Leben im Klima des Kapitals

Eine Sprache finden, mit der er die »unhappily happy crowd erreichen kann«, daran war dem Philosophen Günther Anders, wie er 1963 in einem Brief schrieb, gelegen. Grund war die Atombombe, die seinerzeit nicht nur über den Dächern der Universität hing. Die Katastrophe droht zwar heute (auch) aus anderen Richtungen, aber das Dilemma ist geblieben: Wie popularisieren, ohne zu popularisieren?  

Valeria Bruschi und Moritz Zeiler haben einen Sammelband herausgegeben, der nach eigener bescheidener Angabe eine Einladung darstellt, sich über Wege zur Überwindung der für Mensch, Natur und Klima destruktiven Produktionsweise auszutauschen. Angesichts der Herausforderung, solche komplexen Konzepte nicht nur in ihren Verstrickungen darzustellen, sondern auch mit konkreten Problemen zu konfrontieren, ist diese Bescheidenheit angemessen. Dennoch ist der versuchte Brückenschlag notwendig. Das Klima des Kapitals. Gesellschaftliche Naturverhältnisse und Ökonomiekritik soll verschiedene Aspekte des Themas sowie deren Bezug zur kapitalistischen Produktion in Zeiten der Klimakrise beleuchten.  

Der krisenhafte Zusammenhang von Kapital, Arbeit und Natur ist für diejenigen, deren Denken an Marx geschult ist, zwar nicht neu, die Natur steht jedoch angesichts aktueller Herausforderungen wie der rapiden Erderwärmung und ökologischen Krisen mehr denn je im Fokus. In den 1960er und 1970er Jahren führte die Hinwendung zu ökologischen Fragen oft zu einem Abschied vom Marxismus, wie Bruschi und Zeiler konstatieren. Die Absicht, Marx »zurückzuholen«, darf aber im Falle der Herausgeber:innen nicht als Autoritätshörigkeit missverstanden werden, als würde Marx als Selbstzweck keiner Begründungen bedürfen. Vielmehr liegt dem Unterfangen die Überzeugung zugrunde, dass sich das gesellschaftliche Naturverhältnis, durch das wir in die aktuelle Krise geraten sind, nur aufgrund der kapitalistischen Produktionsverhältnisse verstehen lässt: Das Klima ist ein Klima der Menschen, konkreter aber ein Klima des Kapitals. So lautet die Ausgangsthese, dass Marx die Klimakrise nicht vorhersehen konnte, sein Werk jedoch Erklärungsmöglichkeiten bezüglich des Stoffwechsels von Mensch und Natur liefert, die in den häufig wachstumskritisch orientieren Diskursen fehlen. Die Herausgeber:innen kämpfen also an zwei Fronten: die Naturausbeutung im marxschen und post-marxschen Denken herauszuarbeiten und gleichzeitig die notwendigen Grenzen der Klimapolitik zu verdeutlichen, mit dem Ziel, diese in der Synthese mit marxscher Ökonomie- und Gesellschaftskritik zu überwinden.  

Der Band ist in drei Schwerpunkte gegliedert. In bewegungspolitisch anmutender Manier ließen diese sich betiteln: Analyse – Empirie – Praxis. Aufgrund der Varietät der Beiträge seien an dieser Stelle nur einige genannt: Zu Beginn rekonstruiert Christian Schmidt Hegels Verständnis des Mensch-Natur-Eigentum-Verhältnisses und dessen marxsche Aufhebung, um dann aufzuzeigen, wie eine gegenwärtige Kritik der Mensch-Natur-Beziehung daran anschließen kann. Silvia Federici kritisiert die Überbewertung marxscher Annahmen zur Ökologie in einer globalen Mehrfachkrise, die sich vereinfachten Anwendungen ökonomistischer Schemata entzieht. Die Verstrickungen von wirtschaftlicher Logik, sozialer Struktur und globalen Naturverhältnissen beleuchtet Martina Backes anhand der Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft weltweit. Zuletzt widmen Autor:innen sich den (falschen) Versprechungen des Green New Deals, der Klimagerechtigkeitsbewegung und der Frage nach Utopien angesichts der drohenden Klimakatastrophe. 

Es ist nahezu unvermeidlich, dass ein Sammelband, der zum Diskurs anregen und einem breiten Publikum zugänglich sein soll, den anfangs genannten Ansprüchen nicht vollends gerecht werden kann. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es der Textzusammenstellung, trotz kompetenter Autor:innen, an einem präzisen roten Faden mangelt, der die verhandelten Themen in einen Zusammenhang setzt. Eine Stärke ist dennoch, dass die einzelnen Beiträge, auch wenn sie keine gänzlich neuen Erkenntnisse liefern, ihr jeweiliges Thema souverän vermitteln. Der eklektische Stil kann gelegentlich frustrierend sein, der Bandes entgeht so jedoch der Gefahr, die lauert, wenn Gesellschaftstheorie angesichts der Katastrophe praktisch oder mindestens praxisanleitend werden will: sich zu sehr an mögliche Ergebnisse zu klammern und die Theorie dafür »nutzbar« zu machen. So zeugt das Buch vielmehr von einer realistischen Sicht auf ein Projekt, das seinem Gegenstand keine Gewalt antut. Im eingangs zitierten Brief schreibt Anders noch, er verabscheue zwar die für die »Mundharmonika bearbeitete Kunst der Fuge«, man müsse jedoch »zuweilen für Mundharmonika komponieren«. Bruschi und Zeiler haben ein solches Mundharmonikastück komponiert.  

 

Anneke Schmidt 

 

Valeria Bruschi, Moritz Zeiler (Hrsg.), Das Klima des Kapitals. Gesellschaftliche Naturverhältnisse und Ökonomiekritik, Karl Dietz Verlag, Berlin 2022, 312 S., € 18,00.