"Goldene Türme wachsen nicht endlos..." textete Slime einst prophetisch, und tatsächlich mussten die Linken sie gemeinsam mit dem Rest der Welt am 11. September einstürzen sehen. Aus ihrem offenstehenden Mund erklang vorerst wenig zum politischen Tagesgeschehen. Die schamvolle Erkenntnis verschlug den linksradikalen die Sprache: Denn der Anschlag auf das World Trade Center war tatsächlich ein Anschlag auf die westliche, freie Welt, ein höchst symbolischer. Symbolische Politik ist allerdings auch das Mittel der Wahl linker Globalisierungsgegner, die den Angriff auf die Kristallisationspunkte kapitalistischer Vergesellschaftung als konkretesten Ansatz im Kampf gegen die Herrschaft des Menschen über den Menschen feiern. Nicht der Terror ist das Mittel der Hilflosen, sondern symbolische Politik. Und dass die radikale Linke noch ein bisschen hilfloser ist als die OrganisatorInnen des Attentats am 11. September ist nicht gerade top secret.
Blockbuster
Die sehr klammheimliche Freude, die so manche selbsterklärten westeuropäischen Feinde des Kapitals verspürt haben, als die Säulen der Macht ganz symbolisch ins Wanken gerieten, wich schnell dem klammen Gefühl, sich auf der ganz und gar falschen Party betrunken zu haben. Vor ein paar Jahren gingen die Linken noch in Independence Day, um die Sektkorken gemeinsam mit dem weißen Haus hochgehen zu lassen. Die Umdeutung des Mainstream belegte dabei die eigene Subversivität. Die Symphonie der Zerstörung wurde als Ästhetik des Widerstands aufgefasst. Im Kino traf es die Richtigen, gerade weil es nur Symbole traf. Die Konkretisierung der Zerstörung stellt diese vermeintliche Ästhetik in neue Dienste und lässt ihre linken Liebhaber vor sich selbst erschauern. Einstürzende Neubauten auf Demo-Mobilisierungsplakaten abzubilden, bedeutet jetzt ebenso sehr, sich in schlechte Gesellschaft zu begeben, wie das Kapital in Frack und Zylinderhut auftreten zu lassen. Der Angriff auf architektonische Verkörperungen des Kapitalverhältnisses, einst die scheinbar abstrakteste Möglichkeit der Verbildlichung antikapitalistischer Positionen, hat eliminatorische Realität gewonnen.
Give me a ticket for an Aeroplane
Das Gejammer um den "Ausverkauf" linker Symbolik ist seit jeher groß. Und das, was die Linken nicht freiwillig rausrückten, haben die InteressentInnen sich anderweitig geholt. Seien es Palituch tragende Nazis, die Belegung des Antifaschismusbegriffs mit einem Angriffskrieg gegen Jugoslawien durch die rot-grüne Regierung oder nur der Molotowcocktail schmeißende Jugendliche im RTLII-Spot. Jede eindeutige "Seht her, ich bin links!"-Geste scheint in eine beliebige "Seht her!"-Geste umwandelbar zu sein. Der große Kerosin-Knall war ein weit hörbareres "Seht her!" als jede der zahllosen Linken Aktionen, die sich der gleichen Symbolsprache bedienen. Die Inhalte, die letztere in mühevoller Kleinarbeit in diese einzuschreiben versuchten, sind durch die Anschläge überschrieben worden, das antisemitisch-eliminatorische Programm belegt den gesamten Speicherplatz. Müssen die Linken sich eine neue Festsplatte einbauen lassen? Oder war die ohnehin längst fällig?
