Während der konkret-Rausschmiss von Jürgen Elsässer lautstark zelebriert wurde und der neu erwachte Friedensfreund nun von Zeitungen hofiert wird, die er selbst noch vor ein paar Jahren als antisemitisch und nationalistisch diffamiert hätte, vollzog sich eine andere Veränderung eher im Stillen. Die Kritik von Matthias Küntzel am Antiamerikanismus des konkret-Kongresses „Deutschland führt Krieg“ (Jungle World 23.01.2002) wurmte die konkret so, dass sie ihn seither nicht mehr als Autor führt. Dabei hat Matthias Küntzel mit „Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg“ ein Buch vorgelegt, dessen Lektüre ausdrücklich empfohlen sei. Erstmals beschäftigt sich jemand gründlich und faktenreich mit den Ursachen und Folgen des antisemitischen Wahns im Islamismus. Dies betreibt er jenseits von antiislamischen Pauschalisierungen, die man zuweilen aus antideutschen Kreisen gewöhnt ist - und natürlich fern von jeder Verharmlosung des Antisemitismus. Phase 2 befragte Matthias Küntzel Ende Januar zu einigen Schlussfolgerungen, die sich aus den Analysen seines Buches ergeben.
In der konkret 11/2001 betonst Du, dass der Slogan „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ während des II. Weltkriegs angesichts von Auschwitz obsolet werden musste und schlägst vor, diese Erkenntnis auf die heutige Zeit zu übertragen. Du schreibst: „Selbstverständlich müssen die amerikanische und die britische Politik weiterhin kritisiert werden. Jedoch nicht deshalb, weil sie die Djihadisten verfolgt, sondern weil sie diese nicht zielgenau und konsequent genug verfolgt.“ Was verstehst Du unter „zielgenau“ und „konsequent“ - wie würde eine solche Kritik en détail aussehen?
Im Gegensatz zur Interpretation des nazi-kompatiblen Anti-Imperialismus kommt meine Untersuchung zu dem Schluss, dass die Rebellion der Djihadisten der zerstörerischen Wirkung des Kapitalismus etwas Schlimmeres, ein Konzept der Vernichtung, entgegensetzt. Diese Rebellion unterscheidet sich von der NS-faschistischen in vielerlei Hinsicht und stellt doch zugleich deren zeitgenössische Variante dar: Angetrieben von einer wahnwitzigen Reinigungs- und Erlösungsmission wollen die Djihadisten die Utopie einer gerechten islamischen Gemeinschaftsordnung zum Durchbruch bringen, was bedeutet, dass zuvor alles Böse - und das Böse wird bei ihnen fast ausnahmslos als „jüdisch“ markiert - vernichtet werden muss. Das Nahziel ihrer Politik ist der Rückzug der USA und seiner Verbündeten aus der arabischen Welt, um eine pan-arabische Scharia-Diktatur erzwingen und Israel auslöschen zu können.
Aus dieser Einschätzung resultiert meine Position zur Außenpolitik der USA. Zwischen ihr und dem Djihadismus wählen zu wollen, halte ich für verkehrt; schon die Zumutung dieser Alternative konterkariert m.E. kritische Theorie. Zudem stehen die USA immer vor der Versuchung, Israel zugunsten der ölbesitzenden arabischen Staaten fallen zu lassen, wie es unmittelbar nach dem 11. September auch geschah. Wer es ablehnt, die Politik der USA in Gänze zu affirmieren, arbeitet jedoch dem Islamismus in die Hände, wenn er die US-Außenpolitik ausgerechnet dann bekämpft, wenn sie mal das Richtige tut und Djihadisten verfolgt. Es wäre so, als kritisierte ich die Bundesregierung gerade dann und deshalb, weil sie mal hinter den Nazis her ist.
