen nach sich. Zwar war die formulierte Kritik in dem Sinne »systemimmanent«, als dass sie sich nicht gegen den Sozialismus an sich richtete, sondern »nur« gegen die Art und Weise, wie er praktiziert wurde bzw. was darunter im Herrschaftsjargon verstanden wurde. Die Kritik zielte letztlich aber auf grundlegende Veränderungen ab, d.h. konkret auf die Ablösung des bürokratischen Herrschaftsapparats durch eine reformorientierte kommunistische Bewegung. Das Ziel war durchaus, die theoretische Konsequenz, die man aus den Schriften der »anderen« SozialistInnen und den Ergebnissen der Diskussionen über jene zog, praktisch in die Tat umzusetzen, wenn die Zeit dafür gekommen sei.

Obwohl es oft den Anschein hatte, dass es SED und MfS schwer fiel, so etwas wie kommunistische Opposition einzuordnen und deren ProtagonistInnen meist einfach als »Agenten des Westens« abstempelte, erkannten sie, dass sich ihre Arbeit gegen die bestehende Herrschaft richtete. Deshalb reagierte die Repressionsmaschine mit aller Härte gegen alles, was sie als Bedrohung wahrnahm, egal wie gering diese in Wirklichkeit war.

 Für das Verteilen von kritischen Flugblättern mussten Menschen ins Gefängnis gehen und die Arbeit in der Opposition wirkte sich nicht selten auf das komplette Privat- und Sozialleben der Menschen aus. Klaus Wolfram schreibt dazu: »Die Opposition war allerdings in gewissem Sinne aus der Gesellschaft herausgetreten. Man sah es an ihren Mitgliedern: Viele hatten ein Studium abgebrochen oder träumten noch von einem Studienplatz, manche hatten sich auch dafür entschieden, mit dem durch Gelegenheitsjobs erreichbaren Existenzminimum zu leben.« Wolfram, DDR-Opposition vor 1989, 28. Seiner Einschätzung nach konnte die Repression, insbesondere die Inhaftierung von Oppositionellen, den Zusammenhalt der Gruppen nicht nachhaltig erschüttern, doch die politische Arbeit war maßgeblich durch den Repressionsdruck geprägt.

Diese Arbeit funktionierte anders. Zum einen gab es die bereits genannten öffentlich bekannten Figuren der Opposition wie Havemann, Biermann oder später auch Bahro, die drastische Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen hatten, aber durch ihre Popularität – auch im Westen – nicht einfach in den Knästen verschwanden. Die verschiedenen oppositionellen Gruppen, die sich zusammengefunden hatten, mussten konspirativ agieren, sonst wäre das Ende ihrer Arbeit gewiss gewesen. Anders als in den achtziger Jahren traten die Gruppen also nicht namentlich in Erscheinung und konnten sich auch nicht auf Vernetzungstreffen koordinieren. Es existierten mehrere Gruppen in Berlin, ebenso gab es Zusammenschlüsse in Leipzig, Halle und Jena, die zumindest teilweise gegenseitig von ihrer Existenz wussten. Kommunikation barg hingegen immer ein gewisses Risiko. Das galt auch für den Konstituierungsprozess der Gruppen. Selbstverständlich konnte nicht zum offenen Café eingeladen oder mithilfe von Aushängen, Flugblättern geschweige denn auf Homepages im noch nicht existierenden World Wide Web für die Zusammenschlüsse geworben werden. Diese gingen dementsprechend aus Freundeskreisen hervor oder entstanden um einzelne Personen, wie im Fall der Gruppe um Heinrich Saar, einem alten Kommunisten aus Leipzig, der wegen Kritik an der SED inhaftiert wurde. Lesezirkel entstanden teilweise auch im Umfeld von Universitäten.

 Die Zerschlagung dreier Oppositionsgruppen in Berlin im Sommer des Jahres 1977 durch die Staatssicherheit bewies in aller Deutlichkeit die Effektivität der staatlichen Repressions- und Überwachungsmaschine. Ereignisse wie dieses mögen der Grund dafür gewesen sein, dass viele KritikerInnen des Staates ihre Konzepte in Frage stellten, sich später teilweise unter das schützende Dach der Kirche begaben und gewissermaßen einen Strategiewechsel vollzogen. Ebd. 25–27. Ob und welchen Zusammenhang man darin sehen möchte, bleibt fraglich, aber es lässt sich festhalten, dass die Kritik der Opposition in den siebziger Jahren relativ geradeheraus grundlegende Umstürze forderte und die Repression des Staates gegen seine KritikerInnen anprangerte. Die Opposition in den achtziger Jahren konzentrierte sich währenddessen eher auf thematisch konkretere Forderungen, schlug also gewissermaßen einen realpolitischeren Kurs ein. Eine radikale Kritik des pseudosozialistischen Systems wurde dann in den Forderungen nach BürgerInnenrechten, Die in der DDR absolut notwendige Forderung nach grundlegenden Rechten wie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit wurde auch vorher gestellt, ging aber einher mit der Artikulation einer allgemein unterschiedlichen Auffassung über den Charakter einer sozialistischen Gesellschaft. Umweltschutz und Abrüstung verpackt und ging darin möglicherweise in einigen Fällen auch ein Stück weit verloren. Die Vorraussetzungen für eine kommunistische Opposition gegen den Staat waren zweifellos weder in den späten sechziger, noch in den siebziger und achtziger Jahren besonders Erfolg versprechend.