Das Beharren auf und (im Verlustfall) das Trauern um linke Symbolsprachen ist, um erneut die schlechte Gesellschaft heraufzubeschwören, etwa so angemessen wie der Kampf des "Vereins zur Rettung der deutschen Sprache". Es handelt sich um ein Verhalten, das auf ahistorischem, essentialistischem Verständnis von Kommunikation beruht. Es ist der Glaube, Bezeichnendes und Bezeichnetes, Form und Inhalt, Symbol und Bedeutung, sauber trennen und dann wieder für die Ewigkeit zusammenschustern zu können, in der Gewissheit, korrekt nach dem Bauplan der Wahrheit gearbeitet zu haben. Wird dieser Glaube durch Tatsachen wie die des 11. September widerlegt, glotzen die Gläubigen eine Weile doof und quengeln dann los, weil andere Symbolsprecher offensichtlich Schabernack treiben mit der Wahrheit, wozu sie kein Recht haben. Oder sie stellen fest, dass wohl von Anfang an ein Irrtum vorgelegen hat und man es nie mit einem authentisch linken Symbol zu tun hatte. Hier melden sich auch gerne die besonders kritischen Linken zu Wort und stellen fest, dass die anderen Linken mindestens schon antisemitisch sind, seit sie bildlich Hochhäuser einstürzen lassen, denn das Selbiges in der Praxis ein antisemitischer Akt ist, wurde ja nun zweifelsfrei bewiesen. Auch dieser Position liegt ein Glaube an überhistorische Symbolik zugrunde.
Trying to find al love supreme
Doch Symbole und Bedeutungen bilden ganz und gar keine stabilen Ehen - vielmehr springen sie von einer Affäre zur anderen, pflegen parallel ihre Liaisons mit PartnerInnen verschiedenster Geschlechtsidentitäten und tauschen dabei auch noch weit mehr Körpersubstanzen aus, als es Menschen bei vergleichbarer Betätigung im entferntesten möglich wäre. Hier Treue zu fordern, ist illusorisch. Um so wichtiger also ist es, die Augen offen zu halten, wer zur Zeit alles im gleichen Bett liegt. Aus dem Bett gesprungen ins abstrakte Schlafzimmer sind Symbole Diskurs - keine Einbahnstraßen von Form nach Inhalt, sondern ein variables Netzwerk. Im Diskurs ist das Bezeichnende dabei oft genug das Bezeichnete - nur niemals sehr lange. Symbole sind niemals stabil, können nicht besessen oder abgespeichert werden. Ein Verständnis von linker Kultur, das es als ihre Aufgabe betrachtet, Symbole dauerhaft zu etablieren oder zurückzuerobern, muss enttäuscht werden. Die einstürzenden Neubauten sind verloren, es ist sinnlos, eine imaginäre Berechtigung linker Zusammenhänge auf diese Symbolik anzumelden. Da eine radikale Linke, die nicht konkret agieren kann, ohne Symbole überhaupt nicht agieren kann, ist sie zur regelmäßigen Überarbeitung ihrer bildlichen Präsenz gezwungen - die Webseiten, auf denen die eigenen Inhalte vermutet werden, müssen andauernd neu verlinkt werden. Dass dabei die ohnehin diffusen Inhalte nicht unangetastet bleiben, ist nicht per se Kontamination, sondern bedeutet im besten Fall Entwicklung. Die Neuverlegung der Links ist eine Arbeit, die die radikale Linke eher intuitiv erledigt und damit nicht zwangsläufig richtig liegt. Bewusst wird der Vorgang im Normalfall in dem Moment, wo schlechte Gesellschaft auftaucht. Die Linke tut richtig daran, einem Symbol den Laufpass zu geben, das mit Bin Laden schläft, um das Bild erneut zu bemühen. Zugleich wird jedoch das linksradikale Bett aus Mangel an NachtgefährtInnen langsam recht kalt. Neue, möglichst stabile Affären müssen her. Auf die Frage, wo diese zu finden sind, muss der Autor schulterzuckend seine eigene Kontaktarmut gestehen. Nur eins ist sicher: Die ewige Liebe gibt es nicht.
Phase 2 Berlin