Zur Frage „zielgenau und konsequent“: Ich fand es z.B. richtig, den Iran und den Irak als „Achse des Bösen“ zu denunzieren. Um die Ölförderländer der arabischen Welt nicht zu verschrecken, wollte Bush seinen rhetorischen Vorstoß jedoch nicht exklusiv gegen diese beiden Regimes richten. Also wurde ebenfalls Nordkorea zur neuen „Achsmacht“ erklärt. Dies war bei aller Verrücktheit, die die nordkoreanische Politik auszeichnen mag, unangemessen und signalisierte Willkür statt Zielgenauigkeit und Opportunismus statt Konsequenz. Dieser Opportunismus, den die USA wiederholt auch gegenüber dem völkischen Agieren Deutschlands an den Tag legten, ist aber keine Frage des guten Willens, sondern eine Folge der „strukturellen Unfähigkeit“ (konkret 11/01) bürgerlicher Gesellschaften, die von ihnen letztlich selbst erzeugten Wahnsysteme „zielgenau und konsequent“ zu bekämpfen.
Leider hat die Linke den Djihadismus in erster Linie anti-imperialistisch interpretiert und sich damit dem antisemitischen Wahnsystem angepasst. Dies ist einfach nur verrückt. Auch hierfür ein Beispiel: Niemand beschimpfte mich als „linken Bellizisten“, als ich in meinem Kosovo-Buch den Krieg, den die bürgerliche serbische Armee gegen die „Befreiungsbewegung“ UCK führte, als notwendig bewertete und lediglich punktuell (wegen mangelnder Zielgenauigkeit) kritisierte. Dieselben, die mir damals applaudierten, bezichtigen mich heute des Verrats und einer Ledernacken-Mentalität, weil ich den von der al-Qaida provozierten Krieg der amerikanischen Armee gegen die Taliban als ebenso notwendig einstufte und ebenfalls nur punktuell kritisierte. Jeder aufgeklärte Mensch weiß zwar, dass die UCK im Vergleich zu den Taliban oder der al-Qaida als geradezu harmlos eingestuft werden kann. Die Linke aber, die offenkundig jeden eigenständigen Maßstab für emanzipative Orientierung verloren hat, orientiert sich ausschließlich am anti-amerikanischen Reflex ›Der Feind der USA ist mein Freund!‹ und wirft somit das antifaschistische Serbien mit den rabiatesten Antisemiten der Welt - dem faschistischen Irak und den vorkapitalistischen Terrorbanden der Taliban - in einen Topf. Damit ist jeder aufklärerische Ansatz zertrümmert. Ich bezweifle, dass sich die Linke aus diesem politisch-moralischen Sumpf je wieder herausziehen kann.
Wäre die amerikanische und britische (natürlich ebenso die deutsche) Politik nicht in erster Linie dafür zu kritisieren, dass sie die Djihadisten jahrelang unterstützt und hofiert haben?
Wer die westlichen Mächte ernsthaft deshalb kritisiert, weil sie die Djihadisten jahrlang hofierten, müßte mit der seit dem 11. September geführten Kampagne gegen die al-Qaida eigentlich einverstanden sein. Wenn dies nicht der Fall ist, dient diese Argumentation doch wohl in erster Linie dem Ressentiment.
Du erweckst den Anschein, die USA hätten den Anspruch, Antisemitismus zu bekämpfen und würden dies nur aus taktischen Gründen unterlassen. Ein Krieg gegen Afghanistan oder den Irak wird doch aus anderen Motiven geführt, als denen, die wir gut finden könnten. Du sagst, es sei ein kritisierbarer Fehler der USA, dass Nordkorea in der Achse des Bösen auftaucht. Es scheint mir aber logisch zu sein, dass sie auch Nordkorea benennen - und z.B. in Kolumbien den Antiguerilla-Kampf unterstützen.