Keine Abwendung vom nichtkapitalistischen Weg

Es wäre dennoch ein großer Fehler, die DDR als eine historische Sackgasse zu begreifen, also als ein zum Scheitern determiniertes Gebilde. Sie war eine ernst zu nehmende bestimmte Formation der ostdeutschen Gesellschaft, die zwar Unveränderbarkeit ausstrahlte, aber vor gesellschaftlichen Entwicklungen nicht von vornherein geschützt war. Die einzige relevante Veränderung, die sie je erfuhr, bedeutete zwar zugleich ihr Ende – aber dass dem so sein würde, war keinesfalls eine ausgemachte Sache.

Für den Kommunismus streiten ließ sich eben nicht bloß in kapitalistischen, sondern auch in den realsozialistischen Staaten und der Prager Frühling war jenen, die davon überzeugt waren, ein Symbol für diese Idee. Für viele prominente linke KritikerInnen der DDR waren die Ereignisse in der ?SSR Motivation, sich offen und bestimmt gegen die Politik der SED zu wenden. Radikale Kritik an der DDR zu üben machte es erforderlich, sich gegen die Anschuldigung, ein Feind des Sozialismus zu sein, zu behaupten. Dieser Aspekt spielte auch bei allen positiven Bezügen auf den Prager Frühling eine Rolle. Betrachtete man die offizielle Legitimation, bei den Ereignissen in der ?SSR handele es sich um eine Konterrevolution, für die sowjetisch geführte Intervention auch als vorgeschobene, konnte keinesfalls abgesehen werden, wohin ein offener Diskurs über die Form des Staates und der Gesellschaft in der ?SSR hätte führen können. Der Pseudosozialismus konnte so, wie er war, zwar nicht bleiben, da er die Hoffnung darauf, den Kommunismus je zu erreichen, längst nicht mehr beinhaltete. Als kommunistische Gegenavantgarde wollte man letztlich aber auch nicht eine Abwendung der Gesellschaft vom nichtkapitalistischen Weg in Gang bringen.

Hielt man der Staatsführung entgegen, keinen wirklichen Sozialismus zu praktizieren, gab es also keine andere Möglichkeit, als sich auf die Autoritäten Marx, Engels und Lenin zu beziehen, denn diesen Konflikt lediglich als eine Frage der Definition zu bestimmen, wäre reichlich aussichtslos gewesen. Rudolf Bahro sah seine mit dem Titel Die Alternative überschriebene Kritik des real existierenden Sozialismus selbst in der Tradition der Kritik der politischen Ökonomie. In seinem Buch beschrieb er nicht nur den Entwicklungsweg, den die Staaten des real existierenden Sozialismus beschritten hatten und lieferte eine sehr genaue Analyse der politischen und ökonomischen Verhältnisse in der DDR aus marxistischer Sicht, sondern formulierte auch eine Strategie für eine kommunistische Bewegung, die eine grundlegende Veränderung innerhalb des real existierenden Sozialismus herbeiführen sollte. Weiß man um den esoterisch-völkischen Unsinn, den Bahro seit den achtziger Jahren verbreitet hat, mag es schwer fallen, ihn als Kritiker ernst zu nehmen. Auch im dritten Teil der Alternative, in dem Bahro seine neue kommunistische Strategie ausführt, lassen sich bereits durchaus problematische Vorstellungen finden. Daran, dass die Alternative aber in den beiden analytischen Kapiteln die wohl systematischste und fundierteste Kritik der DDR-Gesellschaft und des sie verwaltenden bürokratischen Apparats liefert, ändert das nichts. Die Staatsmacht der DDR musste sich von ihren KritikerInnen nicht aus der Ruhe bringen lassen. Gerade in den siebziger Jahren, aber auch zu jedem anderen Zeitpunkt der Existenz der DDR, war die marxistische Opposition viel zu schwach und unorganisiert, um ernsthaft die Machtfrage stellen zu können. Ihre intellektuelle Souveränität konnte die SED-Führung jedoch nur mithilfe von Zensur und Repression aufrechterhalten. Nachdem die Alternative 1977 in der BRD erschienen war, wurde Bahro verhaftet und wegen des Vorwurfs des »Geheimnisverrats« verurteilt. Im Oktober des Jahres 1979 wurde er aus der Haft entlassen und in die BRD abgeschoben. Da das Buch in der DDR gar nicht erschienen war, mussten diejenigen, die es lesen wollten, es aus dem Westen »reimportieren«. Von daher ist es schwierig zu sagen, ob bzw. welche allgemeine Wirkung das Buch in der DDR erzielen konnte. Es gehörte aber zum Kanon der marxistischen Oppositionsgruppen und prägte die dort herrschenden Vorstellungen mit.