Ich weiß nicht, welche anderen Motive Du bei der Befreiung von Kabul vermutest. Die Überwindung der islamfaschistischen Schreckensherrschaft der Taliban und die Zerstörung der djihadistischen Ausbildungslager und al-Qaida Strukturen in Afghanistan finde ich auch dann richtig, wenn bestimmte Vorgehensweisen der US-Militärs zu kritisieren sind. Wenn die USA nun auch noch eine Pipeline bauen wollten, wäre dies um so besser, da hiervon auch die afghanische Bevölkerung profitierte. Leider kann ich derartige Pläne nicht erkennen.
Noch geringer ist meine Hoffnung darauf, dass die USA den Antisemitismus jemals angemessen, d.h. radikal bekämpften. Und doch sind auf diesem Gebiet die Unterschiede zwischen amerikanischer und europäischer Politik relevant: So haben die USA im Frühjahr 2002 Saudi-Arabien und andere arabischen Länder aufgefordert, die antijüdische Hetze in Zeitungen sowie Rundfunk- und Fernsehsendern zu untersagen. Die deutsche und europäische Diplomatie hat diese Hetze hingegen längst akzeptiert. Als sich im letzten November die 18 Länder der Arabische Liga in Damaskus darauf verständigten, den Wirtschaftsboykott gegen Israel wieder aufzunehmen, drohte die US-amerikanische Regierung allen inländischen Firmen immerhin harte Strafen an, falls sie diesen Boykott befolgten. In Deutschland konnte von solch einer Verwarnung keine Rede sein. Nächster Punkt: Während die antisemitischen Hizbullah und Hamas in den USA schon lange verboten sind, können sie in Deutschland weiterhin ungehindert agitieren und Geld sammeln. Die EU gab sich sogar damit zufrieden, dass der designierte britische Botschafter für den Iran von den Mullahs mit der einzigen Begründung abgewiesen wurde, dass er Jude sei. Derartige Skandale werden in der europäischen Öffentlichkeit mit Ausnahme der britischen nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Und doch vermittelt die US-Politik den Eindruck, als sei es innerhalb der US-Administration nur eine winzige Minderheit, die den Topos Antisemitismus auf die Tagesordnung bringt, während Opportunismus und Ignoranz besonders im Verhältnis zu Syrien und Saudi-Arabien dominieren, ganz zu schweigen von Pakistan, wo nach dem Wahlerfolg der Islamisten und unter den Augen einer sich ignorant gebenden USA ein Djihad-Führer nach dem anderen aus dem Knast entlassen wird. Hier sehe ich weder Zielgenauigkeit noch Konsequenz.
Wenn die USA gegen Islamisten vorgehen, dann aber doch nicht aus ideologischen Gründen, sondern um sich selbst zu verteidigen. Islamismus wird nur bekämpft, wo er bedrohlich für die USA wird und nicht da, wo er antisemitisch oder antiwestlich ist - und das muss auch so benannt werden.
Islamismus ist überall antisemitisch und bedroht von überall aus Israel und die USA. Ich fasse Deine Frage so auf, dass es unsicher bleiben wird, wie lange sich die USA hinter Israel stellen werden und ab wann ihre Eigeninteressen in der arabischen Welt gegen die Sicherheitsbedürfnisse des jüdischen Staats ausgespielt werden. Ich finde diese Kritik notwendig und möchte sie zugleich relativieren: Die Europäische Union hat die Frage, ob sie sich im Kampf gegen den Djihadismus hinter Israel stellt, längst mit einem Nein beantwortet. Dies ist in meinen Augen das Hauptproblem.
In Deinen Artikeln grenzt Du Dich einerseits scharf von Positionen ab, die z.B. in der konkret veröffentlicht werden. Dort wird nämlich eine Unterscheidung zwischen dem Antisemitismus, der kategorisch verurteilt wird, und dem Antiamerikanismus, dem eine gewisse Existenzberechtigung zugebilligt wird, vorgenommen. Andererseits distanzierst Du Dich von Positionen aus dem Bahamas-Umfeld, die die Zivilisation, deren Hort die USA sei, herbeibomben will. Beides klingt einleuchtend und sympathisch vor dem Hintergrund einer linken Debatte, die angesichts der eigenen Wirkungsmächtigkeit immer schrillere Töne anschlägt. Allerdings bleibt auch nach der Lektüre Deines Buches unklar, wo Du Dich selbst verortest oder ob Du Dich einer Positionsbestimmung z.B. gegenüber dem Irak-Krieg verweigerst, d.h. Deine Aufgabe ausschließlich in einer Kritik der verschiedenen linken Positionen siehst. So schreibst Du z.B. im Buch „Es gibt Schlimmeres als den Krieg. Es sind Schrecken möglich, von denen nur ein Militäreinsatz befreit.“ Ob der von Dir beschriebene Djihadismus aber Militäreinsätze im Irak rechtfertigt oder wenigstens als kleineres Übel erscheinen lässt, bleibt bei Dir offen.
Ich glaube nicht, dass irgend jemand aus dem Bahamas-Umfeld die Zivilisation herbeibomben will und empfinde es als anödend, wenn man sich immer wieder an ein oder zwei Bahamas-Sätzen, die unmittelbar nach dem 11. September geschrieben wurden, festklammert. Mir gefiel, was die „Antinationale Gruppe Leipzig“ dazu schrieb: „Die nur menschlich allzumenschliche Verzweiflung nach den Anschlägen zum 11. September drückt die innere Zerrissenheit einer Leidenschaft aus, der schier der Kopf zu platzen droht. Dass man in solch einem Moment nicht in die eklige Mottenkiste des Antiimperialismus zurückgefallen ist, die der ganze linke Rest und deren deutsche Friedensfreunde wohl für den Behälter eines welterklärenden Zaubertranks hält, macht einen zwar leider nicht zum Sieger der Geschichte, wohl aber zum Retter des emanzipatorischen Gedankens im Sinne kritischer Gesellschaftstheorie.“
Dennoch unterscheidet sich meine Position von der der Bahamas besonders in einem Punkt: „Gibt es zwischen den Nutznießern und blinden Verteidigern der kapitalistischen Ordnung und den massenmörderischen Kündern ihrer widerspruchsfreien Verewigung in der moralischen Gemeinschaft eine Wahl?“, fragte Justus Wertmüller in der 40. Bahamas-Ausgabe und antwortet darauf so: „Ja, es gibt sie, und wer sie nicht trifft, kann sich nicht mehr glaubwürdig abgrenzen von Djihadisten, Globalisierungsgegnern, den Pogromhelden gegen die Miss-World-Wahl in Nigeria oder den islamistischen Bürgermilizen in Antwerpen. Gremliza und vielen anderen würde diese vernünftige Wahl nicht schwer fallen, wäre sie nicht zugleich eine für die aktuelle Außenpolitik ausgerechnet der Vereinigten Staaten von Amerika.“
Diese Logik des „entweder-oder“ teile ich nicht. Absolute Barbarei und kapitalistische Verfasstheit, wie sie die USA repräsentiert, stehen sich nicht gegenüber, sondern sind ineinander verstrickt. Solange Kapitalismus existiert, droht die Regression in den antiwestlichen Affekt und ins blinde Kollektiv - auch in den USA und auch mittels der Außenpolitik der USA. Die vernünftige Wahl verläuft m.E. nicht zwischen Islamismus oder USA, sondern zwischen einer emanzipatorischen oder einer regressiv-faschistischen Antwort auf die Herrschaft des Kapitals.