 Wenn Bahro bereits auf der zweiten Seite der Einleitung der Alternative schrieb, dass in den realsozialistischen Staaten »die Herrschaft des Menschen über den Menschen nur eine Oberflächenschicht verloren« Rudolf Bahro, Die Alternative: Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Köln/ Frankfurt a.M. 1977, 8. habe, wird deutlich, dass es ihm nicht um Detailfragen ging. Er kritisierte systematisch die Fortführung der alten Arbeitsteilung und die Parteiorganisation, die »aktiv massenhaft falsches Bewusstsein« Ebd. 292. produziere. Zugleich suchte er aber nach den Ursachen für diesen unbefriedigenden Status Quo im »Phänomen des nichtkapitalistischen Weges zur Industriegesellschaft«. Dass die fehlenden industriellen Vorraussetzungen in der Sowjetunion für die Revolution schwerwiegende Folgen hatten, lässt sich nicht bestreiten. Die in der Sowjetunion notwendigerweise vorgenommenen Abweichungen von Marxschen Erkenntnissen übertrugen sich dann auch auf Staat und Gesellschaft in der DDR. Dennoch waren viele KommunistInnen zunächst begeisterte AnhängerInnen des Staates gewesen, bevor sie nach immer wiederkehrenden Enttäuschungen erkannten, dass die Hinhalteparolen der SED die Menschen auf die Erreichung von Zielen vertröstete, die eigentlich längst aufgegeben worden waren.

Forderung nach einem gesellschaftlichen Diskurs der Verhältnisse

Ob nun postuliert wurde, der SED-Staat sei von vornherein eine Fehlkonstruktion gewesen oder lediglich die Forderung nach Reformen gestellt wurde, ob eine grundlegende Restrukturierung auf revolutionäre Weise das Ziel war oder die schrittweise Transformation der DDR durch den Kampf um bürgerliche Rechte – viel wichtiger als die einzelnen Forderungen der Opposition war die implizite und explizite Forderung nach einem gesellschaftlichen Diskurs über die Verhältnisse. Der Status Quo sollte nicht als Endpunkt einer teleologisch begriffenen Geschichte akzeptiert werden. Dass die Umwälzung der Produktionsverhältnisse und der staatlichen Administration, die in der DDR ohnehin nicht durch eine Revolution, sondern durch die Zerschlagung Nazi-Deutschlands in Gang gekommen war, als beendet betrachtet wurde, sollte nicht einfach hingenommen werden. Dem deterministischen Blindvertrauen auf den weiteren Entwicklungsweg der DDR stellten die radikalen RegimekritikerInnen die Hoffnung auf eine neue revolutionäre Bewegung entgegen, die aber nie in relevantem Ausmaß entstand.

Welche Entwicklung ein emanzipatorisch erneuerter Sozialismus in der DDR und möglicherweise in den anderen Staaten des Ostblocks genommen hätte, ließ sich damals nicht absehen und kann rückblickend noch viel weniger erahnt werden. Ganz sicher aber ist, dass die ostdeutsche Gesellschaft unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus, wären diese nicht grundlegend verändert worden, das Ziel des Kommunismus niemals erreicht hätte. Die kommunistischen RegimegegnerInnen in der DDR kämpften somit für die Erneuerung der kommunistischen Perspektive in ihrer Gesellschaft. Dass der Sturz des Regimes in den siebziger und frühen achtziger Jahren keine Aussicht auf Erfolg hatte, war wohl recht offensichtlich, auch wenn der Zwang zum konspirativen Arbeiten es erschwert hat, die eigene Stärke richtig einzuschätzen. Die Proteste des Jahres 1989 haben bei vielen, die den Sozialismus nicht abschaffen, sondern verändern wollten und die eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten gar nicht als realistische Option betrachteten, noch Hoffnung geweckt. Wie sich der Charakter der Proteste aber gegen Ende des Jahres entwickelte, ließ bereits Schlimmes erahnen. Als am 18. März 1990 dann die schweigende Mehrheit der Ostdeutschen an die Wahlurnen gebeten wurde und offenbarte, dass sie von nationalistischen Gefühlen und wahnsinnigen wirtschaftlichen Versprechen getrieben wurde, war klar, dass diejenigen, die sich für einen besseren Sozialismus engagiert hatten, nicht diejenigen waren, die den weiteren Verlauf der Ereignisse bestimmen konnten.

~Von Magnus Henning. Der Autor studiert Geschichte in Berlin und ist aktiv in der HUmmel Antifa.