Ich möchte diesen Punkt näher ausführen, da er auch meine Haltung zur Irak-Frage bestimmt. Bekanntlich wird das Individuum durch den Kapitalismus negativ erzeugt, als ein verächtlich gemachtes, verlassenes, erniedrigtes und ausgebeutetes Wesen, während der Kommunismus es positiv entfalten und seine Entwicklungsmöglichkeiten unverstümmelt zur Geltung bringen will. Letzteres zu verhindern und jegliche Individualität zu zerstören ist aber Zweck der baathistischen wie auch der islamistischen Ideologie. Während sich „das Humane als Sinn für die Differenz bildet“, wie Adorno es formulierte, gebärdet sich die fundamental antiwestliche Ideologie des völkischen Anti-Imperialismus gerade deshalb so inhuman und regressiv, weil sie die Differenzierung, die „Ich“ heißt, widerufen und im blinden Kollektiv - Partei, traditionelle Familie, Ständeordnung oder Religion - wieder auslöschen will. Wer den emanzipatorischen Antikapitalismus retten will, wird sich von dieser globalen Konterrevolution uneingeschränkt abgrenzen und diese Abgrenzung bei allen Entscheidungen der Tagespolitik berücksichtigen müssen.
Dabei ist der Djihadismus heute nur die Speerspitze der regressiven Antwort auf das Kapital. Er wird nicht nur von einigen Millionen aufgehetzter Islamisten unterstützt sowie hinsichtlich der Angriffe gegen Israel vom Gros der arabischen Welt. Eine weitere Bastion stellt die Bewegung der Globalisierungsgegner dar, deren Feindbilder mit den antisemitischen Topoi wie von unsichtbarer Hand gelenkt korrelieren. Der machtpolitisch wichtigste Förderer all dieser regressiven Tendenzen ist heute zweifellos Deutschland mit seinen engsten EU-Verbündeten, die dem irakisch-iranischen Regimes in Nibelungentreue die Stange halten. Es gibt für die deutschen Außenpolitik keinen anderen Ausweg: Alle Hoffnungen der Bundesregierung sind jetzt auf eine blutiges Desaster der USA im Irak konzentriert. Zur Wahl steht somit: Affirmation oder Zerschlagung der Regimes im Irak und im Iran, Affirmation oder Bekämpfung des palästinensischen Djihadismus, Affirmation oder Gegnerschaft gegenüber dem antiwestlichen Affekt, der sich mit den Kräften eines eliminatorischen Antisemitismus verknüpft und Israel auf die eine oder andere Weise von der Landkarte streichen will.
Während Hussein und Schröder für die Partei des antiwestlichen Ressentiments stehen, die unbedingt bekämpft gehört, ist die Rolle der USA im Kontext der Befreiung oder des Irak ambivalent. Die Tatsache, dass die USA gegen die Internationale des Wahns initiativ werden und sich der antisemitischen und faschistoiden Dynamik, wie sie das Baath-Regime repräsentiert, entgegenstellen, kann ich nur begrüßen. Wie sie in dieser Auseinandersetzung agieren, ist zugleich Gegenstand meiner Kritik. Ich habe z.B. von Anfang an die fast ausschließliche Konzentration auf den Irak, die mir von den Gefahren des Islamismus abzulenken scheint und die Verkoppelung dieser Auseinandersetzung mit der Doktrin des Präventivkriegs kritisiert. Ich halte es allerdings für notwendig, neue Maßstäbe für eine eigenständige, nicht anti-amerikanische Kritik zu entwickeln, die sich vom dominanten Antikapitalismus, der völkisch und faschistoid argumentiert, vollständig trennt.
In der jungle World 49/2002 schreibst Du, nach 1945 habe sich das antisemitische Zentrum aus Deutschland in die arabische Welt verschoben. Alle Umfragen in diesem Land ergeben aber, dass sich das „antisemitische Zentrum“ nie aus Deutschland wegbewegt hat und nur aufgrund der Besatzungspolitik bis 1989 im Zaum gehalten werden konnte. Bist Du nicht der Meinung, dass solche Behauptungen als den Holocaust verharmlosende rezipiert werden könnten?
Adornos Imperativ fordert dazu auf, alles zu tun, damit sich etwas mit Auschwitz Vergleichbares nicht wiederholt. Er fordert nicht dazu auf, immer dann die Augen zu verschließen, wenn Antisemitismus, wie etwa im Frühjahr 2002, jenseits der deutschen Grenzen noch brachialer tobt als diesseits dieser Grenzen. Derzeit geht die Hauptgefahr für die in Israel lebenden Juden nicht von Deutschland aus. Horst Mahler, dessen Antisemitismus mit dem der syrischen oder irakischen Staatsführung identisch ist, ist nicht Bundeskanzler. Und eine Fernsehserie, die auf den „Protokollen der Weisen von Zion“ basiert, könnte hierzulande nicht mal im Privatfernsehen ausgestrahlt werden. In den palästinensischen Autonomiegebieten, aber auch in den Moscheen von Saudi-Arabien oder Ägypten werden demgegenüber allwöchentlich Juden mit Tieren verglichen, Juden zum Mord freigegeben und die Auslöschung Israels propagiert. In meinen Augen ist es falscher Germanozentrismus und schwer erträgliche Heuchelei, wenn ausgerechnet Auschwitz zum Vorwand genommen wird, um den Blick von diesen Realitäten abzuwenden.
Ein antisemitisches Zentrum bemisst sich ja nicht nur daran, wie stark die Gefahr ist, die davon für Israel ausgeht. Das hat ja auch was mit geographischen Fragen zu tun. Ein antisemitisches Zentrum hat sich sicherlich nach \'45 und auch schon davor dort entwickelt - aber nie wirklich aus Deutschland verlagert, Möllemann würde ja auch so agieren wie die Palästinenser und hat damit in Deutschland viel Zustimmung gefunden. Die Deutschen würden in so einer Situation wie die der PalästinenserInnen viel antisemitischer agieren. Die Behauptung der Verlagerung nimmt doch die Deutschen in Schutz - als ob der Antisemitismus umgezogen wäre.
Mit „antisemitischem Zentrum“ ist bei mir das Zentrum eines eliminatorischen Antisemitismus gemeint, basierend auf jener antijüdischen Weltverschwörungstheorie, wie sie in den „Protokollen der Weisen von Zion“ erfunden worden ist. Vor diesem Hintergrund besteht m.E. der eigentliche Skandal darin, wie sich Deutschland innerhalb der EU und gegenüber Israel positioniert: Israel partiell zu boykottieren und die Palästinenser fortwährend zu hofieren. Wie Deutschland den Antisemitismus dort fördert, legitimiert und in Schutz nimmt - medial, politisch, ökonomisch -, das sollte im Mittelpunkt der Kritik stehen.
Warum übernahm die islamistische Bewegung Elemente des deutschen Nationalsozialismus?
Die Faszination, die Nazi-Deutschland in den dreißiger- und vierziger Jahren auf ein großen Teil der arabischen und islamischen Bewegung ausübte, hing mit verschiedenen Faktoren zusammen. Erstens hatte sich Deutschland von „Versailles“ eben so befreit, wie sich die damalige arabische Welt von ihrem halbkolonialen Status befreien wollte. Zweitens hatten Großbritannien und Frankreich Anfang der zwanziger Jahre die arabischen Freiheitsbewegungen verraten und die Region unter sich aufgeteilt. Damit bot sich Deutschland als neue Anlehnungsmacht an, zumal Wilhelm II. schon im I. Weltkrieg den Moslem gemimt und zum Djihad gegen die Briten aufgerufen hatte. Drittens war die arabische Welt vom deutschen Konzept einer vorpolitischen Nationsbildung fasziniert. Viertens aber wurde die kollektive Identität sowohl in Nazi-Deutschland wie auch im Islamismus durch Hass und Wutaffekte gegen Juden konstruiert, wie die Quellen, die ich in meinem Buch anführe, belegen.
Du schreibst in der Einleitung zum Buch: „Hunger, Unterdrückung und Unterentwicklung können der Nährboden für einen Terrorismus der Verzweiflung sein. Beim Islamismus der al-Qaida oder der Hamas haben wir es aber nicht mit Verzweifelten zu tun, die spontan auf unmittelbare Zwangslagen reagieren. Hier agieren Weltanschauungskrieger, Menschen mit einem rigorosen ideologischen Programm.“ Diese Charakterisierung, die wohl auf jeden deutschen Wehrmachtssoldaten zutrifft, erscheint nach der Lektüre Deines Buches, welches sich hauptsächlich den Schriften und Taten der Chefideologen widmet, auf den ersten Blick plausibel. Allerdings stellt sich die Frage, wie es sich mit den „ganz normalen“ Anhängern des Islamismus verhält. Diese sind zumeist von „Hunger, Unterdrückung und Unterentwicklung“ betroffen. Ob bei diesen der Antisemitismus weit verbreitet und tief verankert ist, ob er sich mehr aus dem Nahost-Konflikt speist oder eine davon unabhängige Weltanschauung ist, bleibt in deiner Studie ausgeblendet.
Ich möchte an dieser Stelle lediglich auf einen Umstand hinweisen, der im Buch wesentlich stärker zum Tragen kommt: dass nicht nur Armut den Islamismus befördert, sondern auch umgekehrt die islamistische Ideologie gesellschaftliche Armut produziert.
Wie schätzt Du da die Antiglobalisierungsbewegung ein? Enthält sie nicht Elemente von beidem, der regressiven und der fortschrittlichen Richtung?
Gegenfrage: Hat „Phase 2“ die „Phase 1“ tatsächlich überwunden? Die altlinken, antiimperialistischen Reflexe in der Antiglobalisierungsbewegung gehen doch mit den neu-rechten längst konform: Globale Intifada, Volkstum vs. Globalismus, Kampf dem „judäo-amerikanischen Imperium“ usw. usf. Die Hamas wird als Befreiungsbewegung gefeiert und keineswegs als jene islamfaschistische Bewegung, die sie ist und von der sich die Palästinenser distanzieren müssen, wenn sie eine Zukunft haben wollen. Von derartigen Positionen kann man sich doch nur mit Grausen absetzen.
Die Antiglobalisierungsbewegung wird von manchen sogar als Stichwortgeber für Antisemitismus und Antiamerikanismus gesehen, die diesen antiwestlichen Prozess sogar noch vorantreiben würden - man müsse sie deswegen besonders bekämpfen. Meine Gegenthese: Sie sind nur Ausdruck dessen, was sowieso in der Gesellschaft virulent ist, sie sind nicht antisemitischer als die restliche Gesellschaft und deswegen nicht stärker anzugreifen.
Hast Du da nicht gerade eine ziemlich vernichtende Kritik formuliert? Diese Bewegung setzt sich in der Tat nicht ab von dem, was unter Deutschen virulent ist, sondern verstärken das Ressentiment. Ob sie schlimmer sind als der Rest der Gesellschaft? Gewiss sind viele junge Leute dabei, die von guten Wünschen getrieben werden. Tatsache ist aber auch, dass eine von Horst Mahler geführte Demonstration unter dem Motto „Befreiung für Palästina“ irrelevant ist im Vergleich zur Mobilisierung von GlobalisierungsgegnerInnen, die dasselbe unter dem Motto eines „antizionistischen Antifaschismus“ propagieren. Gut meinende und Völker romantisierende Antikapitalisten können Israel und der Sache der Emanzipation weitaus mehr schaden, als bösartige, aber isolierte Faschisten. Nicht umsonst ziehen Nazis inzwischen die Bühne, die die Globalisierungskritiker ihnen bieten, der eigenen Bühne vor. So ist z.B. die NPD-Jugend mit www.antiglobalisierung.de genau auf diese Schiene eingeschwenkt - weil dieses Logo eine Wirkungsmacht hat, die heute bis ins Bundeskanzleramt reicht.
Wir danken Dir für das Gespräch.
Das Interview wurde vom Bündis gegen Rechts (BgR) Leipzig geführt.
Das besprochene Buch „Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg“ erschien 2002 im Freiburger Ca Ira-Verlag und ist für 13,50 Euro im Handel erhältlich.
Phase 2